Peters Wege zur Stimme.
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-934443-07-5
Verlag: Unverzagt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Reisen ins menschliche Stimmfeld.
E-Book, Deutsch, 222 Seiten
ISBN: 978-3-934443-07-5
Verlag: Unverzagt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Den faszinierenden Landschaften der menschlichen Stimme auf unterschiedlichen Wegen näher zu kommen – das Ziel verfolgt der Autor Ralf Peters mit diesem Buch. Selbst Philosoph, Stimmkünstler und -lehrer, entfaltet er die Idee der ganzen Stimme und ihrer Beziehung zum Menschen. Er begibt sich auf die Suche nach der Philosophie der Stimme, erkundet, wie sich Stimme und “Seele” gegenseitig beeinflussen, und fragt nach den ästhetischen Ideen der Extended Voice Kunst.
Peters beruft sich dabei auf die Arbeit des deutschen Stimmlehrers Alfred Wolfsohn und seines Schülers und Nachfolgers Roy Hart, den Pionieren einer Stimm-ent-wicklung, die eine Befreiung der Stimme mit all ihren klanglichen Möglichkeiten anstrebt. Die Ideen von Wolfsohn und Hart werden hier zum ersten Mal in deutscher Sprache in Buchform ausführlich dargestellt und gewürdigt.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
TEIL 1: STIMME UND DENKEN
Ein Tag im Leben einer Stimme 9
Nachdenken über die Stimme 13
Karte statt Kopie 16
Die Stimme im Schatten der Sprache 22
Platon 22
Johann Gottfried Herder 26
Jacques Derrida 29
Stimmkonzepte im Wandel 37
Die Sängerinnen kommen 50
Die Idee der ganzen Stimme 57
Alfred Wolfsohn 57
Friedrich Nietzsche 59
Erster Brief an Alfred Wolfsohn 64
Teorie und Praxis der Stimme 69
Der singende Philosoph? 73
Das Stimmfeld 83
Individualität und Kommunikation 86
TEIL 2: STIMME UND PERSÖNLICHKEIT
Stimme: Spiegel der Seele? 91
Das Fremde in der eigenen Stimme 107
Die Seele aus dem Leib: Physiognomik der Stimme 113
Aristoteles: Ähnlichkeiten zwischen Tier und Mensch 115
Pro und Contra: Goethe und Lichtenberg 119
Zweiter Brief an Alfred Wolfsohn 131
Die Stimme in der Psychologie 137
Karl Bühler: Die handelnde Stimme 137
Die Stimme aus dem Of / Radioexperimente 142
Paul Moses: Die Stimme als Symptom 148
Analyse der Stimme? 150
Die gesunde und die freie Stimme 165
Der Stimmklang zwischen Beschränkung und Befreiung 174
Dritter Brief an Alfred Wolfsohn 187
Die ganze Stimme auf der Bühne 189
Die Ästhetik der Extended Voice 195
Etappen zur Extended Voice 204
Nachwort und Danksagung 217
Literaturverzeichnis 219
Karte statt Kopie In der Einleitung zu »Tausend Plateaus« behandeln Deleuze und Guattari die philosophische Frage, wie das Verhältnis von Denken – mitsamt seiner sprachlich gefaßten Ergebnisse – und dem berüchtigten Sein – der Gesamtheit dessen, was ist – in der Philosophie des Abendlandes verstanden wurde und wie es heute, lange nach dem fast gebetsmühlenartig deklarierten Ende der Metaphysik, gedanklich erfaßt werden kann. Zur Beschreibung der traditionellen Auffassung und des neuen Ansatzes, den sie dagegen stellen, führen Deleuze / Guattari die Begriffe der Kopie und der Karte ein. Die Kopie steht für die Idee der Repräsentation, wonach die denkend-sprachliche Erfassung eines Gegenstandes die möglichst genaue Abbildung des Originals sein sollte. Eine Kopie anfertigen bedeutet, von einem bereits vorliegenden Original eine getreue Nachahmung zu machen. Hier geht es wieder um die Vorstellung, die wir schon kennengelernt haben, daß Denken und Sein in einem Entsprechungsverhältnis zueinander stehen. Ein traditioneller Philosoph würde sagen: Das wahre Denken ist das Denken des Seins. Mit ihrer Metaphorik der Kopie bringen Deleuze und Guattari die alte Philosophie auf eine etwas profanere Ebene; sie fächeln gleichsam die Weihrauchschwaden hinweg, um einen klareren Blick auf den Denkansatz zu bekommen. Denkend das Sein zu kopieren folgt einer ähnlichen Technik wie das Anfertigen einer Xerox-Kopie, bei der das Original auf andere Weise hergestellt wird als seine Wiedergabe. Das Blatt Papier, das wir auf den Kopierer legen, kann mit der Hand beschrieben