E-Book, Deutsch, 344 Seiten
Nörtemann Slingshot Back
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7693-7531-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zehn Sekunden zuvor
E-Book, Deutsch, 344 Seiten
ISBN: 978-3-7693-7531-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Seit Streaming-Dienste das lineare Fernsehen abgelöst haben, kennen wir die schöne Funktion, in einem Film zehn Sekunden in der Handlung zurückzuspringen. Während für uns die Zeit linear weiterläuft, werden die Figuren in der Zeit zurückversetzt, ohne es zu merken. Sie spielen die Handlung einfach noch einmal, während wir bereits wissen, was passieren wird. Wie wäre es, wenn so etwas auch in unserem vermeintlich realen Lebensfilm, quasi in echt, möglich wäre? Für Eddie ist das so! Eddie ist dreißig, hat sich in seinem Leben verlaufen und leidet unter akuter Daseinsermüdung. Unerwartet nimmt sein Leben eine entscheidende Wendung, als er auf dem Flohmarkt ein kleines hölzernes Kästchen kauft, mit dem er die Zeit um zehn Sekunden zurückdrehen kann. Von nun an gelingt ihm alles, und sein Leben strebt von einem Höhepunkt zum nächsten. Zumindest so lange, bis ihm das Kästchen abhandenkommt. Damit beginnt eine rasante Jagd nach dem Kästchen und dem Phänomen der Zeit, die ihn letztlich zu sich selbst führt.
Stefan Nörtemann lebt im Ruhrgebiet und ist Mathematiker, Data Scientist und Autor. Da es zu wenige Bücher zu den Themen gibt, die ihn interessieren, nahm er vor einigen Jahren eine alte Leidenschaft wieder auf und begann damit, Romane zu schreiben. In seinen beiden Romanen 'Kladderadatsch - Verlorene Jahre' (ISBN: 978-3-7526-0350-7) und 'Papperlapapp - Verlorene Illusionen' (ISBN: 978-3-7543-4592-4), die er unter seinem Geburtsnamen Stefan Schumacher veröffentlicht hat, geht es um Menschen, die sich in ihrem Leben verlaufen haben. Daneben hat er gemeinsam mit anderen ein Fachbuch über künstliche Intelligenz veröffentlicht: 'Actuarial Data Science - Maschinelles Lernen in der Versicherung', De Gruyter Verlag (ISBN: 978-3-1106-5928-3). Diesem Thema widmet er sich auch in seinen folgenden Romanen 'Black Magic Box - Die Erfindung der künstlichen Intelligenz' (ISBN: 978-3-7583-2332-4) und 'Hybrid Men - Verlorene Gewissheiten / Gewisse Verlorenheiten (ISBN: 978-3-7597-0372-9). Dies gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Esther Barth (ISBN: 978-3-9104-9428-2). In seinem Brotberuf als Mathematiker beschäftigt er sich mit künstlicher Intelligenz, konkret mit Data Science und maschinellem Lernen. Dies lehrt er auch an einer Akademie und einer Hochschule. Bis zu dem Tag, an dem er seinen bescheidenen Lebensunterhalt aus seinen Bucheinnahmen bestreiten kann, wird er weiterhin als Angestellter in einem bekannten Softwareunternehmen tätig sein.
Autoren/Hrsg.
