Sterben als letzte Chance des Lebens?
Buch, Deutsch, 68 Seiten, geheftet, Format (B × H): 210 mm x 297 mm
Reihe: INFO
ISBN: 978-3-921221-16-7
Verlag: Bischöfliches Ordin. Limburg
n 10 Jahren gucken wir uns alle die Graswurzeln von unten an“ –
Originalton einer betagten Ordensfrau, die vollkommen frei von Larmoyanz
und Verzweifelung den eigenen Tod bespricht und Planungen,
die über ihn hinaus gehen, in großer Gelassenheit angehen kann.
Das gefällt mir! Genauso wie die Verabredung, die mir neulich jemand
anbot: „Das besprechen wir einmal in 100 Jahren auf Wolke
Nummer 7. Dann sehen wir, wer von uns beiden Recht hatte!“ In die
Zukunft können wir nicht sehen, aber dass wir in 100 Jahren alle tot
sind, davon können wir mit Sicherheit ausgehen. Dann wird wohl der
Limburger Dom noch stehen, ein anderer Bischof andere Sorgen haben,
andere Lehrer andere Kinder unterrichten – vielleicht, wahrscheinlich,
hoffentlich.
Nicht alle Hoffnungen und Wünsche in der mit jedem Geburtstag
knapper werdenden befristeten Lebenszeit unterbringen zu müssen,
das ist in der Tat erlösend. Was aber, wenn das nicht stimmt? Wir haben
die Wahl: Die „Alternative“ wäre ein gottloses Schicksal oder ein
Gott wie ihn Nietzsche uns vorstellt, einer der sich langweilt und zur
Unterhaltung seiner endlosen Ewigkeiten ein Menschengeschlecht
mit Hoffnungen und Sehnsüchten erschafft. Wir müssten mit der
Kränkung leben, eine gegen Unendlich strebende Weltzeit auszuhalten,
die vom Urknall bis zum Wärmetod der Welt „alle Zeit der Welt“
umgreift, in vollem Bewusstsein, dass wir aus dieser unendlichen Zeit
nur eine winzige Spanne zugemessen bekommen, die uns auch noch
unter den Händen mit den Jahren zerrinnt, – je älter wir werden, umso
schneller. Wie waren unsere Kindersommer
doch so lang, und wie erschrecken wir jedes Mal,
wenn schon wieder bei „Aldi“ die ersten Stollen
und Weihnachtslebkuchen auftauchen.
Wie ist es da doch für unsere Seelenruhe so heilsam,
den Stachel des Todes wegzuglauben. Es
ist einfach für unsere psychische Wellness besser,
es lebt sich gesünder, gläubig zu sein.
Christliche Gelassenheit ist gewiss auch gut gegen
Herzinfarkt und Stress. Aber die christliche
Hoffnung darf nicht zum funktionalen Seelenbalsam
verkommen. Ein Denken, das kalkulierend
einen trostreichen Standpunkt bezieht, wird
sich selbst zerstören. Wer den Glauben mit einer
Placebo-Pille verwechselt, hat ihn noch nicht geschenkt bekommen.
Wir dürfen uns durchaus freuen, wenn uns der Glaube an das unzerstörbare
Leben die Angst vor dem Tod nimmt. Aber wehe, wenn der
Glaube zum Instrument der Angstbeseitigung gemacht wird.
Gibt es eine Ars moriendi, eine Kunst des Sterbens? Was wir einüben
können, ist das Loslassen. Wer es ausprobiert, wird feststellen, wie es
ihn bereichert.