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E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Pfabigan Jeder mordet, was er liebt
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-85371-929-9
Verlag: Promedia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Oscar Wilde und Alfred Douglas. Eine Liebesgeschichte in Zeiten des Verbotes
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-85371-929-9
Verlag: Promedia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Am 30. November 1900 starb Oscar Wilde 46-jährig in einem billigen Pariser Hotel – verarmt, geschwächt und moralisch heruntergekommen. Noch sechs Jahre zuvor hatte die Londoner Gesellschaft dem Salonlöwen gehuldigt – als brillantem Erzähler und Verfasser des skandalisierten Romans "Das Bildnis des Dorian Gray". Doch 1895 verurteilte ihn ein Gericht wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht zu zwei Jahren Kerker und Zwangsarbeit. Daran zerbrach Wilde.
Die Schuld am Untergang wird in der Literatur seinem Liebhaber Lord Alfred Douglas zugeschrieben. Quelle dieser Anschuldigung ist eine im Gefängnis verfasste Abrechnungsschrift mit dem Titel "De Profundis", in der Wilde Douglas bezichtigt, ihn finanziell ruiniert und in einen Konflikt mit seinem Vater, dem Marquess Queensberry, hineingezogen zu haben. Das Buch gilt heute als eine der großen Bekenntnisschriften der Weltliteratur.
Alfred Pfabigan macht bisher unbekannte Details dieses berühmten literarischen Skandals sichtbar und verweist auf die sexualpolitische Bedeutung der Beziehung. Mit seinem glamourösen Auftreten durchbrach das Paar nicht nur die viktorianische Regel "Don't ask, don't talk", sondern machte bewusst seine Neigungen sichtbar. Bemerkenswert ist auch die weitere Entwicklung von Douglas nach Wildes Tod: Er heiratete die Lyrikerin Olive Custance, deren Geschlechterrollen-Experimente eine Vorform von LGBTQ-Positionen darstellten.
Das Buch zeichnet ein buntes Panorama der viktorianischen Gesellschaft – unter den Protagonisten finden wir neben der literarischen Szenerie auch Strichjungen, Detektive und auf die Verfolgung oder Verteidigung Homosexueller spezialisierte Anwälte.
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Vorwort
Sir Alfred Wills, ein angesehener und erfahrener Richter, der schon Mordprozesse geleitet hatte, beendete am 25. Mai 1895 zwei »schreckliche Verhandlungen« zum »widerwärtigsten Fall, den (er) je verhandelt« habe und verurteilte Oscar Wilde und seinen Mitangeklagten Alfred Taylor wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht zu zwei Jahren Kerker, verbunden mit Zwangsarbeit. Das von Presse und Publikum mit Jubel begrüßte Urteil zerstörte das Leben Wildes; die folgende mehrjährige kollektive philisterhafte Entrüstung warf die Entwicklung der modernen Kunst Großbritanniens über 20 Jahre zurück. (Timms 1995: 158) Es steht in einer Reihe mit zwei anderen skandalösen Verfahren rund um die vorletzte Jahrhundertwende, in denen die Justiz als Vollstreckerin gesellschaftlicher Vorurteile gegen Außenseiter fungierte: in der nahezu zeitgleichen Verurteilung des unschuldigen jüdischen Generalstabsoffiziers Alfred Dreyfus als Spion zu lebenslanger Verbannung auf die Teufelsinsel und in der Verurteilung der beiden Anarchisten Ferdinando Sacco und Bartolomeo Vanzetti zum elektrischen Stuhl 1921. Wilde gilt als ein Opfer der viktorianischen Prüderie, Heuchelei und Homophobie. Doch Queen Viktoria, in deren Namen Wilde verurteilt wurde, starb 1901. Das Gesetz, nach dem man ihn verurteilt hatte, überlebte die viktorianische Ära bis 1967. Der legendäre Informatiker Alan Turing wurde noch 1952 wegen seiner Homosexualität zur chemischen Kastration verurteilt und erst 2017 im Zuge des »Alan Turing Law« wurden er und zahlreiche Schicksalsgenossen amnestiert. In anderen europäischen Staaten ist die Rechtslage