Mertens Kaffeekochen für Millionen

Die spektakulärsten Ereignisse im World Wide Web
1. Auflage 2006
ISBN: 978-3-593-40238-3
Verlag: Campus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die spektakulärsten Ereignisse im World Wide Web

E-Book, Deutsch, Band 4, 183 Seiten

Reihe: Interaktiva, Schriftenreihe des Zentrums für Medien und Interaktivität, Gießen

ISBN: 978-3-593-40238-3
Verlag: Campus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Anders als bei Buch, Zeitung oder Film verschwinden die meisten Homepages, wenn ihre Aktualität verflogen ist. Darum war das Internet stärker als andere Medien auf spektakuläre Ereignisse angewiesen, um sich zu etablieren. Mathias Mertens erzählt die Geschichte des World Wide Web erstmals anhand solcher Ereignisse: So verhalf die Demo-Version des Spiels Doom, 15 Millionen Mal heruntergeladen, 1993 dem Prinzip der Shareware zum Durchbruch; die Veröffentlichung des Starr-Reports zum Fall Clinton/Lewinsky führte 1998 aufgrund gigantischer Nachfrage zur Optimierung der Zugriffsmöglichkeiten; eBay verwandelte die Welt in einen Marktplatz und brachte ungezählte Ich-AGs hervor und die Peer-to-Peer-Börse Napster revolutionierte die Musikindustrie. Mathias Mertens unterhaltsame Reise durch 15 Jahre Internet führt uns dessen rasante Karriere vor Augen und zeigt, wie es nicht nur Wirtschaft und Politik, sondern auch unser ganzes Leben prägt.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Einleitung: Die Mondlandungen des Internets

