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Morgenthaler / Altmeyer / Bauer | Praktische Theologie als Text | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 276 Seiten

Morgenthaler / Altmeyer / Bauer Praktische Theologie als Text

Textologische Studien zur Fachgeschichte 1970-2020
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-045782-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Textologische Studien zur Fachgeschichte 1970-2020

E-Book, Deutsch, 276 Seiten

ISBN: 978-3-17-045782-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Morgenthaler untersucht Texte und Textformationen aus fünf bewegten Jahrzehnten der Praktischen Theologie. Genaue Lektüren zeigen auf, wie sprachliche Gestalt und konzeptioneller Gehalt praktisch-theologischer Texte und Diskurse zusammenhängen. Historiografische Längsschnitte zeichnen nach, wie Praktische Theologie semantisch umgebaut wird und praktisch-theologische Themen und Erkenntnismittel werden und vergehen. Wissenschaftslinguistische Analysen legen offen, wie die Macht dieser Texte verfasst ist. Wissenschaftliche Autorschaft, Fallarbeit in der Seelsorge, praktisch-theologische Ritualistik, empirische Religionsforschung und die Theologie der Praktischen Theologie lassen sich so praxeologisch erhellen. Ebenso wie die Praxis, die Praktische Theologie fördern will, können auch die Lese- und Schreibpraktiken reflektiert werden, mit denen sie ihre Theorie der Praxis entwickelt.
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2.  Autorschaft
Wir wissen, dass der Mythos umgekehrt werden muss, um der Schrift eine Zukunft zu geben. Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors. Roland Barthes1 Autorschaft literarischer Texte ist fraglich geworden, spätestens seit Barthes die Interpretation von Texten, welche sich am Autor orientiert, einer fulminanten Kritik unterzog und vom Tod der tyrannischen Figur des Autors sprach (Barthes 2000 [1968]) und Foucault sich anschloss, die Dekonstruktion des Autors nochmals historisch dekonstruierte und die einschränkende Wirkung dieses Konzepts für die Interpretation hervorhob (Foucault 2000 [1969]). Das löste eine literaturwissenschaftliche Debatte aus, die in den 1990er Jahren zur »Rückkehr des Autors« führte (Jannidis et al. 2000). Der Begriff wurde inhaltlich präzisiert und seine Funktionen wurden neu bestimmt. Wissenschaftliche Autorschaft scheint weniger kontrovers. Sie wird selten zum Thema, nicht nur in der Praktischen Theologie. Die Frage nach Autorschaft zielt aber ins Zentrum wissenschaftlicher Arbeit (vgl. z.?B. Steiner 2009). Wie verstehen die, die wissenschaftlich schreiben, ihr Schreiben? Wie schreiben sie sich in ihre Texte ein? Gehört die Vermeidung des Ichs zur Inszenierung wissenschaftlicher Kompetenz? Für eine erste exemplarische Analyse wähle ich einen Text, an dem die Thematik prägnant verdeutlicht werden kann. Er entstammt dem Band »Praktische Theologie der Gegenwart in Selbstdarstellungen« (Lämmlin/Scholpp 2001) – einem Textgenre, das der Darstellung von Autorschaft einen Freipass ausstellt. Ich habe ihn selbst geschrieben. Es ist verfänglich, ihn auch selbst zu analysieren. Ich gehe das Risiko ein. Wenn ich Texte anderer unter die Lupe legen werde, ist es nur fair, wenn ich dies zuerst mit einem eigenen Text tue. Auch er ist der Text eines Fremden. 2.1  Sich selbst neu lesen – ein Experiment
