Oswalt | Bauen am nationalen Haus | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Oswalt Bauen am nationalen Haus

Architektur als Identitätspolitik
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-949203-80-0
Verlag: Berenberg Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Architektur als Identitätspolitik

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-949203-80-0
Verlag: Berenberg Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Wiederaufbau historischer Symbolbauten gilt als Engagement für historisches Bewusstsein, architektonische Schönheit und Reparatur von Stadtraum. Doch die vermeintlich unpolitischen Fassaden zielen auf eine Änderung unseres Geschichts- und Gesellschaftsverständnisses: Populistisch werden Zeiten vor 1918 idealisiert, Brüche negiert. Und immer wieder sind Rechtsradikale beteiligt, als Initiatoren oder Großspender. Philipp Oswalt erforscht die Hintergründe der Debatte und präsentiert Fallbeispiele: Garnisonkirche Potsdam, neue Altstadt oder Paulskirche in Frankfurt, Berliner Schlosskuppel oder Dessauer Meisterhäuser.
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Vorwort
von Max Czollek In Folge des verlorenen Zweiten Weltkriegs lag Deutschland in Trümmern. Ob aus Überzeugung oder Baustoffmangel, man entschied sich vielfach, die Spuren der eigenen Gewaltgeschichte auch architektonisch zu bewahren. Die Wiederherstellung und Neugestaltung der Frankfurter Paulskirche etwa unter dem leitenden Architekten Rudolf Schwarz 1946–1948 nahm die Gleichzeitigkeit von demokratischem Aufbruch der Nationalversammlung 1848 und der Kriegszerstörung 1944 in das bauliche Konzept mit auf. Und auch die von Egon Eiermann gestaltete und 1963 eingerichtete Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Berliner Zoologischen Garten lässt bis heute die Verwüstung durch den Krieg in der Turmruine samt abgebrochener Spitze sichtbar werden. Auch in der DDR lag der Fokus nicht auf einer historischen Rekonstruktion, nicht zuletzt, weil man auch symbolisch die alte Ordnung überwinden wollte, die Deutschland in zwei Weltkriege hineingezogen hatte. Und da man in der preußischen Monarchie eine Ursache für Militarismus und Untertanengeist sah, trug man die alten und allzu sichtbaren Insignien königlicher Macht ab. Das bekannteste Beispiel für diesen Umgang der DDR-Führung mit der preußischen Geschichte war das im Krieg zerstörte Berliner Stadtschloss, welches 1950–1951 gesprengt und an dessen Stelle 25 Jahre später der Palast der Republik errichtet wurde, wo er bis 2008 stand. Es ist bezeichnend, dass die vereinigte Bundesrepublik in einer ihrer zentralen symbolischen Entscheidungen zur Berliner Mitte um die Jahrtausendwende einen Doppelbeschluss fasste: zum einen zur Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas über dem alten Hitlerbunker neben dem Brandenburger Tor. Zum anderen für den Rückbau des gerade noch aufwendig von Asbest befreiten Palasts der Republik, an dessen Stelle das Berliner Stadtschloss nach historischem Vorbild errichtet wurde. In beiden Fällen handelt es sich vorgeblich um Formen architektonischer Identitätsbildung: das Denkmal für die ermordeten Juden Europas als Ausdruck der erinnerungspolitischen Positionierung der Bundesrepublik Deutschland. Und das Stadtschloss als Ausdruck des Sieges der pluralen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland. Oder? In der entscheidenden Sitzung des Bundestags am 4. Juli 2002, in der der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses beschlossen wurde, sprach der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse jedenfalls von der Notwendigkeit, die »offene Wunde der historischen Mitte Berlins« zu schließen.1 Der Freundeskreis des Schlosses meinte, Berlin mit dem Stadtschloss auch ein Stück seiner Identität zurückzugeben.2 Diese Vorstellung einer architektonischen Identitätsbildung über den preußischen Stil hatte aber bereits der 1991 berufene Senatsbaudirektor der Stadt Hans Stimmann ins Spiel gebracht.3 Der Zusammenhang von Vereinigung und neuen Bedürfnissen nach nationaler Identitätsbildung wird hier besonders deutlich, sie charakterisiert auch die anderen in diesem Buch versammelten Beispiele. Philipp Oswalt argumentiert, dass es sich dabei um nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der deutschen Erinnerungsarchitektur nach 1945 handelt. Viel ist in den vergangenen Jahren über Identitätspolitik geschrieben worden. Kurioserweise stammen einige der heftigsten Texte zu dem Thema aus den Federn derjenigen, die zu vehementen Vertreter*innen einer neuen Erinnerungskultur zählen. Der bereits erwähnte Wolfgang Thierse etwa wandte sich 2021 gegen Vertreter*innen einer Identitätspolitik, die er als Demokratiefeinde bezeichnete, die eine »Reinigung und Liquidation von Geschichte« anstrebten.4 Der Kunsthistoriker und engagierte Unterstützer eines Schlossneubaus Horst Bredekamp verglich die Kritik am Humboldt Forum mit der Bücherverbrennung.5 Und der bereits erwähnte Freundeskreis Berliner Stadtschloss reagierte auf den von Philipp Oswalt mit aufgedeckten Skandal rechtsradikaler Spender*innen, indem er linke Gehirnwäsche, Kulturkampf und die Bedrohung der Meinungsfreiheit beklagte.6 Das ist eine seltsame Argumentationsstrategie, weil die Maßstäbe, die von den selbsterklärten Gegnern der Identitätspolitik (lies: Universalisten) bemüht werden, auch auf ihre eigene