Mühsam | Staatsräson | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 122 Seiten

Mühsam Staatsräson

Ein Denkmal für Sacco und Vanzetti
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7528-2143-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Denkmal für Sacco und Vanzetti

E-Book, Deutsch, 122 Seiten

ISBN: 978-3-7528-2143-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit 'Staatsräson' setzte Erich Mühsam den beiden der anarchistischen Arbeiterbewegung angehörenden Italo-Amerikanern Ferdinando Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti, die wegen Beteiligung an einem doppelten Raubmord angeklagt und 1921 in einem umstrittenen Prozess schuldig gesprochen wurden, ein literarisches Denkmal. Sowohl der Schuldspruch als auch das letztliche Urteil hatten weltweite Massendemonstrationen zur Folge.

Erich Kurt Mühsam, geboren am geboren am 6. April 1878 in Berlin und gestorben am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg, war ein anarchistischer deutscher Schriftsteller, Publizist und Antimilitarist. Als politischer Aktivist war er 1919 maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt wurde, aus der er nach fünf Jahren im Rahmen einer Amnestie freikam. In der Weimarer Republik setzte er sich vorübergehend in der Roten Hilfe für die Freilassung politischer Gefangener ein. Seine politische Heimat fand er seit Mitte der 1920er Jahre in der "Anarchistischen Vereinigung". In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und am 10. Juli 1934 von der SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet.

