E-Book, Deutsch, Band 7, 196 Seiten
Meyer-Dietrich / Pranschke Emschererwachen
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8375-1605-0
Verlag: Klartext
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Urban-Fantasy-Roman
E-Book, Deutsch, Band 7, 196 Seiten
Reihe: FlussLandStadt. Eure Heimat – euer Roman!
ISBN: 978-3-8375-1605-0
Verlag: Klartext
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nach einer durchfeierten Nacht traut Lukas seinen Augen nicht. Aus einem Nebenfluss der Emscher steigt ein junger Mann, der sein Zwillingsbruder sein könnte. Was Lukas nicht weiß: Der Doppelgänger ist sein 1835 verstorbener Vorfahre Emil, der sich im Ruhrgebiet des Jahres 2015 nicht mehr zurechtfindet. Orientierungslos fühlt sich auch Lukas selbst. Seit dem Schulabschluss hält er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Dass seine Mitbewohnerin Nikki ihm ständig Vorwürfe macht, weil er sein Leben nicht in den Griff kriegt, macht es nicht gerade leichter. Und dann lauert ihm noch die schießwütige Fee Amalia mit Armbrust bewaffnet auf. Auch sie ist aus den Emschergewässern auferstanden. Und voller Zorn, weil die Menschen im Zuge der Industrialisierung ihren geliebten Fluss zerstört haben.
Eine Verfolgungsjagd von Essen über Gelsenkirchen und Bochum mündet in Dortmund schließlich in einen Showdown der Emscherfeen, Menschen und Geister …
Fast 50 Jugendliche haben sich in diesem Roman literarisch auf höchst spannende und fantastische Weise mit dem kulturellen Erbe ihrer Region auseinandergesetzt: mit der Geschichte der Zechen, Kokereien und Stahlwerke – und der Emscher, die sinnbildlich für die Folgen von Industrialisierung und Strukturwandel im Ruhrgebiet steht.
»Emschererwachen« ist der fünfte Band einer Romanreihe, die im Rahmen der Projektfamilie »FlussLandStadt. Eure Heimat – euer Roman« entstand. Neben einer packenden Story und spannenden Informationen über die Region verspricht dieser Urban-Fantasy-Roman ein Wiedersehen mit alten Bekannten aus »Stromabwärts. Ein Emscher-Roadmovie« und »Grenzgänger. Ein Ruhrpott-Roadmovie«.
Autoren/Hrsg.
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TEIL II
1 Sascha // Bochum // In der Schule
Achtunddreißig … neununddreißig … und vierzig. Okay, vierzigeinhalb, wenn man die halbe in der Ecke mitzählt … Meine Güte, ich hab auch nix besseres zu tun, als Deckenfliesen zu zählen. Okay, ich muss sagen, die Lehrer sind aber auch echt fies. Da ist man gerade wieder den ersten Tag nach den Sommerferien in der Schule und die fangen sofort an, richtig Unterricht zu machen. Also, Sascha, passen wir ein wenig auf, was Herr Langenscheidt zu sagen hat: »… der Marbach. Er ist ein Nebenfluss der Emscher und …« Okay, ich gebe auf. Muss denn immer alles so theoretisch sein? Fotografie, könnte unser Lehrer nicht darüber sprechen? Oder ich könnte diesen Marbach fotografieren. Das wär doch mal eine Idee für interessanten Unterricht. Lernt man doch auch viel bei. Über Ästhetik und so. Aber nee … »Auch der Marbach wird, wie der Rest des Flusssystems, in den nächsten Jahren von der Emschergenossenschaft wieder naturnah umgestaltet. Dafür ist es nötig, Kanalrohre zu verlegen, damit das Abwasser aus Industrie und Haushalten künftig unterirdisch abgeleitet wird und nicht mehr in den Marbach gelangt. Dies …« Mann, hab ich keinen Bock! Aber ich will ja Fotograf werden. Und um zu studieren, muss ich nun mal noch ein paar Jahre zur Schule. Ich mach das also alles aus guten Gründen und sollte mich nicht beschweren. Eigentlich. Studieren will ich nicht hier in Bochum, sondern in den USA. Dort wird es bestimmt interessanter. Und Englisch kann ich ja auch gut. Also schaff ich das