E-Book, Deutsch
Müller Rosie und die Suffragetten
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-89656-584-6
Verlag: Querverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman
E-Book, Deutsch
ISBN: 978-3-89656-584-6
Verlag: Querverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Als die junge Rosie 1908 Nordengland verlässt, um in London eine Anstellung als Dienstmädchen im Haushalt von Emmeline Pankhurst anzutreten, ahnt sie nicht, welchen Einfluss diese berühmte Frauenrechtlerin auf sie haben wird. Beflügelt durch zahlreiche Begegnungen mit schillernden Persönlichkeiten, die Pankhursts legendären Salon besuchen, beschließt Rosie, sich für das Frauenwahlrecht politisch zu engagieren. Seite an Seite mit anderen Gleichgesinnten plant das umtriebige Hausmädchen politische Aktionen und Anschläge und demonstriert nicht nur vor dem Frauengefängnis Holloway, wo Emmeline Pankhurst in den Hungerstreik tritt. Trotz aller Aktivitäten bleibt aber doch ein wenig Zeit für die Liebe, und als Rosie den attraktiven Hafenarbeiter George trifft, glaubt sie, den Richtigen gefunden zu haben. Wenn da nur nicht plötzlich die hinreißende, sommersprossige Jane auftauchen würde, die Rosie magisch in den Bann zieht ... In Rosie und die Suffragetten lässt Katharina Müller die Jahre 1908-1920 lebendig werden und erzählt ein wichtiges Kapitel aus der Geschichte der ersten Frauenbewegung.
Katharina Müller, geboren und aufgewachsen im Ruhrgebiet. Soziologie- und Fremdsprachenstudium in England und Frankreich. Seit einigen Jahren viele Reisen in afrikanische Länder. Dolmetscherin und Übersetzerin für Französisch und Englisch im Bereich Kultur und Entwicklungszusammenarbeit. Sie lebt in Berlin.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Kapitel
Littletown in Lancashire, Nordengland, 1908 Draußen pfiff der Wind ums Haus und zauste die Pappeln unten am Fluss. Ich spürte die Müdigkeit in allen Knochen, während ich vorsichtig die Zimmerpflanzen am Salonfenster goss. Gestern hatte ich bis in die Nacht an einem Kleid für die Tochter von Mrs Ramsay, der Köchin, genäht, und heute früh war ich wie immer um fünf Uhr aufgestanden, hatte die Kamine gekehrt, Feuer angefacht, die Schlafzimmer saubergemacht, soweit sie schon frei waren – Mrs Banks schlief gern lange, und sie hatte noch nicht nach dem Frühstück geläutet –, im Garten Unkraut gezupft und den Hof gefegt. Und der Tag hatte doch gerade erst angefangen … Auf einmal bog Mrs Ramsay um die Ecke. „Hier stehst du also herum, du schlampiges Ding! Ich brauche dringend Hilfe in der Küche, und das Dienstmädchen ist nicht aufzufinden! Es steht faul am Fenster und genießt die Aussicht!“ Sie schnappte sich die Röstgabel vom Kamin, die ich gerade gereinigt und poliert hatte, und fuchtelte damit vor meiner Nase herum. Ich konnte gerade noch zurückspringen, aber im nächsten Augenblick klirrte es hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um. Eines der Porzellan-Nippesfigürchen aus dem Regal hinter mir lag in winzige Scherben zersprungen am Boden. Ich seufzte leise. „Du dummes, dummes Ding!“ Die Köchin keifte noch lauter. Wenn sie so weitermachte, würde Mrs Banks noch davon aufwachen und schlechter Laune sein. Doch aus dem Schlafzimmer drang kein Laut, als Mrs Ramsay schließlich lauthals zeternd in Richtung Küche verschwunden war. Das Porzellanpüppchen würde mir vom Lohn abgezogen werden, wie sie mir lauthals versichert hatte – als ob ich das nicht selber wüsste. Nachdenklich fegte ich die Scherben auf. In den zwei Jahren, in denen ich nun schon bei den Banks arbeitete, war es mir nicht gelungen, ein gutes Verhältnis zu Mrs Ramsay aufzubauen. Nicht, dass