Mosebach Das Blutbuchenfest
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-446-24538-9
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 448 Seiten
ISBN: 978-3-446-24538-9
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Zweites Kapitel
Rettet Jugoslawien! Solange ich Wereschnikow kannte, ließ er in seiner ausdrucksvollen, keineswegs gedämpften Suada stets eine Fülle großer Namen fallen, Leute, die mit ihm in beständiger freundschaftlicher Verbindung standen, jeden seiner Zeitungsartikel studierten und ihn wie einen Sohn und Bruder liebten. Boutros Ghali und Henry Kissinger waren nicht die kleinsten unter ihnen; als ich ihn bei Merzinger traf, hatte er, wie er fallenließ, gerade mit Jack Lang telephoniert und dessen »rückhaltlose Bewunderung für seine Arbeit« entgegengenommen – welche Art Arbeit, wurde mir nie wirklich klar, denn er war wohl, wenn ich das richtig sah, in keinerlei Apparat eingebunden; keine Universität, kein Institut, keine Redaktion besaß das Recht auf seine Mitwirkung; er war frei in der schönsten Weise, kein Galeerensklave wie der Normalmensch heutzutage. Bei Merzinger erschien er immer spät, stets von Maruscha begleitet; in dem meist bis zum letzten Platz gefüllten Lokal »machten sie Entrée«, um einen altmodischen, zu den beiden aber perfekt passenden Ausdruck zu gebrauchen. Wereschnikow mit seinem großen, bedeutenden, dabei durchaus hübschen Kopf – hübsch paßt nicht, ich weiß schon, hübsch ist zu diminutiv, es war eine männliche, eigentümlich tragische Schönheit um ihn. Er war nachlässig auf die englische Art gekleidet, mit großen alten Tweed-Jacketts und kamelhaarfarbigen Rollkragenpullovern, und eine würdige Folie, ein seriöser maskuliner Hintergrund für Maruscha – da kam ihm sogar zugute, daß er zugenommen hatte. Selbst bei Merzinger, wo die meisten Gäste an ihren Anblick gewöhnt waren, ließ sie, wenn sie sich zwischen den Tischen hindurchwand, die Gespräche in sich zusammensinken, für einen Augenblick nur, in dem die Männer sie aus den Augenwinkeln ansahen und die Frauen einen ärgerlichen oder ironischen Blick auf ihre Begleiter warfen, die sich so wenig im Griff hatten. An Wereschnikows Ernst kam diese Welle verhohlener Aufmerksamkeit aber nicht heran. Merzinger hielt im Vorraum der Küche stets ein Tischchen für besondere Gäste bereit, die das Vorrecht besaßen, nicht reservieren zu müssen. Dies Tischchen wurde dann irgendwo dazwischengezwängt. Niemals gesellte sich das Paar, das »hohe Paar« ist man versucht zu sagen, zu den Stammtischbrüdern am Eingang. Keiner der Herren wäre auf den Einfall gekommen, sie dorthin einzuladen, aber diskret begrüßt wurden die beiden. Wereschnikow nahm diese Grüße mit edler Schwermut entgegen, während Maruscha jedem, der ihr zunickte, ein Zauberlächeln schenkte. Die Bildschöne war gutmütig und frei von jedem Stolz; jeder Mann, den sie wiedergrüßte, durfte sich in der Vorstellung wiegen, es sei das einfachste Ding der Welt, mit ihr in ein Gespräch zu kommen, sowie der feierliche Beau an ihrer Seite einmal abwesend wäre. Sie hatte einen auffällig-unauffälligen Stil; zunächst hätte ich gar nicht sagen können, worin der bestand, dann achtete ich darauf, und es war geradezu zum Lachen: Alles an ihr war immer und unfehlbar sandfarben, in verschiedenen Tönungen freilich, keineswegs monochrom, das wäre zu durchschaubar gewesen; aber diese Vielzahl an immer neuen, immer flaumfrischen Mänteln, Hosen, Pullovern, Strickjacken, die ihren blühendweißen Körper mit weichen Wellen von Saharasand umgaben, die war schon verblüffend. Es war dann irgendwann auch klar und wurde von ihr in diesem Sinn sogar ausgesprochen, daß dieser viele seidige, kaschmirige, wollene Sand von ihr auf Wereschnikow hin komponiert war – die Frau an der Seite eines solchen Geistes hatte ihre Eleganz zu zügeln, unsichtbar zu machen. Sie durfte nicht schmuckbehängt wie die Madonna von Pompeji auftreten – ein Stil, der Maruscha eigentlich lag, nur eben nicht, wenn sie mit Wereschnikow war. Aber närrisch machen konnte einen die sandige Pracht in ihrer Gesetzmäßigkeit schon. Eine Beschränktheit kennt auch der Gescheiteste, so auch sie, die wahrlich keine dumme Frau war, wenn auch ungebildet, aber allein die selbstironische Offenheit, mit der sie das eingestand, hatte im Grunde schon etwas Gebildetes, mehr mußte gar nicht geleistet werden. Sie war mir die liebere von beiden, was vielleicht schon herauszuhören war. Wereschnikows vertrauter Umgang mit den Großen der Erde, den ich ihm von Herzen gönnte, hatte ihn in solche Höhen gehoben, daß die Lebenslasten von Zwergen wie mir ihm nur ein stummes Wiegen des Hauptes abforderten; dieser Mann mit seinen tausend Verbindungen war zu zerstreut, mich einmal irgendwo vorzustellen oder zu empfehlen oder nur einen Rat zu geben, wohin sich am klügsten zu wenden sei. Nun weiß jeder, daß die Welt des Geistes, in Deutschland jedenfalls, streng fraktioniert ist: Die Literaten verstehen nichts von Musik, die