E-Book, Deutsch, 342 Seiten
Miedler Die Kühlschrank-Chroniken
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-401-80535-1
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein WG-Roman:
E-Book, Deutsch, 342 Seiten
ISBN: 978-3-401-80535-1
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. KAPITEL in dem eine Wohnung ihre Besitzerin wechselt, ein neuer Nachbar auftaucht und ein paar kleine Notlügen erzählt werden Essiggurken!!
Kakao!!
Erdnussflips!
Eis!!!!!!
Spaghetti
Tomatensauce
Schoki!!!
Video für Maike drehen!!!
Job suchen!!!!! Ich trat einen Schritt zurück und betrachtete mein Werk. Bisschen viele Ausrufungszeichen, aber ansonsten schon ganz gut. Meine erste Einkaufs- und Erinnerungs-Liste. Seit Ewigkeiten hatte ich mir eine riesige Tafel gewünscht, auf der ich alle meine Gedanken festhalten konnte. Irgendwie fand ich das lässig. Und jetzt war es so weit! Keine fünf Minuten nachdem ich meine eigene Wohnung bezogen hatte, verwandelte ich eine ungeflieste Wand in der Küche kurzerhand in eine riesige Tafel. Ich verkniff mir, die Liste zusätzlich mit Smileys zu verzieren, denn eigentlich hatte ich gerade gar keine Zeit für Deko. Nur Eistee!! schrieb ich dazu. Vier Stockwerke unter mir, im Hauseingang, warteten noch mindestens zehn Umzugskartons auf mich. Mittlerweile bereute ich zutiefst, dass ich meine Eltern weggeschickt und behauptet hatte, gleich kämen ein paar Freundinnen, um mit anzupacken. Während mein Vater sich über die Stirn gewischt und erleichtert genickt hatte, war meine Mutter sofort misstrauisch geworden: »Welche denn? Maike ist doch auf Weltreise.« Hallooo? Dachte die etwa, ich hätte nur eine Freundin? Um meine Mutter zu beruhigen, hatte ich ein paar Mädchen aus meiner frischgebackenen Exschule aufgezählt. In Wahrheit brauchte ich dringend eine Pause von meinen Eltern. Außerdem hatte ich keinen Bock, ihnen zu demonstrieren, dass ich die Liftpanik, die mich seit einem halben Jahr begleitete, noch immer nicht überwunden hatte. Sie waren ja auch so schon ständig besorgt um mich. Wie oft hatte ich in den letzten Wochen und Tagen gehört: »Mit siebzehn bist du noch nicht erwachsen.« Dass sie mir erlaubten, »mutterseelenallein« in Oma Elfis alte Wohnung einzuziehen, betrachteten die beiden als nahezu »übermenschlichen Vertrauensbeweis«. Jaja. Blabla, blabli, blablo. Jetzt waren sie jedenfalls weg und ich alleine in meiner Wohnung. Mein Shirt klebte an meinem verschwitzten Rücken, als ich die letzten Kisten in die Wohnung beförderte und ächzend die Tür schloss. Mit einem Fußtritt, der Oma Elfi in der Seele wehtun würde (Jessas na, die schöne Eichentür!). Aber wenn man fünfmal hintereinander – und mit schwerem Gepäck beladen – vier Altbau-Stockwerke raufgelaufen ist, kann man sich glücklich schätzen, überhaupt noch den Fuß heben zu können. Memo an mich: Es wird Zeit, endlich die blöde Liftpanik zu überwinden! Ich ließ die beiden Kartons, auf denen in Mamas Handschrift Bettwäsche, Handtücher, Geschirrtücher und Winterpullis, Strumpfhosen, Handschuhe, Mützen stand, vor mir auf den Boden plumpsen. Irgendetwas klirrte. »Ups!« Da war anscheinend noch was anderes drin. Wollte ich es genau wissen? Ähm … nein, zumindest momentan nicht. Bevor ich mich dem unausweichlichen Schachtelauspacken, Kästen- und Schubladeneinräumen, Handtücheraufhängen und Bettwäscheüberziehen widmete, machte ich noch einmal einen Streifzug durch die Wohnung. Meine Wohnung. Meine erste eigene Wohnung. Ich kannte und liebte diese Wohnung, solange ich zurückdenken konnte. Aber seit Oma Elfi mir vor acht Wochen eröffnet hatte, dass ihre riesige Wohnung ab sofort mir gehören sollte, betrachtete ich sie mit ganz anderen Augen. Und heute, da der letzte Karton mit meinem Zeug eingetroffen war und ich den ersten Tag in meinem neuen Leben verbringen würde, sah die Wohnung auf einmal ganz anders aus. Ich betrat das erste der vier Schlafzimmer. Es lag direkt neben der Küche, hatte einen Erker und war schon immer mein Lieblingsraum gewesen. Das ehemalige Jugendzimmer meines Vaters. Hier hatte ich als Kind immer geschlafen, wenn ich bei meinen Großeltern übernachten durfte. Er war großzügig geschnitten und besaß – wie auch die vier anderen Schlafzimmer – rote Wände und einen begehbaren Kleiderschrank. Das alleine war schon Grund genug, um restlos auszuflippen vor Glück! Maike hatte schon lange einen und ich war immer neidisch gewesen. Jetzt hatte ich vier! Und ich würde sie alle nutzen. Auf der anderen Seite der Küche lag das kleinste Zimmer, mein zukünftiger Arbeitsraum. »Gute Idee, Billie. Und von welchem Geld kaufst du die Einrichtung?