Mühsam | Judas | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 159 Seiten

Mühsam Judas


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7528-7790-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 159 Seiten

ISBN: 978-3-7528-7790-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Judas - Ein Arbeiterdrama in fünf Akten', ein Stück aus der Sammlung revolutionärer Bühnenwerke von Erich Mühsam. In einem revolutionären Massenstreik wendet sich ein einfacher Arbeiter von seinen Mitstreitern ab und wird entgegen seinem Willen zum Verräter, zum Judas. Mühsam war Anarchist, Publizist und Antimilitarist. Als politischer Aktivist war er 1919 maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt wurde, aus der er nach fünf Jahren im Rahmen einer Amnestie freikam.

Erich Kurt Mühsam, geboren am geboren am 6. April 1878 in Berlin und gestorben am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg, war ein anarchistischer deutscher Schriftsteller, Publizist und Antimilitarist. Als politischer Aktivist war er 1919 maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt wurde, aus der er nach fünf Jahren im Rahmen einer Amnestie freikam. In der Weimarer Republik setzte er sich vorübergehend in der Roten Hilfe für die Freilassung politischer Gefangener ein. Seine politische Heimat fand er seit Mitte der 1920er Jahre in der "Anarchistischen Vereinigung". In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und am 10. Juli 1934 von der SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet.

