Mosebach | Das Bett | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Mosebach Das Bett

Roman
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-423-40119-7
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

ISBN: 978-3-423-40119-7
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Ein Roman, in dem exzellent präsentierte Charaktere gelingen: Stephan Korn ist vielleicht eine der besten Schilderungen einer deutsch-jüdischen Existenz zwischen den Zeiten.' Die Presse

'Ein Roman, in dem exzellent präsentierte Charaktere gelingen: Stephan Korn ist vielleicht eine der besten Schilderungen einer deutsch-jüdischen Existenz zwischen den Zeiten.' Die Presse

Als Stephan Korn bei Kriegsende nach Frankfurt am Main zurückkehrt, findet er eine fremde, schrecklich veränderte Welt vor. Umso leidenschaftlicher flüchtet er sich in das Bett seiner ehemaligen Kinderfrau Agnes, wo er sich kindlichen Regressionen hingibt. Nach wie vor schlägt die Amme den deutsch-jüdischen Fabrikantensohn in den Bann ihrer magischen Kräfte. Aber auch zwiespältige Gefühle stellen sich ein.

Auf seine Umgebung wirkt Stephan betörend – und Agnes ist nicht die einzige Frau, die sein Leben entscheidend beeinflußt. Da ist zum Beispiel noch Florence, die aus falschen Indizien die richtigen Schlüsse zu ziehen pflegt, und die schöne, wilde Baltin Aimée, mit der Stephan eine heftige Affäre eingeht. Nur das kleine Engagement, andere zu lieben, bringt er nicht auf. Eine rätselhafte Mattigkeit umgibt ihn. Der Roman zeichnet das authentische Bild einer Generation, deren Jugend durch Krieg und Nachkriegszeit unwiderruflich geprägt wurde.

