Buch, Deutsch, 537 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 664 g
Buch, Deutsch, 537 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 664 g
ISBN: 978-3-593-38026-1
Verlag: Campus
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort
Einleitung
Herfried Münkler, Matthias Bohlender und Grit Straßenberger
I. Macht und Ohnmacht der Eliten: Historische und politische Perspektiven
Vom gesellschaftlichen Nutzen und Schaden der Eliten
Herfried Münkler
Ratlose Eliten: Politik, Demokratie und Beratung
Birger P. Priddat
Zirkulation der Leitprofessionen und Elitennetzwerke
Politiktsoziologische Thesen zur juristischen Elite im
deutschen Staatsdienst
Karsten Fischer
Prominenz und Prestige
Zur Geschichte einer geistes- und sozialwissenschaftlichen
Öffentlichkeitselite
Rüdiger vom Bruch
Diskurskoalitionen in den Wirtschaftswissenschaften
Ökonomische Deutungseliten in der Schweiz
Susanne Burren und Pascal Jurt
Elitedebatten in der Bundesrepublik
Harald Bluhm und Grit Straßenberger
II. Elitekonsens und Elitenintegration nach dem Korporatismus
Nach dem Korporatismus: Neue Eliten, neue Konflikte
Wolfgang Streeck
Vom Netzwerk zum Markt?
Zur Kontrolle der Managementelite in Deutschland
Jürgen Beyer
Zwischen Politik und Arbeitsmarkt
Zum Wandel gewerkschaftlicher Eliten in Deutschland
Anke Hassel
Lobbyismus als Elitenintegration?
Von Interessenvertretung zu Public Affairs-Strategien
Rudolf Speth
III. Eliten in der Wissens- und Netzwerkgesellschaft
Die "Entzauberung der Eliten": Wissen, Ungleichheit und Kontingenz
Nico Stehr, Christoph Henning und Bernd Weiler
Differenzierungseliten in der "Gesellschaft der Gegenwarten"
Armin Nassehi
Der Fall der Elite
Die "Unterführung" der Gesellschaft
Stephan A. Jansen
Das Willkürhandeln von Persönlichkeiten
Die Integrationsfunktion von Eliten im Übergang zur
Netzwerkgesellschaft
Dirk Baecker
Wissensmärkte und Bildungsstatus
Elitenformation in der Wissensgesellschaft
Frank Nullmeier
IV. Eliten-Bildung zwischen Leistung, Habitus
und Exzellenz
Exzellenz im Kontext gegenwärtiger Bildungsreform
Johannes Bellmann
Hochbegabung oder Langstreckenlauf?
Eliteleistungen aus Sicht der Expertiseforschung
Ralf T. Krampe
Führungskräfte: Vom Privatbeamten zum Wissensarbeiter
Hermann Kotthoff
Corporate Universities im Karrieremanagement von Eliten
Maike Andresen
Vermarktlichung der Elitenrekrutierung?
Das Beispiel der Topmanager
Michael Hartmann
Abschied von den Eliten
Karl Ulrich Mayer
Literaturverzeichnis
Personen- und Sachregister
Autorinnen und Autoren
Einleitung
Herfried Münkler, Matthias Bohlender und Grit Straßenberger
Seit geraumer Zeit ist in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit, in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft von Eliten die Rede - von ihrem vermeintlichen Versagen, ihren Fehlentscheidungen und ihren Versäumnissen. Elitenversagen zu thematisieren und öffentlich zu debattieren ist an sich nicht überraschend. Was in der aktuellen Diskussion überrascht und bemerkenswert erscheint, ist dagegen die Art und Weise, wie dies geschieht. Denn es bleibt nicht einfach bei einer Kritik der Eliten, es wird zugleich die Forderung nach neuen Eliten, nach neuen Ausbildungswegen, neuen schulischen Förderungsinstrumenten, ja nach Elitehochschulen und Eliteuniversitäten laut. Der Ruf nach neuen Eliten für die "Berliner Republik", nach mehr Verantwortung, Leistung, Innovation und Kreativität in den Topetagen der gesellschaftlichen Führungskräfte reiht sich ein in den allgemeinen und allgegenwärtigen Krisen- und Reformdiskurs einer vermeintlich "blockierten Gesellschaft", deren leitendes Personal und deren zentrale Institutionen angesichts der vielbeschworenen Globalisierung nun auf dem Prüfstand stehen. Können neue Eliten die Blockade auflösen? Welche Eliten sollten das sein? Was sind ihre Kompetenzen und Fähigkeiten? Und woher sollen sie kommen?