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Erster Akt
Wohnung Stefan Klagenfurters. Großes Zimmer. Rechts zwei Fenster. In der Mitte der Hinterwand die Tür. Zwischen Tür und der Fensterwand Herdofen, daneben links Wasserleitung. Zwischen den beiden Fenstern einfache Kommode, darauf ein paar Photographien und ein niedriges Bücherbord. Unter dem vorderen Fenster größerer Koffer. Über dem Herd Gestelle für Teller, Gewürzbüchsen usw. In der Ecke rechts Küchenschrank, an dem Hand- und Tellertücher hängen. Links vorn schwarzes Sofa mit Deckchen. Davor runder überdeckter Tisch und zwei schwarze Stoffstühle. Links an der Hinterwand steht das Doppelbett ins Zimmer hinein, daneben rechts Nachttisch und Stuhl, links primitive Waschgelegenheit (Blechgestell) und Spiegel. In der Mitte des Zimmers großer Küchentisch mit Wachstuchdecke, dabei eine Nähmaschine und ein paar Küchenhocker. Unter dem Sofatisch einfacher Teppich. An der linken Wand und über dem Sofa eine Telleruhr mit Gewicht. In der Mitte der Wand Öldruckporträts von Marx und Bebel. Weiter zurück gerahmte Photographien. Über dem Bett ein Haussegen. Die Fenster haben leichte Tüllvorhänge; ein paar Blumentöpfe davor. Über dem großen Tisch hängt von der Decke herunter eine Petroleumlampe. Im Herdofen ist Glut. Auf dem Küchentisch ist Leinenzeug ausgebreitet. Es ist gegen ½ 4 Uhr am Nachmittag. Frau Marie Klagenfurter arbeitet an der Nähmaschine, hält inne und reißt den Faden ab. Sie hebt das Kinderjäckchen, das sie genäht hat, lächelnd vor sich gegen das Licht. Dann steht sie auf. Man sieht deutlich die Merkmale vorgeschrittener Schwangerschaft. Sie sieht auf die Uhr, schüttelt den Kopf, geht nervös zum Fenster, stochert dann im Herdfeuer und blickt in den Wassertopf, der darauf steht. Plötzlich horcht sie auf. Schritte werden draußen hörbar. Die Tür wird energisch geöffnet. Stefan Klagenfurter tritt ein, in Hut und Überzieher. MARIE (an seinem Hals): Endlich! Sie haben dich ja schrecklich lange festgehalten. KLAGENFURTER (küsst sie): Miezl! – warst recht ungeduldig? MARIE: Sag doch: Wie war’s? Haben sie dich genommen? KLAGENFURTER: Wirst schon hören. – Pack! MARIE: Mein Gott! – Nun leg nur erst ab. (Hilft ihm aus dem Überzieher.) Komm, gib! Ich trag's hinaus. KLAGENFURTER: Das wäre! – Du schonst dich in deinem Zustand, verstanden? Und läufst nicht mir nichts, dir nichts aus dem warmen Zimmer. Ich kann mein Zeug schon selber in den Kasten hängen. (Geht hinaus, lässt die Tür offen.) MARIE: Sag, Steffi, aber doch nicht K. V.? KLAGENFURTER (zurück ins Zimmer): Nur keine Aufregung Schatz. Ich bin noch nicht im Schützengraben. (Setzt sich.) MARIE: Aber, so erzähl doch! KLAGENFURTER (zerrt sich den Gummikragen vom Hals): Bloß erst den Hals freikriegen. War überhaupt recht überflüssig, sich extra fein zu machen, um vor den Hanswursten den nackten Adam herzuzeigen. – Da, nimm den Kragen. Bis Sonntag reib ihn noch mal ab. MARIE (legt den Kragen in den Tischkasten): Also Steffi – wie ist's gegangen? KLAGENFURTER: Na ja, sie haben mich beglotzt und befühlt. – Krieg ich einen Kaffee, Miezl? MARIE: Gewiss. Er ist fertig. (Macht sich am Herd zu schaffen und nimmt Geschirr aus dem Küchenschrank.) Aber du quälst mich, Liebster. Lass mich doch endlich wissen! KLAGENFURTER: Ach so. – Na, gut: Wissen musst du's ja doch. Also – felddienstfähig. MARIE (zu ihm): Steffi! KLAGENFURTER: Nur ruhig, Kind! Nur nicht aufregen, – du weißt schon. – Und dann ist's ja noch nicht so weit. Sie werden mich ja nicht gleich holen. MARIE: Meinst du? – Aber denk mal, solange konnten sie dich nicht brauchen – und jetzt auf einmal: – trotz deinem Herzfehler. KLAGENFURTER (lacht): Ja, der Krieg ist noch wundertätiger als die Muttergottes von Lourdes. Der macht mit der Zeit aus dem lahmsten Krüppel einen Helden. MARIE (schenkt Kaffee ein): Ich hab jetzt besseren Kaffee-Ersatz. Da ist Süßstoff. Wie schmeckt er dir? KLAGENFURTER: O ja, – er geht an. Ob wir einmal wieder Bohnenkaffee mit Zucker und Milch erleben werden? Wenn wir weiter so »durchhalten« wie bisher, dann wird unser Kleiner mal meinen, vor seiner Geburt wäre Deutschland das Schlaraffenland gewesen. MARIE: Schau, Steffi, was ich gemacht hab. (Zeigt ihm das Jäckchen.) Steckkissen sind fertig, Häubchen auch. Morgen fang ich mit dem Stricken an: Schuhe und