Márai / Zeltner | Literat und Europäer | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Márai / Zeltner Literat und Europäer

Tagebücher 1
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-492-96139-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Tagebücher 1

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ISBN: 978-3-492-96139-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
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Als junger Mann verlässt Sándor Márai (1900–1989) Ungarn, um Europa zu entdecken. Er geht nach Deutschland und Frankreich, arbeitet als Essayist und Kritiker in Leipzig, Frankfurt am Main und Berlin, er sieht Paris, bevor er Ende der Zwanzigerjahre mit seiner Frau nach Ungarn zurückkehrt. Als er 1943 beginnt, sich Notizen zu machen, regelmäßiger erfüllte Augenblicke und Erinnerungen an seine Jugend einem Tagebuch anzuvertrauen, ist er längst einer der einflussreichsten Autoren seiner Heimat. Immer intensiver wird neben der Literatur und seinen Leseeindrücken die Beschäftigung mit aktuellen Ereignissen, mit der Belagerung, die Budapest droht. Immer schärfer formuliert er seine politischen Gedanken. Es ist das eindrucksvolle Porträt des Menschen und Europäers Márai, das uns aus seinen Tagebüchern entgegentritt.
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László F. Földényi DER NACHLETZTE BÜRGER Sándor Márais Tagebücher 1943 – 19451 Literatur ist nicht nur das, was davon sichtbar ist, was laut oder voller Leuchtkraft oder beispiellos populär ist; nicht einmal das, was beispiellos unpopulär ist.« Sándor Márai schrieb diese Worte im Dezember 1935 in einer Rezension für Nyugat, die progressivste ungarische Zeitschrift der damaligen Zeit. Er selbst war damals bereits »beispiellos populär«, und seine Bekanntheit und Beliebtheit nahmen – vorerst in Ungarn – stetig zu. Doch schon damals beschäftigte ihn auch jene andere Form des Schreibens, die nicht unbedingt sofortige Popularität versprach. »Die Literatur hat auch ein unsichtbares Leben; und dieses ist vielleicht das wirklichere«, setzte er seinen Gedanken fort, eine Mahnung, die er möglicherweise an sich selbst richtete. Doch noch schrieb er über einen anderen: über das mehr als 800-seitige Tagebuch des an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Vergessenheit geratenen Autors Jules Renard. Etwas an Renards Tagebuch hatte ihn ergriffen. Vielleicht gerade die Tatsache, dass jener vor allem nicht nach Popularität trachtete, mit seinem Tagebuch kein bestimmtes Ziel verfolgte, das Schreiben nicht als Mittel zur Erziehung, zur Erbauung gebrauchte. Wie Márai sagt: »Er sucht keine Läuterung wie Tolstoi. Er will kein Zeitbild zeichnen wie die Gebrüder Goncourt. Er schreibt dieses Buch, dreiundzwanzig Jahre lang, so wie er atmet.« Márai führte zu diesem Zeitpunkt noch kein Tagebuch, und nichts deutet darauf hin, dass er es vorgehabt hätte. Er war durch und durch ein Mann der Öffentlichkeit und der Presse. Aber vielleicht ließ gerade Renards Buch die Erkenntnis in ihm reifen, dass das »unsichtbare Leben« der Literatur nicht unvereinbar mit dem war, was er machte. »Ein Schriftsteller, der in seinem Tagebuch oder einem privaten Brief einen Satz mit schriftstellerischen Mitteln formt«, schreibt er in derselben Rezension, »geht insgeheim davon aus, dass einst auch diese vertraulichen Zeilen ein Teil seines Werkes sein werden […] Wir müssen uns damit abfinden, dass ein Schriftsteller, ein Künstler unweigerlich für die Öffentlichkeit lebt und stirbt, auf jedes seiner Worte, jede seiner Äußerungen das Echo der Menschen einfordert – selbst wenn dieses Echo erst von der Nachwelt kommt. Nur ein Wahnsinniger brüllt seine Worte ins Nichts. Ein Schriftsteller, der in der Einsamkeit seines Zimmers ein ›vertrauliches Tagebuch‹ schreibt, wähnt sich auf der Bühne der Nachwelt, er benimmt sich keinesfalls natürlich, er verbeugt sich nach jedem gelungenen, vertraulichen Eintrag und bedankt sich für den längst überfälligen Applaus.