Als ich ums Jahr 2000 angefragt wurde, einen Beitrag zum ›Selbstdarstellungsband‹ zu schreiben, schien mir, daran kann ich mich noch erinnern, das Erzählen von Wissenschaft aus biografischer Perspektive eine reizvolle Vorgabe, die ich mit leisen Bedenken dankend annahm. Ich bin heute nicht mehr Autor dieses Textes. Ich bin sein Leser. Ich lese ihn anders, als ich ihn damals schrieb. Die Berührungspunkte des Ichs im vorliegenden, neuen Text mit dem ›Ich‹ des damaligen Textes sind gelockert.2 Es ist der Text eines anderen, den ich heute lese, oder zumindest eines fernen Bekannten. Auf ihn – den Text! – bin ich verwiesen.3 Es ist müssig zu mutmassen, was der Autor damals mit seinem Text wollte. Interessanter ist, was dieser Text jetzt mit mir will. Ich konzentriere mich auf den Einstieg des Textes, die Erschliessung seines claims und den Schluss, eine Coda.4   Titel, Bild und Name: Ich konsultiere das Inhaltsverzeichnis und schlage den Sammelband auf Seite 182 auf, ziemlich in der Mitte der nach Alter sortierten Artikel des Bandes, und sehe eine Doppelseite, links ein Porträt mit Legende, rechts den Titel und den Texteinstieg (Abb. 1).5 Zuerst bleibt das Auge am Bild hängen, dann erst schweift es zum Text. Der Blick auf die Porträtfoto kann, wenn die Seiten aufgeschlagen sind, nicht verweigert werden.6 So schaue ich als Leser den Dargestellten denn nun mit demselben, aber gealterten Gesicht an, das mir hier verjüngt zulächelt, und weiss: Das ist der Autor. Ich wüsste es auch, wenn ein anderer hier abgebildet wäre. Denn visuell ist ein Verständnis von Autorschaft auf dieser Doppelseite inszeniert. Der Abgebildete muss auctor, Ursprung und Ursache des Textes, sein. Wer denn sonst? Sein Name wird, fällt mir auf, sogar doppelt aufgeführt, links und rechts. Zur Sicherheit? Zu einem wissenschaftlichen Text gehört jedenfalls die eindeutige, rechtlich verbindliche Zuordnung von Autor und Text.7 Abb. 1:  Auf dem Surfbrett über den Atlantik. Porträt und Textanfang (Morgenthaler 2001, 182f.) Das Porträtfoto selbst plättet eine dreidimensionale Korporealität auf die zweidimensionale Seite und wird auf einen Blick und nicht wie der Text sequenziell erfasst.8 Sie macht den Autorenkörper zum fast geruchlosen Teil des Buchkörpers. Lesen heisst: Wegzuschauen vom Autor, hinzuschauen auf den Text, um dann den Autor während des Lesens als imaginäre Gestalt wieder zu erschaffen.9 Unsichtbar sind die Hände, mit denen er geschrieben hat. Der Fokus auf den Kopf entspricht Konventionen, wie über Schreiben nachgedacht wird. Es beginnt dort oben. Ob das so ist? Oder beginnt Denken in der Hand, mit ›Handeln‹? Die Selbstdarstellung beginnt mit dem Blick eines anderen auf den Autor. Es war ein Fotograf im Nirgendwo eines Studios, an das ich mich – wie an mein Unbehagen, das die Aufnahme überspielt – sogar als heutiger Leser noch erinnere. Im Text wird der fotografisch genaue Blick damals in diesem Text heute zum Blick des Lesers auf den Schreibtischtäter, der hier gute Miene macht.10 Mit diesem Blick ›von aussen‹ ist eine Spannung geschaffen zur Selbstdarstellung im Text, die – so die konventionelle Sicht von Autorschaft – ›von innen‹ geschrieben wird. Man sieht ihn links, lächelnd, mit Krawatte und sauber gekämmt und nicht zerzaust und im Neopren-Anzug auf dem Surfbrett, wie es der Titel unmittelbar rechts von diesem Porträt als möglich erscheinen lässt. Damit ist eine oppositio11 aufgebaut, die sich durch den ganzen Artikel zieht: die Frage nach dem Verhältnis des Autors im Bild zu jenem im Text, der Wirklichkeit zur textuellen Fiktion, oder besser: der ›Wirklichkeit‹ zur ›Fiktion‹, denn der Autor in Bild und Text sind beides Fiktionen. Man sieht ein Bild, Schrift liest man. Aber eigentlich sehe ich nun auch auf der rechten Seite zuerst ein Bild, krakelige Zeichen, aus denen ich erst im Leseakt Schriftbild, Sprache und Sinn herauslöse.12 Auch dieser Blick und dieses Lesen können nicht verweigert werden.13 Mit dem Lesen der Grapheme werde ich als Leser zum Sprachautor, höre vor meinem inneren Ohr aus den Schriftzeichen Phoneme klingen, löse aus diesen Subvokalisationen Morpheme und Lexeme und rekonstruiere in einem diffizilen Akt der Sinnbildung die Welt dieses Surfbrettfahrers, der sich Praktischer Theologe nennt. Ausgangspunkt der Lektüre ist also ein durch das Text-Bild-Arrangement gelenkter Blick. Als Leser fokussiere ich ihn nun neu hin auf die Sprachlichkeit des Lauftextes.   