E-Book, Deutsch, 386 Seiten
Nitschke / Wefers / Jockusch Mobile Zahnmedizin
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-86867-654-9
Verlag: Quintessenz
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Die aufsuchende Betreuung
E-Book, Deutsch, 386 Seiten
ISBN: 978-3-86867-654-9
Verlag: Quintessenz
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Die Mundgesundheit von Senioren hält aufgrund der Heterogenität dieser Patientengruppe viele Facetten für die Zahnärzteschaft und deren Teams bereit. Die zahnärztliche Behandlung wandelt sich mit zunehmender Gebrechlichkeit in eine zahnmedizinische Betreuung – eine Herausforderung, da die Ziele und damit die Behandlungskonzepte überdacht werden sollten, aber auch eine Chance, ein auf die Patientinnen und Patienten zugehendes und aufsuchendes Praxissegment variabel zu etablieren.
Seniorenzahnmedizinerinnen und -mediziner mit unterschiedlichen Versorgungskonzepten berichten immer wieder, dass es sehr zufriedenstellend ist, die älteren Menschen wertschätzend zu behandeln. Das Buch soll Mut machen sowie Wege aufzeigen, wie eine aufsuchende Betreuung am besten zu starten ist und wie diese neue Struktur, in dem Praxisalltag integriert, wachsen kann.
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Inhalt
Teil 1. Senioren und Mundgesundheit
Teil 2. Pflege im zahnmedizinischen Kontext
Teil 3. Erkrankungen im Alter und deren Einfluss auf die zahnmedizinische Versorgung
Teil 4. Aus dem Umfeld der zugehenden und aufsuchenden Betreuung
Teil 5. Konzepte zur aufsuchenden Betreuung
Teil 6. Rechtliche Grundlagen
Teil 7. Weiterführende Informationen zur Seniorenzahnmedizin
Ina Nitschke, A. Rainer Jordan, Siri Nitschke, Julia Jockusch
Zur Mundgesundheit von Senioren in Deutschland
Die Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V) bezog bei der Gruppe der älteren Senioren (75–100 Jahre) entsprechend auch Menschen mit Pflegebedarf ein. Die Daten basieren auf 1.133 älteren Senioren, wovon 256 Menschen mit Pflegebedarf waren (Nitschke und Micheelis 2016). Das Inanspruchnahmeverhalten im Zusammenhang mit dem Vorhandensein einer Pflegestufe – während der Erhebungszeit (2014) im Rahmen der DMS V gab es noch die Pflegestufen, die später von den Pflegegraden abgelöst wurden – zeigte große Unterschiede: Mehr als zwei Drittel (68,2 %) der nichtpflegebedürftigen älteren Senioren gaben an, den Zahnarzt kontrollorientiert und regelmäßig in Anspruch zu nehmen. Bei Vorliegen einer Pflegestufe kehrte sich dieses Verhalten um: 61,2 % suchten den Zahnarzt nur beschwerdeorientiert auf; regelmäßige und kontrollorientierte Zahnarzttermine wurden nur noch von 38,8 % aller älteren Senioren mit Pflegebedarf wahrgenommen (Tab. 1). 90,2 % der älteren Probanden waren ohne eine Pflegestufe normal oder leicht reduziert therapiefähig (bei der Gruppe der Menschen mit Pflegebedarf: 47,8 %). Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass fast die Hälfte der Menschen mit Pflegebedarf gut zu therapieren ist. Dieser Fakt ist wesentlich, um auch die Heterogenität der Menschen mit Pflegebedarf unter zahnmedizinischen Aspekten wahrzunehmen. Tab. 1 Inanspruchnahmeverhalten des Zahnarztes und Sozialstatus der älteren Senioren (75- bis 100-Jährige), laut Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V), aufgefächert nach Pflegebedarf (Nitschke und Micheelis 2016). Bei den Menschen mit Pflegebedarf ist nur etwa jeder Fünfte (22,5 %) in der Lage, eine normale Mundhygiene durchzuführen (ältere Senioren ohne Pflegestufe: 63,1 %). 