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E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Mittelmeier Heimweh im Paradies
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7558-1086-5
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thomas Mann in Kalifornien
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-7558-1086-5
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Wie kann man über Thomas Mann heute schreiben? So: geistreich, komisch und mit lässigem Ernst.« SAŠA STANIŠIC
Los Angeles in den 1940er-Jahren: Die Westküste ist ein Traumort, die Exilanten aus Europa trauen ihren Sinnen nicht, das Farbenspiel, das Licht, das Meer. Hier sind sie alle gestrandet, die im Deutschland der Nationalsozialisten keine Heimat mehr haben oder haben wollen: Arnold Schönberg, Vicki Baum, Theodor W. Adorno, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Helene Weigel, Max Horkheimer, Hanns Eisler, Franz und Alma Werfel – und allen voran: Thomas Mann. Sie feiern, reden sich die Köpfe heiß, langweilen sich, streiten darum, wie ein demokratisches Deutschland nach Hitler aussehen könnte. Thomas Mann ist der König der Emigranten, bewundert, beneidet, angefeindet. In seinem Haus in Pacific Palisades will er im ›Doktor Faustus‹ die genuin deutschen Wurzeln des Nationalsozialismus ans Licht bringen. Und fügt sich in die Rolle einer Galionsfigur des guten Deutschlands.
Atmosphärisch dicht und lebensnah erzählt Martin Mittelmeier von den Hoffnungen, Begegnungen, Anfeindungen und Triumphen des Nobelpreisträgers, der sich unter Palmen fragt, was das ist und wie das gehen könnte: deutsch zu sein, Kunst zu machen und die Menschen zu lieben.
»Die Sonne von Südkalifornien gibt für Martin Mittelmeier die ideale Beleuchtung ab, um mit großer Leichtigkeit die schweren Fragen von Kunst und Politik zu stellen.« PHILIPP FELSCH
Autoren/Hrsg.
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1938 Goethe in Hollywood Endlich ist wieder etwas Ruhe. Den ganzen März ist er durch die USA getourt, von Ost nach West, von New York, Washington, Philadelphia über Chicago und Stationen in Missouri, Oklahoma und Utah nach Los Angeles. Überall brachte er seinen Vortrag zum »zukünftigen Sieg der Demokratie« zu Gehör. In Los Angeles hat Thomas Mann den Vortrag im »kolossalen Amphitheater« des Shrine Auditorium gehalten, das Platz für 6000 Leute hat. Jetzt macht er hier mit seiner Frau Katia und seiner ältesten Tochter Erika einen knappen Monat Pause. Sie haben sich in einem Bungalow des prächtigen Beverly Hills Hotel am Sunset Boulevard eingemietet, ungefähr auf der Mitte zwischen Downtown Los Angeles und dem Pazifik – jenes Hotel, das mit seiner palmenumstandenen Auffahrt und den drei runden Türmchen eines der vielen ikonischen Bilder von Los Angeles liefert. Die Eagles werden es auf dem Cover ihrer Schallplatte »Hotel California« abbilden. Das Frühstück ist zu Ende, Mann zieht sich in den Nebenraum zurück und die Schiebetür zu. »Es ist gut, wieder zu schreiben«, schreibt er. Mann weiß das Spektakuläre seines Rückzugsorts durchaus zu schätzen. In der Sonne sind »alle wilden Farben van Goghs; die Luft so rein, man hätte sie nicht nur atmen, man hätte sie trinken mögen«, staunt Vicki Baum, die Autorin von »Menschen im Hotel«, über die Atmosphäre der Küste von Los Angeles. Doch nun ist das Licht für Thomas Mann zu wild und zu hell; um schreiben zu können, zieht er die Jalousien zu, die Palmenfächer sind trotzdem noch zu sehen, und der Duft der Orangenbäume, die in Blüte und Frucht zugleich stehen, ist ohnehin omnipräsent. Aber das ist für Mann nicht von Bedeutung. Wichtig ist ihm der diskrete Luxus, das hergerichtete und umgehend wieder abgeräumte Frühstück, dass er keine Zeit und keine mentalen Kapazitäten für unerquickliche Verrichtungen verliert. Wenn das gewährleistet ist, dann ist