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KAPITEL 1
Das Kästchen
Ein dreiviertel Jahr zuvor – Samstag, 15. Juni 2024
Der eine, alles entscheidende Tag, an dem Edgar Lüdemanns Leben eine fundamentale Wendung nehmen wird, beginnt nicht sehr anders als die letzten dreizehn Samstage, seit seine Exfreundin Felice ihn verlassen, und er sein altes Studentenleben wieder aufgenommen hat. Ein Sonnenstrahl kitzelt Edgar, den, mit Ausnahme seiner Eltern, alle Menschen, die ihn kennen, nur Eddie nennen, an der Nase und schiebt ihn vorsichtig über die Schwelle zwischen einer sanft elegischen Traumwelt und der nur für ihn bestimmten Realität. Leise verabschieden sich die Gefühle, die ihn im Traum begleiteten, und gemächlich diffundiert in sein Gehirn, was sich gestern und in der Nacht zugetragen hat. Wieder einmal war er mit seinen Kumpels irgendwo versackt. Im Gontscharow hatten sie ein paar Mädels aufgegabelt und waren mit ihnen um die Häuser gezogen. Georg war bereits ordentlich abgefüllt und hatte die drei Blondinen ausgiebig vollgequatscht, ohne sie in irgendeiner Weise zu beeindrucken. Kalle hatte seinen Charme spielen lassen und mit der Gießkanne unpassende Komplimente über ihnen ausgegossen. Am Ende war es der zurückhaltende Max, den eine der drei mit zu sich nahm, während die anderen beiden Frauen sich verabschiedeten, ohne ihre Telefonnummern zu verraten. Georg, Kalle und Eddie waren daraufhin in die Havanna-Bar gewechselt, deren Cocktails ihnen den Rest gegeben hatten. Eddie weiß nicht mehr, wie er nach Hause und in sein Bett gekommen ist, aber das ist eigentlich auch egal, denn es ist Samstag und er hat das Wochenende über nichts weiter vor, als seinen Rausch auszuschlafen. Sein Handy zeigt den 15. Juni 2024, 10:42, also quasi noch mitten in der Nacht. Folgerichtig dreht er sich auf die andere Seite und versucht, noch einmal einzuschlafen. Er liebt diese Rekelzeit, in der er zwischen Traumfetzen und ungelenken Gedanken hin und her wankt. Nur halb bewusst fällt ihm ein, dass morgen Bloomsday ist, als ein schrilles Klingeln brachial in sein Ohr dringt. Er schreckt hoch und bemerkt, wie sich ein diffuser Ärger in ihm ausbreitet. ‚Was soll das? Wer stört ihn hier mitten in der Nacht?‘, fragt er sich und vernimmt, wie nun jemand an die Tür hämmert und seinen Namen ruft. „Eddie mach auf, sonst holen wir ein Sondereinsatzkommando!“, hört er die Stimme. Als er sein Bett verlässt, fühlt er sich wie ein alter Mann, der sich mühsam zur Tür schleppt. Zu seiner Überraschung trifft er dort auf seine Kumpels Georg und Kalle, die beide ausgesprochen munter, aufgeräumt und ausgeschlafen wirken. „Haben wir uns nicht eben erst verabschiedet?“, fragt Eddie an Georg gerichtet. Dieser nickt freundlich, antwortet jedoch nicht. Stattdessen schlendert er zum Kühlschrank, nimmt sich einen Joghurt und lässt sich auf einem der Hocker am Tresen nieder. Kalle setzt sich daneben, jedoch ohne einen Joghurt. Beide zeigen ein breites Grinsen und sagen nichts. Eddie kennt die beiden seit seinem ersten Tag am Gymnasium. Sie waren von derselben Grundschule gekommen und kannten sich bereits ihr halbes Leben. Die beiden waren damals die coolsten Sextaner und Eddie hatte sich schnell mit ihnen angefreundet. In der Untertertia war noch Max aus der Stufe über ihnen dazugekommen und so waren sie seitdem meist zu viert unterwegs. Während er in die Gesichter seiner Freunde schaut, dämmert es Eddie, warum sie hier sind. Es ist der dritte Samstag des Monats, an dem sie seit Alters her gemeinsam den örtlichen Flohmarkt besuchen. Ein wenig theatralisch schlägt er sich vor die Stirn, murmelt etwas Unverständliches und verschwindet ins Bad. Als er zurückkehrt, haben die beiden es sich auf dem alten Sofa gemütlich gemacht. „Alter, du musst hier echt mal Ordnung schaffen! Seit Feli weg ist, verlotterst du richtiggehend“, bemerkt Georg, und Kalle nickt zustimmend, wie eigentlich immer, wenn Georg etwas Bedeutungsschweres von sich gibt. „Hast du mal wieder etwas von ihr gehört?“, schiebt Kalle nach. Eddie nickt. „Vor drei Wochen war sie nochmal hier. Zusammen mit ihrem Modekasper hat sie die letzten Sachen abgeholt.“ „Und hast du schon was Neues gefunden?“, fragt Georg. Eddie weiß, dass Georg nicht die Wohnung meint und ihn nur aufziehen will. Er beschließt, sich nicht darauf einzulassen, schüttelt den Kopf und antwortet: „Ne, das hat keine Eile. Feli war so freundlich, die Miete für das Loft bis zum Jahresende zu bezahlen. Sicher wegen des schlechten Gewissen, weil sie mich für diesen Poser einfach hat sitzen lassen.