« Zu diesem Zeitpunkt, 1935, bedankte sich auch Márai noch auf der Bühne der Öffentlichkeit für den Applaus seiner Zeitgenossen. Sieben Jahre später, Ende 1942, beschloss er jedoch, mit dem Tagebuchschreiben zu beginnen. Die ersten Zeilen brachte er kurz vor seinem 43. Geburtstag zu Papier und sollte fortan nie mehr mit dem Tagebuchschreiben aufhören, was zum größten und wohl bleibendsten Unterfangen seines Lebens werden sollte. Der Gedanke, seine Autobiografie zu Literatur zu stilisieren, hatte Márai immer schon gereizt: Bekenntnisse eines Bürgers (1934) und dessen gleichsam späte Fortsetzung Land, Land (1972) sind Höhepunkte seines Œuvres. Das gewaltige Material der Tagebücher, die von 1943 bis 1989 fast ein halbes Jahrhundert umspannen, ist eine herausragende Schöpfung nicht nur der ungarischen, sondern auch der europäischen Literatur. Das »unsichtbare« und das öffentliche Leben der Literatur verschmelzen darin zu einer Einheit. »Augenblicke, in denen die Stille – in uns und um uns – so groß wird, dass wir das geheime Ticken des Weltmechanismus zu hören glauben.« So lautet der erste Satz des gewaltigen Korpus der Tagebücher vom Anfang 1943, kurz vor seinem Geburtstag am 11. April. »Ich warte auf den Stellungsbefehl; bin nicht ungeduldig, will aber auch nichts hinauszögern. Es ist Zeit.« So lautet der letzte Satz vom 15. Januar 1989 (Tagebücher 1984 – 1989, S. 149). Fünf Wochen später, am 22. Februar, erschießt er sich. Alle Tagebücher durchdringt eine dem Lärm der Welt trotzende Stille, der Zauber einer nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Literatur. Márai wollte nicht »geläutert« werden und auch kein »Landschaftsbild« seiner Zeit zeichnen. Er führte nicht Tagebuch, um private oder intime Details aus seinem Leben aufzuzeichnen; noch wollte er die tägliche Routine verewigen, denn eine Datierung findet man nur selten; noch diente ihm das Tagebuch, um seine Projekte, Ideen darin zu notieren; auch seine Phantasien verdrängte er; und obwohl er regelmäßig über seine Lektüren Bericht erstattet, wollte er auch kein Lektüretagebuch führen. Was beabsichtigte er also mit seinen Tagebüchern? * * * Obwohl er über seine Tätigkeit als Tagebuchschreiber nur selten reflektiert, lassen sich aus den Tagebüchern sehr wohl die beiden Gründe rekonstruieren, die ihn zu diesem Unterfangen bewogen haben. Ein Grund ist zweifellos die Verrohung der politischen Zustände im damaligen Ungarn. Das zunehmende Abdriften des Landes nach rechts, die Serie der Judengesetze, die Konzessionen an Hitler-Deutschland und das anschließende Kriegsbündnis: Das alles veranlasste Márai bereits Anfang 1943, sich für die innere Emigration zu entscheiden. Und das, obwohl das Land zum damaligen Zeitpunkt noch nicht von den Deutschen besetzt war (dies geschah am 19. März 1944), niemand ahnen konnte, dass die Deportation der Juden in Europa solch beispiellose Ausmaße annehmen würde, niemand an die Machtübernahme der Pfeilkreuzler glaubte und natürlich auch die Vorstellung einer sowjetischen Okkupation nur wie ein Albtraum anmutete. Der zweite Grund ist Márais wachsende Unzufriedenheit mit seinem schriftstellerischen Schaffen bis dahin. Darauf lässt sich rückblickend aus vereinzelten Bemerkungen schließen. »Und wie viel Überflüssiges ich geschrieben habe, als ich noch eine Schreibmaschine besaß, nur damit wir uns die Wohnung und den Lebensstil leisten konnten, der zu den zwei Dienstboten passte!«, schreibt er Anfang 1945 (II, 75). Kurz darauf will er seine eigenen Romane zwar nicht verleugnen, bekennt jedoch, »dass mir in den letzten Jahren das Schreiben schon zu leicht gefallen ist, der Widerstand in dem, was ich sagen wollte, zu gering war« (II, 119). 