Es gibt Elitediskussionen, die aus der Grundhaltung von beati possidentes, von "glücklichen Besitzenden" heraus geführt werden: Man ist sich seiner Sache sicher, besitzt Elitenvertrauen und besorgt sich allenfalls um die berühmten Stellschrauben des Elitehandelns und der Elitereproduktion. Verglichen damit hat die in Deutschland seit den 1990er Jahren geführte Diskussion über die vorhandene und die gewünschte Elite des Landes etwas geradezu Hysterisches. Sie ist grundiert von einer Angst des Elitenversagens, das mehr als nur Teilbereiche, sondern die Zukunft des ganzen Landes und seiner Menschen betrifft, wie der Titel des 1992 erschienenen einflussreichen Buches von Peter Glotz, Rita Süßmuth und Konrad Seitz signalisiert: "Die planlosen Eliten. Versäumen die Deutschen ihre Zukunft?". Der Verdacht ökonomischer und kommunikativer Inkompetenz sowie die Sorge um die Leistungsfähigkeit der Universitäten als der wichtigsten Reproduktionsagentur von Eliten machen den Grundtenor dieses Buches aus. Angemahnt wird eine Verbesserung der Elitenqualität, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein.
Daneben gibt es eine kontinuierliche Kritik daran, dass die soziale Zusammensetzung der Eliten in keiner Weise der der Gesellschaft entspricht, sondern der Zugang zu Spitzenpositionen nach wie vor von der sozialen Herkunft abhängig sei. Explizit oder implizit wird hier eine Veränderung der Elitenkomposition eingefordert, die unter dem Stichwort der Gerechtigkeit auf ein Mehr an sozialer Repräsentativität hinauslaufen soll. Und schließlich wird das Elitenethos kritisiert, insofern die Inhaber von Spitzenpositionen in Wirtschaft und Politik mehr an der Erhöhung ihres Einkommens als an den gemeinwohlfördernden Effekten ihres Tuns orientiert seien. Die Altersversorgung der Politiker wie die Jahreseinkommen von Managern waren ein großes Thema, das vor dem Hintergrund von Reformstau und hoher Arbeitslosigkeit verhandelt wurde. Hier wird ein Elitenethos angemahnt, das Spitzenpositionen wieder stärker in die Dimension des Dienstes am Gemeinwesen als der Privilegien für den Positionsinhaber stellt.
Die deutsche Elitendiskussion ist keine der beati possidentes, sondern wird von der Befürchtung bestimmt, dass man nicht hat, was man dringlich haben müsste: leistungsfähige, die soziale Zusammensetzung der Gesellschaft repräsentierende und in ihren Einkommens- und Versorgungserwartungen zurückhaltende Eliten. Das Problem ist, dass man das alles zusammen schwerlich bekommen kann und es in der öffentlichen Diskussion keinen Konsens darüber gibt, welche Anforderungen prioritär und welche nachrangig sind. Diese Unklarheit hat nicht zuletzt mit der Diffusität des in der Öffentlichkeit gebrauchten Elitenbegriffs zu tun. Die in der sozialwissenschaftlichen Literatur unterschiedenen Begriffe von Wert-, Leistungs- und Funktionseliten scheinen in den öffentlich kommunizierten Erwartungen an Eliten zu verschmelzen.
