Palfrader / Glavinic / Leon Porno
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-7076-0384-2
Verlag: Czernin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Moderne Nerven 3
E-Book, Deutsch, Band 3, 120 Seiten
Reihe: Moderne Nerven
ISBN: 978-3-7076-0384-2
Verlag: Czernin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Postemanzipation, Konsumterror und immer neue Krisenbewältigungsstrategien - wie stehen Männer und Frauen in Zeiten wie diesen zu Liebe und Sex? Können sie sich leichter begegnen, ineinander verwickeln, erlösen und wieder lösen? Jetzt, da theoretisch alles möglich und alles erlaubt ist: Funktioniert es besser, befriedigt es mehr?
In "Porno", dem dritten Band der Reihe "Moderne Nerven", geht es wenig überraschend und oft sehr unverblümt ums Vögeln. Um Lieben, Sehnen, Mögen und Nichtmehrmögen. Um kostenlose und käufliche Liebe. Um den eigenen sexuellen Marktwert, Kindheitsprägungen und die ständige Angst, zu viel von sich preiszugeben oder schlicht und einfach zu versagen.
Der Risikobereitschaft so namhafter Autoren wie Robert Palfrader, Thomas Glavinic, Philipp Hochmair, Barbi Markovic, Joachim Lottmann, Julya Rabinowich, Christopher Just, Melanie Kretschmann, Thomas Draschan und Michael Leon sollte der Leser daher nicht mit Voyeurismus, sondern mit Respekt begegnen. "Porno" wurde vom Wiener Künstler Lukas Pusch illustriert.
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VON LICHT UND LIEBE
Porno ist schon wieder da. Früh aufgestanden ist er heute, obwohl er die halbe Nacht damit verbracht hat, den Versuch eines öffentlichen Ärgernisses in die Tat umzusetzen, aber ich habe die Vorhänge zugezogen, und er musste samt seiner Souffleuse unverrichteter Dinge wieder abziehen. Das Fensterbrett ohne Zuschauer ist eben nur ein Fensterbrett und keine Arena. Meine Pflanzen gehen langsam ein, weil ich dauernd diese dunklen Vorhänge aus schwerem Samtstoff zuziehe. Ich aber gönne Porno die Verwüstung meines Haushaltes nicht, ich will nicht von vertrockneten gelblich braunen Pflanzenleichen umgeben sein, nur weil er Zuschauer braucht, um seine Erektion hinzubekommen. In der Früh mache ich also doch auf, und er stellt sich anscheinend den Wecker, um rechtzeitig zur Stelle zu sein. Gleich legen die los. Ich weiß es ganz genau. Ich spüre Porno hinter ihr in Startposition gehen. Sie hängt vorgelehnt und überdehnt am Holzbrett des Fenstersimses, um ihren Arsch hoch genug zu bekommen, sodass ihn auch der Nachbar links und die Nachbarin rechts von mir noch sehen können, beide kämpfen sie mit diesem gemeinsamen Hochbekommen, ein sehr verbindliches Thema ist das. Lange Haare auf dem hellen Rücken. Ein weißer Hintern wie ein Minivollmond am helllichten Tage. Ich stelle mir vor, wie das raue Holz unter dem aufgesprungenen weißen Lack kleine rote Flecken auf ihr Bäuchlein scheuert, hoffentlich zieht sie sich vorne noch einen dicken Schiefer ein, zusätzlich zum dünnen Schiefer hinten. Sie lacht. Ich atme einmal tief ein und einmal tief aus, ich muss noch eine Stunde durchhalten, sonst ist der Philodendron ganz hin. Porno winkt mir, er verfällt in eine langsame, mechanische Bewegung, einmal vor, einmal zurück. Wenn er mich so vögeln würde, ich würde ihn aus der Wohnung werfen, zur Tür hinaus oder gleich zum Fenster, egal. Ich denke an die Pflanzen und beiße die Zähne zusammen, er stöhnt, laut, extra laut, genauso unecht wie sie, ich drehe