E-Book, Deutsch, 123 Seiten
Montzheimer Märchenbuch (Illustrierte Ausgabe)
1. Auflage 2015
ISBN: 978-80-268-3550-9
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Harfe der Königin + Der Erdbeerkönig + Die wilde Marinka + Was Hannchen im Walde erlebte + Springmännchen und Goldfasan + Stiefmütterchen + Das dankbare Heinzelmännchen
E-Book, Deutsch, 123 Seiten
ISBN: 978-80-268-3550-9
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Der Erdbeerkönig
Inhaltsverzeichnis
Es war einmal ein Mägdelein; kreuzbrav und schön wie der junge Tag, doch es besaß keinen roten Heller, so daß es schon seit mehreren Jahren bei einem reichen Bauern als Magd diente. Magdalies, so hieß daß Mägdelein, war aber an Arbeit gewöhnt, und so tat sie diese gern, war fröhlich und wohlgemut, trotzdem sie einem gar unfreundlichen Ehepaar diente, denn vom Bauern sowohl wie von dessen Frau bekam sie selten ein gutes Wort zu hören. Wenn sie aber draußen im Felde oder im Walde war, wo sie allerlei Arbeit für den Bauern zu verrichten hatte, dann sang sie wie eine Lerche, daß es eine Freude war, es zu hören, dann vergaß sie jeden Kummer, der sie etwa drückte. Sie war gern im Walde. Gar oft im Jahre mußte sie Holz dort holen, daß ihr Rücken zuweilen von der schweren Last schmerzte und blaue Flecken bekam, denn Magdalies war zart und fein gebaut, und ihre weiße Haut gar empfindlich, daher die Bäuerin, die fast so dick wie lang war, die arme Magd oft im Spott „Prinzessin“ nannte. Gar vieles hatte Magdalies außer dem Holzsuchen noch im Walde zu schaffen, denn wenn sie keine andere Arbeit mehr zu besorgen hatte, dann mußte sie von dort herbeischaffen, was die Jahreszeit bot. Beeren und Kräuter, die die Bäuerin in der Stadt verkaufte oder aus denen sie allerhand Heiltränke bereitete, späterhin Bucheckern, Schwämme und trockenes Laub. Eines Tages nun, als Magdalies wieder im Walde Erdbeeren suchte und dabei fröhlich sang, traten plötzlich zwei Knappen aus dem Gebüsch zu ihr, um sie zu fragen, ob sie nicht den Königssohn gesehen habe. „Wir suchen ihn schon überall,“ sprachen sie weiter, „und seine Freunde, die edlen Ritter, durchstreifen den Wald ebenfalls, denn wenn er sich verirrt hat oder ihn ein Unfall betraf, so mögen sie sich auch nicht der Jagd erfreuen.“ Da Magdalies auch keine Auskunft zu geben vermochte, ihnen nur die Richtung, in der die Stadt liegen mußte, zeigen konnte, so waren die Knappen bald wieder im Dickicht verschwunden. Nur fern hörte sie noch Hundegebell; dann war wieder alles still wie vordem. Magdalies suchte weiter Erdbeeren und sang: „Saß ein Vöglein auf dem Ast,
Fühlte nicht des Lebens Last;
Schmetterte aus voller Brust –
Zuzuhör’n war eine Lust.