I. Elitenbegriffe und Elitetheorien
Die historisch-semantische Entstehung des Elitebegriffs reicht bis in die Französische Revolution zurück, wo er gegen die Machtansprüche des Geburtsadels auf die bürgerlich-republikanische Legitimität der Ausgewählten und Erwählten (élite, electi) abzielte. Doch eine sozialwissenschaftliche Reflexion und Theoriebildung beginnt erst mit Gaetano Mosca, Vilfredo Pareto und Robert Michels, die das Konzept der Elite vor dem Hintergrund der zweiten großen Industrialisierungs- und Demokratisierungswelle am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickeln. In Abgrenzung zu der marxistischen These vom die Gesellschaft dominierenden Kampf zwischen einer herrschenden und beherrschten Klasse, sehen die Autoren die demokratische Massengesellschaft bestimmt und geführt von Eliten, denen nicht die Beherrschten, sondern Gegeneliten die höchsten Leitungsfunktionen und die Monopolisierung der Macht streitig machen. Die Elite führt die Masse und diese lässt sich von ihnen führen, weil sie zur vielbeschworenen Selbstregierung gar nicht fähig ist. Die Masse ist - wie sich bei Le Bon (1964), dem führenden Massenpsychologen dieser Zeit, nachlesen lässt - eine willenlose, triebhafte, unvernünftige, rohe und barbarische Einheit. Der Kampf findet nicht zwischen Elite und Masse statt, sondern zwischen Eliten und Gegeneliten um die Führung der Masse.
Der Elitebegriff wird somit von Beginn an von einer Doppeldeutigkeit beherrscht, die er bis heute nicht verloren hat: Er ist eine sozialanalytische und eine politisch-polemische Kategorie. Seinem Gebrauch haftet prinzipiell die Unklarheit an, Elite normativ behaupten oder nur assertiv beschreiben zu wollen. Darüber hinaus gilt für die klassischen Elitetheorien, dass in ihnen der Elitebegriff noch kaum differenziert genug verwendet wird, um unterschiedliche Typen von Eliten (Wert-, Leistungs-, Funktions- oder Machteliten) zu unterscheiden. Die Elite einer Gesellschaft monopolisiert in allen Bereichen (Kultur, Wirtschaft, Politik, Religion, Militär) die Machtpositionen. Ein drittes und letztes Charakeristikum des von den Klassikern gebrauchten Begriffs ist seine normative Indifferenz gegenüber jeder spezifischen Regierungsform. Es geht darum, wie es in Moscas vielzitierter Passage heißt, "den Herrschenden den Lebensunterhalt und die Mittel der Staatsführung zu liefern" und dies kann gesetzlich, willkürlich oder gewaltsam erfolgen.
Wurde der Elitebegriff in seiner Frühphase als politischer Kampfbegriff zur Delegitimation der Adelsherrschaft verstanden, so sollte er nun in den Augen der klasssischen Elitetheoretiker zu einem wissenschaftlichen Grundbegriff jeder Staats- und Regierungssform avancieren. Infolgedessen steht die im Grunde erst nach dem Zweiten Weltkrieg so notorisch werdende Problematik von Elite und/oder Demokratie noch kaum im Zentrum ihrer Überlegungen. Erst mit dem demokratischen Konsens der westlichen Gesellschaften, d. h. der Einsicht ihrer Eliten in die Unhintergehbarkeit der demokratischen Regierungsform, wird der Elitebegriff auf ein neues Reflexions- und Problematisierungsniveau gehoben. Von nun an geht es um die folgenden Fragen: Sind Eliten für die Demokratie erträglich und können Eliten die Demokratie ertragen? Wie sind demokratische Eliten möglich?
Mit diesen Fragen einer funktionalistischen bzw. pluralistischen Elitentheorie fassen Autoren von Schumpeter bis Bürklin das Konzept der Elite nicht neu, aber sie sind gezwungen, es vor dem Hintergrund des schon erwähnten demokratisch etablierten Konsenses nach dem Zweiten Weltkrieg zu modifizieren. Schumpeters Überlegungen in seinem Buch "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" sind hier insofern von zentraler Bedeutung als er damit die argumentative Brücke zwischen "Elite" und "Demokratie" herstellt. Die Demokratie wird nicht als (volks-)souveräne Regierungsform einer Gesellschaft begriffen, sondern als ein - genauer das beste - Verfahren zur wettbewerblichen Auslese der Eliten, die die Gesellschaft führen. Eine auf diese Weise funktionierende Demokratie garantiert, dass immer die besten leader ausgewählt werden und die beste Elite am Besten regiert. Damit ist nicht nur die Verträglichkeit von Elite und Demokratie, sondern mehr noch die Wünschbarkeit und der Nutzen einer Elite für die Demokratie gegeben.