«, fragte ich mich laut. Tja, das wusste kein Mensch. »Außerdem wolltest du keine Selbstgespräche mehr führen«, ermahnte ich mich – ebenfalls laut. Ein weiteres Geschenk von Oma Elfi, die auch eine Meisterin der Selbstgespräche war. Das dritte und das vierte Zimmer lagen einander gegenüber. Eines hatte die hübsche Aussicht auf den Innenhof – das wurde mein Gästezimmer – und das andere befand sich direkt neben dem Badezimmer – der perfekte Ort für mein privates Fitnesscenter. Wenn es erst mal eingerichtet war, würde sich bei mir sicher auch die Lust am Sport melden. Ich war da sehr zuversichtlich. Den begehbaren Schrank in diesem Zimmer würde ich in eine finnische Sauna verwandeln. (Irgendwann mal. Mit Geld.) Ich ging in jeden Raum, betrat sogar die beiden Abstellkammern und Toiletten und begrüßte das wunderschöne Badezimmer mit Eckbadewanne samt Whirlpoolfunktion. Last but not least landete ich wieder in der Küche mit den ebenfalls roten Wänden und dem exorbitant großen Esstisch, auf dem ich in Zukunft meinen Arbeitskollegen aus der Film- und Fernsehbranche Galadiners servieren würde. Ja, dann einmal. Später dann. Irgendwann halt. Momentan reichten meine Ersparnisse nicht mal für ein neues Tischtuch. Auch für Heizung, Gas und Strom hatte ich kein Geld. Außer einer Wohnung hatte ich eigentlich gar nichts, geschweige denn einen Job in der Fernsehbranche. Geschweige denn überhaupt irgendeinen Job. Von meinen Eltern durfte ich mir keine Finanzspritze erhoffen. Im Gegenteil. Nicht dass sie nicht in der Lage gewesen wären, mir etwas unter die Arme zu greifen. Doch sie wären sofort da und würden mich beim Rückzug ins elterliche Nest unterstützen. So wenig begeistert wie die beiden auf Omas Geschenk reagiert hatten, würden sie meine Niederlage sicher feiern. Wenn ich nur daran dachte, wie Papa sich als Reaktion auf Omas Ankündigung an einem Keks verschluckt hatte. Woraufhin Mama – sie ist Tierärztin – ihn mit dem Heimlich-Griff retten musste. Armer Papa. Ich weiß gar nicht, was schlimmer für ihn war. Dass seine Tochter das Elternhaus oder dass seine Mutter das Land, ja sogar den Kontinent verlassen hatte. Und das wegen eines Mannes. Wegen Ken! Einem australischen Geschäftsmann aus Sydney, der übrigens nicht nur hieß wie der berüchtigte Begleiter der berühmten Barbie, sondern auch wie eine grau melierte Version von diesem aussah. Ken Wilson war neunundfünfzig Jahre alt und damit vier Jahre jünger als Oma Elfi, hochgewachsen, durchtrainiert, hatte teuer gebleichte Klaviertastenzähne und eine Gesichtsbräune mit lieben Grüßen vom australischen Ozonloch. Er kam mir zwar immer ein bisschen zu glatt vor, aber vielleicht war das nur die Ken-Aura. Dennoch: Oma Elfi war überglücklich. Und darauf kam es an. Dass ihr Liebesglück für mich eine so positive Nebenwirkung hatte, dafür konnte ich ja schließlich nichts. Meinen Eltern war jedenfalls schnell eine sichere Taktik eingefallen, um mich am Auszug zu hindern – hatten sie zumindest gedacht. »Du darfst schon in Omas Wohnung ziehen, Billie«, hatten sie heuchlerisch beteuert. »Wenn du imstande bist, deine Lebenshaltungskosten allein zu bestreiten. Du musst Strom bezahlen, Warmwasser, eine Hausratsversicherung und dazu noch sämtliche Betriebskosten. Dass die Wohnung jetzt dein Eigentum ist und du keine Miete zahlen musst, bedeutet nicht, dass dir gar keine Kosten anfallen. Auch die Müllabfuhr will bezahlt werden.« – Blabla, blabli, blablo. Schon vor Längerem hatte ich herausgefunden, dass es nichts brachte, meine Eltern zu unterbrechen, wenn sie sich einmal in Rage geredet hatten. Also hatte ich den Vortrag abgewartet und ihnen versichert, dass ich all das bereits wusste – schließlich hatte ich in Wirtschaft aufgepasst – und trotzdem überzeugt war, Oma Elfis Geschenk anzunehmen. Ich würde es schon schaffen. Ich goss mir ein großes Glas selbst gemachte Zitronenlimonade ein – ungezuckert und eiskalt –, hilft bei drohendem Erschöpfungstod nach häufigem Treppauf-Treppab in Affenhitze und Affentempo. Und macht angeblich sogar lustig. Genüsslich streckte ich meine müden Beine auf der Eckbank aus, trank mein Glas leer und füllte es gleich noch mal auf. Ich fühlte mich pudelwohl in meiner neuen eigenen Küche. Oma Elfi hatte mir praktisch ihre ganze Einrichtung hiergelassen. Die Möbel und Geräte in der Küche waren ein wenig älter als ich, aber für damalige Verhältnisse (Mitte der Neunzigerjahre) ultramodern, in Edelstahloptik, mit freistehender Arbeitsfläche, in die der Herd integriert war, und riesigem grünem...