ich mir keine Mühe gegeben hätte! Im Gegenteil, ich hatte ihr angeboten, ihr einen hässlichen Riss in ihrer Sonntagsbluse zu flicken, und ihr eine neue Schürze genäht, denn ihre alte wurde langsam schäbig. Zudem hatte ich ihr und ihrer Tochter im Laufe der Zeit je zwei weitere neue Schürzen und Sonntagskleider geschneidert, und das auch noch in meiner knapp bemessenen Freizeit. Aber dennoch, unser Verhältnis hatte sich keineswegs gebessert. Mrs Ramsay war keinen Deut freundlicher zu mir geworden. Und ich musste zugeben, dass ich langsam ratlos wurde. Als ich mit dem Fegen fertig war, putzte ich Staub, wischte die Böden und brachte Mrs Banks das Frühstück nach oben, als sie danach klingelte. Dann ging ich hinunter in die Küche und begann, das Gemüse für das Mittagessen zu putzen und den Tisch für Mrs Banks zu decken. Nachdem sie gespeist hatte – ihr Gatte nahm seine Mittagsmahlzeit in der nahegelegenen Kreisstadt ein, in der sein Büro lag –, aßen Mrs Ramsay und ich die Reste, die Mrs Banks übrig gelassen hatte. Anschließend versah ich die Kamine mit frischem Feuerholz und ging Mrs Ramsay beim Backen zur Hand. Schließlich wurde ich beauftragt, zum Markt herunterzulaufen und die notwendigen Einkäufe für den Abend zu erledigen. Es war ein frischer Herbsttag, der Himmel war grau, ich schauderte unter meinem wollenen Umschlagtuch. Der Pferdestall des Gastwirts lag auf meinem Weg, und ich beschloss, kurz nachzuschauen, ob mein Verlobter Jim vielleicht gerade dort war. Jims Job war es, die Pferde zu pflegen und mit ihnen Waren oder gelegentlich auch Übernachtungsgäste vom Bahnhof abzuholen. Wir hatten vor, in die kleine Wohnung über den Ställen zu ziehen, sobald wir verheiratet wären. Ich konnte es kaum abwarten, dass Jim endlich seine Lohnerhöhung bekommen und wir endlich das Aufgebot bestellen würden. Der Gastwirt hatte sie ihm schon so lange versprochen, aber immer wieder war etwas dazwischengekommen. Wo und wann wir uns auch trafen – meist nur für kurze Augenblicke, denn ich konnte kaum Zeit dafür erübrigen –, Jim wollte mich die ganze Zeit küssen, so dass ich manchmal überhaupt nicht zu Wort kam und es nicht schaffte, ihm meine Pläne für unsere Heirat und alles, was danach kommen sollte, auseinanderzusetzen. Aber das störte mich nicht weiter; Jim musste mich schrecklich gern haben, soviel war klar. Und darauf kam es ja schließlich auch an! Im Stall war es halb dunkel und irgendwie still. Die Pferde wandten mir nur kurz die Köpfe zu und beschäftigten sich weiter mit den mit Heu gefüllten Raufen. „Hey, Jim“, rief ich. „Bist du da?“ Ich trat ein paar Schritte näher an die Geschirr- und Sattelkammer heran, und da entdeckte ich Jim – und noch jemanden … Es sah aus, als sprängen zwei Menschen auseinander, die sehr nah beieinander gestanden hatten. Viel zu nah. „Florence!“, rief ich. „Was-was-was ma-machst du da?“ Florence grinste. „Was ma-ma-ma-machst du da?“, äffte sie mich nach. Jimmy grinste auch. „Aber Jimmy“, sagte ich erschrocken. Das musste ein Missverständnis sein! „Aber Jimmy, wir sind doch ver-ver-ver… Wir sind doch verlobt!“ „Ver-ver-ver…“, äffte mich Florence nach. „Verlobt? Mit dir? Du kannst doch nicht mal richtig sprechen“, sagte Jimmy großspurig. Doch seine Ohren waren knallrot angelaufen, und sein Grinsen war irgendwie schief geraten. Mir kam es vor, als fiele mein ganzes Leben klirrend in Scherben. „Aber Jimmy, es war doch schon alles besproch-besproch…“ „Besproch-besproch…“, echote Florence. „Du Mistkerl“, rief ich, ohne mich weiter um Florence zu kümmern, und rannte einfach hinaus, die Straße hinunter und hinüber zum Marktplatz. „He, Rosie, warte mal!