Pert | Raue Wasser | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Pert Raue Wasser

Roman | »Wunderschön und brutal ... ein atemberaubendes Debüt.« Joanna Canon, Sunday Times Bestsellerautorin
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7530-0071-8
Verlag: Ecco
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman | »Wunderschön und brutal ... ein atemberaubendes Debüt.« Joanna Canon, Sunday Times Bestsellerautorin

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

ISBN: 978-3-7530-0071-8
Verlag: Ecco
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein traurigschöner Debütroman über Familie und Traumata, Erlösung und Neuanfänge vor der Kulisse der einsamen ShetlandinselnJane ist ihr Leben lang vor ihrer Vergangenheit geflohen, aus Angst, die psychische Krankheit ihrer Mutter Sylvia geerbt zu haben. Die ist verschwunden, als Jane noch ein Teenager war.Jetzt lebt Jane in einem Trailer in einer windumpeitschten Ecke auf den rauen und einsamen Shetlandinseln, arbeitet in einer Fischfabrik und verbringt stille Abende zuhause, gemeinsam mit Mike, dem ersten Menschen seit vielen Jahren, dem sie sich ein bisschen öffnet.Als die Leiche ihrer Mutter gefunden wird, kommt die verdrängte Erinnerung an den Tag wieder hoch, an dem vor vielen Jahren ihr kleiner Bruder starb. Alte Wunden werden wieder aufgerissen, und ihr bleibt keine andere Wahl, als sich ihren Dämonen zu stellen.

Die Autorin Rebecca Pert studierte Kreatives Schreiben an der Cardiff University und hat bereits Lyrik in mehreren Zeitschriften veröffentlicht. Für ihren Debütroman »Raue Wasser« wurde sie mit dem First Novel Award des Cheltenham Literary Festivals ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrem Mann, Sohn und Hund in Gloucestershire.