Mühsam Staatsräson jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1. Bild
4. Mai 1920. Amtszimmer des Staatsanwalts Frederic G. Katzmann im Gerichtsgebäude zu Dedham. Staatsanwalt Katzmann. Eine Stenotypistin. KATZMANN diktiert. – erscheint es bei der außerordentlich hohen Zahl von Kleinautos des gleichen Typs leider kaum aussichtsvoll – haben Sie aussichtsvoll? STENOTYPISTIN. – leider kaum aussichtsvoll – KATZMANN. – bei noch so sorgfältiger Kontrolle gerade den Wagen zu ermitteln, welcher den Verbrechern am 15. April zur Verfügung stand. Da die Aussagen der Tatzeugen einander wie gewöhnlich, wenn es sich um plötzliche und erschreckende Ereignisse handelt – halt, Fräulein, wir wollen das anders fassen. Streichen Sie das letzte durch. STENOTYPISTIN. Von »da die Aussagen« ab? KATZMANN. Ja. Gouverneur Fuller verlangt Berichte, die ihm die Anordnung eigener Untersuchungen ermöglichen. Wir müssen klarstellen, warum die Augenzeugen gar nichts Genaues wissen können. Also zunächst einmal die ganze Situation. Diktiert. Nach den Berichten der Polizei fand der Überfall um drei Uhr fünf Minuten nachmittags auf der Pearl Street statt, gegenüber dem vierstöckigen Gebäude der Schuhfabrik Rice und Hutchins, dessen Fenster aus undurchsichtigem Glase sind und ohne Ausnahme geschlossen waren. Haben Sie? STENOTYPISTIN. Ohne Ausnahme geschlossen waren. KATZMANN. Erst nachdem die Schüsse gefallen waren, wurden die Fenster aufgerissen. Im selben Augenblick, als die Erschießung des Kassierers Parmenter und des Wächters Berardelli erfolgte, fuhr das Auto heran, die Täter warfen die Pakete mit den Lohngeldern hinein, sprangen auf und fuhren mit den Insassen des Wagens in schärfstem Tempo davon. Der Vorfall spielte sich in wenigen Sekunden ab, so daß mit den Aussagen der Zeugen so gut wie nichts anzufangen ist. Die Schuhfabrik Slater und Morill, deren Angestellte die Ermordeten waren, liegt vom Tatort weiter weg; ihre Arbeiter und diejenigen, die in der Nähe Straßenarbeiten verrichteten, haben den Überfall bemerkt, ebenso die Passagiere des Zuges, der kurz vor dem Abfeuern der Schüsse von Brockton angekommen war. Das Zusammenlaufen so vieler Personen, wenn alles vorbei ist, ihr aufgeregtes Erzählen, Fragen, Vermuten und Zusammenreimen, das jeder Kriminalist kennt, verwirrt aber die Beweiserhebung bloß, so daß eine klare Beschreibung des Geschehenen und vor allem der Beteiligten von diesen Kleinstädtern überhaupt nicht erzielt werden konnte. – Erzielt werden konnte. Pause. Immerhin behaupten etwa dreißig Zeugen – wie viele waren es? Haben Sie die genaue Zahl? STENOTYPISTIN blättert im Akt. Fünfunddreißig, Mr. Katzmann. KATZMANN. – behaupten fünfunddreißig Zeugen, die Mörder gesehen zu haben und beschreiben zu können. Aus ihren Aussagen kann aber höchstens gefolgert werden, daß der Mann neben dem Chauffeur ein blonder, schmächtiger Mensch war, wie neuerdings mit Bestimmtheit ein Portier Michael Levangie erklärt. Allerdings hat dieser Zeuge unmittelbar nach der Schießerei angegeben, er habe die Banditen selbst gar nicht zu sehen bekommen. Eine Zeugin behauptet, der Begleiter des Chauffeurs habe während des Haltens sich die Zeit genommen, eine Reparatur unter dem Auto auszuführen. Dies ist indessen wenig glaubhaft. – So. Machen Sie hier einen Absatz, Fräulein. STENOTYPISTIN. Bitte. KATZMANN. Zusammenfassend muß ich feststellen, daß, sollte sich der Verdacht der Polizei in New Bredford nicht bestätigen, daß die Raubmörder mit der berüchtigten Morellibande identisch sein könnten, nach dem bisherigen Ergebnis der Untersuchung die Befürchtung berechtigt scheint, die Tat am 15. April in South Braintree werde ebenso unaufgeklärt bleiben wie die am 24. Dezember 1919 in Bridgewater und die ähnlichen Verbrechen, die unsere Gegend seit längerer Zeit beunruhigen. Ich erbitte daher direkten Befehl des Gouverneurs von Massachusetts, ob die meines Erachtens wertlosen Nachforschungen nach dem Buick-Auto fortgesetzt werden sollen oder ob nicht lieber – Es klopft. EIN POLIZEIKOMMISSAR tritt ein. Ich habe dem Staatsanwalt Katzmann zu melden: in der Garage eines gewissen Simon Johnson in Brockton steht ein kleines Buick-Auto zur Reparatur. KATZMANN. Und? Haben Sie einen Anhaltspunkt, daß es das gesuchte sein könnte? KOMMISSAR. Das nicht. Aber das Auto gehört einem Italiener Boda, der bei einem anderen Italiener wohnt, einem gewissen Coacci – KATZMANN. Na, weiter – ist das ein Räuber oder Mörder? POLIZEIKOMMISSAR. Nein – aber Coacci ist einer von den Radikalen – KATZMANN plötzlich interessiert. Ah – das wäre eine Fährte! – Erzählen Sie! KOMMISSAR. Wir hatten Anweisung, Coacci aus dem Staate Massachusetts abzuschieben. Gestern ging ich zu ihm, um nachzusehen, ob er Anstalten zur Abreise trifft. Ich fand ihn beim Kofferpacken. Inzwischen erfuhren wir, daß das Auto bei Johnson seinem Zimmermieter Boda gehört, und ich wurde beauftragt, seine Koffer zu beschlagnahmen. Sie sind schon durchsucht worden. KATZMANN aufgeregt. War die Beute drin? KOMMISSAR. Nein, gar nichts Verdächtiges, nur Bücher, Kleidung, Hausrat und ähnliches. KATZMANN. Dann ist doch, zum Teufel, das Ganze umsonst. Nach kurzer Überlegung. Halt! Es macht nichts. Man muß diesen Radikalen auf die Finger sehen. Veranlassen Sie den Garagenbesitzer, wenn das Auto abgeholt wird, sofort die Polizei zu benachrichtigen, und falls es sich um politisch verdächtige Ausländer handelt – ohne weiteres verhaften. Verstanden? KOMMISSAR. Sehr wohl, Staatsanwalt Katzmann. Ab. KATZMANN. Wir wollen den Bericht abbrechen. Bitten Sie Richter Thayer herüber. Er ist doch im Hause? STENOTYPISTIN. Ich sah ihn in sein Büro gehen. Ab. Katzmann allein, geht auf und ab, blättert in Aktenbündeln, pfeift einen Gassenhauer. Richter Webster Thayer tritt ein. THAYER. Sie haben mich rufen lassen, Staatsanwalt? Haben Sie etwas Neues in der Affäre von South Braintree? KATZMANN. Vielleicht. Nehmen Sie Platz. Sie wissen, daß Generalstaatsanwalt Palmer immer noch daran festhält, daß das Kleinauto ermittelt werden müsse – bei den Tausenden von Buick-Wagen, die hier durchfahren, natürlich ein ganz müßiges Beginnen, den richtigen feststellen zu wollen, der wahrscheinlich längst im Westen oder außerhalb der Staaten ist. THAYER. Und welche Methode wollten Sie einschlagen? KATZMANN. Warten Sie. Ich war eben dabei, einen Bericht an Gouverneur Fuller nach Boston zu diktieren, um ihm begreiflich zu machen, daß die Suche nach den Mördern der Pearl Street doch so gut wie aussichtslos geworden ist, daß wir aber bei der Häufung solcher Verbrechen bestimmt mit weiteren Überfällen in der nächsten Zeit rechnen können und dann eben schneller handeln und besser gerüstet sein müssen. Haben wir erst einmal ein paar Banditen, dann können wir jedenfalls dadurch auch ältere Spuren auffinden. THAYER. Ganz recht. Und nun? KATZMANN. Ich habe den Bericht in der Mitte abgebrochen. Der Zufall meint es gut mit Mr. Palmer. Wir haben Aussicht, ein Auto dingfest zu machen, das als Corpus delicti unbezahlbar sein kann. THAYER. Das gesuchte Buick-Auto? KATZMANN lacht. Wenn es das nicht von selber ist, können wir es vielleicht dazu machen. THAYER. Ich verstehe noch nicht. KATZMANN. Das Auto ist in einer Reparaturwerkstatt in Brockton und gehört einem Italiener, der mit radikalen Elementen Verbindung halten soll. THAYER. Aha! KATZMANN. Ich habe angeordnet, daß man sich die Kerle, die die Karre abholen wollen, genau ansieht, und sind's Anarchisten oder was Ähnliches – huit! ins Loch. THAYER. Donnerwetter! Ausgezeichnet! Haben Sie etwa bestimmte Anhaltspunkte, durch die Sie Zusammenhänge zwischen den Räubern und den Revolutionären begründen könnten? KATZMANN. Wenn wir Glück haben, werden wir sie finden. Einem ausgewiesenen Anarchisten Coacci, dem Zimmerwirt des Autobesitzers Boda, hat die Polizei schon die Koffer weggeholt. Man hat zwar nichts drin gefunden – aber einen Verdacht auf so saubere Kumpane läßt man doch nicht gutwillig wieder aus den Fingern. THAYER. Famos, ganz famos, Mr. Katzmann. Es trifft sich hervorragend gut. Palmer ist voll Wut über die Kerle, besonders über die Italiener. Da hatten sie in New York zwei Burschen eingelocht, die Demonstrationen oder Streiks organisiert haben sollten, einen Andrea Salsedo und einen gewissen Elia, und weil sie das Maul nicht auftun wollten, um ihre lieben anarchistischen Komplizen zu nennen, hat man sie nach dem dritten Grade behandelt. Fingerknacken et cetera. Da muß wohl was durchgetropft sein, und die Anarchisten grade hier in Massachusetts sollen sich besonders lebhaft ihrer Kumpane angenommen haben. Kurz – gestern ist nun einer der Halunken, der Salsedo, vom 14. Stock des Staatsgefängnisses aus dem Fenster gepurzelt. KATZMANN. – worden oder selbsttätig? THAYER. Wird wohl auf eins herauskommen. Jedenfalls mausetot, und in der Mitteilung heißt es, wir sollen ein wachsames Auge auf die Anarchisten des Bezirks haben, von denen die Inszenierung eines großen Protestrummels erwartet wird. Haben Sie das polizeiliche Verzeichnis der verdächtigen Radikalen da? KATZMANN....



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.