schon. Aber erst muss ich hier durch. Noch drei Jahre … »… Bochum war auch bekannt für den Stahlguss. Es wurden zum Beispiel Glocken gegossen, die in alle Welt verkauft wurden. Wie die Glocke, die bei uns vor dem Rathaus steht. Die kennt ihr ja sicher. Deshalb …« Ich bin doch bestimmt nicht der einzige, der das hier langweilig findet, oder doch?! Sarah, die neben mir sitzt, hat anscheinend genauso wenig Bock auf Unterricht wie ich. Sie vertreibt sich die Zeit, indem sie irgendwelche Bildchen auf ihren Block kritzelt. Gucken wir weiter in die Runde, sehen wir … Oh Gott, Dustin und Lisa. Die beiden sind DAS Traumpaar, nur am Rumturteln. Hat sich auch nach den Sommerferien nichts dran geändert. Lilian spielt am Handy und Luis ist eingepennt, den Kopf auf die Arme gelegt. Dass Herr Langenscheidt nichts sagt … Na ja, der ist ja gerade voll in seinem Element. Erzählt von diesem Fluss und was der bei der Industrialisierung in der Region für eine Rolle gespielt hat und fuchtelt dabei so sehr mit den Armen, dass er wahrscheinlich gleich Michelle erschlägt. Die scheint das nicht zu stören. Denn sie guckt, als würde sie die Worte, die unser Lehrer von sich gibt, praktisch als Lebenselexier brauchen. In der Reihe hinter ihr die Neue. Sie hat sich zu Beginn der Stunde vorgestellt, aber ich hab ihren Namen schon wieder vergessen. Sie schreibt. Schreibt sie etwa das mit, was der Lehrer sagt?! Nee, sieht nicht so aus. Sie achtet nicht mal auf ihn. Sie sieht so nachdenklich und traurig aus. Die blonden Haare fallen ihr ins Gesicht. Ich hätte Lust, meine Kamera rauszuholen und sie zu fotografieren … Warum sie wohl so traurig ist? Ach, egal. Wie lange geht die Stunde denn noch? Und das soll ich wirklich noch drei Jahre durchziehen?! Hab ich wirklich Lust dazu? Vielleicht schaff ich den Abschluss ja auch gar nicht. Dann war das alles hier umsonst! Doch, ich muss das durchziehen. Nicht nur wegen des Studiums. Auch wegen meiner Eltern. Sie wären enttäuscht … Aber an meine Eltern will ich jetzt nicht denken. »Und zum Schluss bleiben Sascha, Mara, Lilian und Luis übrig. Ihr vier bildet eine weitere Gruppe. Und, Leute, ich will ein vernünftiges Ergebnis haben. In den nächsten Tagen konzentriert ihr euch voll auf das gemeinsame Projekt.« Was hab ich verpasst? Gruppenarbeit. Nicht im Ernst! Und dann auch noch mit dieser Gruppe. Der Tag wird ja immer besser! Herr Langenscheidt schreibt mit quietschender Kreide das Projektthema an die Tafel: Bochum-Hamme und die Auswirkungen der Industrialisierung im Ruhrgebiet am Beispiel des Marbachs. »Die Zeit läuft«, sagt er. »Sucht euch also einen Ort, an dem ihr euch besprechen könnt. Oder fangt schon an zu recherchieren.« 2 Mara // Bochum // In der Schule
Liebes Tagebuch,
jetzt sitze ich den ersten Tag in der neuen Klasse. Ich bin alleine, niemand mag mich, niemand kennt mich, keiner weiß, was ich durchgemacht habe und ich kann mich keinem anvertrauen. Doch, eine ist für mich da: die scharfe Klinge. Sie ist und bleibt meine beste Freundin. Egal, ob in München oder jetzt hier, in diesem komischen Bochum. Ich vermisse München, ich vermisse diese Stadt wegen ihrer Schönheit. Da kann mein Vater tausendmal erklären, dass im Ruhrgebiet die Wiege der Kohle- und Stahlindustrie war und dass deshalb vieles hier so hässlich ist. Weil man damals schnell und viel gebaut hat. Und weil im Krieg viel zerstört wurde. Mir doch egal, das macht Bochum nicht schöner. Nun bin ich also hier. In meiner neuen Klasse, ohne Freunde. Ich habe Angst. Angst vor den Leuten hier. Wie sie mich alle angestarrt haben, als ich eben vorne stand, um mich vorzustellen. Ich war so froh, als ich mich wieder auf meinen Platz setzen konnte. In der letzten Reihe. Wo mich hoffentlich keiner beachtet. Jetzt haben wir auch noch Themenwoche, ich habe nicht richtig zugehört. Ich weiß nur, dass der Lehrer gerade die Gruppen einteilt. Ganz egal in welcher Gruppe ich landen werde, ich werde weiterhin Angst haben …Mara 3 Lilian // Bochum // Zu Hause und in der Schule