“ Kalle erhebt sich und mahnt zur Eile. „Wir sollten los. Max treffen wir an der Kirche, zusammen mit der Blonden von gestern.“ Die drei machen sich auf den Weg, treffen Max und seine neue Freundin Elsa und schlendern gemeinsam über den Flohmarkt. Georg kauft eine alte mechanische Brotschneidemaschine, nach der er schon lange gesucht hat, weil seine Eltern noch so eine hatten, die jedoch von deren Putzfrau kaputt gemacht worden war. Eddie hingegen durchstöbert den Stand mit den alten Jazz-Platten. Zu seiner Freude entdeckt er eine besondere Rarität von Duke Ellington, eine frühe und gut erhaltene Pressung von „Take the A Train“. Später findet er noch eine Originalpressung von Robert Fripps „North Star“ aus dem Jahre 1979. An einer der Pommesbuden am Rand des Flohmarktes treffen sich alle wieder und genießen jeder eine Currywurst und schauen dem Treiben rund um das Rathaus zu. Am frühen Nachmittag leert sich der Markt und die Ersten beginnen damit, ihr Stände abzubauen. Max und Elsa verabschieden sich, ebenso Georg und Kalle, die noch etwas erledigen müssen, wie sie sagen. „Bis heute Abend“, rufen sie ihm noch zu. Eddie hat keine Lust, schon nach Hause zu gehen. Zudem sucht er noch nach einer Kleinigkeit für Valerie, die in der kommenden Woche ihr Auslandsemester in Grenoble beendet haben und zurück nach Hause kommen wird. Valli liebt kleine abseitige und völlig nutzlose Gegenstände und solche gibt es eigentlich nur hier. Ein wenig ziellos schlendert er herum und verirrt sich an den Rand des Flohmarktes in eine Seitenstraße, wo er zuvor nicht vorbeigekommen ist. Dort entdeckt er einige Stände mit Vintage Klamotten sowie allerlei Krimskrams. Am Ende der Straße ist eine junge Frau dabei, ihren Kram in Kartons zu packen. Sie wirkt ein wenig entrückt, als wäre sie nicht ganz bei der Sache. In ihr braunes Haar hat sie zwei schmale Zöpfe geflochten, die ihr immer wieder ins Gesicht fallen, während sie ihre Kisten packt. Der Hippietyp vom Nachbarstand hat bereits alles in seinem Kombi verstaut. Während er in das Auto einsteigt, hebt er lässig die Hand und ruft herüber: „Tschüss Julie, mach‘s gut bis nächsten Monat.“ Die Frau schaut zu ihm rüber, winkt ihm zu und erwidert etwas, das Eddie nicht versteht, obwohl er nun direkt vor ihrem Tisch steht und sich den restlichen Tüddelkram ansieht. Während sie eine weitere Kiste hervorholt und auf den Tisch hievt, murmelt sie unfreundlich etwas vor sich hin. Eddie räuspert sich. „Was hast du gesagt?“ „Ist geschlossen“, erwidert sie, ohne ihn dabei anzusehen. „Ich wusste nicht, dass es hier Öffnungszeiten gibt“, hört Eddie sich sagen und fragt sich, wie sein Gehirn jetzt darauf kommt. Aber sie scheint ihn nicht gehört zu haben oder tut zumindest so. Der seichte Wind spielt mit ihrem Haar und er fragt sich, wie sie wohl aussieht, wenn sie lächelt. Während sie weiter einpackt, schaut er sich die restlichen Dinge an, weniger aus Interesse, sondern um sie unauffällig zu beobachten, was sie sicher längst bemerkt hat. Gerade als ihre Hand danach greifen möchte, entdeckt er das Kästchen. Es ist sehr klein, aus einem edlen Holz mit kaum sichtbaren Verzierungen und einer winzigen Schrift drauf. Sie hält es bereits in der Hand, als er seine Hand auf ihren Arm legt und sie bittet, ihm das Kästchen zu zeigen. Sie zeigt ihm ein mürrisches Gesicht und hält kurz inne. „Bitte Julie, ich will es nur kurz anschauen.“ Vorsichtig öffnet sie die Hand und reicht ihm das Kästchen. Eddie staunt darüber, wie weich es sich anfühlt und irgendwie warm und es scheint ihm, als würde es fast nichts wiegen. Er schaut es genauer an, bestaunt die Verzierungen, wiegt es in der Hand hin und her und entdeckt einen winzigen Knopf in der Mitte der Oberseite. Darüber befindet sich eine Inschrift, die er nur mit Mühe entziffern kann. Er hält sich das Kästchen dicht vor die Augen und liest Drück mich! Eddie fällt nicht ein, woran ihn das erinnert, aber er hat den Eindruck, dass es ihn und nur ihn damit meint. Julie steht immer noch vor ihm, wippt ungeduldig hin und her und fragt: „Was ist nun, willst du es kaufen oder nicht?“ Er nickt und fragt zögerlich: „Was willst du dafür haben?“ „Zehn Euro“, entfährt es ihr. „Soll ich es einpacken?“ Eddie...