1946 spricht er – auf die Zeit um 1943 verweisend – bereits davon, dass ihm die eigene Stimme »Brechreiz« bereite, diese »melodiöse Márai-Stimme, die zuletzt – vor zwei, drei Jahren!! – schon wirklich etwas Drehorgelartiges hatte, eine knarrende Melodie. Ich hasse diese Stimme« (III, 70)2. Und wenn er an seine bei der Belagerung Budapests zerbombte Bibliothek denkt und überlegt, eine neue Bibliothek anzulegen, kann er sich nicht vorstellen, seine eigenen Romane in die Regale zu stellen: »Ich bin viel anspruchsvoller als die Romane, die ich geschrieben habe« (III, 189). Von dieser Zeit an beobachtet Márai sein eigenes Werk stets mit Vorbehalten – zu Beginn der Achtzigerjahre lehnt er sogar seinen Roman Die Glut (verfasst 1924; in Ungarn erschienen 1990; deutsch 1998) ab. Das hindert ihn allerdings nicht daran, immer neue Werke zu schreiben. Nach der deutschen Okkupation am 19. März 1944 untersagte Márai die Veröffentlichung seiner Werke und weigerte sich fortan, etwas zu publizieren. Sein Rückzug hatte jedoch schon 1943 begonnen – zu der Zeit, als er sich intensiv dem Tagebuchschreiben zu widmen begann. »Ich habe beschlossen, mit dem Journalismus zu brechen«, schreibt er am Anfang seines Tagebuchs von 1943 (I, 95). Márais Entscheidung war folgenschwer: Seit zwei Jahrzehnten verdiente er seinen Lebensunterhalt vorwiegend als Journalist und war seit Dezember 1936 Mitarbeiter der gemäßigt konservativen Pesti Hírlap, einer der bedeutendsten Zeitungen des Landes. Jeden Sonntag schrieb er ein Feuilleton, für das er ein außergewöhnlich hohes Honorar erhielt: 1001 Peng?, was dem Monatseinkommen eines durchschnittlichen Mittelklasseangestellten oder drei Monatseinkommen eines qualifizierten Fabrikarbeiters entsprach. (Sein Vorgänger, der konservative Dichterfürst Ferenc Herczeg, hatte pro Artikel 1000 Peng? erhalten, und Márai war nur für ein höheres Honorar bereit, das Angebot der Zeitung anzunehmen.) Seinen letzten Artikel für Pesti Hírlap gab er am 17. Januar 1943 ab. Vielleicht begann er gerade an diesem Datum Tagebuch zu führen. Seinen Schritt begründet er kurz darauf damit, dass »ein Schriftsteller in einem bestimmten Alter, ab einer bestimmten Entwicklungsstufe nicht mehr ungestraft für Zeitungen schreiben kann […] Dieses niveaulose, hingestotterte Kommentieren von Begebenheiten und Ereignissen, zu dem die Publizistik heute, da wir keine freie Presse mehr haben, verkommt, ist für jeden Schriftsteller zutiefst erniedrigend und korrumpierend […] jetzt muss ich verstummen, mich in dieses Tagebuch […] zurückziehen […] Vielleicht stellt dieses Opfer meine ›bürgerliche Lebensordnung‹ auf den Kopf – aber ohne Opfer gibt es keine Aufgabe« (I, 95f.). Márai wäre freilich nicht Márai gewesen, wenn er für immer auf die Öffentlichkeit verzichtet hätte. Wie er schon im Zusammenhang mit Renards Tagebuch schrieb, wähnt sich ein Schriftsteller selbst in der Einsamkeit seines Zimmers...


Zeltner, Ernö
Ernö Zeltner, Jahrgang 1935, studierte in Budapest ungarische Literatur- und Sprachwissenschaft, später in Wien Germanistik und Theaterwissenschaft. Nach einer erfolgreichen Verlagslaufbahn lebt er seit einigen Jahren als freier Lektor, Übersetzer und Autor in Tirol.

Zeltner, Ernö
Ernö Zeltner, Jahrgang 1935, studierte in Budapest ungarische Literatur- und Sprachwissenschaft, später in Wien Germanistik und Theaterwissenschaft. Nach einer erfolgreichen Verlagslaufbahn lebt er seit einigen Jahren als freier Lektor, Übersetzer und Autor in Tirol.

Márai, Sándor
Sándor Márai, 1900 bis 1989, gehörte zu den gefeierten Autoren Europas, bis er 1948 mit seiner Emigration nach Italien und in die USA in Vergessenheit geriet. Mit der Wiederentdeckung des Romans »Die Glut« wurde er 1998 weltweit gelesen und als einer der bedeutendsten Schriftstellers des 20. Jahrhunderts erkannt. Der Niedergang des europäischen Bürgertums zählt zu seinen wichtigsten Motiven.



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