0. Ein verschwommenes, fragmentarisches Mandala
Wie vom Internet geredet wurde, als es noch nichts gab

1. Supernova aus der Kindheit
Die Trojan-Room-Coffee-Machine, 1993

2. Den Weg frei napalmen
Der Doom-Shareware-Download, 1993

3. T-Model des Netzsurfens
Der Netscape-Börsengang, 1995

4. Stratosphärische Zugriffe
Die Pathfinder-Marsmission, 1997

5. Digitaler Müllhaufen
Die Lewinsky-Affäre, 1998

6. Orson Welles im Saufgelage mit Ann Rice
Das Blair Witch Project, 1999

7. Das leise Grummeln einer fernen Zivilisation
SETI@home, 1999

8. Die Lust am Schneeballeffekt
Mahir Cagri, 1999

9. Die Flasche, nicht der Wein
Napster, 2000

10. Internet-Piraten halten die Welt in Atem
Der I love you-Virus, 2000

11. Machen Sie doch einfach, was Sie wollen
Die ICANN-Wahl, 2000

12. Der Anne Frank des Irak
Der Bagdad-Blogger, 2003

13. Hollywood trifft Moores Gesetz
Red vs. Blue, 2003

14. Weihwasser-Kühlung und Heiligenschein-Werfer
Der Ratzinger-Golf, 2005

Nachwort: Vom akkumulativen Charakter des Internetereignisses

Anmerkungen
Literatur
Bildnachweise


Sehr lange, bevor es Public-Relation-Manager und Werbeagenturen gab, hatte die katholische Kirche schon eine Methode entwickelt, um den Besuch ihrer Kirchen attraktiv und die Faszination ihrer Religion möglichst umfassend zugänglich zu machen. Durch Reliquien wie Jesus' Schweißtuch, Holzsplitter vom Golgatha-Kreuz oder Fingerknochen von Heiligen konnten Kirchen und Kathedralen eine sehr körperliche Präsenz des Transzendenten anbieten und Pilgerscharen anlocken, die Geld in die Kassen der Gemeinde spülten. Höhere Einschaltquoten bedeuteten schon immer mehr Überzeugungskraft und Einfluss, also bemühte sich jedes Gotteshaus um solch eine Attraktion, auch wenn es sich um den dritten Oberschenkelknochen des Heiligen Nikolaus handeln sollte. Vielleicht war ja einer der anderen beiden falsch, wer konnte das schon ernsthaft überprüfen, und so konnte man als Pilger wahrscheinlich doch vom echten Objekt profitieren. "Die Faszination bestand darin, dass man mit einem Stück eines Heiligen dessen Kraft habhaft werden wollte", erklärt der Theologe Manfred Becker-Huberti. "Die Frage, für wie wirksam man die Kraft der Reliquien hält, ist eine Mentalitätsfrage."210 Zitiert wurde Becker-Huberti in einem Artikel über Reliquien, mit dem Autorin Theres Langsenkamp im Mai 2005 in deutschen Zeitungen reüssieren konnte, was Zukunftsforscher vor zwanzig Jahren sicherlich nicht für möglich gehalten hätten. Kreuzsplitter und schweißfleckige Tücher waren schwerlich mit Mikroelektronik, Digitalisierung und Kommunikationstechnologie zusammen zu denken. Und doch näherten sich die beiden Sphären in diesem Jahr so weit an, dass ein Artikel darüber aktuellsten Nachrichtenwert besaß. Denn ein Zivildienstleistender aus Olpe im Sauerland hatte bei eBay einen gebrauchten VW-Golf angeboten, der vormals Kardinal Ratzinger gehört hatte, und weil Ratzinger zum Papst gewählt 158 worden war, verwandelte sich das unscheinbare Auto quasi durch Transsubstantation zum heiligen Gefährt des Stellvertreters Gottes auf Erden, das ein nie für möglich gehaltenes hysterisches Interesse weckte. Im Januar 2005 kaufte Benjamin Halbe beim Siegener Autohändler Kurt Schneider einen Golf, Baujahr 1999, mit 75.000 Kilometer auf dem Tacho, 112 PS, Klimaanlage, Alarmanlage und einer Wegfahrsperre. Ein Auto wie Zehntausende andere auch. Trotzdem meinte der Händler beim Verkauf, mit diesem Wagen werde sein Fahrer immer mit geistlichem Segen unterwegs sein. "Ich habe mir zunächst nichts dabei gedacht", wurde Halbe später im Stern zitiert.211 Zuhause las er dann im Fahrzeugbrief, dass das Auto vor ihm auf Josef Kardinal Ratzinger zugelassen war. "Da habe ich dann auch verstanden, was der Verkäufer meinte."212 Aber obwohl es sich "himmlisch" fuhr, beschloss Halbe nach der Papstwahl im April, auf alle göttlichen Effekte zu verzichten und eher auf die Kraft des Geldes zu vertrauen. Am 25. April eröffnete er auf eBay- Deutschland ein Konto unter dem Nutzernamen "gape83" und startete eine zehntägige Auktion mit dem Titel "Papst Golf ! Kultauto ! (Ratzinger, Benedikt)". Am 28. April wurde bereits in der Süddeutschen Zeitung über ihn berichtet. Denn eBay hatte, nachdem bereits 1,3 Millionen Interessenten das Angebot angesehen hatten, extra eine weitere Ziffer zu dem Besucherzähler auf der Seite hinzugefügt, damit er nach 999.999 nicht wieder auf die unspektakuläre Null schaltet. Der Papst-Golf war mit Abstand zum meistangesehenen Angebot aller Zeiten geworden.


Mathias Mertens, Dr. phil., Literatur- und Medienwissenschaftler, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Medien und Interaktivität der Universität Gießen sowie Lehrbeauftragter für Film- und Computerspielgeschichte an den Universitäten Hannover und Hildesheim. Er schreibt u. a. für DE:BUG, SPEX, Freitag, GEE und Financial Times Deutschland. 2002 veröffentlichte er Wir waren Space Invaders, eine Kulturgeschichte des Computerspiels.



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