Strümpfe. KLAGENFURTER (auf sie zu): Was wir glücklich sein könnten! – Und jetzt die Schweinerei. (Küsst sie.) – Wenn man noch an den Schwindel glaubte, – aber mit dem Ekel vor dem allen! – Der alte Trotz baut schon an der Wiege, – und ich soll mein Kleines womöglich gar nicht mehr darin schaukeln können! MARIE (ihn umklammernd): Steffi! Mein Steffi! – Vielleicht gibt es bald Frieden – ? KLAGENFURTER: Ja, Frieden! – Wir kämpfen ja »bis zum letzten Blutstropfen«, – bis zu unserm nämlich. Die Proletarier können verbluten – und die großen Herren machen das feinste Geschäft dabei. Da hör! (Von der Straße ertönt Soldatengesang, man versteht die Worte: »Siegreich wollen wir Frankreich schlagen«.) – Pfui Teufel! Da kann man doch alle Hoffnung verlieren, wenn die Soldaten selbst noch –. Na ja, sie müssen singen. Auf Kommando. MARIE: Steffi! Meinst du nicht, dass die Fabrik dich reklamieren könnte? KLAGENFURTER: Hab' schon dran gedacht. Bloß wird sie's nicht tun. Dreher kriegt sie noch genug. Und mir sind sie sowieso nicht grün, sie kennen meine Ansichten zu gut. Übrigens – Reklamationen von K. V.-Leuten haben fast nie Zweck. MARIE (in Tränen): O, Liebster! – ich hab' so Angst! KLAGENFURTER: Unsinn, Schatz! Tapfer sein! – Wird schon alles noch gut werden Die Einberufung ist noch nicht da. (Er zieht eine Holzpfeife aus der Tasche.) – Von 10 Uhr in der Frühe haben sie mich da rumstehen lassen, viele sind noch nicht fertig. MARIE: Rauch doch lieber eine Zigarre heute – nach der Quälerei. KLAGENFURTER: Hast recht. Ist schon mal blau gemacht, kann's ganz wie Sonntag sein. (Nimmt aus der Kommode eine Zigarre und zündet sie an.) Schändlich: 35 Pfg. für das miserable Kraut. Dafür hab' ich früher die ganze Woche täglich eine Zigarre gehabt. MARIE: Das Brot schlägt auch wieder um 2 Pfg. auf. Und Nähfaden ist kaum mehr zu kriegen. Es ist schrecklich, wie alles teuer wird! (Es klopft.) KLAGENFURTER: Herein! (Es tritt ein Raffael Schenk. Rothaarig, bleich mit hektischen Flecken, hinkt etwas.) SCHENK: Tag, Stefan! Servus, Frau Klagenfurter! (Reicht beiden die Hand.) KLAGENFURTER: Grüß dich, Schenk! – Zieh aus! SCHENK (legt ab). MARIE: Legen Sie's nur aufs Bett. – Steffi, die Zigarre! KLAGENFURTER: Ach so! (Legt die Zigarre fort auf einen Blumenuntersatz am Fenster.) SCHENK: Unsinn! Rauch nur weiter! (Hüstelt.) KLAGENFURTER: Ist nicht wichtig. Der Rauch ist nichts für dich. Die Zigarre geht mir nicht verloren. SCHENK: Wie ist's gegangen? KLAGENFURTER: Wie es gehen musste: K. V. SCHENK: Donnerwetter! Also doch. – Und dein Herz? KLAGENFURTER: Das Herz! Der Doktor meinte: Für ein paar Sturmangriffe hält's noch. MARIE: Das hat er gesagt? Pfui, wie roh! (Weint.) KLAGENFURTER: Ruhig, Kind! Denk doch an deinen Zustand! Und noch stürme ich ja nicht. Bis dahin kann noch manches anders kommen. SCHENK: Du wirst doch nicht gehen, Stefan? KLAGENFURTER: Wieso – nicht gehen? SCHENK: Ich meine, wenn die Einberufung kommt. KLAGENFURTER: Ich muss mich noch besinnen. Schließlich werd' ich wohl müssen. SCHENK: Hängt davon ab, ob du willst. KLAGENFURTER: Ja, ja – nach der Theorie – SCHENK: Theorie? Ich denk doch, wenn eine Sache praktisch wird, geht's an die Anwendung von Theorien. KLAGENFURTER: Du meinst also im Ernst, ich soll mich weigern? SCHENK: Ich tät's. MARIE: Um Gottes willen. Dann sperren sie ihn ja ein! SCHENK: Wahrscheinlich. – Wollen Sie Ihren Mann lieber im Schützengraben haben als im Gefängnis? MARIE: Aber wenn sie ihn erschießen!? SCHENK: Auch das geht draußen schneller als drinnen. – Oder fürchten Sie die Schande? MARIE: O Gott, nein. – Aber ich weiß doch nicht. – O Steffi! KLAGENFURTER: Still, Schatz! Die Sache muss überlegt werden. SCHENK: Was gibt es da noch zu überlegen? Auf der einen Seite steht das Kapital und macht Ansprüche auf dich, auf dein Leben, deine Gesundheit, dein Glück und deine Überzeugung, – auf der andern Seite stehst du, deine Frau und das Kind, das ihr haben werdet. – KLAGENFURTER: Herrgott, ja, ja. SCHENK: Und was noch wichtiger ist: deine Gesinnung, deine proletarische Ehre, Stefan! Du bist doch ein Kämpfer und weißt, wogegen wir zu kämpfen haben. Da willst du dir vom Feind ein Gewehr geben lassen und auf sein Kommando gegen dein eigenes Gewissen und gegen deine Klassengenossen losgehen? ...



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