Die Abkehr von der normativen Indifferenz der Klassiker gegenüber der Demokratie wird insbesondere von solchen Autoren wie Urs Jaeggi, Hans Peter Dreitzel, Ralf Dahrendorf und Wolfgang Zapf fundiert, die in den 1960er Jahren die Elitetheorie und den Elitebegriff in Deutschland erneut bearbeiten. Davor hatte allerdings schon Otto Stammer das "Elitenproblem in der Demokratie" thematisiert und sich explizit gegen die "antidemokratische Tendenz" bei Mosca und Pareto gewendet. Mehr noch als dies besteht die Leistung dieser Gruppe von Autoren jedoch ohne Zweifel darin, den Elitebegriff der Klassiker differenziert und pluralisiert zu haben. Von zentraler Bedeutung ist hier vor allem die Studie von Dreitzel, in deren Titel "Elitebegriff und Sozialstruktur" deutlich wird, das hier Elitetheorie mit moderner Gesellschaftsanalyse verknüpft wird. Das zentrale Kriterium von Eliten in einer modernen, demokratischen Industriegesellschaft sei nicht mehr die Monopolisierung der Macht, sondern ein nach fachlicher Leistung ausgewähltes Spezialistentum, also: eine nach Leistungsqualifikation prämierte Funktionselite, die sich entsprechend den gesellschaftlich relevanten Bereichen und Gebieten vervielfältigt habe. Konnte man bei Schumpeter beobachten, wie aus der Demokratie als "Volksherrschaft" eine wettbewerbliche "Elite-Demokratie" wurde, so verwandelt sich nun die industrielle "Klassen- oder Massengesellschaft" in eine im Idealfall plurale "Elitengesellschaft", in der alle Elitepositionen nach Leistung vergeben werden und diese allen Bürgern prinzipiell offen stehen (Dreitzel 1962: 72f.).
II. Probleme der Elitenforschung
Trotz der Versöhnung von Elite und Demokratie bzw. Elite und Sozialstruktur in den funktionalistisch-pluralistischen Elitetheorien bleiben zwei zentrale Probleme, die auch im Zentrum des vorliegenden Bandes stehen, weiterhin virulent. Schon Dreitzel hatte darauf hin gewiesen, dass die Elitenselektion und -rekrutierung allein nach dem Leistungsprinzip nicht ganz ausreiche. Der Erfolg müsse hinzutreten und dieser beruhe nicht durchweg auf funktional erbrachter Sachleistung. Mit dem scheinbar objektiven Kriterium der Leistungsauswahl kollidiert aber nicht nur das Erfolgsprinzip, sondern es stellt sich auch die Frage nach der allgemeinen Leistungsdefinition, d.h. der Objektivierung, Bestimmung und Messung von Leistungen (vgl. Hartmann 2002; Neckel/Dröge 2002; Pfadenhauer 2003). Ein weiteres Problem ergibt sich aus der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, der Vervielfältigung jener Aufgaben und Bereiche, die von den pluralistischen Funktionseliten primär bearbeitet werden. Dabei kommt es zu Effekten der Desintegration der Eliten untereinander und zu Abschottungs- und Schließungstendenzen gegenüber der Gesellschaft. Sowohl die vertikale als auch die horizontale Elitenintegration scheint gefährdet und prekär (Hoffmann-Lange 1992; Bürklin u.a. 1997; Kaina 2002).
Eliten zwischen Integration und Konflikt
Betrachtet man die Geschichte des bundesdeutschen Elitediskurses, so spielt das Problem der Elitenintegration nicht erst heute eine bedeutende Rolle. Ausgehend von einer konfliktsoziologischen Gesellschaftsanalyse hatte schon Dahrendorf in den 1960er Jahren darauf hingewiesen, dass in der Bundesrepublik von einer einheitlichen "deutschen Oberschicht" oder "Elite" keine Rede mehr sein kann. Statt dessen habe man es mit untereinander konkurrierenden Führungsgruppen, mit funktionalen Teileliten zu tun, die als Träger der großen institutionellen Ordnungen (Wirtschaft, Politik, Erziehung, Religion, Recht, Militär, Kultur) fungieren. Die plurale Streuung der Elitepositionen in den gesellschaftlichen Systemen und Subsystemen sollte in Abgrenzung zu den klassischen Elitetheorien den Realitäten und Gegebenheiten in einer modernen, funktional differenzierten Gesellschaften Rechnung tragen. Die Botschaft lautete: Ein einheitlicher Machtblock, eine kohärente "herrschende Klasse" werde es in Zukunft nicht mehr geben.