“, schrie Jimmy hinter mir her, aber ich rannte weiter. Jimmy und Florence … Ich konnte einfach nicht glauben, dass Jimmy wirklich eine andere küsste, wo wir zwei doch verlobt waren! Ich biss die Zähne zusammen. Auf gar keinen Fall würde ich mitten auf dem Marktplatz anfangen zu heulen! Schwer atmend blieb ich stehen und ordnete meine Kleider. Dann holte ich tief Luft und machte mich ans Einkaufen. Wie automatisch besorgte ich Gemüse, Tee und alles weitere, das noch auf meiner Liste stand. Auf einmal hörte ich eine vertraute Stimme. „Rosie! Hallo, Rosie, hier bin ich!“ Meine Freundin Helen stand zwischen Katies Gemüsestand und dem großen Käfig mit den Kaninchen von Mr Watts. In der einen Hand hielt sie einen Stapel Flugschriften, mit der anderen winkte sie mir fröhlich zu. Gerade, als ich zu ihr hinüberlaufen wollte, kam von irgendwo aus der Nähe des Feuerholz- und Kohlestands ein Ei auf Helen zugeflogen und traf ihre rechte Hüfte. Ein paar Jungs, die sich bei den nahen Ständen herumdrückten, kicherten triumphierend. Helen zog mit gelassenem Gesichtsausdruck ein Taschentuch hervor, wischte Eigelb von ihrem Kleid – es war das alte Sommerkleid, das sie immer zur Arbeit trug, dazu wie alle Fabrikmädchen Holzpantinen und ein wollenes Umschlagtuch – und verteilte unverdrossen weiter ihre Papiere. Wer Flugblätter für das Frauenstimmrecht verteilte, war an schlimmere Wurfgeschosse gewohnt, das wusste ich. Einmal, hatte Helen mir erzählt, hatte jemand sogar eine tote Taube nach ihr geworfen. Viele Frauen in Lancashire verdienten an den Dampfwebstühlen besser als die Männer, die früher berühmt waren für ihre fachmännische Arbeit an den Handwebstühlen. Doch mittlerweile wurden Handweber kaum noch gebraucht, und in den Fabriken stellte man lieber Frauen ein, die billiger, gehorsamer und mindestens genauso geschickt waren. Und nun noch das Frauenwahlrecht … das war für viele Männer schwer zu verkraften, hatte Helen mir erklärt. Die Jungs stoben kichernd davon, und ich ging zu Helen hinüber und stellte mich neben sie. „Hallo, Helen! Gehst du heute nicht mehr zur Arbeit?“ „Nein, ich hab gestern schon meinen Lohn abgeholt. Ich reise heute ab.“ „Heute schon?“ Mein Herz wurde, wenn überhaupt möglich, noch schwerer. Helen hatte sich schon vor Monaten entschlossen, in London eine Stellung anzutreten. Ich hatte so gehofft, sie würde es sich noch einmal anders überlegen. Ehrlich gesagt – ich hatte es einfach nicht wahrhaben wollen. „Komm mich doch einfach in London besuchen“, schlug Helen vor. „Das ist unmöglich“, sagte ich. „Du weißt doch …“ „Weiß ich“, sagte Helen, „deine Mama braucht dich! Du kümmerst dich sehr um sie, weil sie sich, nun ja, nicht um sich selber kümmern kann.“ Helens Gesichtsausdruck wurde hart. Was meine Mama betraf, waren wir unterschiedlicher Meinung. „Aber …“ Ein fauler Apfel traf sie an der Schulter und hinterließ einen feuchten Fleck, bevor er zu Boden plumpste. Helen seufzte. „Ich glaube, ich habe für heute genug“, sagte sie. „Bist du fertig hier? Ich begleite dich ein Stück. Hier!“ Sie reichte mir eines ihrer Pamphlete. „Das ist zum Thema Frauenwahlrecht! Das interessiert dich doch?“ „Schon“, sagte ich zerstreut und steckte das Papier ein. Wieder stand mir das Bild von Jim und Florence vor Augen. Wie konnten sie nur? Helen sah mich nachdenklich an, dann legte sie mir den Arm um die Schultern. „Was ist los?“, fragte sie weich, und mir stiegen Tränen in die Augen. „Ärger mit Jimmy?“, fragte Helen leise. Ich nickte nur, zu beschämt, um die ganze Geschichte zu berichten. Dann holte ich tief Luft. „Ich muss mich beeilen“, sagte ich ausweichend, „ich hatte heute Morgen schon Ärger mit der Köchin. Wenn ich nicht...