das Radio noch lauter, das meine Tochter auf 88,6 eingestellt hat. Seinen Namen hat Porno meiner Tochter zu verdanken, seinen echten haben wir erfolgreich verdrängt. Wir haben uns mal richtig gekannt. Uns auf der Straße freundlich gegrüßt, bis er die alte Freundin gegen die aktuelle ersetzte. Mit dem neuen Körper kamen neue Notwendigkeiten. Nun ist er Porno und kein Individuum mehr. Ich lasse die Gasse an „I Just Died in Your Arms Tonight“ teilhaben, und gleich darauf an „Junge Römer“. Spätestens nach den Römern reicht es, ich drehe ab und höre von der lauwarmen Sommerbrise herübergewehtes Gehechel, das an einen sehr großen schwitzenden Köter erinnert. Ich gehe in die Küche, nehme den abgenagten Knochen aus dem Futternapf, fahre damit ordentlich im Hundefutter herum, bis der feuchte Film gut daran haftet, kehre zum Fenster zurück und werfe. Das Hecheln verstummt. Ich setze mich erneut hinter meinen Schreibtisch. Das nächste Theaterstück will geschrieben werden, der Regisseur hat schon dreimal angerufen, und natürlich war es noch nicht fertig, wie soll es denn, wenn ich nicht schlafen kann und nicht lüften. Ich hämmere lustlos mehrere allgemeine Phrasen in die Tasten, schließe das Dokument, darunter kommt der Link mit der letzten Kritik zum Vorschein, die ich eigentlich ignorieren wollte, aber diese Kritiken entfalten immer einen magnetischen Sog, der direkt zum Abgrund führt. Über den halben Bildschirm steht immer noch mein eigenes Gesicht still. Zuerst der dickere Schriftzug des Artikels, dann die kleinere Schrift der vielen Postings darunter. „Das Porzellanimage schadet“, lese ich als Erstes, und bevor mir klar wird, dass damit wohl meine eigene bleiche Visage gemeint sein könnte, setzt gegenüber wieder die Aktivität ein, ich blicke kurz auf, weg von meinem Porzellan-image, das gerade von Porno überspielt wird. Über meinem eigenen Gesicht liegt die Spiegelung der Gasse, in dieser Spiegelung auf meinem Bildschirm sehe ich nun einen Porno-Porno, nicht bestellt, aber abgeholt. Eigentlich kaum erkennbar, aber ich kenne die beiden so gut, da fügt das Unbewusste die fehlenden Details mit spielerischer Leichtigkeit wieder zusammen. Ich drehe mich zum Fenster, auch egal. Hundefutterspritzer kleben an der weißen Fassade gegenüber. Porno winkt mir freudig zu. Ich ziehe mit einem Ruck den Vorhang von einer Seite zur anderen. Kann mir jemand erklären, wie ich in der Situation etwas Farbe bekommen soll?! Porno macht sich zum Objekt und mich zur bleichen Sklavin seines Objektseins. Im Halbdunkel meines Zimmers leuchtet mein online publiziertes Foto wie ein weiterer falscher Vollmond, weiß und rund wie der Arsch der Pornofreundin, schwarzes Haar wie das ihre, sie sind wirklich überall und nirgends. Mein strenger Blick geht seitwärts, vermutlich hin zu ihnen, roter Lippenstift, leicht gekräuselte glänzende Lippen. „Die Frisur passt ihr nicht“, lese ich direkt darunter, der Poster namens Superbert mag meine Haare nicht. Unter dem Beitrag entspinnt sich eine absurde Unterhaltung über mein Äußeres. - Die Frisur ist ok. - Wie bei Max Raabe. - Ist das jetzt gut oder schlecht? - Sie ist eine Domina – - Nein, eine typische Intellektuelle – - Dass die immer schwarz angezogen sein müssen! - Das tun Dominas auch. - Ich finde, dass da zu viel Photoshop verwendet wurde. - Die Frisur ist scheiße. - Doch, die ist ok. Für eine Intellektuelle. - Nein, für eine Domina. Das