E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Nix Kongotopia
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-907339-75-6
Verlag: Edition Königstuhl
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-907339-75-6
Verlag: Edition Königstuhl
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In Burundi, einem der ärmsten Länder dieser Erde, bereitet sich der Präsident auf seine dritte Amtszeit vor. Seine Kabinettskollegen streiten u?ber die Nachfolge und der Verteidigungsminister wird in die Luft gesprengt. Schlägertruppen beherrschen das Strassenbild, es droht ein neuer Genozid. Die staatlichen Terroristen machen vor Geistlichen nicht halt, drei weiße Ordensschwestern werden ermordet. Die reiche Welt hat kein Interesse an der Aufklärung der Verbrechen. Der Vatikan schweigt. Die letzten Journalisten verlassen das Land. Vier selbst ernannte Detektive stellen sich dem Terror und finden mitten im Kongo eine gesellschaftliche Utopie und eine Antwort auf die Taten. KONGOTOPIA - Zartes Land.
Christoph Nix (1954) ist Strafverteidiger, Regisseur und Schriftsteller. In Togo hat er das Theater Luxor de Lomé unterstu?tzt, in Burundi und Malawi Theaterprojekte entwickelt, im Kongo zum Völkermord in Ruanda recherchiert, am Theater Konstanz mit Henning Mankell »Die Rote Antilope« uraufgefu?hrt. KONGOTOPIA beendet seine AFRIKANISCHE TRILOGIE, die in Uganda (MUZUNGU), Togo (LOMÉ - DER AUFSTAND), Burundi und dem Kongo spielt.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Erstes Buch:
Burundi
I
Ein warmer Wind wehte den Hügel empor. Im Turm der Kapelle schlug der Klöppel gegen die Glocke. Ein heller Klang. Schwester Lisette erwachte. Sie setzte die Füße auf den Holzboden. Der vertraute Kaffeegeruch fehlte. Sie vergewisserte sich, dass keine Spinne in ihren Hausschuhen steckte und warf einen Blick unters Bett. Sie stand auf und spähte in die Küche. Niemand da. Die Tür zum Schlafzimmer der Oberin war angelehnt. Sie stellte Wasser auf den Herd, setzte sich an den Küchentisch, stützte den Kopf in die Hände. Was tat sie hier? Ihr ganzes Leben hatte sie in Burundi verbracht. Sie liebte diese feinen Menschen. Lisette war eine moderne Frau. Sie glaubte nicht an den Satan, aber bereits zweimal hatte sie erlebt, wozu Menschen fähig sind. Lisette war vierzig Jahr alt, von schlanker Statur, das weiße Habit machte sie größer. Ihre Gesichtszüge waren fein, man sah – und das war nicht immer zu ihrem Vorteil – dass sie eine Tutsi war. Sie wusste nicht, ob sie ihren Glauben noch hatte, aber das Vertrauen war ihr geblieben. Wenn es Gott gab, war er gut. Abwesend. Wie die meisten Männer. Die Frauen retten die Welt, zumindest ihre Kinder. Es war nicht leicht, nur mit Frauen unter einem Dach zu leben. Lisette sprang auf und lief ins Schlafzimmer der Oberin. Ein süß-säuerlicher Geruch stieg ihr in die Nase, ihr Blick fiel aufs Bett: Dorena lag in ihrem Blut, den Unterleib aufgeschlitzt, das Gesicht erstarrt, die Hände zu Fäusten geballt. Lisette wollte schreien. Es ging nicht. Ihre Knie gaben nach. Jäh, brutal, das Innerste nach aussen gekehrt – so endete Dorenas Leben nach 43 Jahren auf dem Hügel. Wer hatte das getan? Lisette hatte nichts gehört. Nichts. Was für ein Mensch musste das gewesen sein? Was wollte er? Wofür strafte er? Für Lisette versank alles in Dunkelheit. Kein Licht nirgends. Die