Forderung einer historisch-rekonstruktiven Architektur angewandt werden können. Es scheint, dass hier im Hintergrund neben einem doppelten Standard auch eine Vorstellung davon mitschwingt, wer zu dieser Gesellschaft dazugehört und wessen identitäre Bedürfnisse bedient werden sollten. Eine Erinnerung an Kolonialismus oder an die Erschießung von Demokraten durch preußische Truppen auf dem Schlossvorplatz, im europäischen Revolutionsjahr 1848, ist hier nicht vorgesehen. Aber handelt es sich dabei nicht auch um Identitätspolitik nach dem Lehrbuch – eine Politik, die obendrein an nationalistische Traditionen anknüpft, die man aus guten Gründen als Teil einer kritischen Beschäftigung mit der Vergangenheit zurückweisen sollte? Zumindest, wenn man davon ausgeht, dass die Erinnerungskultur darauf ausgerichtet sein sollte, die Gegenwart so einzurichten, dass sich diese Vergangenheit nicht wiederholt. Diese doppelten Standards bei der Beurteilung machen es einem schwerer als nötig, den Argumenten der Vertreter*innen einer rekonstruktiven Architektur unvoreingenommen zu folgen. Zuweilen wirkt es gar so, als sei hier unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Universalismus und vermeintlicher Selbstverständlichkeit nationaler Identitätsbildung ein Programm umgesetzt worden, welches diese Identitätsbildung mit Traditionen des deutschen Nationalismus bis 1933 identifiziert. Die vormalige Kulturstaatssekretärin Monika Grütters jedenfalls beklagte 2016 ein erinnerungskulturelles Unvermögen Deutschlands, »freudigen und hoffnungsvollen, im positiven Sinne prägenden historischen Ereignissen in Deutschland ein Denkmal zu setzen«, welches zu einem Mangel an »emotionaler Verbundenheit und Identifikation mit unserer Demokratie« führe.7 Und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wies in eine ähnliche Richtung, als er 2019 in einem programmatischen Artikel für die Zeit eine positive Erinnerungskultur für Deutschland forderte.8 Die Skepsis gegenüber Deutschlandfahnen bei Demonstrationen führte er dabei als Beleg für einen Mangel an Identifikation mit der deutschen Demokratie an. Die hier angelegte Verbindung einer positiven Erinnerung an Traditionen des deutschen Nationalismus und eine Bejahung der aktuellen pluralen Demokratie ist alles andere als selbstverständlich. Und zwar nicht nur wegen des sie krönenden Nationalsozialismus, sondern weil sich das Selbstbild der deutschen Demokratie in den Jahrzehnten seit 1945 mit der Einwanderung der Gastarbeiter*innen, mit der deutschen Erinnerungskultur, mit der Vereinigung 1990 grundlegend verändert hat. Diese neue deutsche Identität ist eben nicht identisch mit der Demokratiebewegung 1848, noch weniger hat sie zu tun mit den Hohenzollern oder einer Kirche, in der Soldaten auf den Ersten Weltkrieg eingeschworen wurden. Will man aber diese Geschichte erinnern, dann muss auch von jener Gewalt gesprochen werden, die Teile der pluralen Gesellschaft unserer Gegenwart ausgeschlossen oder gar vernichtet hätte. Es gibt bei allem Enthusiasmus für freudige und hoffnungsvolle historische Ereignisse keine positive deutsche Geschichte, die sich von der deutschen Gewaltgeschichte trennen ließe. Philipp Oswalt kommt das Verdienst du, diese Entwicklung an unterschiedlichen Beispielen und mit einem breiten Wissen um die historische Entwicklung am Beispiel der Architektur aufzuzeigen. Allerdings ist das Phänomen nicht auf diesen Bereich beschränkt. Die Trennung zwischen positiver und gewaltvoller Geschichte ist vielmehr Ausdruck der aktuell dritten Phase der Erinnerungskultur, die 1990 begonnen hat und die ich in meinem Essay »Versöhnungstheater« genauer zu charakterisieren versucht habe.9 Dieser Prozess lässt sich eindrucksvoll anhand der neuen Berliner Mitte aufzeigen, wo sich Holocaustmahnmal und die das Humboldt Forum einschließende neue Stadtschlossfassade als architektonische Einheitswippe gegenüberstehen. Indem die böse deutsche Geschichte im Holocaustmahnmal gebannt wurde, war zugleich der Weg frei für eine historische Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses als Ort einer positiven Identifikation. Oder, um es mit den Worten Oswalts zu sagen: ein Ort geprägt »von der Sehnsucht nach einer anderen Vergangenheit«.10 Grütters, Steinmeiers und Thierses Forderung ist, wenn man so will, bereits mit der Stadtplanung der 1990er Jahre umgesetzt worden. Das neue Architekturparadigma hat also gleich zwei Ideen zum Fundament: die Vorstellung, dass sich der deutsche Nationalismus der Vergangenheit als Vorbild für die plurale Gegenwart eigne. Und die Vorstellung, dass sich diese Geschichte trennen ließe von Militarismus, Kolonialismus, Antisemitismus und Untertanengeist. Als Berliner muss ich sagen: Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass uns das weiterhelfen wird. Die gemeinsame Identität einer Stadtgesellschaft entsteht...


Philipp Oswalt, geboren 1964 in Frankfurt am Main, lebt als Architekt und Publizist in Berlin. Er war unter anderem Leiter des Projektes »Schrumpfende Städte« der Kulturstiftung des Bundes (2002–2008) und Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau (2009–2014). Seit 2006 lehrt er als Professor für Architekturtheorie und Entwurf an der Uni Kassel. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen zur zeitgenössischen Architektur und Stadtentwicklung.



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