es eigentlich wie überall: Tisch, Sessel, Lampe, Bücherreihe, Thomas Mann. Zuhause ist, wo er schreiben kann. »Der zukünftige Sieg der Demokratie« ist ein optimistischer Titel für seinen Vortrag, denn just in diesem März 1938 hat Hitler mit dem Anschluss Österreichs der Demokratie eine weitere empfindliche Niederlage zugefügt. Aber genau das will er seinen Zuhörern deutlich machen: dass die Demokratie nur siegen kann, wenn sie auch siegen will. Laut Mann gelingt ihr das nicht mit den ihr gemäßen Mitteln des Abwägens, Entgegenkommens, Verhandelns. Der Faschismus will nicht abgewogen werden, will nicht, dass ihm irgendetwas entgegenkommt. Und schon gar nicht will er seinerseits abwägen oder entgegenkommen. Die Strahlkraft des Faschismus bestehe ja gerade darin, diese Momente rationaler Politik als vergangen und unzeitgemäß zu disqualifizieren. Und sich als das Prinzip von Vitalität und Dynamik gerieren kann, das nun an der Zeit sei. Das geografische Zuhause ist für Mann mit dem Anschluss Österreichs ein Stück weiter in die Ferne gerückt. Er lebt seit 1933 in der Schweiz, aber ist sie nach diesem März nicht auch zu unsicher geworden? Gut, dass er für ein Zuhause nicht mehr als Tisch, Sessel, Bücherreihe und dienstbare Geister braucht. »Was verschlägt es, daß ich ›weit weg‹ bin? Weit weg wovon? Etwa von mir?«, schreibt er in seinem Apartment in Beverly Hills. Trotz der Vortragspause sind die Manns in diesem Monat ständig unterwegs, wenn auch nur im Umkreis von Los Angeles. Der Literaturnobelpreisträger und auch in Amerika erfolgreiche Autor wird hofiert und eingeladen. Zahlreiche Freunde, Bekannte und Kollegen sind in Los Angeles schon heimisch geworden, haben Deutschland in den 1920ern wegen der aufregenden neuen Möglichkeiten des Filmgeschäfts verlassen oder sind bald nach Hitlers Machtantritt emigriert. Sein alter Freund aus Münchener Tagen, der Schriftsteller Bruno Frank, gibt mit seiner Frau Liesl den Manns zu Ehren eine Gartenparty in ihrem Zuhause am North Camden Drive, in dem vorher Charlie Chaplin gewohnt hat – die Manns könnten von ihrem Hotel aus einen zwanzigminütigen Spaziergang dorthin unternehmen, wenn man in Los Angeles spazieren gehen würde. Hundert Leute genießen »heavenly Kuchen und Kirschwasser« und die reizvolle Mischung aus Wiener Kaffeehaus und amerikanischem Get-together. Mann trifft den Regisseur Ernst Lubitsch, den Theaterzauberer Max Reinhardt und Carl Laemmle, den Studiochef von Universal, der mit siebzehn Jahren in die USA ausgewandert ist. Reinhardt lädt die Manns später in seine pompöse Villa in den Hollywood Hills ein: weit weg vom Pazifik, aber mit einem atemberaubenden Blick auf ein anderes Meer, das metaphorische Meer der Lichter von Los Angeles, das dort weit unter einem liegt. Reinhardt konnte sich das unter anderem von der hohen Gage für die Verfilmung seiner Inszenierung des »Sommernachtstraums« leisten, die in der Freilichtbühne Hollywood Bowl, nicht weit von dieser Villa entfernt, erfolgreich Premiere hatte. Im Hintergrund der Bowl ist der »Hollywoodland«-Schriftzug zu sehen, das »land« wird erst 1949 entfernt. Laemmle lädt Mann in seine Studios, auch bei MGM kann Mann die Trickwelt der künstlichen Szenerien von Dschungel, südfranzösischem Hafen und deutscher Kleinstadt bewundern, bei Jack Warner, einem der Warner Brothers, nimmt Mann an einem Fundraising-Diner teil. Er trifft Walt Disney, mit dem er menschlich nicht warm wird, dessen Innovationen ihn aber beeindrucken. Man zeigt ihm den Rohschnitt des »Zauberlehrlings«, und er sieht sich »Schneewittchen« an. Was sich mit dieser Trickfilmtechnik für Möglichkeiten eröffnen, mühelos kann man Zeit und Raum überwinden und sich zugleich in die wunderbarsten, sonderlichsten Details verlieren! Das passt zu Manns Riesenprojekt, den Roman über Joseph, den Sohn des biblischen Jaakob: »Joseph