Schwestern wecken? Die Soldaten rufen? Von der Regierung war keine Hilfe zu erwarten. Die Regierung interessierte sich nicht für die Menschen. Den Körper der Oberin waschen. Die Tote herrichten. Der Oberin ihre Würde zurückgeben. Danach weckte sie die Schwestern. Über dem Kloster Mutumba lag eine unheimliche Stille. Was für eine Erleichterung, als eine der Schwestern zu weinen begann. Den Menschen, die mit ihnen auf dem Berg wohnten, blieb auf Dauer nichts verborgen. Sie kamen herbei, um den Schwestern nah zu sein, das Unglaubliche zu beweinen. Lisette hatte alles getan, ohne Rücksicht darauf, dass die Regierung sie selbst des Verbrechens beschuldigen könnte. Mit dem Blut, das sie vom Boden aufwischte, fegte sie solche Gedanken hinweg. Sie wollte die Mutter Oberin nicht nackt den Militärs präsentieren. Immer mehr Menschen kamen den Hügel herauf, eine Prozession der Armen. Vor der Kapelle stimmten sie das Salve Regina an. Aus dem Büro der Oberin telefonierte Lisette mit dem deutschen Botschafter in Bujumbura. Er war oft bei ihnen im Gottesdienst gewesen. »Sie müssen kommen, bitte!« Zielstrebig wühlte sie in Mutter Dorenas Schreibtisch-Schublade. Sie blätterte in Briefen und Notizen, fand Fotos eines kleinen Mädchens, das traurig in die Kamera blickte. Andere Bilder zeigten eine reife Frau mit wehendem Kleid auf einem weißen Schiff. ›Zufrieden und glücklich‹, dachte Lisette. Noch mehr Fotos. Dorena mit harten Augen. Dorena mit aufgequollenem Gesicht. Verstört. Was hatte sie aus der Bahn geworfen? Zwischen vergilbten Papieren fand Lisette die Akten, nach denen sie gesucht hatte. War Dorena im Kongo gewesen? Wer war der schwarze Priester auf den Fotos? Opfer oder Täter? Auch dem Militärposten auf dem Hügel war nicht verborgen geblieben, dass etwas geschehen war. Ein junger Korporal eilte mit vier uniformierten Männern zum Kloster. Sie stellten sich vor der Kapelle auf und schauten zur aufgebahrten Oberin hinüber, die Gewehre fest umschlossen. Der Gesang machte ihnen Angst. Sie traten den Rückzug an, verschanzten sich in ihren erbärmlichen Hütten. Auf einem alten Schild stand: »Militärstation Mutumba«. Die Bauern, ihre Frauen, die Kinder standen stolz vor der Kapelle, als könnte sie jetzt nichts mehr erschüttern. ›Ein Bild der Bauernkriege. Thomas Müntzer zog in die Schlacht. Sie hatten keine Chance. Die Toten lagen auf dem Feld wie die Toten in Kigali und Bujumbura. Wie anders würde heute die Welt aussehen, hätten die Bauern gesiegt.‹ All dies ging Botschafter Strobel durch den Kopf, als er das letzte Stück des Hügels zu Fuß heraufkam. Er nahm Schwester Lisette unbeholfen in den Arm, er wollte sie trösten. Der Korporal, der auf den Botschafter zuging, war misstrauisch. Ob er eine Reiseerlaubnis habe, fragte der dünne kleine Mann und Strobel legte ihm den Diplomatenpass vor. »Ich vertrete als Deutscher Botschafter auch die Interessen dieser Schweizer Ordensgemeinschaft in Burundi.« Der kleine Mann verstummte und verlegte sich darauf, genau zu beobachten, wie Volker Götz, der mit Strobel hergefahren war, auf den Chauffeur wartete, der den Botschaftswagen im Schatten abstellte. Strobel ging zur aufgebahrten Leiche, die Gemeinde machte ihm Platz. Es dauerte lange, bis er mit Lisette und einer Novizin ins Büro der Kongregation entfliehen konnte. »Sie haben sie umgebracht! Einfach so!