Diese von Dahrendorf und später von seinem Schüler Wolfgang Zapf favorisierte liberale Deutung der Elitenproblematik war für die bundesrepublikanische Öffentlichkeit ein zwiespältige Nachricht: Zum einen schien die Gesellschaftsstruktur einer antidemokratischen, ja totalitären Machtkonzentration der Eliten entgegen zu wirken. Zum anderen jedoch war - ganz im Sinne der "Theorie demokratischer Elitenherrschaft" (vgl. Bachrach 1970) - zu befürchten, dass ohne eine relativ kohärente, einheitliche Elite der Garant für die freiheitliche Ordnung der Gesellschaft abhanden kommen könne. Eine gespaltene, dissoziierte und desintegrierte Elite könnte möglicherweise eine ebensolche Gefahr darstellen wie die Machtkonzentration der Eliten selbst.
Von nun an wurde das Thema Elitenintegration im begrifflichen Dreieck von Konsens, Macht und Konflikt weiter ausgearbeitet. Die große umfragegestützte westdeutsche Eliteforschung von den späten 1960er Jahren bis zur Potsdamer Elitestudie von 1995 war ganz der Fragestellung gewidmet, ob sich auch aus starker sektoraler Differenzierung, sozialer Heterogenität der Herkunft und beruflicher Spezialisierung eine konsensuell geeinte oder doch relativ kohärente Elitenfiguration entwickeln könne. Gleichzeitig wurde der Begriff der Elitenintegration präzisiert und erweitert (vgl. Hoffmann-Lange 1992). Elitenintegration sollte nicht mehr quantitativ bestimmt, sondern zunächst kategorial in eine vertikale und eine horizontale Achse unterschieden werden. In horizontaler Perspektive werden die verschiedenen Formen und das Ausmaß der Kooperation innerhalb und zwischen Teileliten betrachtet. Für die Intra- und Interelitenintegration sind neben den institutionellen Rahmenbedingungen Rekrutierungsmuster, Karrierewege sowie ideologische Dispositionen und Wertorientierungen der Eliten relevant. Die vertikale Perspektive hingegen thematisiert die Integration von Eliten in die strukturierte Gesellschaft der Nicht-Eliten oder genauer: das Verhältnis der Eliten zu ihren "Muttergruppen" in der Bevölkerung (Bürklin 1997: 13). Hier geht es um Fragen des Elitevertrauens, der Responsivität und Legitimität (vgl. Kaina 2002). Beide Integrationsformen sind miteinander verknüpft, aber nicht gleichermaßen steigerbar, da sie gegenläufigen Imperativen folgen. Eine zu hohe vertikale Integration gefährdet die Elitenkooperation, eine intensive horizontale Integration führt zu Abschottung und Delegitimation.
Im Hinblick auf die grundsätzliche Unterscheidung zwischen kompetitiven und konsensuellen Demokratie- und Gesellschaftsformen repräsentierte Deutschland lange Zeit das konsensuelle Modell mit relativ fest gefügten Funktionseliten und institutionalisierten Kooperationsformen. Bis in die 1990er Jahre hinein schien sich die Eliteforschung sicher, dass der spezifisch deutsche Wohlfahrtskorporatismus mit Verhandlungsdemokratie und koordiniertem Kapitalismus auch von einem ausbalancierten Verhältnis horizontaler und vertikaler Elitenintegration getragen wurde. Allerdings ist dieses Modell seit einigen Jahren unter Druck geraten und es zeichnen sich inzwischen Übergänge zu anderen Formen ab, die auch und in besonderer Weise die Integration von Eliten auf beiden Achsen betrifft. Erwin Scheuch spricht hier von der Auflösung des alten korporatistischen Elitenkartells und der möglichen Entstehung eines "inneren Zirkels der Eliten [.], der ein Geflecht von Großunternehmern, Spitzenpolitikern, politischen Beamten und einigen Gewerkschaftlern sein würde" (Scheuch 2003: 172). Scheuchs Diagnose zielt auf eine der wichtigsten Veränderungen in der sozioökonomischen Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland: die seit den 1990er Jahren einsetzende "Abwicklung der Deutschland AG", deren Folgen für die Elitenintegration kaum zu überschätzen sind.