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II.
Stephan Korn nahm, die Wünsche meiner Mutter wohl kennend, schon auf die erste, noch moderate Aufforderung seinen zweiten Bratapfel, als er überraschend an unserem Mittagstisch erschien, und ich vermute, daß es seine Folgsamkeit war, die meine jüngere Tante zu ihrer Ablehnung eines weiteren Apfels brachte, als sich die Schüssel ihr näherte, eine Ablehnung, die ungestraft und sogar unbesprochen blieb, und zwar, wie ich jetzt begriff, weil nur noch ein einziger Apfel in der Schüssel lag, der für meinen Vater bestimmt war, wie meine jüngere Tante wohl wußte. Stephan Korn, der dagegen nicht wissen konnte, daß der letzte Apfel bereits vergeben war, ahnte nicht, daß er, als er weit übersättigt an seinem zweiten Apfel nagte, damit die Nachspeise meiner Tante verzehrte, was ihm, dem immer Beflissenen, großen Kummer bereitet hätte. Aber meine Mutter erkannte das schnell entschlossene Opfer ihrer Schwester hoch an und warf ihr belohnende und ermutigende Blicke zu. Beide Frauen genossen diesen Augenblick, in dem sie durch kluge Verzichtleistungen bei Stephan Korn den Eindruck der Fülle unserer Tafel erzeugten, und meine jüngere Tante hätte als Steigerung nur empfunden, wenn er dieses Opfer plötzlich entdeckte, innehielte, den Löffel und die Gabel sinken ließe, den Kopf höbe und ihre Augen suchte. Aber sie wußte, daß es töricht war, solche Wünsche zu hegen, denn gerade in der Verborgenheit lag der Sinn ihrer Tat, und es wäre sehr schlecht gewesen, wenn Stephan Korn gemerkt hätte, daß er ihren Apfel aß. Die Männer waren entrückte Wesen für meine jüngere Tante, mit seltsamen, exklusiven Beschäftigungen und Interessen, an denen eine Frau keinen Anteil hatte. Männer sprachen in den kurzen Augenblicken des Tages, an denen man sie sah, unverständliches Zeug, anstatt in Ruhe zu essen und sich die ausführlichen Dialoge anzuhören, die meine Mutter mit dem Hausmeister von Madame Wafelaerts geführt hatte, oder sich endlich ein Bild über Frau Oppenheimers Lebensführung zu machen. Dann begehrten sie Kaffee und zogen sich in ihr Schreibzimmer zurück, wo sie telephonierten, mit der Papierschere Unsinn machten und lasen. So war ihr Vater gewesen, und so erlebte sie nun auch den Mann ihrer Schwester, meinen Vater, der sich allerdings freundlicher zu ihr verhielt, als es der Großvater getan hatte. Vor allem, nachdem ihm der Kehlkopfkrebs seine knarrende Stimme geraubt hatte, war für seine jüngste Tochter nur noch ein tonloses Krächzen übriggeblieben, einsilbig dazu, wenn man Laute, die keinen Vokal mehr enthalten, als Silben gelten lassen will. Der Mann ihrer älteren Schwester nun war zu all diesen Eigenschaften auch noch Krieger geworden – also überhaupt nie da – und, wenn er sichtbar wurde, abweisend und voll Wichtigkeit. Wie anders war Stephan Korn. Nicht daß es ihm an den äußeren Zeichen der Männlichkeit gemangelt hätte. Auch er war im Krieg gewesen, freilich auf der anderen Seite, dazu noch in Frankreich stationiert, vielleicht auch in Spanien? Das war nicht ganz deutlich geworden. Niemals hätte sich meine Tante allerdings Stephan Korn als Kriegerdenkmal vorstellen können: An ihm war nichts Schlammiges, Ölverschmiertes, Düsteres. Seine Melancholie war zart und stammte ganz sicher nicht daher, daß er wochenlang anhaltenden Geschützdonner hatte ertragen müssen, in einem Schützengraben womöglich und beim Schein einer Karbidfunzel. War er nicht überhaupt als Flieger damals in Frankreich? Wenn das zutraf, und es war gelegentlich, auch in Stephans Gegenwart, die Rede davon, dann jedenfalls sicher nicht als Kampfflieger, umwoben von der ritterlichen und zugleich tragischen Aura der Luftkämpfe, sondern etwas Leichteres, Unfaßbares, etwas halb Ziviles, ein Nachrichtenflieger etwa oder ein Post- und Kurierflieger mit geheimem Auftrag, der seinen sportlichen Doppeldecker auf wie von Boucher gemalten französischen Waldlichtungen landete, um seine Sendung einem andern Mitglied der geheimen Organisation zu übergeben – einem beleibten Landpfarrer, der mit seinem Fahrrad plötzlich wieder verschwunden war, oder einem seine Sense schleifenden Bauern, der in einem der dekorativen Heuhaufen seine Maschinenpistole versteckt hielt. Für meine Tante hatte Stephan, wenn sie an seine Tätigkeit im Krieg dachte, Züge des Grafen Saint-Exupéry, den sie mit ihren Schülerinnen zusammen in jenem Teil des St.-Ursula-Gymnasiums las, der von den Bomben verschont geblieben war. Sie sah ihn vor sich, seine wenigen schwarzen Haare unter einer ledernen Fliegerkappe verborgen, das schmale Gesicht rechts und links von den offen getragenen Lederriemen umflattert, die an die barbarisch anmutenden seitlichen Gehänge der Stephanskrone erinnerten. Und sie wußte, daß er in seiner engen Kabine zwischen den blinkenden Metallteilen des Fußbodens stets einen Platz gefunden hatte, um dort eine Flasche alten Bordeaux zu lagern, die, wenn er sie öffnete, von der Hitze der laufenden Motoren angewärmt war. Dann hatte er sicher gelächelt, nach dem ersten Schluck möglicherweise noch einen zweiten und dritten genommen, und hatte die Flasche mit einer meine Tante überraschenden und zugleich tief treffenden Methode wieder verkorkt, indem er den Korken ganz leicht oben auf den Flaschenhals setzte, um ihn dann mühelos mit kleinen Schlägen der flachen, gespreizten Hand in die Flasche zu treiben; das war nicht eigentlich männlich in den Augen meiner Tante, sondern irgendwie charmanter – jungenhaft war das passende Wort –, aus dem sich ihr folgerichtig auch die Überzeugung nährte, daß Stephan viel essen müsse, wenn es darum ging, wer den vorletzten Bratapfel nahm. Daß Stephan schon damals so selten lächelte wie heute, war meiner Tante angesichts seines Schicksals zur Gewißheit geworden, und sie hielt es für ganz ausgeschlossen, daß es der Wahrheit entsprechen könne, wenn mein Vater behauptete, Stephan Korn sei zu seiner Zeit »ein lustiger Vogel« gewesen. Einen Hauch von Wirklichkeitsfremdheit bekamen solche Äußerungen schon dadurch, daß mein Vater und Stephan Korn gleichaltrig waren, mein Vater aber erheblich älter als sein Freund wirkte, denn wenngleich Stephan die meisten seiner Haare verloren hatte, so waren die verbliebenen doch wenigstens noch dunkel, während mein Vater schon längst im Silberschein seines weiß gewordenen Haares lebte. Stephans Zeit schien meiner Tante erheblich weniger abgelaufen als die meines Vaters, zumal Stephan noch allein war und sich auch in New York, der Stadt, in der er die Zeit nach den Jahren in Frankreich bei seiner Mutter zubrachte, noch nicht an eine Frau gebunden hatte. Nun war es gewiß klug von ihm, sich keine New Yorkerin auszusuchen, denn selbst wenn seine Mutter aus New York stammte, konnte man Amerika bei aller Weltläufigkeit der Korns doch nicht als ihre Heimat ansehen. New York war der Rückhalt ihrer Existenz, ein sicherer Hort für Vermögenswerte und dann auch für das höchste Gut der alten Korns, nämlich ihr Leben. Aber die Heimat lag für Vater und Sohn trotzdem in Europa, und zwar in Frankfurt, wo auch ich geboren bin und wohin Stephan damals zu uns kam. Nach den Vermutungen meiner Tante mußten mögliche Verbindungen zu Frauen aus den Tagen, in denen Stephan noch in seiner Vaterstadt wohnte, längst abgebrochen sein. Immerhin war der Aufbruch damals ein tiefer Einschnitt im Leben der Korns gewesen. Sie hatten ihn deshalb so lange wie möglich hinausgezögert, obwohl sie ihn seit langer Zeit für unausweichlich gehalten hatten. Denn als sie schließlich Deutschland verließen, geschah das nur scheinbar in letzter Minute. Der Vater Korn hatte längst für amerikanische Pässe gesorgt. Stephan in Frankreich – das war dann doch ein anderes Kapitel, denn bei dem Raffinement der französischen Frauen war es eigentlich ausgeschlossen, daß Stephan, der geheime Kurier, ohne Abenteuer geblieben sein sollte. Meine Tante kannte aus den Lichtbildervorträgen des Französischen Instituts die Schlösser der Loire und Burgunds: diese festgefügten weißen Kästen mit den genießerischen runden Donjons rechts und links und den Hauben aus blauem Schiefer. Auch sie standen auf Waldwiesen, von bunten Herbstbäumen umgeben und manchmal nur durch kleine Landstraßen erreichbar, die unsichtbar hinter einer verfilzten Reihe alter Brombeerbüsche lagen. Sie sah Stephan, der seinen beschädigten Doppeldecker verlassen hatte, um in einem solchen Schloß ein Werkzeug zu erbitten, irgendeinen Hammer oder einen strahlend vernickelten Engländer, um damit an dem bei der Landung auf der Waldwiese verbogenen Propeller herumklopfen zu können. Im Krieg war ja kaum Personal in diesen Häusern, nur eine mürrische und mißtrauische alte...