17,4 % der älteren Senioren waren nicht mehr in der Lage, eigenverantwortlich Therapieentscheidungen zu treffen oder eigenständig einen Zahnarzttermin zu organisieren bzw. wahrzunehmen (ältere Senioren ohne Pflegestufe: 0 %; Tab. 2). In dieser Gruppe sind mehr als die Hälfte (53,7 %) in beiden Kiefern zahnlos (nichtpflegebedürftige ältere Senioren: 26,7 %). Bei Betrachtung der einzelnen Kiefer zeigt sich, dass auch hier die Prävalenz der völligen Zahnlosigkeit in der Gruppe der Menschen mit Pflegebedarf deutlich größer ist (Tab. 3). Pflegebedürftige ältere Senioren wiesen durchschnittlich noch 5,7 eigene Zähne auf (nichtpflegebedürftige ältere Senioren: 11,8 Zähne). Pflegebedürftigen älteren Senioren fehlen unter Berücksichtigung der Weisheitszähne durchschnittlich 26,3 Zähne (ohne Weisheitszähne: 22,4 Zähne) und damit 6,1 (ohne Weisheitszähne: 5,9 Zähne) mehr Zähne im Vergleich zu den Senioren ohne Pflegestufe (Tab. 4; Nitschke und Micheelis 2016). Tab. 2 Zahnmedizinische funktionelle Kapazität bei älteren Senioren (75- bis 100-Jährige), laut Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V), aufgefächert nach Pflegebedarf. Die zahnmedizinische funktionelle Kapazität wird in den Belastbarkeitsstufen (BS) 1–4 ermittelt (BS 1 = voll belastbar, BS 2 = leicht reduziert, BS 3 = stark reduziert und BS 4 = nicht belastbar) (Nitschke und Micheelis 2016). ohne Pflegestufe [%] mit Pflegestufe [%] gesamt [%] n = 877 n = 256 n = 1.133 Therapiefähigkeit normal leicht reduziert stark reduziert keine 64,6 25,6 9,8 0,0 26,1 21,7 43,7 8,7 55,9 24,7 17,5 1,9 Mundhygienefähigkeit normal leicht reduziert stark reduziert keine 63,1 31,7 5,3 0,0 22,5 34,9 33,2 9,4 53,9 32,4 11,6 2,1 Eigenverantwortlichkeit normal reduziert keine 88,7 11,3 0,0 41,0 41,5 17,4 77,9 18,2 3,9 Belastbarkeitsstufe BS 1 BS 2 BS 3 BS 4 56,4 27,6 16,0 0,0 17,5 15,7 48,9 17,9 47,6 24,9 23,4 4,0 Tab. 3 Zahnlosigkeit bei den älteren Senioren (75- bis 100-Jährige), laut Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V), aufgefächert nach Pflegebedarf (Nitschke und Micheelis 2016). ohne Pflegestufe [%] mit Pflegestufe [%] gesamt [%] n = 877 n = 256 n = 1.133 Ober- und Unterkiefer 26,7 53,7 32,8 Oberkiefer 42,3 63,6 47,1 Unterkiefer 28,1 55,8 34,4 Tab. 4 Anzahl fehlender Zähne bei den älteren Senioren (75- bis 100-Jährige), laut Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V), aufgefächert nach Pflegebedarf (Nitschke und Micheelis 2016). ohne Pflegestufe mit Pflegestufe gesamt n = 877 n = 256 n = 1.133 ohne Weisheitszähne 16,5 22,4 17,8 mit Weisheitszähnen 20,2 26,3 21,6 Pflegebedürftige Senioren ohne bzw. mit milder Parodontitis (18,3 %) sind mehr als doppelt so häufig in der Bevölkerung vertreten als ältere Senioren (75- bis 100-Jährige) ohne Pflegestufe (8,5 %). Dieses Ergebnis sollte vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass pflegebedürftige ältere Senioren weniger eigene Zähne aufweisen als nichtpflegebedürftige. Der gingivale Entzündungszustand war bei den Probanden mit einer Pflegestufe deutlich höher als bei denjenigen ohne Pflegestufe. Trotz verringerter Zahnzahl bei den Pflegebedürftigen trat an 64,3 % der untersuchten Stellen eine Blutung auf. Hingegen wurde bei den Probanden ohne Pflegestufe nur an 43,2 % der Stellen eine Entzündung der Gingiva registriert (Tab. 5; Nitschke und Micheelis 2016). Tab. 5 Angaben zu Bluten auf Sondieren (BOP), Sondierungstiefe (ST), mittlerem Attachmentverlust (AV), „Community periodontal index“ (CPI) und die CDC/AAP-Fallklassifikation bei älteren Senioren (75- bis 100-Jährige), laut Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V), aufgefächert nach Pflegebedarf (Nitschke und Micheelis 2016), basierend auf dem „Full mouth“-Protokoll (Page und Eke 2007). ohne Pflegestufe mit Pflegestufe gesamt n = 877 n = 256 n = 1.133 BOP [%] 43,21 64,32 46,56 mittlere ST [mm] 2,81 2,82 2,86 mittlerer AV [mm] 3,93 4,44 4,05 CPI [%] Grad 0–2 17,5 30,0 19,4 Grad 3 53,3 35,1 50,5 Grad 4 29,2 34,9 30,1 CDC/AAP Fallklassifikation [%] keine/milde Parodontitis 8,5 18,3 10,0 moderate Parodontitis 47,7 34,1 45,7 schwere Parodontitis 43,7 47,6 44,3 Bezogen auf Bezahnte:
1 n = 642, 2 n = 119, 3 n = 544, 4 n = 96, 5 n = 640, 6 n = 761 Mehr als drei Viertel der pflegebedürftigen älteren Senioren sind abnehmbar prothetisch versorgt (ohne Pflegebedarf: 51,7 %; Tab. 6). Prothesenbedingte Mundschleimhautveränderungen (z. B. Druckstellen, Ulzerationen, Reizfibrome) sind bei pflegebedürftigen älteren Senioren im Vergleich zu nichtpflegebedürftigen fast doppelt so häufig. Siebenmal häufiger wurde bei...