Nössler Kerzenscheinphobie
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-88769-860-7
Verlag: konkursbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Erotischer Roman - Beziehungsthriller
E-Book, Deutsch, 100 Seiten
ISBN: 978-3-88769-860-7
Verlag: konkursbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Alles ist gut. Berauschend. Die große Liebe, sexuell und emotional. Doch schleichend macht sich der Wunsch nach immer mehr Nähe breit …
Die schüchterne, unsichere Sabine, Anfang zwanzig, träumt von Constanze. Constanze ist bei allen beliebt und nimmt Sabine zunächst nicht wahr. Einige Monate des vergeblichen Schwärmens vergehen und dann, endlich, wird Constanze auf sie aufmerksam. Die beiden jungen Studentinnen verlieben sich ineinander. Doch aus Liebe wird bald Obsession. Immer mehr fühlt sich Sabine bedrängt und kontrolliert. Die Beklemmung wächst, der siebte Himmel verdunkelt sich.
Viele Jahre später lasten die Schatten der Vergangenheit auf Sabines aufkeimender Liebe zu Anna. Was geschah damals mit Constanze, kann sich Sabine endgültig von ihr lösen und hat ihre Liebe zu Anna eine Chance?
In ihrem neuen Roman verwischt Regina Nössler subtil die Grenzen zwischen romantischer Liebesgeschichte und Beziehungsthriller.
Autoren/Hrsg.
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Ich kann die Rosmarinkartoffeln vor dem Schlimmsten bewahren und auch der Rest des Essens gelingt mir. Anna kommentiert weder Geschirr und Besteck noch die Weingläser. Wenigstens davon besitze ich zwei gleiche Exemplare. Auch an Servietten habe ich gedacht, doch sie passen farblich überhaupt nicht zum Rest, was kein Wunder ist, da nichts auf meinem Tisch wirklich zusammengehört. Etwas spät, denke ich, sich mit Anfang vierzig plötzlich darüber zu ärgern, nicht komplett eingerichtet zu sein. Unvollständig und behelfsmäßig, wie eine Studentin. Nein, nicht wie eine Studentin. Es ist eher eine erwachsene Form der Verwahrlosung, des Nicht-auf-sich-Achtens. Als wäre mir Schönheit vollkommen gleichgültig. Meine Wohnung war und ist Stückwerk, nicht schön anzusehen, und genauso verhält es sich vermutlich mit meinem gesamten Leben. Es mangelt mir nicht am Geld. Ich könnte es mir leisten, meine Wohnung zu verschönern, doch es hat mich nie interessiert. Mehr noch: bei dem bloßen Gedanken daran überkam mich stets großer Widerwille. Ich habe zum gerade noch richtigen Zeitpunkt den Absprung geschafft und nach einem geisteswissenschaftlichen Studium eine Fortbildung zur Applikationsentwicklerin gemacht. Mit dreißig zog ich nach Berlin. Ich musste den Ort wechseln, hätte am alten auf keinen Fall weiterleben können, selbst wenn alles anders gekommen wäre, und eine Frau, die ich damals kennenlernte, spielte bei dem Umzug – oder war es eine Flucht? – auch eine Rolle. Inzwischen habe ich sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen; unsere Beziehung war nicht von langer Dauer. Keine meiner Liebesbeziehungen war von Dauer. Heute arbeite ich in einem Unternehmen, das Software für mittelgroße Betriebe herstellt, und verdiene gut. Wenn ich wollte, müsste ich nur ein paar Tage in entsprechenden Geschäften stöbern, etwas auswählen, etwas zusammenstellen. Doch wahrscheinlich fehlt es mir einfach an Geschmack. An Stil. Ich kann nicht verschönern, will es offenbar auch nicht und sollte mich damit abfinden. In Wahrheit ist es kein Ärger, sondern vielmehr Scham. Heiß durchströmt sie mich, jetzt, da Anna die farblich nicht passende Serviette zum Mund führt, immer, wenn ich in ihren Blicken kritische Begutachtung zu erkennen glaube. Als würde sie im grellen, schonungslosen Licht meinen