Mit dem Abschied vom "Modell Deutschland" und der damit verbundenen Auflösung des (neo)korporatistisch geprägten Systems der Interessenvermittlung in und zwischen Wirtschaft, Politik, Gewerkschaften und Verwaltung kommt es auch zu Desintegrationsprozessen auf Seiten der jeweiligen Eliten. Während die Unternehmens- und Managementelite der Großunternehmen von der Umstellung auf einen internationalisierten marktmeritokratischen Shareholder-Value-Kapitalismus profitiert, sinkt darin der Handlungsspielraum und die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften. Wie die gescheiterten Bündnisse für Arbeit unter den Kanzlern Kohl (1995/96) und Schröder (2003) zeigen, sind diese (neo-)korporatistischen Arrangements längst an ein Ende gekommen. Das hat vielfältige Implikationen: Die hohe Regulierung und Institutionalisierung der Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren wird unterlaufen. Damit gehen eine abnehmende Relevanz von Positionseliten und ein Funktionswandel der Interessenorganisationen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern einher. Beide verlieren zunehmend ihren Status als staatlich lizenzierte, quasi monopolistische Akteure. Auch die politische Elite ist von den institutionellen Entflechtungen zwischen Organisationen und Parteien betroffen (vgl. Trampusch 2004). Interessenvertretung wird nicht mehr allein den Verbänden, sondern zunehmend spezifischen Lobbyagenturen, Interessenunternehmern und Anwalts- bzw. Beratungsfirmen überlassen. Neue Kommunikations- und Vermittlungsdienstleister zwischen Politik, Wirtschaft und Verwaltung treten auf und füllen die Lücken, die der sich auflösende Korporatismus hinterlassen hat.
Gerade der letzte Punkt macht deutlich, dass Desintegrations- und Entflechtungsprozesse zwar einerseits das Konfliktpotential zwischen den Eliten erheblich erhöhen können, dass aber andererseits neue Verhandlungsarenen entstehen, in welchen neue Eliten, deren Status und Integrationsfunktion jedoch bislang noch offen ist, auftreten.
Rückkehr der Generalisten: Werte, Leistung, Führung
Der in der sozialwissenschaftlichen Literatur seit den 1960er Jahren dominante Funktionselitenansatz operiert mit einem formalen, wertneutralen Leistungsbegriff, der auf den Zugang zu Elitepositionen über Qualifikation (Bildungsabschlüsse) und beruflichen Erfolg (Alter bei der Besetzung von Führungspositionen) abhebt. Dabei werden qualitative Fragen wie die nach der kompetenten Realisierung von Positionen weitgehend ausgeblendet ebenso wie Werthaltungen und Vorbildfunktion von Eliten. Die Vorteile dieser Formalisierung und Entnormativierung liegen auf der Hand: Die schwierige Frage nach Beurteilung und Messung von Eliteleistungen wird umgangen und die von Beginn an umstrittene Suche nach integrativen Werthaltungen in pluralistischen und hochindividualisierten Gesellschaften in der Figur des tüchtigen Experten aufgelöst.
Ein wesentlicher Grund dafür, dass diese Vorteile nunmehr als Defizite wahrgenommen werden, liegt nicht zuletzt in den nicht-intendierten Effekten der letzten großen Bildungsreform. Die Öffnung der Universitäten und Hochschulen in den 1970er Jahren hat nicht nur zu einer Akademisierung der Eliten in allen Funktionsbereichen geführt und die Vorstellung einer Elitenselektion qua Leistung bzw. Bildungszertifikaten befördert, sondern zugleich eine sich in den 90er Jahren dramatisch zuspitzende Entwertung von Bildungstiteln evoziert. Zwar erscheint Bildung mehr denn je als ausschlaggebende Ressource, den sich verschärfenden Wettbewerb um Erfolgschancen auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu meistern, aber das Universitätsdiplom ist dafür immer weniger eine Garantie. Auch darauf verweist der aktuelle öffentliche Elitendiskurs. Der Vorwurf an die Eliten lautet ja nicht, dass sie ungebildet seien, sondern dass sie nicht die Leistungen erbringen, die sie als herausgehobene und mit Verantwortung ausgestattete Positionsinhaber erbringen sollten. Die deutschen Funktionseliten besitzen zwar höhere Bildungsabschlüsse, aber dies gilt nicht mehr (allein) als Ausweis von Leistungsfähigkeit.