sein oder aus dem Computerdrucker kommen, die Kopie dagegen entsteht durch ein ganz anderes Verfahren. Es gibt allerdings auch Kopien, die mit den selben Mitteln hergestellt werden, aus denen auch das Original besteht. Kopien von Ölbildern werden in Öl gemalt; handschriftliche Dokumente – man denke an Kujaus Hitlertagebücher – auf möglichst originalem Papier und mit identischer Tinte geschrieben. Doch das Denken bedient sich nicht des gleichen »Materials«, um das Sein originalgetreu darzustellen. Eine Kopie verdoppelt quasi den ursprünglichen Gegenstand. In einem so hergestellten Doppelgänger soll sich das Original so zeigen, wie es ist. Durch die Anfertigung der Kopie beweist der Kopist, daß er sein Objekt kennt und weiß, wie er es mit seinen Mitteln originalgetreu darstellen kann. Macht er eine gute Kopie, dann hat er den originalen Gegenstand verstanden und gliedert ihn in seinen Kompetenzbereich ein. Verstehen wird so zu einem Mittel erkenntnistheoretischer Machtpolitik. Dem Modell der Kopie, das nicht nur nach Meinung von Deleuze / Guattari ausgedient hat, setzen die Autoren die Karte, genauer gesagt, die Landkarte als Alternative entgegen. Karten verdoppeln ihren Gegenstand nicht in möglichst originalgetreuer Weise. Vielmehr stellen sie ein Hilfsmittel für die Reise durch das anvisierte Territorium bzw. den dargestellten Gegenstandsbereich dar und geben Orientierungen für das praktische Verhalten in der Welt. In den Worten Deleuze’ und Guattaris ist die Karte deshalb nicht primär Ausweis der Kompetenz (»Ich habe mein Thema verstanden.«), sondern der Performanz (»Ich zeige Wege durch das Themenfeld; ich helfe bei der weiteren Erkundung des Gegenstandbereiches.«). Anders als beim Kopisten steht der Gegen-Stand dem Kartenzeichner und -leser nicht entgegen, und die Welt wird in der Karte nicht zum reinen Erkenntnisobjekt reduziert. Theorie und Praxis schotten sich nicht mehr voneinander ab, sondern durchdringen sich gegenseitig. Zugunsten einer integralen Struktur, in der jeder Beitrag zum Thema Einfluß auf die Gestalt des Themenfeldes nimmt und die Rückwirkungen dieses Einflusses wiederum die weitere Beschäftigung prägen werden, verabschiedet sich die Kartenmetapher von der traditionellen Subjekt-Objekt-Trennung. So geben die Karten vor, wie man in eine Landschaft hineinkommt und welche Wege man gehen kann. Während der Erkundung des reisenden Kartenlesers wird sich einiges Neue zeigen, das in die nächste Karte integriert wird. Das ist ein Prozeß, der sich fortsetzt, solange das Interesse an der Sache lebendig bleibt. Die Karte wird nie zur Kopie, denn es handelt sich bei diesem Erkenntnisprozeß nicht um eine Suche nach zeitloser Wahrheit, sondern um einen in der Zeit und der Geschichte angesiedelten Vorgang. Mit jedem neuen Beitrag, jeder neuen Karte und jeder weiteren Reise ändern sich die Voraussetzungen. So etwas wie das wahre Wesen der menschlichen Stimme gibt es aus dieser Perspektive nicht. Das Ergebnis der Forschungsreisen in die Landschaften der Stimme hängt auch davon ab, wer die Expedition durchführt und an welchen Karten man sich orientiert. Wenn ich mein Wanderleben zwischen Gebirge und Tiefland, mein Scheitern, meine kindischen Träume und heimlichen Orgien immer wieder beschreibe, so nur deshalb, um zwei oder drei bestialische Schreie, ein herzzerreißendes Stöhnen, das wie aus einer Höhle hervorzubrechen scheint, gleichsam in der Luft festzuhalten, obschon ich damit viel deutlicher sagen könnte, was ich wirklich fühle. Álvaro Mutis Der Kartenschreiber zeichnet die Bereiche, in denen er sich aufgehalten hat, versucht zu zeigen, wie man dorthin kommt und was einen dort erwartet. Doch in die Welt und die fremden Länder gehen muß man selbst. Erst durch die praktische Erfahrung wird die Erkenntnis, die man aus der Karte ziehen kann, lebendig. Das gilt ganz besonders für die menschliche Stimme. Man kann die Stimme nicht durch die Lektüre eines Buches kennenlernen. Eine Studie über die menschliche Stimme, wie ich sie hier