nackten, makelbehafteten Körper betrachten. Die Makel anderer Körper habe ich nie als solche empfunden, nur meine eigenen. Es ist noch schlimmer als das – es ist, als wäre meine schmucklose Wohnung meine Seele, in die Anna geradewegs hineinsehen kann, und als gäbe es dort nichts. Gar nichts. Kein sanftes Licht, keine Schönheit, keine Augenweide. Wahrscheinlich ist meine Seele kein Ort, an dem jemand bleiben möchte, und deshalb hat mich seit zwei Jahren niemand mehr geküsst. Nach dem Essen sitzen wir uns vor leeren Tellern gegenüber. „Magst du keine Kerzen?“, fragt Anna wie nebenbei und schenkt Wein nach. „Wieso?“ Noch während ich es sage, weiß ich, dass eine Gegenfrage mir keinesfalls dauerhafte Ausflucht gewähren wird. Anna wird noch einmal und noch einmal fragen, immer weiter. Ich sehe es ihr an. Ich will nicht über Kerzenschein reden. Ich habe lange nicht mehr daran gedacht und will es auch jetzt nicht tun. Heruntergelaufenes Wachs, abgebrochene Dochte und Wachsflecken auf dem Tisch gehören seit fast zwanzig Jahren nicht mehr zu meinem Leben. Das alles ist wie eine fremde Sprache, deren Klang ich nicht mag, die ich nicht verstehe und auch nicht erlernen will. Vielleicht vergisst Anna es, wenn ich ihr nur lange genug eine Antwort schuldig bleibe? Sie hat die Ärmel hochgeschoben, bis über die Ellbogen. Ich starre auf ihre entblößten Unterarme und schweige. Ich kann die feinen Härchen erkennen, eine Ader, die über das Handgelenk verläuft, und ich möchte diese Arme anfassen, erkunden, ob sich die Haut genauso zart anfühlt, wie sie aussieht. Hatte ich es nicht längst aufgegeben, auf schöne Arme zu achten? In diesem Moment will ich vor allem eines: Ich will, dass sie mich anziehend und aufregend findet. Ich will, dass sie mich will. Unbedingt. Ein verloren geglaubtes Verlangen. Ich weiß nicht, wie ich erreichen kann, dass sie mich will, wie ich diesen Wunsch in ihr wecken soll. Ob Anna zu küssen nur bei Kerzenlicht möglich ist? Magst du keine Kerzen? Statt zu antworten, stehe ich auf und räume den Esstisch ab. „Ich bin gleich wieder da“, sage ich und trage die Teller in die Küche. In der Küche, unbeobachtet von meinem Besuch, kühlt sich die Hitze der Scham ein wenig ab. Schwer lehne ich mich gegen die Arbeitsplatte; es muss so aussehen, als wäre ich außerordentlich erschöpft. Und so ist es ja auch: Scham und gleichzeitiges Begehren sind anstrengend. Ist es bereits Begehren? Oder erst eine Vorstufe davon? Ich muss zurück in das andere Zimmer, das weiß ich, ich kann hier nicht ewig stehen bleiben, und dann wird Anna die Frage erneut stellen und ich werde immer noch nicht wissen, wie ich sie dazu bringen könnte, mich zu wollen. Die Chancen stehen schlecht, denke ich. Warum sollte ich von etwas anderem ausgehen? Lieber erst gar keine Hoffnung aufkommen lassen, dann wird es mich nicht allzu sehr treffen, wenn sie gleich noch ihr Glas leert, danach aufsteht und sich verabschiedet. Für immer. Mit einem amüsierten Ausdruck im Gesicht. Diesen Gesichtsausdruck glaube ich die ganze Zeit schon an ihr zu bemerken, leichte Belustigung. Wahrscheinlich verbucht sie mich als seltsame Person, die in klösterlicher Kargheit haust und nur elektrisches Licht kennt, ohne jedes Gefühl für romantische Stimmung. Wahrscheinlich genießt sie es, diesem wenig einladenden Ort zu entfliehen und in ihre eigene Wohnung zu kommen, in der sie Schönheit empfängt, all das, was ich nicht habe. Anna muss in einer geschmackvollen Wohnung leben, dessen bin ich mir sicher. Ihre Kleidung verrät es, ihre Art, sich zu geben, ihre ganze Erscheinung. Als ich aus der Küche zurückkehre, ist Anna vom Esstisch zum Sofa gewechselt und