«. Strobel starrte vor sich hin. Lisette zitterte. »Wo ist euer Gott?«, murmelte er. »Er fordert uns heraus. Aber hier brauchen wir Ihre weltliche Hilfe.« Es klopfte, eine alte Dame erschien. »Schwester Martha, ich dachte, Sie seien zurück nach Europa.« »Was soll ich in der Schweiz, in Quarten, eingeklemmt zwischen Berg und Walensee? Da sind die Leute eng im Kopf, ein weiter Geist muss in die Ferne. Was denken Sie?« Strobel wusste nicht, was die Schwestern von ihm erwarteten. »Götz, Sie bleiben heute Nacht hier, ich fahre mit dem Chauffeur nach Bujumbura zurück und versuche, auf diplomatischem Weg Hilfe aus Deutschland zu bekommen.« Langsam ging die Trauergemeinde auseinander. Am Rande des Hügels war von den Schwestern ein Garten angelegt worden: Holunder, Rosen, Hyazinthen und Tulpen. Eine Schwester aus Antwerpen hatte die Tulpenzwiebeln nach Burundi gebracht. Der Gärtner begann mit dem Aushub des Grabes. Götz bekam im Gästehaus eine Zelle zugewiesen. Er legte um das Grundstück Bewegungsmelder an, installierte Lampen und sogar eine Videokamera. Strobel wollte vor Eintritt der Dunkelheit in Bujumbura ankommen. Die Straßen waren überfüllt, sodass man nicht schneller als dreißig Kilometer pro Stunde fahren konnte. Hier im südlichen Teil des Landes lebten viele Burundi, die nicht auf der Seite des Präsidenten Pierre Nduwayo waren. Die Straßen waren in einem katastrophalen Zustand, die Schulen verfielen und die wenigen Kliniken hatten kein Personal. Nduwayo war ein Mann Gottes und Gott war ein Mann der Rache. Sie fuhren den Boulevard Mwezi Gisabo entlang und wollten in den Boulevard du 28 Novembre abbiegen, als sie von einer Kohorte Motorradfahrer eingekreist wurden. Julien bremste ab und fuhr im Schritttempo weiter. Junge Männer mit Schlagstöcken lärmten und fuchtelten mit ihren Pistolen. Einer riss die Wagentür auf. Strobel schrie: »Es lebe Pierre Nduwayo, es lebe unser Präsident!« Da zog die wilde Horde laut lachend ab und schoss einmal in die Luft. »Was war das, Chef?«. »Lass uns erstmal eine rauchen.« Strobel rauchte zwar schon einige Zeit nicht mehr, aber er hatte immer Zigaretten dabei und bot Julien eine an. »Feuer?« »Danke, Chef.« Kurz darauf kam die Militärpolizei. Ein Offizier salutierte, als er die deutsche Fahne am Geländewagen sah. Es tue ihm leid, dass sie zu spät gekommen seien. In Kamenge habe ein Wahnsinniger zwei Nonnen getötet. »Wie bitte?«, fragte Strobel. »Kommen Sie mit.« Sie fuhren im Konvoi, vorne ein Pick-up mit bewaffneten Soldaten, die mit Rufen und Trillerpfeifen die neugierigen Passanten aus dem Weg trieben. »Kamenge ist der Name eines Stadtteils im Norden von Bujumbura. Hier befindet sich das 1993 gegründete Centre Jeunes Kamenge, ein Jugendzentrum, das die Begegnung junger Tutsi und Hutu fördert. Hier ist auch ein großes Krankenhaus, das Hôpital Roi Khaled. Es soll einem hohen Militär gehören. Dieser Teil der Stadt ist bekannt dafür, dass hier viele Oppositionelle leben.« Julien hatte etwas Belehrendes. Er hatte Politikwissenschaften studiert und war erschüttert, wie schlecht vorbereitet Diplomaten in die afrikanischen Länder entsandt wurden. Strobel sprach weder Kirundi noch Kisuaheli. Wenn man Glück hatte, sprachen Diplomaten Französisch oder Burisch, die Sprachen der Kolonialherren. Juliens Bild vom weißen Mann hatte sich gewandelt: Reich sein hieß nicht,...