E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: zur Einführung
Pape Charles Sanders Peirce zur Einführung
volständig überarbeitet
ISBN: 978-3-96060-040-4
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: zur Einführung
ISBN: 978-3-96060-040-4
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2. Kategorien: Ein Rätsel der peirceschen Philosophie
Die Formulierung des Rätsels
Kann man die Erfahrung des Menschen mit sich und der Welt in einer kurzen Antwort, einer Summe oder Formel philosophisch fassen, ohne sie zu beschreiben? Vielleicht nur in einem Gleichnis. 1896 schrieb Peirce den Entwurf zu einem Buch mit dem Titel Eine Vermutung über das Rätsel. Für das Titelblatt war die Abbildung einer Sphinx vorgesehen, neben der die Zeilen eines Gedichts von R.W. Emerson stehen sollten: »Die alte Sphinx biss auf ihre dicke Lippe, – Sagte, ›Wer lehrte Dich, mich zu nennen?‹ Ich bin Dein Geist, Leidensgefährte, Von Deinem Auge bin ich der Blick.«7 Was ist das für eine Vermutung, mit der Peirce glaubte, den sich erblickenden Blick zu fassen, die Summe menschlicher Existenz ziehen zu können? Seine Vermutung lautet, dass unsere Existenz in drei Universen zugleich angesiedelt ist: Alles menschliche Verstehen, jede Erfahrung, jeder Traum und noch jeder flüchtige Gedanke, Eindruck und ebenso jede noch so komplizierte wissenschaftliche Theorie werden durch lediglich drei Formen strukturiert, die durch drei Typen von Begriffen darstellbar sind. Diese drei allgemeinen Begriffstypen sind die einzigen Begriffe, die uneingeschränkt allgemein anwendbar (universal) und nicht weiter auf andere Begriffe zurückführbar sind. Mit der philosophischen Tradition seit Aristoteles nennt Peirce sie Kategorien. Das ist seine Lösung des Rätsels, die ebenso dunkel ist wie der Spruch der Sphinx: Es gibt genau drei elementare Typen von Begriffen oder Kategorien, nämlich Erstheit, Zweitheit und Drittheit. Kann eine solche Aussage die Summe eines Philosophierens darstellen und es zugleich begründen und erklären, wie Peirce zu denken scheint? Diese Annahme ist, darin sind sich seine Kommentatoren einig, rätselhaft, geheimnisvoll und dunkel. Philosophie ist jene Art von Theorie, in der die Formulierung eines Rätsels bereits ein entscheidender Schritt ist. Trotzdem: Die Formulierung des Rätsels ist noch nicht seine Lösung. Peirce war von seinen Kategorien so fasziniert, das er zu genau diesem Fehler neigte. Er formulierte seine geheimnisvolle These, dass mit den drei Kategorien eine allgemeine Erklärung der Form aller Erfahrung möglich sei, als Lösung für produktives Philosophieren. Doch auch mit der Benennung der Kategorien steht die Auflösung des Rätsels aus. Sie müsste begründet, in ihrer Zielsetzung argumentativ erklärt und in ihren Konsequenzen ausgeführt werden. Nur eines steht bereits fest: Wie immer der Versuch, die Bedeutung der Kategorien aufzuklären, letztlich enden mag, die Suche nach einer einheitlichen kategorialen Form der Erfahrung, die auch die Form der Wirklichkeit ist, steht im Mittelpunkt dieses Philosophierens. Peirce zeigt damit, dass sein Philosophieren in der Kategorientheorie die große Tradition der Philosophie von Aristoteles’ Kategorien8 und Kants reinen Verstandesbegriffen9 fortführt. Im Folgenden werden wir eine vorläufige Lösung des Rätsels der Kategorien erarbeiten, indem wir den Gehalt der Kategorientheorie veranschaulichen. Doch zunächst soll näher beschrieben werden, um welche Kategorien es sich dabei handelt. Gehen wir von Peirce’ Darstellung aus: »[…] es gibt drei universale Kategorien. Da alle drei ständig gegenwärtig sind, ist es unmöglich, eine reine Idee irgendeiner von ihnen zu bilden, die absolut von den anderen unterschieden ist. Ja, selbst so etwas wie ihre ausreichend klare Unterscheidung kann nur das Ergebnis langen und angestrengten Forschens sein. Sie können mit Erstheit, Zweitheit und Drittheit bezeichnet werden. Erstheit ist das, was so ist, wie es eindeutig und ohne Beziehung auf irgend etwas anderes ist. Zweitheit ist das, was so ist, wie es ist, weil eine zweite Entität so ist, wie sie ist, ohne Beziehung auf etwas Drittes. Drittheit ist das, dessen Sein darin besteht, eine Zweitheit hervorzubringen. Es gibt keine Viertheit, die nicht bloß aus Drittheit bestehen würde.