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E-Book

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

Meyer Flecken


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-86391-356-4
Verlag: Verlag Voland & Quist
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

ISBN: 978-3-86391-356-4
Verlag: Verlag Voland & Quist
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Erik hält nichts von Sex. Immer wieder stolpert er in absurde Situationen und über seine Männlichkeit und die Erwartungen daran.

Aber damit kommt er klar. Er nimmt die übersexualisierte Gesellschaft als unterhaltsames Schauspiel wahr, in dem er nur Beobachter ist. In seiner eigenen Welt geht es ihm gut, und daran soll auch der Tod seiner Sandkastenfreundin Neele nichts ändern. Die unfreiwillige Rückkehr in den tristen Provinzort seiner Jugend, den alle nur den "Flecken" nennen, zieht ihn allerdings zurück in seine Vergangenheit und zwingt ihn aus seiner Komfortzone. Plötzlich bekommt Erik Antworten auf Fragen, die er sich nie gestellt hat.

Die Wahrheit wird zu einer Entscheidung und die Einzige, die den Mut hatte, sie zu treffen, ist tot.

Ein wilder, tragikomischer Roman über Wahrnehmung und Realität, platonische Liebe und Leidenschaft, Reden und Schweigen und die Peinlichkeit der Männlichkeit.

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2
Unangemeldet stand Neele plötzlich vor Kälte zitternd an der Tür seiner Erasmus-WG in Helsinki. Sie roch nach Zigarette und hatte ihren Dutt unter eine riesige Wollmütze gesteckt. Seitdem er weggezogen war, hatten sie nicht viel Kontakt gehabt. Er fand, telefonieren werde ihrer Freundschaft nicht gerecht, und hatte gemeint, es sei besser, sich nur einmal im Jahr an Weihnachten zu sehen und dann alles Notwendige zu besprechen, als sich telefonisch vorzugaukeln, man habe einen Alltag. Noch dazu bleibe man so mehr im Hier und Jetzt. Er war erleichtert gewesen, als sie zustimmte, weil sie ihm bei jedem Anruf ein schlechtes Gewissen gemacht hätte, nicht derjenige gewesen zu sein, der angerufen hatte. Außerdem konnte er ihr eh nicht mehr helfen. Das hatte er jahrelang versucht, aber jetzt war sie auf sich allein gestellt, und er fand, das war sehr wichtig für sie. Es würde sie stärker machen. Er schaffte es, sie zu überzeugen, wie romantisch es sein würde, wenn man sich dann dieses eine Mal im Jahr sähe. Die beiden Jahre nach diesem Prinzip war es allerdings nicht besonders romantisch gewesen. Deshalb hatte es seit einer Weile immer mal wieder Notfallanrufe außer der Reihe gegeben, aber in diesem Falle hatte sie sich dafür entschieden, spontan und ohne Vorankündigung mit dem Billigflieger nach Helsinki zu kommen. Hätte sie ihn gefragt, hätte er sie abgewiesen, und das hätte sie vielleicht nicht verkraftet. Obwohl es im Nachhinein betrachtet vielleicht weniger schmerzhaft gewesen wäre. Sein Gesicht, als sie plötzlich an der Tür stand, hätte er gerne gesehen. Wie immer hatte er es unter Kontrolle. Er freute sich überrascht und drückte sie zu fest. »Was machst du denn hier?« Sie war sich nicht sicher, ob sie den Moment genießen sollte oder sich direkt den echten Erik wünschte, sie durchschaute ihn ohnehin. »Ich war in der Gegend. Darf ich vielleicht mal reinkommen, oder was?