reicht. Ich drehe ab, mein Gesicht erlischt. So einen Schwachsinn soll man nicht ernst nehmen, denke ich, und suche gleichzeitig nach einer möglichen Waffe. Ich würde diesen Poster gerne mit einem hundefuttertriefenden großen Schweineknochen bewerfen. Ist das dann mehr intellektuell-performativ oder verrucht-dominös? Kann man vermutlich nur im Selbstversuch herausfinden. Einen Selbstversuch ist mir Porno schon wert, nicht umsonst habe ich bereits eine kleine Stippvisite bei der Polizeistation ums Eck gemacht. Sie könnten nichts machen, hat mich der Beamte belehrt, solange die Täter nicht in Aktion erwischt würden. „Sie müssen sie halt fotografieren“, meinte er. Ob das nicht irgendwie pervers sei, habe ich gefragt, aber der schaute mich an, als ob es eher pervers wäre, das nicht zu tun. Als meine Mutter mich wenig später besucht, zwängen sie sich sofort aufs Fensterbrett, da ist es sogar richtig kalt, direkt herbstlich, windig, wolkenverhangen, düster. Nützt nichts, schon sind sie da und schon sind sie nackt, das geht immer ganz schnell, und nicken meiner Mutter zu wie ein altes Ehepaar im Schrebergärtchen, freundlich, harmlos und verlogen, während ihr die Teetasse aus der Hand fällt – dunkle Pfütze um ihre Stöckelschuhe, und ich erst am Boden auf den Knien rutschend mit meinem Lieblingshandtuch aus pinkem Frottee, weil nichts anderes schnell zur Hand ist, dann allerdings mich erhebend wie ein Drache vor dem Angriff. Es reicht, denke ich, und nehme meiner immer noch fassungslosen Mutter das Handy weg, auf dem sie mir eben ihre neuesten Katzenfotos zeigen wollte, und ich visiere an und drücke mit zitternder Hand ab. Das Handy wackelt, als würde ich auf einem Schiff mit schwerem Seegang stehen, mir ist auch schlecht, als wären wir in Seenot, meine wohlerzogene Mutter sagt: „Wichser.“ Und ich sage: „Leider nein.“ Und dann müssen wir fürchterlich lachen, während ich noch immer ihr Handy in der Hand halte, bis sie sagt: „Hast du überhaupt was drauf?“ Und ich nachsehe und da natürlich nur ein verwackelter Nebel mit einem Stück Fassade zu erkennen ist. „Mach, mach“, feuert mich meine Mutter an, schiebt mich zum Fenster und die Vorhänge ganz beiseite, ihre Hand mit spitzen lila Nägeln auf meiner Schulter, in meiner Haut, und da sehe ich, dass Porno und Partnerin sich in wilder Eile ankleiden, uns finstere Blicke zuwerfen, sie schaffen es, finster zu schauen, während sie sich Langarm-T-Shirts über den Kopf ziehen, was doch eine passable schauspielerische Leistung ist. Ich schaffe es nicht einmal, ordentlich finster auszusehen, während ich die Vorhänge zuziehe. „Was tun die jetzt?“, will meine Mutter atemlos wissen, sie klingt wie ein Kind im Kino, das die Augen vor Angst fest verschlossen hält, aber dennoch nicht fähig ist, sich aus der Geschichte herauszuhalten. „Schau hin! Schau hin! Was machen sie?“ „Sie kleiden sich an und verlassen die Wohnung eilig“, melde ich bundesheertauglich ordnungsgemäß. Komisch. „Ich finde, sie ist sehr hübsch, richtig durchtrainiert.“ In meiner Mutter bricht die Künstlerin hervor, die in ihrem schätzenden, wägenden Blick vernichtende Wertungen verborgen hält, der Blick ist gnadenlos und unbestechlich. „Du solltest auch mal wieder in den Gymnastikkurs gehen.“ „Damit ich auch am Fensterbrett ficken darf, Mama?“ „Dass du immer sofort eingeschnappt bist, wirklich, ich meine das ganz liebevoll.“ „Ich auch.“ Wir stellen die Tassen ab...