Mosebach, Martin
Martin Mosebach, geboren 1951 in Frankfurt am Main, war zunächst Jurist, dann wandte er sich dem Schreiben zu. Seit 1983 veröffentlicht er Romane, dazu Erzählungen, Gedichte, Libretti und Essays über Kunst und Literatur, über Reisen, auch über religiöse, historische und politische Themen. Über die Jahre erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Preise, etwa den Kleist-Preis, den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, den Georg-Büchner-Preis und die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt. Er ist Mitglied der Akademie für Sprache und Dichtung, der Deutschen Akademie der Künste in Berlin-Brandenburg sowie der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Zuletzt veröffentlichte er den Roman ›Taube und Wildente‹. Er lebt in Frankfurt am Main.

Martin Mosebach, geboren 1951 in Frankfurt am Main, war zunächst Jurist, dann wandte er sich dem Schreiben zu. Seit 1983 veröffentlicht er Romane, dazu Erzählungen, Gedichte, Libretti und Essays über Kunst und Literatur, über Reisen, auch über religiöse, historische und politische Themen. Über die Jahre erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Preise, etwa den Kleist-Preis, den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, den Georg-Büchner-Preis und die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt. Er ist Mitglied der Akademie für Sprache und Dichtung, der Deutschen Akademie der Künste in Berlin-Brandenburg sowie der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Zuletzt veröffentlichte er den Roman ›Taube und Wildente‹. Er lebt in Frankfurt am Main.



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