Vöglein, Vöglein, Vöglein sing,
Geht die Arbeit dann gar flink!“ Wirklich flog in diesem Augenblick ein Vöglein auf den nächsten Ast und äugte hinab zu Magdalies, die es lächelnd entdeckte, ihm zunickte und ihren Vers wiederholte. Sie war so mit Erdbeeren, Gesang und Vogel beschäftigt, daß sie gar nicht bemerkte, wie abermals jemand aus dem Dickicht trat. Erschrocken sah sie sich um, als eine Stimme rief: „Vögelein, dein Sang stimmt heiter,
Singe noch ein wenig weiter!“ Ein Rittersmann stand in Jagdkleidung hinter ihr. Freundlich sprach er, als er ihren Schrecken bemerkte: „Habe keine Angst, Mägdelein, ich tue dir nichts zu Leide. Sahst du hier schon Ritter oder Knappen?“ „Ja, Herr,“ antwortete Magdalies; „sie suchten den verirrten Königssohn. Dorthin, in der Richtung nach der Stadt zu, sind sie gelaufen.“ Wie Magdalies nun sah, daß der junge Rittersmann sie gar gütig anblickte und nicht so stolz war, wie sie sich die Ritter immer gedacht hatte, fühlte sie ihre Angst schwinden, daß sie Mut fand, selbst eine Frage zu tun: „Edler Herr, gewiß seid Ihr auch einer der Freunde des Königssohnes und wollt diesen suchen?“ Der Ritter lächelte. „Du kennst den Königssohn wohl nicht, Mägdelein?“ „Nein, Herr, aber gern möcht’ ich ihn einmal sehen; er soll gut und edel sein, wie die Leute sagen.“ „So, sagen sie das, und glaubst du das auch?“ „Ja, Herr.“ „Ei,“ antwortete der Rittersmann, „da kann er sich freuen. Und weißt du, worüber ich mich freuen würde?“ Er zeigte auf ihre Erdbeeren und sprach weiter: „Seit Stunden irre ich im Walde umher, habe nicht Speise noch Trank bei mir, da möchte ich fragen, ob ich nicht einige von deinen Erdbeeren essen dürfte?“ „Wenn es Euch freut, gern. Nehmt, Herr.“ Magdalies hielt dem Ritter ihr Körbchen mit den roten Früchten hin, denen dieser auch wacker zusprach, während er dazwischen fragte: „Wer bist du? Woher kommst du? Wie heißest du?“ „Ich bin nur eine arme Dienstmagd, Herr, diene bei einem Bauern hier in der Gegend und heiße Magdalies.“ Der Ritter blickte gedankenvoll vor sich nieder; dann hub er wieder an: „Die Beeren deines Waldes munden gut; ich danke dir.“ „O, Herr,“ versetzte Magdalies, „der Wald ist des Königs Eigentum, gebührt es da nicht Euch, als einem Freunde des Königssohnes, von den roten Beeren zu essen, soviel es Euch beliebt? Vielmehr muß ich Euch danken, daß Ihr mich nicht zu schlecht hieltet, solche aus meinen Händen anzunehmen.“ „Du bist bescheiden, Mägdelein,“ entgegnete der Ritter. „Das gefällt mit wohl. Und wenn du mir das Recht an diesen Beeren zusprichst, so hast du doch die Mühe des Pflückens gehabt. Hier, nimm dieses dafür.“ Er reichte Magdalies ein Goldstück. Doch erschrocken zurückweichend, wehrte sie: „Nein, Herr, das Geld nehm’ ich nimmer, denn verdient hab’ ich’s nicht, und brächt’ ich’s der Bäuerin, dächte sie wohl gar, ich hätt’s gestohlen.“ „Du brauchst es ihr ja nicht zu geben.“ „O, Herr, wenn ich auch arm bin, aber mein ehrlicher Name ist halt mein bester Besitz, den ich nimmer verlieren möcht’. Und für die Bäuerin, der ich diene, muß ich die Beeren pflücken. So gehört auch ihr, was ich damit verdiene. Laßt mich gehen, Herr, daß ich schnell die versäumte Zeit einhole.“ Der Ritter zog darauf eine Feder aus seinem Barett, die er Magdalies mit den Worten reichte: „So nimm wenigstens dieses Pfand meiner Dankbarkeit hier, das vielleicht einst der Königssohn einlösen wird. Bewahre die Feder auf; und wenn du einmal mit Beeren ins Schloß kommst, zeige dies Ding den Wächtern; dann werden sie dich einlassen.