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KAPITEL EINS Jane schmiegt sich an Mikes Brust und blinzelt in das Licht der Morgendämmerung, das durch die Vorhänge dringt. Noch ist alles im Zimmer grau. Ihre Klamotten liegen unordentlich auf einem Stuhl, Mikes Ölzeug hängt an der Rückseite seiner Tür. Ihr Blick schweift über seine Stiefel und zwei leere Gläser. Eine Kondomverpackung schimmert matt auf dem Nachttisch. Sie lauscht Mikes Herzschlag: padam, padam, padam, ein leises rhythmisches Wummern. Es ist kalt im Zimmer. Doch unter Mikes Bettdecke ist es schön warm. Sie atmet seinen Geruch ein, nach Salz auf der Haut und etwas Achselschweiß. Es ist berauschend, einem anderen Menschen so nahe zu sein. Zehn Jahre lang hatte sie keinen Menschen mehr angefasst, im wahrsten Sinne des Wortes. Hatte nur Hautkontakt mit totem Fisch, mit eiskaltem, glitschigem Lachs. Bis vor sechs Monaten. Und nun liegt sie hier, nackt unter einer Bettdecke mit einem Mann, ganz dicht bei ihm, sein Brusthaar kitzelt sie an der Nase. Sie ist überglücklich. So glücklich war sie noch nie. Am liebsten würde sie für immer in diesem Bett bleiben. Aber der Wecker auf dem Nachttisch zeigt 07:32, und sie muss sich beeilen, sonst kommt sie zu spät zur Arbeit. Jane setzt sich auf, gähnt im schwachen bläulichen Licht. Schaut den hünenhaften Mike an. Sie ist auch groß, doch er überragt sie locker. Ein Berg von einem Mann, mit breitem Kreuz, rotbraunem Haarschopf und dichtem Bart. Mike regt sich grunzend. Dreht sich auf die Seite und blinzelt zu ihr hoch. Plötzlich wird Jane verlegen. Aus seinem Blickwinkel muss sie ja furchtbar aussehen, hat garantiert ein Doppelkinn, stinkt womöglich nach Schweiß. Sie presst die Oberarme an den Körper. »Ich muss jetzt aufstehen«, sagt sie. »Mmh.« Mike reibt sich die Augen. »Willst du ’nen Kaffee?« »Mmh«, sagt Mike und greift nach ihr. »Nein. Bleib noch ein bisschen.« Er küsst sie. Sein Bart kitzelt, sie bekommt Gänsehaut. »Das geht nicht«, sagt sie. »Sonst komme ich zu spät.« Zehn Sekunden später ist sie wieder unter der Bettdecke und schmeckt seinen schlaftrunkenen Mund. Die Fabrik taucht vor ihr auf, der riesige weiße Kasten leuchtet in der Wintersonne. Jane lässt den Wagen über das Viehgitter ruckeln, biegt rasch auf den Parkplatz, hält mit quietschenden Bremsen und schaut auf die Uhr. 8:15 Uhr. »Mist«, sagt sie. Sie steigt aus, knallt die Tür zu. Am Dock werden bereits die Trawler entladen, Männer in orangefarbenen Overalls wuchten die Fischkästen ans Ufer. Hier ist sie Mike zum ersten Mal begegnet; er arbeitete damals noch auf einem Trawler. Sie machte gerade eine Zigarettenpause, er bat sie um Feuer. Als sie ihm ihr Zippo reichte, berührten sich ihre Hände, und in dem Moment geschah etwas mit ihr; Explosionen ließen ihren Körper erzittern, Sirenen heulten, rote Lichter blinkten, eine Lautsprecherdurchsage: Achtung, menschliche Berührung, menschliche Berührung! Ihr war gar nicht klar gewesen, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte. Und als die Wärme dieser Männerhand sie streifte, weckte das einen tiefen Urtrieb, ihr wurde plötzlich ganz heiß da unten. Sie hatte sich völlig vertrocknet gefühlt, seit einer Ewigkeit keine sexuelle Erregung, aber in diesem Moment hätte sie schwören können, dass aus ihren Ovarien ein Ei kullerte, wie bei einem rostigen alten Kaugummiautomaten, dem man einen Tritt verpasste. Eine Beziehung einzugehen, war eigentlich unvorstellbar für sie gewesen. Sie hatte wie eine Nonne gelebt, eine geordnete, ruhige, enthaltsame Existenz geführt. Bis sich ihr Körper im Rausch der Pheromone über den Verstand hinwegsetzte. Sie hatte noch am selben Abend Sex mit ihm, nach ein paar Pints in der Bar des Baltasound Hotels waren sie zu ihrem Wohnwagen gestolpert, um sich elektrisiert und ausgehungert die Kleider vom Leib zu reißen. Als Jane über den Parkplatz rennt, denkt sie unwillkürlich an den Morgen mit Mike. Daran, wie sie eben noch in Reitstellung auf ihm saß und das Kopfende des Bettes umklammerte. An ihren Orgasmus, der sich langsam zu einer strahlenden Explosion der Lust ausbreitete. Bei der Erinnerung daran schießt ihr das Blut in die Wangen. Hastig stößt sie die Metalltür zur Damenumkleide auf. Sie ist leer; die anderen sind längst fertig. Sie nimmt ihren gelben Arbeitsoverall vom Haken, zieht ihn sich über die Jeans, steigt in die Gummistiefel, stülpt sich hastig ihre Haube auf den Kopf. Eine Frau in den Vierzigern mit Stoppelhaaren kommt hereingeplatzt. »Verdammt, wo warst du so lange?« »Tut mir leid, Pat«, sagt Jane. »Du bist zu spät.« »Ich weiß.« »Und?« »Es tut mir leid.« »Hast du eine Erklärung dafür?