Musiker nichts von Malerei, und daß Wereschnikow sich inkompetent fühlte, einem stellungslosen Kunsthistoriker mit allerdings immerhin »Cum laude«-Promotion – »Tintoretto in den Dogentestamenten des Cinquecento« – weiterzuhelfen, durfte ich ihm nicht einmal verdenken. Ich bekam deshalb zunächst gar nicht mit, daß mich angehen sollte, was er weitschweifig als seine gegenwärtige Beschäftigung entwarf, die Vorbereitung eines großen Kongresses im Auftrag der Unesco, des deutschen Außenministeriums, der EU-Kommissionen und anderer hochmögender Institutionen: eine Tagung, die sich mit den Fundamenten der Gemeinsamkeit der feindlichen Parteien auf dem Balkan, genauer in der Republik Jugoslawien befassen sollte, friedensfördernd selbstverständlich, antiseparatistisch, den Status quo des gemeinsamen Staatswesens stärkend. Ich wußte gar nichts über Jugoslawien, erinnerte mich aber, daß uns auf dem Gymnasium von den Geschichtslehrern zwei Staaten im Mittelmeerraum als Modell für die europäische Zukunft vorgestellt worden waren; zwei Staaten, in denen ganz verschiedene Völker in Frieden und Prosperität zusammenlebten: der Libanon und eben Jugoslawien. »Diese Skepsis ist am Platz«, sagte Wereschnikow mit leidender Autorität, aber sie sei eben auch billig: Niemand Vernünftiges wünsche einen Zerfall Jugoslawiens. Er habe englische, französische, amerikanische Stimmen des allerhöchsten Ranges in strengster Vertraulichkeit dazu gehört. Ein Zerfall Jugoslawiens komme für die Mächte des Westens nicht in Frage, sei auch anachronistisch, ein Rückfall in den Postkutschen-Nationalismus. Es müsse den streitenden Parteien behutsam, aber nachdrücklich vermittelt werden, daß die Weltgesellschaft keinen Zerfall des jugoslawischen Staates wünsche – allein schon zur Vermeidung von Nachahmungen –, noch dulden werde, daß man sich mithin auf die basisdemokratischen Werte irgendwie einigen müsse. Man müsse sich irgendwie vertragen. Er sagte mir das so streng, als sei ich selbst der Balkan-Separatist, der hier zur Ordnung gerufen werde, dabei hatte ich zu dem Thema, in dem Wereschnikow offenbar höchst bewandert war, keine Meinung. Maruscha auch nicht, die Champagner bestellte, während wir Männer beim Bier saßen – Wereschnikow trank übrigens niemals viel und bestellte sein Bier, um davon zwei Schluck zu nehmen, dann wurde es allmählich warm, während der Schaum zusammenfiel. Ganz plötzlich waren wir dann bei mir; der Kongreß über »die Würde in den verschiedenen Balkan-Kulturen, über den katholischen, den orthodoxen, den muslimischen, den atheistisch-philosophischen, den demokratisch-libertären, den reformsozialistischen Würdebegriff unter Teilnahme der maßgebenden Autoritäten aller betroffenen Gruppen« sollte von Begleitveranstaltungen reich umrahmt werden: Musik, Literatur, Malerei des Balkans sollte Jugoslawien als eindrucksvolle Kulturnation präsentieren. Auch hier liefen die Vorbereitungen, nur die Finanzierung war noch nicht gesichert. Das sei sein steter Kampf. Wereschnikow sprach in männlich beherrschter Anklage: Er müsse alles, aber auch alles allein machen, alles allein anschieben, alles allein auf die Beine stellen und zum Schluß sogar noch selbst das Geld herbeischaffen. Seine Exposés stießen stets auf Begeisterung und Bewunderung, aber dann hieß es, gleichsam im Postscriptum, daß angesichts der angespannten Haushaltslage – nun, ich wisse schon: Er möge bitte selber nach »Drittmitteln« Ausschau halten. Wieso Drittmittel? Wer war hier der dritte? Er kannte noch nicht einmal den zweiten, der sollte offenbar gänzlich ungeschoren davonkommen. Unversehens, aus der Klage heraus, wandte er sich mir zu, als sei das, was er gesagt hatte, nur die Vorbereitung auf seinen großen Vorschlag gewesen. Er plane im Kontext des Kongresses auch eine Ausstellung jugoslawischer Kunst, der ganz großen Kunst der Zwischenkriegszeit, als das »jugoslawische Projekt«, wie er sagte, noch jung und hoffnungsvoll gewesen sei – »Könnten Sie mir nicht ein Exposé für eine repräsentative Mestrovic-Ausstellung schreiben?« Nachdem er das triste Schicksal seiner Exposés zuvor geschildert hatte, war das hoffnungsvolle, ja enthusiastische Glimmen, das jetzt in seinen Augen lag, eine Überraschung. Maruscha lächelte sphinxhaft, das sah bei ihr besonders reizvoll aus, weil bei ihr die feierliche und geheimnistuerische Würde der üblichen Sphinx ganz wegfiel. Nur das innere Wohlbehagen am Besitz eines Geheimnisses, das kein schreckliches war, lag auf ihren rosigen Lippen. Ich fragte mich, woher Wereschnikow seine Selbstbeherrschung nahm, angesichts und im unbestrittenen Besitz von Maruscha irgendeinen anderen Gedanken fassen zu können, als sie unablässig auf diese Lippen und überallhin zu küssen. Seine Nüchternheit hatte geradezu etwas Wissenschaftliches, wie die eines korrekten Gynäkologen, dem die Schönheit oder Häßlichkeit einer Patientin gleichermaßen unsichtbar zu sein hat. Oder hatte hier die Gewohnheit schon ihr schlammiges,...