«, schimpfte sie und trat über die Schwelle. »Okay, okay, wie lange bleibst du denn? Ich hab zu tun.« Sie hätte den Moment genießen sollen. »Dann geh ich wieder«, sagte sie und drehte sich wieder zur Tür. »Kannst froh sein, dass ich überhaupt da war. Ich muss genau jetzt zur Uni.« »Ich bleib auch nur eine Nacht, aber ich musste dich sehen. Ich wäre nicht gekommen, wenn es nicht wichtig wäre.« »Ich hab halt nur ein neunzig Zentimeter breites Bett in meinem Acht-Quadratmeter-Zimmer.« Sie zeigte auf die Isomatte, die an ihren Wanderrucksack geknotet war, den sie jetzt in den Flur stellte. Erik zeigte Neele kurz in seinem Reiseführer, was es in Helsinki zu sehen gab, und begleitete sie noch ein paar Hundert Meter schweigend durch die eisige Luft Richtung Innenstadt. Sie verabredeten sich um sechs vor seiner Haustür. Erik kam um halb sieben. Neele stand zitternd und rauchend vor der Tür. An den Filtern im Schnee sah er, dass sie mindestens seit sechs ohne Pause geraucht haben musste. »Hättest doch klingeln können, meine Mitbewohnerin ist da«, sagte er kopfschüttelnd. Er vermutete, sie wollte leidend in der Kälte warten, um ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Durchgefroren setzten sie sich in die WG-Küche, in der seine Mitbewohnerin Elsa gerade bei lauter lateinamerikanischer Musik etwas Fettiges mit maximaler Hitze briet. »Wie läuft es bei dir? Was ist in den letzten drei Monaten passiert?« Erik öffnete ungefragt zwei Bierdosen. »Können wir in dein Zimmer gehen, hier ist so unruhig«, bat sie. »Ich hab gar keine Stühle bei mir, und Elsa versteht eh kein Deutsch.« Er drehte wenigstens die Musik etwas leiser. »Hm. Danke. Ich bin übrigens nicht mehr mit Helge zusammen. Er ist so ein Wichser, das glaubst du nicht.« »Doch, glaub ich. Was ne Überraschung. Um mir das zu sagen, bist du nach Helsinki gekommen?« »Nein. Es geht um was anderes. Wo soll ich anfangen?«, fragte sie mehr sich als ihn und hielt sich beide Hände vors Gesicht. »Vielleicht Weihnachten?« Seitdem hatten sie sich nicht mehr gesehen. »Okay. Ich fasse mich diesmal kurz.« Sie löste ihre Hände vom Gesicht und sah sehr konzentriert aus. »Es war Silvester. Ich hatte keine Lust auf dicke Party und bin zu Hause geblieben, wo natürlich meine Eltern deine Eltern eingeladen hatten. Ich war die meiste Zeit in meinem Zimmer, bis es gegen zehn im Wohnzimmer lauter wurde.« »Unsere Eltern trinken halt gerne mal einen, wissen wir doch. Wird es noch spannend?« »Warte. Meine Mutter schrie irgendwas, ich habe nicht verstanden, was, aber sie schrie, wie ich sie noch nie habe schreien hören. Es fiel auch irgendwas um oder flog gegen die Wand. Dann hat die Gartentür geknallt, und meine Mutter hat sich draußen eine Zigarette angezündet, das hat sie seit Jahren nicht gemacht. Ich habe mich aus dem Fenster gebeugt und gefragt, was los war, aber sie ist wortlos um die Ecke verschwunden.« »Menopause?« »Idiot.« »Wann geht dein Rückflug noch mal?« »Arschloch. Ich bin dann runter. Deine Mutter saß alleine im Wohnzimmer und hat sich an einem leeren Weißweinglas festgehalten, auf dem Tisch lag ein altes Fotoalbum. Unsere Väter habe ich aus dem Esszimmer gehört. Dann fiel Glas auf die Küchenfliesen. Meine Mutter kam wieder rein und schrie deine Eltern an, dass sie verschwinden sollen. Ich hab deine Mutter ein paar Tage später im nahkauf getroffen, sie kann sich auch nicht erklären, warum das so eskaliert ist. Meine Mutter will jedenfalls nichts mehr mit deiner zu tun haben.