und seine Brüder«. Mann hat es in den 1920er-Jahren begonnen, drei Bände sind bereits veröffentlicht, aber er ist noch immer nicht fertig. Die Welt der Filmstudios ist auch deswegen für Mann interessant, weil die Möglichkeit einer Verfilmung der Joseph-Romane im Raum steht. In den MGM-Studios kann Mann Robert Montgomery beobachten, einen der großen Stars dieser Jahre, den Mann sich gut als Besetzung für Joseph vorstellen kann. Bei Vicki Baum sind die Manns zu einer Soiree geladen. Die Verfilmung von »Menschen im Hotel« unter dem Titel »Grand Hotel« mit einem Großaufgebot an Stars wie Greta Garbo und Joan Crawford war ein Riesenerfolg. Baum hat zudem einen lukrativen Vertrag mit MGM für Drehbucharbeiten, und so kann Thomas Mann bei der Soiree besichtigen, zu welchen Annehmlichkeiten Erfolg in Los Angeles führen kann. Baum hat sich in Pacific Palisades, in der Gegend, die findige Immobilienmakler Riviera getauft haben, am Amalfi Drive eine zweistöckige Villa im spanischen Stil mit fünf Schlafzimmern und sechs Bädern auf insgesamt 650 Quadratmetern Wohnfläche bauen lassen. Eine breite Fensterfront im Arbeitszimmer eröffnet den Blick auf den Canyon und den 3000 Quadratmeter großen Garten, Swimmingpool inklusive. Auch dort treffen die Manns auf zahlreiche Gäste, die meisten aus Deutschland und Österreich. Arnold Schönberg ist da, der große Erneuerer der Musik, der mit der Zwölftontechnik eine ganz neue Methode des Komponierens entwickelt hat. 1933 sind die Schönbergs nach Amerika emigriert, 1936 sind sie in ein zweistöckiges Haus in Brentwood gezogen, das Viertel, das ein Stück westlich, also näher am Pazifik als Beverly Hills, liegt. Ebenfalls im spanischen Stil, ein bisschen folkloristischer mit den Fensterrundbögen und den rotbraunen Ziegeln. Mit Garten und Teich, aber ohne Swimmingpool und insgesamt deutlich kleiner und bescheidener als Baums Villa. Shirley Temple wohnt schräg gegenüber, mit Stallungen für ihre Ponys auf dem Grundstück. Die Manns begegnen auf der Soiree dem Architekten Richard Neutra, der schon in den 1920ern nach Kalifornien kam und mit seinem Baustil die Physiognomie Los Angeles’ mitprägte. Er zeigt in den nächsten Tagen Thomas Mann ein paar der von ihm entworfenen Häuser, man weiß ja nie, vielleicht will der Nobelpreisträger ja hier Wurzeln schlagen, wie all die anderen vor ihm. Allerdings baut Neutra Häuser in einem moderneren Stil, als es von den meisten Emigranten geschätzt wird. Die fühlen sich, wie Baum oder Schönberg, wohler, wenn sie von historisierenden und kulturellen Anleihen umgeben sind. Auch Mann muss bei der exklusiven Führung feststellen, dass er Neutras kubistischen Glaskasten-Stil, wie er ihn nennt, nicht besonders mag. Alles anregend. Aber auch aufreibend. Deswegen ist es gut, wieder im Beverly-Hills-Zimmer zu sitzen und schreiben zu können. Ob das Exil nicht beschwerlich sei, wurde er von den Journalisten gefragt, als er für die Vortragsreise in New York ankam. Beschwerlich schon. Aber man müsse sich nur die momentane Atmosphäre in Deutschland vergegenwärtigen, um sich sofort daran zu erinnern, dass es wahrlich kein Verlust sei, nicht dort zu sein. Und dann fällt im Interview der berühmt gewordene Satz, den er jetzt auch auf das Blatt vor sich in seinem Apartment schreibt: »Wo ich bin, ist Deutschland«. Was für eine Anmaßung: Nur der nobilitierte Großdichter ist also legitimiert, darüber zu bestimmen, wer und was deutsch ist. Man kann es aber auch ganz pragmatisch verstehen: Wo anders als in einem selbst sollte aufbewahrt sein, was einem zu dem gemacht hat, was man ist. Egal, wohin es einen verschlagen hat oder wohin man verschlagen wurde. »In den Arbeiten, die ich mit mir führe, ist meine Heimat. Vertieft in sie, erfahre ich alle Traulichkeit des Zuhauseseins«, notiert Thomas Mann. Er könnte jetzt also in diesem Sinne an seinem...