Mühle Die Piasten
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-406-61229-9
Verlag: C.H.Beck
Format: PDF
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Polen im Mittelalter
E-Book, Deutsch, Band 2709, 130 Seiten
Reihe: Beck'sche Reihe
ISBN: 978-3-406-61229-9
Verlag: C.H.Beck
Format: PDF
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Weitere Infos & Material
1;Cover;1
2;Zum Buch;2
3;Über den Autor;2
4;Titel;3
5;Impressum;4
6;Inhalt;5
7;I. Die Piasten als «Erinnerungsort» und Forschungsgegenstand;7
8;II. Frühe Herzogs- und Königsmacht im 10. und 11. Jahrhundert;10
8.1;1. Ursprünge und Anfänge;10
8.2;2. Christianisierung und Reichsgründung;18
8.3;3. Krise und Wiederherstellung;29
9;III. Monarchische Herrschaft im 12. Jahrhundert;37
9.1;1. Herrscher und Herzogtum;37
9.2;2. Amtsträger und Große;48
9.3;3. Herzogliches Recht und Dienstorganisation;55
10;IV. Herausforderungen des Wandels: Piastische Herrschaft im 13. Jahrhundert;63
10.1;1. Teilfürstentümer und Herrschaftsverdichtung;63
10.2;2. Emanzipation von Kirche und Adel;73
10.3;3. Geldpolitik und Landesausbau;80
11;V. Erneuerte Königsmacht im 14. Jahrhundert;89
11.1;1. Wiederherstellung des Königtums;89
11.2;2. Territoriale Konsolidierung und Wendung nach Osten;97
11.3;3. Innere Modernisierung der königlichen Macht;105
12;VI. Ausblick;116
13;Die Herrschaftsabfolge der piastischen Monarchen;118
14;Bildnachweis;119
15;Literaturhinweise;120
16;Personenregister;124
17;Karten;129
III. Monarchische Herrschaft
im 12. Jahrhundert
1. Herrscher und Herzogtum
In der Forschung ist umstritten, ob die Herrschaft zwischen Zbigniew und Boleslaw III. im Sinne eines gleichberechtigten oder eines hierarchisch abgestuften Verhältnisses geteilt wurde, ob beide bis 1107/1108 über zwei völlig unabhängige, gleichrangige regna herrschten oder mit einem der Teilgebiete eine Oberherrschaft über das andere verbunden war. Diese Frage rührt an ein für das Funktionieren mittelalterlicher Herrschaft entscheidendes Problem, mit dem sich nicht nur die Piasten konfrontiert sahen: die Erb- bzw. Thronfolge. Wer hatte innerhalb der Dynastie, deren allgemeiner Herrschaftsanspruch über das regnum Poloniae von niemandem mehr in Frage gestellt wurde, Anrecht auf Herrschaft? Die verfügbaren Quellen geben für die Zeit bis ins 12. Jahrhundert hinein auf diese Frage keine eindeutige Antwort. Das mag nicht nur an ihrer Dürftigkeit liegen. Vielmehr scheint die Frage auch in der Realität noch längere Zeit ungeregelt geblieben zu sein. Ob die Herrschaft nach dem Tod eines Herzogs bzw. Königs an alle seine Söhne oder nur an alle aus einer rechtmäßigen Ehe stammenden Söhne, ob nur an den ältesten Sohn oder nur an den fähigsten Sohn überging, war seit Mieszkos I. Tod jedes Mal durch die Macht des Faktischen und nicht durch eine bestehende, formal klare und dementsprechend einvernehmlich befolgte Nachfolgeregelung entschieden worden. Dass Boleslaw I., Mieszko II. und Boleslaw III. jeweils erst nach gewaltsamer Verdrängung ihrer (Stief-)Brüder Alleinherrschaften durchgesetzt haben, Boleslaw II. bis zu seiner eigenen Thronenthebung seinem jüngeren Bruder Wladyslaw Herman in Masowien offenbar eine begrenzte Teilherrschaft überlassen hat (während Kasimir I. bruderlos des Problems gänzlich enthoben war), deutet allerdings daraufhin, dass auch das piastische regnum – wie andere Herrschaften im östlichen Europa – als ein patrimonium