« »Meine Mutter hat’s mir erzählt. Klingt dramatisch«, sagte er. Neele holte ein Foto aus ihrer Hosentasche und legte es vor ihn auf den Tisch. Erik sah nur kurz darauf. Die junge Elke prostete in die Kamera. »Guck es dir noch mal an.« »Ich kenne das Bild.« Neele legte einen DIN-A6-Umschlag auf den Tisch. Er war schon aufgerissen. Sein Name stand darauf. »Mein Vater ist ausgezogen«, sagte sie wütend, und Tränen sammelten sich in ihren Augen. »Und weißt du auch, warum?« »Ich wusste es schon lange«, sagte er gelangweilt. Erik hatte schon immer ein sehr gutes Verhältnis zu ihrem Vater Georg gehabt, in den letzten Jahren nach seinem Auszug war es sogar noch enger geworden als zu ihrer gemeinsamen Zeit im Flecken. »Was wusstest du?« »Alles.« »Seit wann?« »Seit unserem achtzehnten Geburtstag.« Sie massierte ihre Augenbrauen. »Warum hast du mir nichts gesagt?« »Weil es dich traurig gemacht hätte.« Neele schüttelte fassungslos den Kopf. »Was hat er dir erzählt?« »Warum soll ich’s dir erzählen, wenn du es selber weißt?« Er nahm noch einen tiefen Schluck aus der Bierdose. »Wann geht dein Rückflug?« »Morgen Abend«, flüsterte sie, und eine einzelne Träne floss ihre Wange herunter. »Ich muss morgen acht Stunden zur Uni, sorry«, entschuldigte er sich. Eigentlich hatte er frei. »Darf ich dein Bier?«, fragte Eriks Mitbewohnerin in perfektem Deutsch. Neele hatte noch keinen Schluck getrunken. Ihre Augen verengten sich, und sie ging ins Bad. Erik trank den letzten Schluck seines Bieres, nahm Foto und Umschlag vom Tisch und steckte beides wieder in Neeles Rucksack. Während sie einschliefen, hörte er ihr leises Schluchzen. Er spürte, dass sie noch etwas sagen wollte, half ihr aber nicht dabei. »Und lass in der Nacht deine Finger bei dir, du notgeiles Stück.« Der Spruch musste sein, das war Tradition, meistens lachte sie ihn weg, aber er wusste, dass er diesmal unangebracht gewesen war, als keine Antwort kam. Stattdessen fragte sie leise: »Schreibst du eigentlich noch Tagebuch?« »Schon lange nicht mehr.« Eine Weile war Stille, und er war schon fast eingeschlafen, da stand sie noch einmal auf. Als sie wiederkam, roch Erik den Zigarettenrauch und drückte seine Nase ins Kissen. »Ich auch nicht«, flüsterte sie, und er hörte, wie sie sich die blonden Armhärchen zupfte. Am Morgen, als er aufwachte, war Neele schon gegangen. Erik hatte sie im Halbschlaf gehört, aber so getan, als schliefe er weiter. Er hasste ihre Dramatik, und sie musste gewusst haben, dass er ihre Erwartungen nicht erfüllen würde. Er würde ihr nicht schreiben, wo sie sei, dass sie doch zurückkommen solle und so weiter. Sie sahen sich noch zweimal an diesem Tag, aus der Ferne. Helsinki war klein. Abends saß Erik mit anderen Erasmus-Studierenden in einer Bar und amüsierte sich bei angeregten...


Christian Meyer, geboren 1982 in Lüneburg, studierte Germanistik, Soziologie und Geschichte in Leipzig, arbeitet für Bühne und Bildschirm und lebt auf einem Campingplatz in der Elbmarsch. Musikalisch ist er mit Julius Fischer als The Fuck Hornisschen Orchestra unterwegs. »Flecken« ist sein erster Roman.



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