E-Book, Deutsch, Band 3, 320 Seiten
Reihe: Team Oslo ermittelt
Naess Schuld
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8412-3412-4
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 3, 320 Seiten
Reihe: Team Oslo ermittelt
ISBN: 978-3-8412-3412-4
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Zeit heilt keine Sünden.Für den Mord an ihrer Mutter und ihrem Stiefvater saß Helene Waaler achtzehn Jahre lang im Gefängnis. Dann wird Kriminalkommissar Harinder Singh beauftragt, dem alten Fall nachzugehen, und ihm fallen Ungereimtheiten auf. Als Helenes leiblicher Vater Stig kurz nach ihrer Entlassung tot in seinem Haus aufgefunden wird, scheint sicher: Helene hat wieder zugeschlagen. Nur Harinder und Christina glauben an ihre Unschuld - und geraten damit ins Visier eines Mannes, der sich wie ein Schatten durch Elvestad bewegt ...'In Sachen Schreibtalent steht Næss dem norwegischen King of Crime Jo Nesbø in nichts nach. 'Schuld' hält die Leser:innen bis zur letzten Seite in Atem.' VG.
Sven Petter Næss, 1973 geboren, wuchs in Oslo auf. Er arbeitet mit Informations- und Kommunikationstechnologien für verschiedene Institutionen im universitären Sektor. Seit 2019 schreibt er erfolgreich Kriminalromane. Sein Roman »Furcht« erhielt 2020 die Auszeichnung für den besten Krimi Norwegens. Im Aufbau Taschenbuch liegen seine Kriminalromane »Glut« und »Furcht« vor.
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Kapitel 8
Auf den ersten Blick war alles wie erwartet. Harinder fand, dass die Ermittlung vielleicht ein wenig eingleisig verlaufen war, was zweifellos einen von Christinas Kritikpunkten ausmachte. Doch die technischen Beweise, die Helene Waaler zu Fall gebracht hatten, waren überzeugend. Erstens: Sie konnte zum Zeitpunkt des Mordes mit dem Tatort in Verbindung gebracht werden. Nach dem Konzert in Oslo war sie mit der Band zurückgefahren und hatte geplant, bei ihrem Liebhaber Niels Lund in Elverum zu übernachten. Ein hitziger Streit im Wagen zwischen Helene und ihm führte jedoch dazu, dass sie darauf bestand, nach Hause gefahren zu werden. Nur der Drummer verließ in Elverum das Auto, während die anderen weiter zum Hof Strømnes fuhren. Lasse Opheim, der Bassist, fuhr den Wagen und war als Einziger von ihnen nüchtern. Er und Niels Lund behaupteten später, dass sie kurz nach ein Uhr in der Nacht in Strømnes angekommen seien und Helene an der Einfahrt abgesetzt hätten. Einige Zeit vor den Morden. Helene erzählte eine völlig andere Geschichte. Sie sagte, der Streit mit Niels sei nach dem Zwischenstopp in Elverum weitergegangen, und dass Lasse am Ende so gereizt gewesen sei, dass er angehalten und sie aus dem Wagen geworfen habe. Er habe ihr den Gitarrenkasten hinterhergeworfen und sie nur mit einer dünnen Jacke bekleidet am Straßenrand stehenlassen. Auf hohen Absätzen musste sie fünf Kilometer gehen, um nach Hause zu kommen. Als sie gefragt wurde, warum die anderen die Unwahrheit sagten, meinte sie, sie täten es, um davon abzulenken, dass sie ohne Helene weiter nach Strømnes gefahren waren, um einen Beutel Speed »abzuholen«, den sie und Niels auf dem Hof versteckt hatten. Die sich widersprechenden Erklärungen konnten in der Zeitleiste einen Unterschied von fast einer Stunde ausmachen und waren demnach am ehesten dazu geeignet, Helene ein Alibi zu verschaffen. Doch es stand Aussage gegen Aussage. Zweitens: Unter ihren Schuhen hatte sie Blut, das von Jonas Strømnes stammte. Es konnte nachgewiesen werden, dass sie sowohl oben als auch unten im Haus herumgegangen war und zusammen mit den Schuhabdrücken mikroskopische Blutspuren hinterlassen hatte. Helene hatte dies nicht bestritten. Sie gab an, in Panik geraten zu sein, als sie erst ihren Stiefvater und dann ihre Mutter tot aufgefunden habe. Sie sei in ihr Zimmer gegangen und habe in aller Eile ein paar Sachen in einen Rucksack gestopft, ehe sie weggerannt war. Harinder nahm zur Kenntnis, dass die Techniker in beiden Stockwerken verschiedene Fußabdrücke gefunden hatten, von denen sich einige nicht identifizieren ließen. Diese Abdrücke konnten jedoch zeitlich nicht zugeordnet werden und waren nicht mit den Blutspuren verknüpft. Sie konnten von Besuchern stammen, wie etwa Freunden oder Handwerkern. Drittens: Ihre Fingerabdrücke waren auf der Mordwaffe. Die Waffe stammte aus dem Waffenschrank in Jonas’ Arbeitszimmer. Helene erklärte, dass sie in der Vergangenheit mehrmals mit dem Gewehr auf Jagd gegangen sei. Die Fingerabdrücke mussten also von früher stammen. Harinder rümpfte voller Skepsis die Nase, registrierte aber, dass weder an ihren Händen noch an ihrer Kleidung Rückstände vom Mündungsfeuer gefunden worden waren. Keine Schmauchspuren also. Doch diese hätten auch leicht