Titel und Untertitel: Mein Blick wandert zu Titel und Untertitel. Auch hier folge ich visuellen Stimuli. Beide sind sie fett gesetzt, der Untertitel, wie es sich gehört, dem Titel in einem kleineren Schriftgrad untergeordnet. Unmittelbar danach folgt: Leere, weisses Feuer (oder hier wohl eher das vergilbte). Jedenfalls sind Titel und Untertitel dadurch klar und deutlich vom Lauftext abgesetzte Elemente. Sie werden zu Eigennamen des Textes.14 »Auf dem Surfbrett über den Atlantik« lässt im Leser, der ich nun bin, unmittelbar Bilder aufsteigen. Der Titel ist keine Ansage zum Thema Praktische Theologie, geschweige denn ein Kürzel eines konzeptionellen Anliegens.15 Diese Version von »Praktischer Theologie in Selbstdarstellungen« erschliesst den wissenschaftlichen Sachbezug, prominent und plakativ, in einer Metapher, die Praktische Theologie in ein unerwartetes Bezugsfeld stellt und verfremdet. Damit ist ein Denkmodell verbunden, so schliesse ich als Leser mit einem kurzen Zögern, denn ich muss die kognitiven Zusammenhänge erst erkunden.16 Das Surfbrett scheint der Praktischen Theologie zu entsprechen und der Atlantik den grenzenlosen Weiten der Themen, die durchpflügt werden müssen. Auch die Figur des Praktischen Theologen ist modelliert. Da hält sich einer, Wind und Wellen trotzend, aufrecht auf Kurs. Es ist eine starke Metapher für ein Fach und die Selbstwirksamkeit des Fachmanns auf dem Surfbrett. Der Autor scheint wenig zu halten von der »Enthaltsamkeit in der Metaphorik, wie sie zum stilistischen Ethos vieler Wissenschaftler gehört« (Kretzenbacher 1998, 9). Wichtig ist ihm für sein Fachverständnis nicht zuerst begriffliche Präzision und Abstraktion, so mutmasst der leicht irritierte Leser, sondern die imaginative Kraft von Metaphern. Der Untertitel charakterisiert das Fach als »Handwerk und Abenteuer«. Nur: Weiss dieser Autor denn nicht, dass zumindest hier eine begriffliche Auflösung der Bildlichkeit angesagt wäre? Die Metaphern des Untertitels kommen sich zudem in die Quere. Neben dem Abenteurer taucht ein Antitypus auf, der Handwerker, der zu Hause im Keller an der Werkbank mit Hammer und Nägeln hantiert oder, wohl passender, ein Ikea-Büchergestell zusammenschraubt.17 So oder so: Ich habe mich als Leser vom Titel und seinen Inkonsistenzen fangen lassen. Der Autor von damals weckt über die Zeichen, die er auf diese Seite gestreut hat, Fragen im Leser von heute. Der Autor stellt sich also nicht nur dar, er stellt sich in eine Beziehung zu mir, dem Leser, einem unbekannten Bekannten seiner Zukunft, und lässt mich fragen und weiterdenken.   Angefangen anfangen: Sie war schon immer ein Thema: die Magie der ersten Sätze. Sie wird im Feuilleton verhandelt und in der Schule für »strategisches Storytelling«18 gelehrt. Kurz sollen sie sein, spannend bis unheimlich, und einen mitten in eine Szenerie stellen. Erste Sätze sind aber für den, der sie schreibt, auch verfänglich. Es gilt, eine Darstellungsspur zu wählen, von der, hat man sie einmal gelegt, nicht mehr so leicht loszukommen ist. In wissenschaftlichen Publikationen sind Anfänge kaum ein Thema. Irgendwo muss man ja anfangen. Erste Sätze sind aber auch hier nicht nur...


Prof. em. Dr. Dr. Christoph Morgenthaler lehrte Praktische Theologie an der Universität Bern.



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