Was der entnormativierte und formale Funktionselitenansatz so erfolgreich suspendiert hatte, kehrt nunmehr in Gestalt der Elitenkritik wieder. Dabei ist nicht nur von unzureichender Leistungsfähigkeit der Eliten bzw. Erfolglosigkeit in der Realisierung ihrer Positionen die Rede. Es werden zudem Führungsschwäche bzw. Strategielosigkeit sowie damit verbunden individualistische Werthaltungen und fehlende Vorbildfunktion der bundesdeutschen Eliten moniert. Auf die Bühne der öffentlichen Aufmerksamkeit tritt die Rhetorik einer mit Führungs- und Sozialkompetenz ausgestatteten Leistungselite.
Dieses im öffentlichen Diskurs virulente Elitenverständnis hat mit der klassischen Theorie weit mehr gemein als mit dem pluralistischen Funktionsansatz. Seine zentralen Kennzeichen sind Führung, Werte und Performanz. Ein solches Verständnis von Leistungseliten als einer spezifischen Variante von Werteliten wird innerhalb der Soziologie, Bildungsforschung und Psychologie unter dem Titel "Kompetenz" bzw. "Exzellenz" diskutiert, wobei die Bündelung von häufig geradezu gegensätzlichen Kompetenzen als Ausweis von Exzellenz gilt (vgl. Henschel 2001; Zimmerli 2001). Die Liste attraktiver Kompetenzen changiert zwischen Demut und Ehrgeiz, Durchsetzungsvermögen und Teamfähigkeit, Kreativität und Routine, organisatorischer Strategiefähigkeit und Medienkompetenz. Insbesondere die vehemente Betonung von performativen, argumentativen, Überzeugung generierenden sowie agonalen Fähigkeiten verweist auf veränderte Leistungs- und Kompetenzprofile von Eliten innerhalb der modernen Mediendemokratie.
Über die Verknüpfung mit Kompetenzen kann zwar einer naiven meritokratischen Identifikation von Leistung mit Erfolg entgangen werden, gleichwohl erscheint Kompetenz etwas unscharf als generalistische Fähigkeit, abhängig vom Handlungskontext mit divergierenden Anforderungen umgehen zu können und Rollenkonflikte zu vermeiden. Die Professionssoziologie thematisiert diesen Zusammenhang auch als "adressatenbezogene Leistungsinszenierung". Danach ist der Bestand von Professionen maßgeblich daran gebunden, sich auf dem "leistungsbezogenen ›Erwartungsmarkt‹ zu bewegen". Eine der zentralen Kompetenzen besteht darin, "mehrfach- bzw. vielfach-adressierte Darstellungen geben zu können, die jeweils überzeugen und nicht in Widerspruch zueinander geraten" (Pfadenhauer 2003: 87).
Der Werte, Leistung und Führung integrierende Kompetenzdiskurs verweist auf zwei entscheidende Aspekte, die bei der Bewertung von Eliteleistungen beachtet werden müssen und in der klassischen Theorie kaum thematisiert wurden: Zum einen ist mit Leistungen von Eliten stets mehr angesprochen als die bloße Realisierung von Funktionen, nämlich die Ausdeutung als Rollen, mit denen Kompetenzen, Wertorientierungen und oft auch ein Ethos verbunden sind. Zudem können jenseits substantialistischer Annahmen Leistungen von Eliten als in Kommunikationsprozessen definierte, wechselseitige Zuschreibungen von Verantwortung seitens verschiedener sektoraler Eliten und Nicht-Eliten begriffen werden, in denen die Kriterien für Leistungsbewertung wie etwa Kompetenz und Exzellenz, aber auch Prominenz und Prestige deutlich werden. Damit aber variiert das, was jeweils unter Eliteleistungen gefasst wird, sachlich und zeitlich. Eliten werden danach beurteilt, wie sie ihre speziellen Aufgaben bzw. Funktionen wahrnehmen, und danach, ob es ihnen gelingt, ihr Handeln für Bezugsgruppen und Organisationen in unterschiedlichen Kontexten plausibel zu vertreten. Eine derartige Verbindung des Funktions- und Leistungselitenkonzeptes, wie sie der Kompetenzdiskurs nahelegt, hebt verstärkt auf die diskursive Konstruktion und Formation von Eliten ab. Auf diese Weise geraten dynamische Prozesse der Bedeutungsverschiebung von Elitepositionen und die sich im historischen Verlauf verändernde gesellschaftliche Wertschätzung von Elitenleistungen in die öffentliche, medial geformte Aufmerksamkeit.