« (EP I, 267; deutsch in: PLZ, 55) Hier werden drei abstrakte Begriffe beschrieben, die unterscheiden, welche Beziehungen, Sachverhalte und Dinge es in jeder Erfahrung geben soll: ein Etwas, eine Bestimmung an oder in jeder Erfahrung. Manches in der Erfahrung steht für sich allein, anderes nur in Beziehung zu etwas Zweitem. Ein Drittes kann Beziehungen zwischen einem Ersten und einem Zweiten herstellen. Die Kategorien sind also keine normalen Begriffe wie »Auto« oder »Elementarteilchen«. Kategorien sind Formelemente, die in vielerlei Begriffe auf unterschiedliche Weise eingehen können. Deshalb sagt Peirce über die Erstheit, sie sei »nicht an diesen besonderen Begriff gebunden, sondern […] das in dieser Definition charakteristische und eigentümliche Element und ein hervorstechender Bestandteil von Qualität, Qualitativität, Absolutheit, Originalität, Vielfalt, Zufall, Möglichkeit, Form, Wesen, Gefühl usw.« (SB1, 74). An anderer Stelle weist er auf das starke erstheitliche Moment in den Begriffen der Frische, Spontaneität und Neuheit hin. Über die Zweitheit sagt er, sie sei dasjenige »charakteristische Element, dass in den Ideen der dyadischen Relativität oder Relation, der Handlung, Wirkung, Existenz, Individualität, Opposition, Negation, Unabhängigkeit oder blinden Kraft vorherrscht« (Ebenda). In seiner evolutionären Kosmologie ist aber das Gesetz das Zweite. Die Drittheit beschreibt er als »jenen charakteristischen Bestandteil […], der in den Ideen des Werkzeugs, des Organon, der Methode, des Mittels, der Vermittlung, des Zwischenzustandes, der Darstellung, der Kommunikation der Gemeinschaft, der Zusammensetzung, der Allgemeinheit, der Regelmäßigkeit, der Kontinuität, der Totalität, des Systems, des Verstehens, der Erkenntnis, der Abstraktion usw. vorherrschend ist« (Ebenda). Die Kategorien greifen drei Begriffstypen heraus, indem sie eine immer gegenwärtige Formeigenschaft von Begriffen angeben. Diese Formeigenschaft ist die Wertigkeit (oder ihre Relationalität, siehe dazu das Kapitel Relation und Relationalität, S. 83–87) aller Begriffe. Die Wertigkeit jedes Begriffs besteht darin, dass er auf entweder ein, zwei oder mehrere Objekte bezogen werden muss, um eine konkrete Bedeutung zu haben. Die Kategorien liefern deshalb Unterscheidungen der Form jener Begriffe von Dingen, Beziehungen und Sachverhalten, die in keiner Denk- und Erkenntnissituation fehlen können: Wir müssen stets etwas haben, an das wir denken, das wir erfahren oder über das wir etwas erkennen. Dieses Etwas ist das Objekt der geistigen Aktivität, das unabhängig von allem anderen ist. Als ein unabhängig Erstes kann sein Begriff nur die Form der Erstheit aufweisen. Doch wenn wir etwas Erstes haben, dann müssen wir dieses Erste durch Trennung oder Negation stets von irgendeinem Zweiten unterscheiden können, sonst wäre es kein unterscheidbares Objekt für uns. Das Formelement eines Zweiten ist notwendig, um zu einer vollständigen Erfahrung oder einem vollständigen Gedanken gelangen zu können. Doch jede solche Struktur oder jeder solche Begriff, der zwei Elemente aufeinander bezieht, weist die Form der Zweitheit auf. Wenn wir ein Erstes und ein Zweites unterschieden haben, erkennen wir, dass eine Beziehung durch eine Unterscheidung hergestellt werden kann, die ein Erstes und ein Zweites einander zuordnet. Eine solche Beziehung der Vermittlung zwischen einem Ersten und Zweiten wird deshalb zu jedem Denken oder Erfahren gehören. Damit sind wir auf eine Form von Relation gestoßen, welche die Zweitheit überwindet: Sie ist nur in einem Begriff fassbar, welcher die Form der Drittheit aufweist, weil er die Relation zwischen einem Ersten und einem Zweiten herstellt. Mit diesen drei Elementen kann ein Denk- oder Erkenntnisprozess in einer Hinsicht in sich vollständig sein und in allen seinen nicht inhaltlichen Bestandteilen beschrieben werden. Diese Art der Darstellung der Kategorien gibt Peirce’ Argumentation in seiner frühen Schrift Eine neue Liste der Kategorien von 1867 wieder. (SB 1, 147–159) Diese Beschreibung der Rolle der Kategorien im Denken und Erkennen ist allerdings viel zu allgemein, um das Rätsel aufzulösen. Sie zeigt nicht, was erkannt werden muss, um eine solche Behauptung zu rechtfertigen. Sie zeigt uns auch nicht, wieso die Kategorien sowohl für unser Denken als auch für die Wirklichkeit Gültigkeit beanspruchen können. Eine grundsätzliche Annahme der peirceschen Kategorientheorie und damit seiner Philosophie insgesamt lautet, dass logische Formen für sich genommen erkennbar sind. Ja, die Erkennbarkeit der Wirklichkeit hängt von einer Übereinstimmung ab, die zwischen ihr und dem Erkennen besteht und nur in der gemeinsamen logischen Form fassbar wird. Tatsächlich werden wir sehen, dass Peirce diesen logischen Realismus, den er für seine Kategorientheorie beansprucht, auch für die Philosophie...