E-Book, Deutsch, 387 Seiten
Mühle Breslau
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-412-50302-4
Verlag: Böhlau
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Geschichte einer europäischen Metropole
E-Book, Deutsch, 387 Seiten
ISBN: 978-3-412-50302-4
Verlag: Böhlau
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Deutsche Geschichte Deutsche Geschichte: Regional- & Stadtgeschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Europäische Geschichte Europäische Regional- & Stadtgeschichte
Weitere Infos & Material
I. Frühmittelalterliche Burgstadt (950er–1230er Jahre) Der romanische Dom Das Zentrum des frühmittelalterlichen Breslau lag auf einer Insel. Diese war durch mäandernde Oderarme natürlich geschützt und ein guter Ort für eine Burg. Ihr späterer Name – Dominsel – zeigt, dass sich zum weltlichen Herrschersitz ein kirchlicher Mittelpunkt hinzugesellte. Heute prägen allein kirchliche Einrichtungen diesen Teil der Stadt, in dessen Mitte sich die gotische St. Johannes-Kathedrale erhebt. Die einstige Insellage ist noch schwach erkennbar, von der ältesten Burgbefestigung, einer Graben-Wall-Anlage, gleichwohl nichts mehr zu erahnen. Ihre Relikte liegen in tausendjährigem Kulturschutt begraben und sind nur Archäologen zugänglich. Das gilt auch für die Überreste der ersten Domkirche, die hier nach dem Jahr 1000 über einem noch älteren Kirchenbau errichtet wurde. Dennoch ist, wer den Gang durch die Geschichte Breslaus mit einem Blick auf die ältesten in situ zugänglichen baulichen Zeugnisse der Stadt beginnen will, am Johannes-Dom am richtigen Platz. Denn in seinem Untergrund, unter dem Westjoch des heutigen Chores haben sich Mauerfragmente einer romanischen Kathedrale erhalten, die aus den 1150er–1160er Jahren stammt (Farbtafel 1).4 Sie stellt nach Ansicht ihres langjährigen Ausgräbers den dritten Kathedral- bzw. vierten Kirchenbau an diesem Platz dar. Initiiert hat ihn der von 1148/49 bis 1169 amtierende Breslauer Bischof Walter von Malonne, ein aus dem Bistum Lüttich stammender Wallone, der schon längere Zeit im Umfeld seines Bruders Alexander in Polen gelebt hatte, ehe er nach Breslau kam. Alexander war seit 1129 Bischof im masowischen Plock und hatte dort eine mächtige dreischiffige Kathedrale erbauen lassen, die 1144 geweiht wurde.5 Vier Jahre später selbst zum Bischof erhoben, eiferte Walter seinem älteren Bruder nach und veranlasste in Breslau einen ähnlichen Kirchenneubau. Die Archäologen und Architekturhistoriker haben die Kathedrale des Walter von Malonne als eine etwa 48,5 m lange, 18 m breite Basilika rekonstruiert, die ein 24,5 m langes Querschiff, einen abgetrennten Altarraum [<<15||16>>] mit Apsis und eine von zwei Säulenreihen gestützte Krypta besaß. Ein Siegel, das um 1189 einer Urkunde des Breslauer Bischofs Zyroslaw angehängt wurde, zeigt einen Bischof mit einer zweitürmigen Basilika in der rechten Hand. Daraus darf geschlossen werden, dass der Bau von Walters Amtsnachfolger vollendet worden ist und im Westen zwei Türme aufwies.6 Neben den von den Archäologen aufgedeckten Mauerfragmenten sind von der dritten Kathedrale nur einige wenige Steinmetzarbeiten erhalten geblieben, darunter Säulenfragmente im heutigen Westportal und eine um 1160 entstandene, 146 cm große Skulptur des Kirchenpatrons, Johannes des Täufers, die das Hauptportal geziert haben dürfte und heute im Breslauer Erzdiözesan-Museum aufbewahrt wird. Sie schmückte später auch das Portal des bis heute bestehenden, im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigten gotischen Nachfolgebaus, dessen Errichtung Bischof Thomas I. nach der Mitte des 13. Jahrhunderts initiiert hatte, die aber erst unter einem seiner Nachfolger, Przeclaw von Pogarell, über ein Jahrhundert später zu einem vorläufgen Abschluss gebracht wurde.7 Deutlich weniger – und daher Anlass zu kontroversen Deutungen bietende – Spuren sind von den drei Vorgängerbauten der Kathedrale des Walter von Malonne erhalten geblieben. Die zu Beginn der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts von Bischof Hieronymus errichtete zweite Kathedrale war, so weit erkennbar, etwas kleiner als ihr Nachfolger. Sie war erbaut worden, nachdem der erste Kathedralbau offenbar im Jahr 1038 bei einem Überfall des böhmischen Herzogs Bretislav I. zerstört worden war. Diesem ersten, um das Jahr 1000 errichteten Kathedralbau dürfte eine noch kleinere, in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts erbaute Kirche vorangegangen sein, die als herrscherliche Hofkapelle gedient haben wird. Die Anfänge der Burg auf der Oderinsel Die Forschung ist sich nicht einig, ob der Stifter der ältesten Breslauer Steinkirche ein böhmischer, schlesischer oder polnischer Herrscher war. Schlesien gelangte nicht