betrachtet wurde, an dem prinzipiell alle männlichen Mitglieder der Dynastie als domini naturales Anteil hatten. Beim Tod des ältesten, herrschenden Mitglieds der Dynastie ging dieses Vatererbe als quasi privates Eigentum im Prinzip an alle lebenden männlichen Mitglieder der Dynastie über. Ob und inwieweit die Piasten angesichts der in einer solchen gemeinschaftlichen Erbfolge angelegten innerdynastischen Konflikte bereits im 11. Jahrhundert versucht haben, für die Herrschaftsnachfolge gewisse Regeln aufzustellen, ist nicht erkennbar. Allerdings hat sich bei ihnen anders als bei den böhmischen Premysliden und den Kiever Rjurikiden das Problem tatsächlich erst seit den 1130er Jahren verschärft gestellt. Denn weder Kasimir I. noch Boleslaw II. oder Wladyslaw Herman waren mit Thronfolgekonflikten konfrontiert. Erst beim Tod Wladyslaws trat 1102 nach über einem Dreivierteljahrhundert wieder eine ähnliche Situation wie 1025 beim Tod Boleslaws des Tapferen ein. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts verständigten sich Boleslaw III. und Zbigniew dank Vermittlung des Gnesener Erzbischofs zunächst auf eine Kohabitation, die der Jüngere jedoch schon wenig später (1107/1008) durch die Vertreibung des Älteren gewaltsam beendete. Um 1112/13 gestattete er dem Verbannten zwar die Rückkehr, ließ ihn aber kurz darauf (sei es nach einem vorgefassten Plan, sei es in spontaner Reaktion auf einen vermeintlichen Verrat) blenden. Dieser Konflikt, der mit dem baldigen (in den Augen der Zeitgenossen durch eine Bußfahrt Boleslaws nur unzureichend gesühnten) Tod Zbigniews endete, musste mit Blick auf die eigene Nachkommenschaft sowohl beim Herzog selbst als auch bei den Großen des Landes den Regelungsdruck hinsichtlich der künftigen Thronfolge deutlich erhöhen. Die Quellen berichten daher sicher nicht zufällig für die Ausgangszeit der über dreißigjährigen Alleinherrschaft Boleslaws III., des «Schiefmundes», von einer ersten piastischen Thronfolgeregelung. Anders als es Vincentius Kadlubek in seiner gegen Ende des 12. Jahrhunderts verfassten Chronica Polonorum darstellt und das seiner Erzählung folgende Bild von einem «Testament Boleslaws» suggeriert, ist diese Erbfolgeregelung nicht als ein auf dem Sterbebett des Herzogs ausgesprochener ‹letzter Wille› anzusehen. Vielmehr ist sie (wie die Magdeburger Annalen und Otto von Freising bezeugen) das Ergebnis eines öffentlichen Aushandlungsprozesses, bei dem weltliche und geistliche Große gemeinsam mit dem Herzog rechtzeitig nach einer Lösung für ein Problem gesucht haben, das angesichts von fünf zwischen 1105 und 1138 geborenen Herzogssöhnen absehbar war. Es galt, die anstehende Herrschaftsnachfolge auf eine Weise zu regeln, die Konflikte und Reibungen vermied. Die gefundene Lösung, die so genannte «Senioratsordnung», zu der um die Mitte des 11. Jahrhunderts bereits die Premysliden und Rjurikiden gegriffen hatten, knüpfte an das archaische Prinzip der Vorherrschaft des Alters an, verband dieses für Großfamilien typische Gewohnheitsrecht aber mit einem neuen Element, nämlich einer verbindlichen Definition des Verhältnisses zwischen «Senior» und «Junioren». Dem Senior der Dynastie (de toto genere maior) sollte jeweils die großfürstliche Oberherrschaft (principatus) zufallen. Diese war territorial an das ostgroßpolnische und kleinpolnische Kerngebiet mit den Hauptorten Gnesen und Krakau und damit an die in materieller