« Jane hat sofort vor Augen, wie sie in der Eile ihre Sachen verkehrt herum anzog und Mike sich darüber kaputtlachte. Sie muss sich zusammenreißen, um nicht loszuprusten. »Das Auto wollte nicht anspringen«, sagt sie und stopft ihre Tasche in den Spind. »Kaum zu fassen, dass die alte Rostlaube überhaupt noch fährt«, sagt Pat kopfschüttelnd. »Die Seeluft halt«, sagt Jane. »Was soll ich machen.« Sie knallt ihren Spind zu und steckt den Schlüssel ein. Pat schaut auf ihr Klemmbrett. »Heute bist du zum Köpfen eingeteilt«, sagt sie. »Los jetzt. Und komm nicht noch einmal zu spät.« »Ja, Pat«, sagt Jane und streift sich die Handschuhe über. In der Fabrik stinkt es nach Fisch und Blut. Das laute Dröhnen und Zischen der Maschinen ist allgegenwärtig. Rechts von Jane stürzen Lachse eine Rutsche hinunter, und der Mann neben ihr – Anthony, sein Name steht mit Filzstift auf der Rückseite seines Overalls – streicht das Scherbeneis von ihnen ab und schiebt sie auf dem Fließband weiter zu Jane. Jane steht vor der Köpfmaschine, deren Klinge mit einem Pedal gesteuert wird. Jane schiebt einen Fisch hinein, tritt auf das Pedal, und die messerscharfe Klinge senkt sich, trennt den Kopf vom Körper, die Haut teilt sich sauber wie Gummi, Blut spritzt heraus. Die Fischköpfe purzeln auf ein kleines Förderband, das am Boden entlangrattert; sie werden zu Katzenfutter verarbeitet. Die kopflosen Körper schiebt Jane weiter zum nächsten Kollegen, der die Bäuche der Fische vom Hals bis zum Schwanz aufschlitzt. Anschließend schneidet jemand den Eingeweidestrang durch, saugt die Innereien heraus und schöpft den orangefarbenen glitschigen Rogen in Eimer. Ein unaufhörlicher Strom von Lachsen wird von einer behandschuhten Hand zur nächsten über den Edelstahl geschoben, bis der Fisch frei von Blut ist und sauber und ordentlich in Konservendosen landet. Die Arbeit ist eintönig, doch Jane kommt gut damit klar. Als sie damals in der Fabrik anfing, betrachtete sie den Job noch als eine Art Strafe oder Selbstgeißelung. Sie gab sich dem Lärm und Gestank, der Kälte und Monotonie hin, bis sie völlig erschöpft war; auf diese Weise konnte sie alles andere ausblenden. Nach Schichtende war sie so ausgelaugt, dass sie nur noch in ihr Bett kriechen konnte und sofort einschlief. Inzwischen hat sie sich längst daran gewöhnt. Sie ist stärker und schneller geworden, und die Monotonie hat fast schon etwas Meditatives. Beim Köpfen der Lachse kann sie träumen. Von Mike hauptsächlich. Von Mike und davon, was sie einander bedeuten. Von ihrer gemeinsamen Zukunft. Einige Monate nachdem sie sich kennengelernt hatten, hängte er seinen Trawlerjob an den Nagel, um die Muschelfarm seines Onkels zu übernehmen. »Aquakultur«, sagte er zu ihr. »Das ist die Zukunft.« Einmal nahm er sie morgens mit aufs Boot, die Dämmerung über dem Meer, und zeigte ihr, wie sie die verkrusteten Langleinen hochzogen und den monatealten grün-violetten Seetang abschlugen, um die Miesmuscheln freizulegen, die an den Leinen festhingen wie Reben an einem Weinstock. Das Geschäft floriert. Mike hat eine eigene Website mit kunstvollen Schwarz-Weiß-Fotos: Bojenreihen in der Bucht, das nasse Deck eines Fischerboots, Mikes Hände, die eine Muschel auslösen. »Bio-Miesmuscheln aus Shetland«, heißt es da, »in den reinsten Gewässern des Nordatlantik gediehen. Nachhaltig und natürlich.« Einmal bereitete er abends welche für sie zu, mit Weißwein, Knoblauch und Sahne. Sie waren fleischig, köstlich, aphrodisierend; dazu die herzförmigen Schalen. An jenem Abend sagte sie ihm zum ersten Mal, dass sie ihn liebte. Liebe geht eben durch den Magen. Die Hupe ertönt, Zeit für die Mittagspause. Jane streift die Handschuhe ab, reckt sich, holt ihre Schachtel Marlboro hervor und geht nach draußen. Sie zündet sich eine Zigarette an, pult einen Fischbrocken von ihrem Overall und schnippt ihn zu Boden. Sofort stürzt sich eine Möwe darauf und verschlingt ihn. Die Sonne ist hinter Wolken verschwunden. Das Meer wogt schiefergrau unter dem Perlmutthimmel, in der Ferne gleitet ein Tanker vorbei, die Luft ist kalt und frisch. Jane atmet tief durch, um den Fischgestank aus ihrer Nase zu vertreiben. Ein Lastwagen rumpelt vorbei; an seiner Seite prangt das Logo der Fischfabrik, eine blaue Meerjungfrau. Jane fand das Logo schon immer grotesk. Was soll es überhaupt aussagen? Dass sie Meerjungfrauen fangen wollen, um sie zu Konserven zu verarbeiten? Sie zu köpfen, ihnen die Bäuche aufzuschlitzen, ihnen die Eingeweide mitsamt Rogen herauszusaugen und sie fein säuberlich zu filetieren? Jane zieht an ihrer Zigarette. Eigentlich sollte sie mit dem Rauchen aufhören. Mike versucht es gerade. Er kaut Kaugummi, klebt sich Pflaster auf den Oberarm. Sie selbst raucht seit achtzehn Jahren. Mit...



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