präsentiere, stellt nicht mehr, aber auch nicht weniger dar als eine Inspirationsquelle für die eigenen Entdeckungsfahrten. Ob die Gedanken, die ich vorstellen werde, mit den Erfahrungen der Leserinnen und Leser übereinstimmen, kann erst entschieden werden, wenn die eigenen Erfahrungen gemacht wurden! Mit Heidegger könnte man sagen, daß die Landschaften der Stimme erst durch die Erfahrung entstehen; die Expedition ins Unbekannte kreiert, was dann auf der Karte festgehalten wird. Die Karte der Stimme, die ich mit diesem Buch vorstelle, verweist auf mich, den Kartenzeichner. Damit ähnelt sie jenen Karten, die von der Antike bis ins frühe Mittelalter angefertigt wurden. Ergebnis langwieriger Handarbeit, verrieten sie durch ihren Stil und die Machart genau, wer sie hergestellt hat. Karten des Altertums und des Mittelalters sind in der Erwartung angefertigt, noch Neues finden zu können. Die Phantasie und die Vorstellungskraft zeichneten mit. Die Karten haben gewissermaßen Persönlichkeit. In den Einzelheiten der Karten verzichteten die Zeichner der Vergangenheit auf eine objektive Maßstabstreue. Die Dinge, die ihnen wichtig erschienen, sind so groß, daß sie jedem sofort ins Auge fallen. Alfred Wolfsohn, einer der großen Entdeckungsreisenden in den Landschaften der ganzen Stimme, hat Texte geschrieben, die in diesem Sinne Karten sind, in denen vieles vorkommt, das man auf einer Karte für die Stimme nicht erwarten würde. Weil man sich dort nicht auskennt. Nicht dort gewesen ist, wo der Stimmforscher Wolfsohn war und sich heimisch gemacht hat. Die Qualität der Karte läßt sich erst einschätzen, wenn man sich selbst auf den Weg macht und sieht, ob sie einen führt oder in die Irre leitet. Die Karten der Stimme können und wollen nicht objektiv sein. Den Lesern einen Weg zu zeigen und damit zum eigenen Weg zu ermutigen, darin besteht nach meinem Verständnis die Aufgabe eines »Sachbuches«, das sich mit der menschlichen Stimme beschäftigt, einem Thema, das für jeden, der sich auf die Reise macht, unzählige Überraschungen bereithält. Aber wieso eigentlich sollte die Stimme mit unbekannten Weltgegenden, die neu kartographiert werden müssen, vergleichbar sein? Jeder Mensch nutzt doch seine Stimme tagtäglich; sie ist sein Begleiter in den allermeisten Lebenslagen. Im Normalfall bedürfen wir keiner besonderen Hilfsmittel, um uns mit und in der Stimme zurechtzufinden. Wie der Ort, in dem wir leben, ist uns die Stimme vertraut genug, um uns ohne Karte in ihr sicher zu bewegen, es sei denn, man sucht mal eine kleine Straße, bei der man nicht genau weiß, wo sie liegt. Wozu sollte es also gut sein, eine Karte zu zeichnen von einer Gegend, die offenbar jeder kennt? Diese Frage führt direkt an den Kern des Themas. Denn inwiefern kann man behaupten, daß jedem Menschen die menschliche Stimme oder zumindest seine eigene vertraut ist? Unsere Kenntnis stammt nur äußerst selten aus Forschungen, die wir selbst betrieben haben. In Erziehung und Sozialisation werden wir mit dem vorherrschenden Verständnis der Stimme konfrontiert, das wir meist frag- und widerspruchslos übernehmen. Dieses Verständnis steht am je vorläufigen Ende eines kulturellen Prozesses, in dem die Vorstellungen darüber, welche Bereiche der Stimme sozial akzeptiert werden oder wie eine angemessene oder schöne Stimme klingt, für die jeweilige Zeit verbindlich in einem unausgesprochenen Konsens herrschen. Unser Stimmverständnis ist eingebettet in das Netzwerk selbstverständlicher Einstellungen zur Welt und zum Leben, die nicht nur zum Teil individueller Natur sind, sondern uns auch von der Gesellschaft, in der wir aufwachsen, mitgegeben werden. Wollen wir über die Stimme neu nachdenken, sehen wir uns vor einen geistigen Horizont gestellt, der eine lange Geschichte hat. Die Stimme an sich, als ein quasi natürliches Phänomen, gibt es nicht. Die Aufgabe eines Kartenzeichners der Stimme hat also auch eine (kultur-)historische Seite. Er muß die alten schon existierenden Karten, nach denen man sich bislang orientiert hat,...