abgewaschen werden können. Viertens: Es war ein T-Shirt mit Blut gefunden worden, das Helene versucht hatte loszuwerden, indem sie es in eine Mülltonne abseits des Hofs warf. Es handelte sich um Blut von beiden Opfern. Es waren keine Blutspritzer zu sehen, sondern es schien, als habe der oder die Betreffende das Blut mit den Händen über das Kleidungsstück verteilt. Helene behauptete, dass ihr das T-Shirt untergeschoben worden sein musste. Sie gab zu, dass das schwarze Motörhead-Shirt ihr gehörte, doch sie stritt ab, es an jenem Abend getragen zu haben. Und in die Mülltonne habe sie auch nichts geworfen. Harinder stöhnte laut auf. Fast jedem Ermittler wurde früher oder später einmal vorgeworfen, einem Verdächtigen ein Stoffstück, eine Waffe oder andere Beweise untergejubelt zu haben. Doch so etwas kam nicht vor. Die Behauptung wurde ausschließlich von Menschen vorgebracht, die mit heruntergelassener Hose ertappt worden waren, und alle im Rechtssystem wussten das. Schon an diesem Punkt war Harinder kurz davor, die Mappen wegzulegen, Christina eine SMS zu schicken und ihr viel Glück beim nächsten Versuch zu wünschen. Mindestens drei große Löcher? Er hatte schon erlebt, dass Urteile aufgrund einer dünneren Beweislage als dieser ergangen waren. Außerdem war er der Ansicht, dass es den Ermittlern durchaus gelungen war, das Motiv hinter den Morden herauszuarbeiten. Helenes Konflikt mit den Eltern, insbesondere mit dem Stiefvater, war nachweislich dokumentiert. Was sie in jener Nacht getriggert hatte, schienen die Pillen gewesen zu sein, die Helene selbst erwähnt hatte. Sie und ihr Freund hatten unter einem Dielenbrett in der Gesindestube ein kleines Lager mit Speed eingerichtet. Für den Wiederverkauf und zum eigenen Gebrauch. Zwei Tage vor den Morden hatte Jonas Strømnes das Lager gefunden und beschlagnahmt. Britt Strømnes hatte das Ereignis in ihrem Tagebuch erwähnt, in das sie jeden Abend schrieb. Ihren Mann hatte sie überredet, nicht die Polizei zu verständigen, worauf er sich trotz großer Bedenken eingelassen hatte. Allerdings hatte er die Pillen in seinem Büro im ersten Stock in den Safe geschlossen. Britt hatte in dem Tagebucheintrag ihren Sorgen und ihren Ängsten in Bezug auf die Tochter Ausdruck verliehen. Als Helene festgenommen wurde, hatte man einen Beutel mit Pillen in ihrer Jackentasche gefunden. Sie musste ihn aus dem Safe ihres Stiefvaters genommen haben. Dies war ein wesentlicher Punkt. Denn er bedeutete, dass sie – selbst wenn sie ansonsten die Wahrheit sagte – nach Hause gekommen war und ihre Familie tot aufgefunden hatte, ohne die Polizei zu verständigen. Stattessen hatte sie die Pillen an sich genommen, ein paar Sachen zum Anziehen eingesteckt und war abgehauen. Helene behauptete, in Panik gehandelt zu haben. Dass der Schock und der nachlassende Rausch dazu geführt hätten, dass sie nicht klar denken konnte. Sie hätte Angst gehabt und wollte nur fortkommen. Allerdings hatte dies am Ausgang des Verfahrens nichts geändert. Spiel, Satz und Sieg für die Anklage. Die Maus schien gründliche Arbeit geleistet zu haben. Harinder fand zwar die sogenannten Löcher, hielt sie aber dennoch eher für Schönheitsflecken. Fragen, auf die vielleicht keine völlig zufriedenstellende Antwort erfolgt war. Doch kein Fall war perfekt, wenn man ihn im Nachhinein betrachtete. Nachdem Harinder das Material mehrere Stunden lang angestarrt hatte, war er hungrig und erschöpft und legte die Unterlagen weg. Das eigenartige Gefühl überkam ihn erst, als er die beiden Brötchen bestrich, die Savi in der Frühstückstüte zurückgelassen hatte. Ein Surren im Hinterkopf. Ein Warnsignal, dass es dort eine Verbindung gab, die er übersehen hatte. Ein wesentliches Detail. Er versuchte nachzudenken. Dann wurde es ihm klar. Er trat in den Flur und blickte auf den großen Stapel mit alten Zeitungen, der auf dem Fußboden lag. Die Zeitung, die ihn interessierte, war die VG-Ausgabe vom letzten Samstag. Er zog sie aus dem Stapel und nahm sie mit zum Wohnzimmertisch, wo er zu dem Artikel vorblätterte, an den er gedacht hatte. Über zwei Seiten hinweg berichtete der ehemalige Drummer Even Bakken vom letzten Konzert der Band Death of Utopia auf einer Rock-Bühne in der Mariboes gate in Oslo. Ein Auftritt, der sowohl im Hinblick auf die Vorführung selbst als auch auf die Größe des Publikums nicht ganz den Erwartungen entsprochen hatte. Er erzählte von schlechter Stimmung und Streitereien im Wagen auf dem Weg nach Hause, insbesondere zwischen dem Liebespaar Helene und Niels. Einige Stunden später war die Familie Strømnes tot. Das alles war interessant, doch Harinder lag in erster Linie etwas an den Fotos. Zwei von ihnen waren mit dem Vermerk »Privatfoto« versehen und waren...