wie in ideellsymbolischer Hinsicht bedeutsamsten Landesteile gebunden. Funktional umfasste das Prinzipat die Sorge um die politische Einheit des regnum und die Wahrnehmung der damit verbundenen zentralen Aufgaben (die oberste Rechtsprechung, Kriegführung, Pflege der friedlichen Außenbeziehungen, die Investitur der (Erz-)Bischöfe und Einsetzung der wichtigsten weltlichen Amtsträger). Die Junioren wurden zwar der Oberherrschaft des Seniors, dem alleinigen Monarchen, unterstellt, doch erhielten sie, sobald sie volljährig waren, in Gestalt klar umrissener, eigener Teilgebiete zugleich eine verlässliche politische und materielle Teilhabe an der Herrschaft. Darüber hinaus wurde ihnen die verbindliche Perspektive eröffnet, beim Tode des Seniors in einem geregelten Verfahren, nämlich gemäß der Reihenfolge ihres Alters, eines Tages selber in die großfürstliche Oberherrschaft aufzurücken. Auf diese Weise sollte sicher gestellt werden, dass das regnum beim Tod des Herrschers nicht mehr wie bisher entweder willkürlich als Ganzes einem vom Vorgänger designierten Nachfolger übertragen oder unter alle nach traditionellem Erbrecht legitime Anwärter aufgeteilt wurde – wobei die anschließende Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der politischen Einheit in beiden Fällen jedes Mal der Macht des Stärkeren überlassen blieb. Vielmehr sollten die widerstreitenden Interessen fortan so ausgeglichen werden, dass die Erbfolge weder die Idee des gemeinschaftlichen patrimonium in Frage stellte, noch die vom Senior aufrechtzuerhaltende politische Einheit des Reiches gefährdete. Tatsächlich hat die mit dem Tod Boleslaw Schiefmunds 1138 in Kraft getretene Senioratsordnung in diesem Sinne eine gute Weile funktioniert. Zwar kam es schon in den 1140er Jahren zu erneuten innerdynastischen Auseinandersetzungen, zu Kompetenz- und Territorialkonflikten, doch wurde damit das Prinzip des Seniorats zunächst nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Funktion und Stellung des Seniors – mochte dieser wie im Fall Wladyslaws II., des ersten Nachfolgers Boleslaws III., auch von oppositionellen Kräften vertrieben werden – blieben strukturell unangefochten. So trat 1146 an Stelle des an den Kaiserhof geflohenen Wladyslaw (des «Vertriebenen») der zweitälteste Boleslaw-Sohn, Boleslaw IV. Kraushaar, in das Seniorat ein, während seine jüngeren Brüder – Mieszko III. der Alte, Heinrich und Kasimir II. der Gerechte – die ihnen übertragenen Provinzen auch weiterhin unter der Kontrolle ihres ältesten Bruders als nichterbliche Unter-Herzogtümer bzw. Versorgungsgebiete verwalteten. Daran änderte sich auch nichts, als 1173 beim Tod Boleslaws IV. das Seniorat an Mieszko III. überging. Von den fünf Söhnen Boleslaws III. lebte zu diesem Zeitpunkt neben dem neuen Senior nur noch einer. Es war dieser jüngste Sohn, Kasimir II., der die bestehende Nachfolgeordnung erstmals nachhaltig in Frage stellte. Abb. 4: Fragment einer Gipsplatte aus Wislica, 2. Hälfte 12. Jahrhundert
mit einer Darstellung Kasimirs II. des Gerechten mit seiner Ehefrau
und seinem früh (1182) verstorbenen Sohn Boleslaw, wohl aus der Zeit
seiner Herrschaft in Wislica (1163?–1177) Der seit 1166/67 mit den Gebieten von Wislica und Sandomierz versorgte Junior eroberte 1177, ermuntert und unterstützt von kleinpolnischen, von der Herrschaft des Seniors enttäuschten Großen, Krakau und entriss dem älteren Bruder den...