sieht mich erwartungsvoll an. Plötzlich verspüre ich das Bedürfnis, mich wie ein Teenager im Jugendzimmer auf den Boden zu setzen, ihr zu Füßen. Von hier unten sieht das Zimmer noch karger aus. Oder täusche ich mich und es wirkt freundlicher? Ich stelle fest, dass Annas Strümpfe perfekt zu der Farbe ihrer Hose passen, aber ich habe auch nichts anderes erwartet. Ich muss lachen. Ich bin Anfang vierzig, habe also durchaus einige Erfahrungen vorzuweisen, aber ich wurde noch nie auf dem Teppich geliebt. Dabei habe ich mir das oft gewünscht, es immer als besonderes Zeichen von Leidenschaft betrachtet. Es geschah auch damals nicht, mit ihr, obwohl wir es an so vielen Orten getan haben. Warum denke ich jetzt daran? Warum denke ich jetzt an sie? Sie wollte nicht oder es kam einfach nie dazu, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. An die kalten Fliesen in ihrer Küche hingegen erinnere ich mich gut. Ich hatte danach blaue Flecken und war erkältet, was ihr nicht passte, da sie diejenige war, die das alleinige Recht auf Krankheit für sich beanspruchte. „Worüber hast du gelacht?“, fragt Anna. „Über nichts Besonderes“, sage ich. „Du hast mir noch nicht geantwortet“, sagt sie. „Magst du Kerzen nicht? Oder warum gibt es in deiner Wohnung keine?“ Warum vergisst sie es nicht einfach? Es ist noch viel schlimmer mit mir, aber das sage ich ihr nicht. Nicht nur, dass ich keinen Kerzenschein mag, ich lasse mir auch nicht gerne Blumen schenken, geschweige denn, dass ich mir selbst welche kaufen würde. „Das ist doch nicht normal!“, sagt Sigrid oft, „jede Frau bekommt gerne Blumen.“ Sigrid hat es längst aufgegeben, mir Blumen mitzubringen, und ebenso wenig erwartet sie welche von mir. Sabine, das ist doch nicht normal! Selbst wenn es liebevoll gemeint ist, eine Neckerei unter guten Freundinnen, steckt doch ein unüberhörbarer Ernst darin. Als ich noch Blumen bekam, täuschte ich stets Freude vor, weil es sich so gehört. Ob ich eine gute Schauspielerin bin, weiß ich nicht. In Wirklichkeit war es mir immer lästig: ihre Stiele anzuschneiden, sie kunstvoll in der Vase zu drapieren, für die Vase den richtigen Platz in der Wohnung zu finden, an dem die Blumen zur Geltung kamen – wo sollte es in meiner Wohnung schon einen Platz dafür geben? –,regelmäßig das Wasser auszuwechseln, damit sie einige wenige Tage länger am Scheinleben erhalten wurden. Hätte mir Anna heute einen Blumenstrauß überreicht, wäre sein letztes Zuhause der Putzeimer aus dem Badezimmer geworden. Vor zwei Jahren, nach dem bislang letzten Kuss, habe ich die einzig verbliebene Vase, die sich noch in meiner Wohnung befand – ein Geschenk –, abgeschafft. Bevor ich sie in den Müll beförderte, holte ich den schweren Hammer aus der Werkzeugkiste, legte die Vase auf den Boden, kniete mich vor sie, beinahe andächtig, und wartete einen Moment. Dann versetzte ich ihr einen leichten, aber gut platzierten Schlag. Ich musste die Vase zerstören, sie unbrauchbar machen, weil es mir nicht möglich gewesen wäre, einen völlig intakten Gegenstand wegzuwerfen. Seitdem gibt es in meiner Wohnung keine Blumen mehr. „Und warum magst du nun keine Kerzen?“, fragt Anna. Wie hartnäckig sie ist. Ich drehe mich um, blicke nach oben zu ihrem Gesicht, das die inzwischen vertraute Amüsiertheit widerspiegelt. Immerhin scheint sie nun selbstverständlich davon auszugehen, dass ich keine Kerzen mag, statt sich zu fragen, ob es denn so ist. Annas Hände ruhen auf ihren Oberschenkeln. Große, schöne Hände. Ich stelle mir vor, wie sie mich berühren. Nicht zärtlich, sondern voller Verlangen, beinahe grob. Mein neues Einschlafritual fällt mir ein, während ich vor...