Betrachtet man die beiden Problemkomplexe, so lässt sich zwischen den Desintegrationseffekten des deutschen Korporatismus und der Wiederkehr eines auf Werte, Leistung und Führung ausgerichteten Kompetenzdiskurses ein Zusammenhang herstellen. Die Geschichte der "Deutschland AG" kann als ein spezifischer Elitenkonsens beschrieben werden, in welchem Führung, Verantwortung und Leistung übergreifend und doch arbeitsteilig organisiert und institutionalisiert waren. Die Eliten der sozialen Marktwirtschaft standen für Performanz, für Wirtschaftswachstum und ökonomische Leistung, die Eliten des Staates und der Volksparteien sowie die Gewerkschaften und Verbände für Führung und soziale Verantwortung. Mit der Aufkündigung des Elitekonsenses werden plötzlich Leistung gegen soziale Verantwortung ausgespielt und politische Führungsfähigkeit in Zweifel gezogen. Zugleich signalisiert der öffentliche Kompetenzdiskurs die Gültigkeit dieser drei Attribute für Elitenhandeln allgemein, wobei unklar bleibt, ob es sich hierbei um eine personelle oder instutionelle Zuschreibung handelt. Nicht selten werden dabei geradezu gegensätzliche Erwartungen an die Kompetenzprofile von Eliten gestellt, die schwer einzulösen sind. Die Frage ist, ob und wie Eliten Kompetenzlücken über den Zugriff auf externe Ressourcen wie Beratungs- und Vermittlungsleistungen oder mediale Aufmerksamkeit kompensieren können.
Aus unterschiedlichen Perspektiven - der Bildungsforschung, der Soziologie, der Psychologie, der Politikwissenschaft sowie der Ökonomie und Historiographie - will dieser Band zur Klärung der oben skizzierten Problemfelder beitragen. Während im ersten Teil in einer eher historischen Perspektive das Problem der Elitenintegration und der Leistungszuschreibung verhandelt wird, widmet sich der zweite Teil konkret der Auflösung des bundesdeutschen Elitekonsenses und seiner möglichen Konsequenzen. Im dritten Teil stehen sozialtheoretische Analysen von Desintegrationsprozessen in einer Wissens- und Netzwerkgesellschaft zur Debatte, während im letzten Teil der Fokus stärker auf die strukturellen Bedingungen und subjektiven Voraussetzungen von Elitenleistungen gerichtet ist.
Obwohl der Band unterschiedliche Untersuchungsansätze und Wissenschaftsdisziplinen vereint, bleiben dennoch eine Reihe wichtiger Dimensionen der Elitenforschung unberücksichtigt. Dazu gehört die sozialstrukturelle Analyse von Eliten und ihren gesellschaftlichen, milieu- und schichtspezifischen Bezugsgruppen. Darüber hinaus konnte die für gegenwärtiges Elitenhandeln bereits zentrale Kontextbedingung, nämlich Europäisierung und Globalisierung, nicht angemessen berüchsichtigt werden. Die Aufmerksamkeit der in diesem Band versammelten Autoren gilt weniger der Formierung europäischer Eliten oder transnationaler Akteure, sondern vorrangig dem Gestaltwandel der bundesdeutschen Eliten, wobei die Transformation westlicher Industriegesellschaften zu Wissens- und Netzwerkgesellschaften ein Schwerpunkt dieses Bandes bildet.
So versteht sich der vorliegende Band als ein Forum für die interdisziplinäre Auseinandersetzung um die Rolle und den Status der Eliten in den aktuellen sozioökonomischen und kulturellen Veränderungen. Zudem möchte der Band zu einer kontinuierlichen und sachlich wie disziplinär umfassenderen Erforschung der Eliten - wie es sie in anderen europäischen Ländern seit langem gibt - anregen.