vor dem ausgehenden 10. Jahrhundert unter polnisch-piastische Herrschaft. Noch das berühmte Dagome Iudex-Regest, das die von Herzog Mieszko I. um 990 vollzogene symbolische Übertragung seiner Gnesener Herrschaft (civitas Schinesghe) an den Heiligen Stuhl [<<16||17>>] überliefert, zieht deren südliche Grenze im Bereich des mittleren Schlesien entlang der Oder. Jenseits der Oder nennt das Regest ein Gebiet namens Alemure (Mähren?), das wie das Krakauer Land (Craccoa) im Osten und das Milzenerland (Milze) im Westen außerhalb des piastischen Herrschaftsbereichs (regnum) lag.8 Die Oder war also noch um 990 von Mieszko I. nicht überschritten worden und noch 995 wurde das linksufrige Schlesien von Kaiser Otto III. dem Bistum Meißen bzw. Markgraf Ekkehard zugesprochen.9 Ob das in der Mitte des Odergrenzabschnitts, wie ihn das Dagome Iudex-Regest bezeugt, gelegene Breslau in dieser historischen Situation bereits ein piastischer Grenzvorposten oder noch ein böhmisch-mährischer Verteidigungspunkt war oder vielleicht noch der Sitz eines zwischen beiden Mächten lavierenden lokal-regionalen Kleinfürsten, ist kaum noch feststellbar. Folgt man dem Entdecker des ältesten steinernen Kirchenbaus, so wies dieser auffällige Ähnlichkeiten mit einer Kirche auf, die im böhmischen Libice, dem 50 km östlich von Prag gelegenen Sitz der Slavnikiden, ausgegraben worden ist.10 Das könnte in der Tat für eine böhmische Zugehörigkeit des damaligen Breslau sprechen. Es könnte aber auch die Folge einer besonderen Verbindung eines in Breslau residierenden schlesischen Kleinfürsten zu den Slavnikiden gewesen sein, der sich bei seinem Kirchenbau an der Hofkapelle dieses regionalen böhmischen Herrschergeschlechts orientiert und dazu auf dessen Bauleute zurückgegriffen haben mag. Dass es im 9.?10. Jahrhundert an der Oder von Kleinfürsten geführte regional-lokale Herrschaftsgebilde gegeben hat, darunter die Sleenzane oder Silensi, die ihr Heiligtum auf dem 35 km südwestlich von Breslau gelegenen Zobtenberg unterhielten, wird von verschiedenen Schriftquellen bezeugt und hat sich auch in archäologischen Befunden niedergeschlagen.11 Auf der Breslauer Dominsel reichen die ältesten Relikte eines Holzerdewalles, der zunächst nur ein sehr kleines Burgareal von etwa 60 m Breite sicherte, möglicherweise bis in die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts zurück; da die dendrochronologisch in die 920er bis 930er Jahre datierten Holzfunde aus den beiden untersuchten Wallfragmenten aber auch sekundär verwendet worden sein können, belegen sie nicht zweifelsfrei, dass dieser Wall tatsächlich bereits vor der Mitte des 10. Jahrhunderts bestanden hat.12 [<<17||18>>] Deutlichere archäologische Siedlungsspuren begegnen auf der Dominsel erst seit der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert. Daher wird die ältere, auf den Ortsnamen gestützte Annahme, Breslau sei bereits vor 921 von dem böhmischen Herzog Vratislav I. (um 888–921) ‚gegründet‘ worden, inzwischen kaum noch vertreten. Zwar geht das seit dem 13. Jahrhundert von deutschen Zuwanderern geprägte Breslau, wie die um 1017/18 von dem Merseburger Bischof Thietmar aufgezeichneten ältesten Namensformen – Wortislava, Wrotizlau (Wrotizlaensem) – belegen 13, tatsächlich auf den Personennamen Wartislaw/Vratislav zurück; doch war dieser bei den Slawen allgemein verbreitet. Breslau kann seinen Namen daher gut auch einem lokalen schlesischen Kleinfürsten verdanken, der sein Machtzentrum auf der Oderinsel eingerichtet hatte. Außenposten piastischer Expansion Spätestens zu Beginn des 11. Jahrhunderts befand sich diese Insel im Besitz Boleslaws I. des Tapferen. Im Frühjahr des Jahres 1000 war der Piastenherzog in Gnesen mit Otto III. zusammengetroffen und hatte dort nicht nur den Abschluss eines prestigeträchtigen Freundschaftsbündnisses mit dem Kaiser, sondern auch die Errichtung einer eigenen polnischen Kirchenprovinz erwirken können.14 Eines der drei dem neuen Erzbistum unterstellten Bistümer wurde unter der Leitung eines Bischofs namens Johannes in Breslau errichtet. Die beiden anderen entstanden in Kolberg und Krakau, während das ursprüngliche Missionsbistum Posen zunächst selbständig blieb. Alle drei neuen Bistümer entstanden in Gebieten, die weit jenseits des piastischen Kerngebietes um Gnesen und Posen lagen und der piastischen Herrschaft zunächst erst noch tatsächlich hinzugewonnen werden mussten. Dass diese Expansion auch scheitern konnte, zeigte sich rasch im Fall des pomoranischen Kolberg, wo das piastisch-polnische Bistum bereits wenige Jahre nach seiner Gründung wieder einging. In Breslau dagegen konnte die piastische Herrschaft – wie in Krakau – mit größerem Erfolg Fuß fassen. So entstand auf der Dominsel nicht nur ein erster...