Schon wieder habe ich nicht geschlafen. Wie so oft in finsteren und stillen Nächten. Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Ich stelle mir so viele Fragen, und mein Vater beantwortet mir keine einzige davon. Vielleicht sollte ich es noch mal versuchen, aber was, wenn es dann bloß wieder Streit gibt? Egal! Ich habe ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren! Ich stehe auf. Ich laufe zum Schrank, ziehe mir meine Sachen an und gehe runter. Mein Vater sieht mich etwas überrascht an, als ich die Küche betrete, doch ich versuche, seinen Blick zu ignorieren. Die letzten Tage bin ich meinem Vater aus dem Weg gegangen, weil ich wieder so enttäuscht von ihm war. »Papa?« »Ja, Lilian?« »Beantwortest du mir endlich meine Frage? Wer ist meine Mutter? Was kannst du mir über sie sagen?« Mein Vater steht auf. »Du musst los, Lilian«, sagt er nur. Ich schreie ihn an: »Immer weichst du aus! Ich hasse das! Es ist doch nur eine Frage!« Ich drehe mich um und knalle beim Rausgehen die Tür zu. Wütend gehe ich zur Schule. Ich mag die Schule nicht. Sechs Wochen Ferien waren noch nicht genug. Ich bin kein bisschen weitergekommen mit den Recherchen über meine Mutter. Und jetzt werde ich es auch nicht mehr, weil die Schule mir kaum Zeit lässt. Ich betrete das Gebäude in dem Moment, als es zur ersten Stunde klingelt. Als ich ins Klassenzimmer komme, hat der Unterricht anscheinend noch nicht richtig begonnen. Herr Langenscheidt steht vorne und kramt noch etwas aus seiner Tasche. Ein Mädchen nimmt gerade an einem der Tische Platz. Sie scheint neu zu sein. Hinten in der letzten Reihe entdecke ich noch einen freien Platz und setze mich dorthin. Das erste, was ich mache: mein Handy rausholen. Die langweilige Begrüßung des Lehrers hab ich zum Glück verpasst. Wie es mich einschläfert, dieses »gu-ten Mor-gen Herr Lan-gen-scheidt«. Ich öffne die Suchmaschine und bekomme nur halb mit, wie Herr Langenscheidt über irgendeinen Fluss spricht. Flüsse faszinieren mich ja eigentlich, aber jetzt habe ich Wichtigeres zu tun … »Stammbäume Bochum-Hamme« gebe ich ein und durchforste die Internetseiten. Ich blicke kurz vom Handy hoch und sehe mich in der Klasse um. Immer noch die gleichen Chaoten und Gruppen. Und diese Neue. Na ja, interessiert mich nicht wirklich. Ich gucke wieder auf mein Handy und suche weiter. Ich schrecke zusammen, als Herr Langenscheidt meinen Namen sagt und mich in eine Gruppe einteilt. Themenwoche! Projektarbeit! Na super, jetzt habe ich noch weniger Zeit. Ich verdrehe genervt die Augen. 4 Sascha // Bochum // In der Schulbibliothek
Sascha stößt die Bibliothekstür mit dem Fuß an. Sie schwenkt weit auf. Die vier treten ein. Muffiger Geruch schlägt ihnen ins Gesicht. Die Decke ist tief und der Raum wirkt eng, obwohl sich die Regale dicht an dicht drängen. Auf den alten Brettern warten Hunderte ach so wissenschaftlich wertvolle Werke auf wissensdurstige Schüleraugen. Die meisten Bücher sehen allerdings so aus, als würden sie zu Staub zerfallen, sobald man sie aus den Regalen zieht. Neben dem geschlossenen Fenster steht ein kleiner Tisch, auf dem Saschas Rucksack jetzt mit einem lauten, dumpfen Geräusch landet. Das blonde Mädchen zuckt bei dem Geräusch zusammen. Sascha selbst lehnt sich provokant in einem der gepolsterten Stühle zurück und setzt seine Kopfhörer auf. Der Bass dröhnt durch...