“ Magdalies trat wieder erschrocken zurück. „Ich,“ stammelte sie, „ich schlichte Magd sollte mich ins Schloß getrauen? Selbst die Bäuerin, obschon sie etwas vorstellen will, hat mit ihren Beeren das noch nicht einmal gewagt.“ Der Ritter blickte wieder einige Augenblicke nachdenklich vor sich hin, dann befragte er Magdalies über ihre Eltern, ihren [31] Dienst und dergleichen. Er blickte ihr noch lange nach, als sie sich schon längst von ihm verabschiedet hatte. „Braves Mägdelein,“ murmelte er. „Ich hoffe, ich sah dich nicht zum letzten Male.“ Dann eilte er den Knappen nach. Magdalies aber besah sich die buntschillernde Feder und vergaß über dem Anschauen fast, die fehlenden Beeren nachzupflücken. Die Bäuerin empfing Magdalies am Hoftor, wo sie nach der Magd ausschaute. „Bleibst lang heut’, Mädel,“ sagte sie hart. „Hast wohl gar geschlafen? Deine Beerenernte ist heut’ gering.“ Magdalies erwiderte nur sanft: „Nein, Bäuerin, warum sollt’ ich am hellen Gottestag schlafen? Dazu ist die Nacht gut.“ Sie hätte der Bäuerin wohl ganz ruhig von ihrem Zusammentreffen mit dem Ritter erzählt; doch nun wagte sie es nicht, denn sie fürchtete deren Spott und wollte schnell an ihre Arbeit gehen. Aber die scharfen Augen der Bäuerin erspähten die im Mieder verborgene Feder, nach deren Herkunft sie fragte. Eine Unwahrheit hätte Magdalies um keinen Preis gesagt, denn sie wußte sehr wohl, daß auch eine sogenannte Notlüge eine Sünde ist, daher berichtete sie endlich zögernd von ihrem Zusammentreffen. Stirnrunzelnd, die Arme in die Seiten gestemmt, stand die Bäuerin wie eine Richterin vor dem Mädchen, dessen Schönheit neben ihrer eigenen Erscheinung besonders zur Geltung kam, wie sie mit Aerger fühlte. „Bist ja eine saubere Dirn’!“ schalt sie: „Derweilen ich mich daheim schinden muß, tust du schön mit so einem scharwenzelnden Ritter, der meine Erdbeeren verzehrt und sie königlich mit einer wertlosen Feder bezahlt; Ha, ha, ha, ha, ein netter Freund des Königssohnes!“ Tief gekränkt vernahm die Jungfrau diese höhnenden Worte. Sie kannte die Art der Bäuerin nur zu wohl; doch da sie auf der Welt niemanden besaß, der sie in Schutz nehmen konnte, so hatte sie bei andern Anlässen keine Widerrede gewagt, sondern mit Sanftmut alles ertragen. Daß die Bäuerin aber solche Meinung vom dem edlen Ritter hegte, das konnte Magdalies nicht zulassen, und so verteidigte sie ihn mit edlem Eifer, indem sie auch von dem Goldstück erzählte. Doch nun entbrannte erst recht der Zorn der Bäuerin. Sie machte, da sie sehr geldgierig war, der armen Magdalies die bittersten Vorwürfe, daß sie das Goldstück nicht genommen hatte, auf das die Bäuerin begründeten Anspruch zu haben glaubte. Nun begannen noch weit freudlosere Tage für die arme Magdalies. Zwar wurde sie noch oft in den Wald geschickt, um Beeren oder andere Dinge dort zu holen, da der dicken Bäuerin das Bücken gar beschwerlich fiel, aber sie hatte jedesmal ein Verhör zu bestehen, ob sie den Ritter nicht gesehen habe. Magdalies sang nun noch selten unter dem grünen Laubdach, sondern ließ das Köpfchen oft wie ein betrübtes Vöglein hängen. Es war seit jenem Zusammentreffen im Walde schon eine geraume Zeit vergangen; das Laub begann sich hier und dort schon gelblich...