ähnlich. In England wurde lautstark in einem prominenten Fall ein Konflikt ausgetragen, der der gesamten westlichen Kultur nicht fremd war. Seither hat sich die Kampfzone ausgeweitet, die bloße Frage der Strafbarkeit ist zwar weitgehend irrelevant geworden, doch noch immer kämpfen sexuelle Minderheiten um die volle Teilhabe am sozialen Leben. Im Ablauf von der Schwulenbewegung zur »Queer-Debatte« bis zu LGBTQ haben sich die Einschätzung dessen, was als kollektive Benachteiligung gilt, ebenso gewandelt, wie die Terminologie – hier werden weitgehend jene Begriffe verwendet, die zur Zeit der beschriebenen Ereignisse diskursiv zum Einsatz kamen. Wildes Fall ist unzählige Male beschrieben worden – in Biografien, Theaterstücken, Romanen und Filmen. Doch in den meisten Darstellungen wird diese hartnäckige, die Menschenrechte missachtende strafrechtliche und publizistische Verfolgungsgesinnung, die eben kein britisches Monopol war, eher beiläufig als selbstverständliche Randbedingung einer Tragödie betrachtet. Personen wie Sir Alfred Wills, die nur ihre Pflicht im Einklang mit dem Gesetz und dem Zeitgeist taten, wurden von der Nachwelt vergessen. Ja, eine Reihe von Umständen, um deren Rekonstruktion wir uns hier bemühen werden, bewirkte, dass der private Aspekt der Affäre in den Mittelpunkt geriet: Wilde hatte sich 1892 mit einem Studenten, Lord Alfred Douglas, liiert. Hasserfüllte Briefe, hässliche Streitigkeiten und ein Spiel von Trennung und Versöhnung waren in dieser Beziehung, die beide Partner lange Zeit nicht aufgeben konnten, alltäglich. Und schließlich hatte Wilde eine unkluge Verleumdungsklage gegen den Vater seines Geliebten erhoben, die in ein Strafverfahren gegen ihn umschlug und so seinen Untergang verursachte. In seinen letzten Gefängnismonaten hatte der verzweifelte Wilde einen zur Publikation vorgesehenen Brief an Douglas geschrieben, der seit 1907 stückchenweise unter dem Titel »De Profundis« publiziert wurde und seit 1962 vollständig vorliegt. Der Häftling Wilde war in einer elenden Verfassung, als er diese Schrift entwarf, doch der Text fügt sich bruchlos in die übersteigerte Konfliktkultur dieses Paares. Der Versuch, den ehemaligen Geliebten öffentlich an den Pranger zu stellen, ist eine Abrechnung nach einer Beziehung, die Wilde nicht beenden konnte. Douglas, der Wilde um 45 Jahre überlebte, wird diese Zeit im Schatten der Vorwürfe dieses sich als Liebesbrief tarnenden Textes verbringen; seine oft dilettantischen Versuche, die Deutungshoheit über seine Vergangenheit zu gewinnen, haben ihn gepaart mit einem schwierigen Charakter in Konflikte gezogen, die auch sein Leben zerstören sollten. Wie so oft bei Beziehungskonflikten prominenter Personen bildeten sich Parteien, die sich dem populären Spiel nach der Schuldfrage des Scheiterns widmen. Doch außerhalb der engen Welt der Douglas-Biografik hat sich ungeachtet ihrer klischeehaften Elemente die geradezu filmische Darstellung der Beziehung in Wildes Rachebuch durchgesetzt: Ein eitler Schönling und egozentrischer Aristokrat hätte den großherzigen Schriftsteller in den Sumpf käuflicher Sexualität gezogen, ihn dann in einen Konflikt mit seinem Vater verwickelt und ihn schließlich in Armut zurückgelassen. Diese Erzählung finden wir in den Wilde-Büchern von Frank Harris und zahlreichen anderen autobiografischen Werken mit Bezug auf Wilde. Auch die große Wilde-Biografie von Richard Ellmann stützt sich in entscheidenden Partien auf die trübe Quelle »De Profundis« und hat die eindrucksvoll geschilderte Darstellung vom »Mann, der Oscar Wilde ruinierte«, übernommen. Die Biografie von Ellmann nutzte Brian Gilbert als Vorlage zu dem starbesetzten Film »Oscar Wilde« (1997), der den berühmten Schriftsteller schonte und sich auf die manipulative Unerträglichkeit des Alfred Douglas konzentrierte. Wildes Weste trug die Farbe der Unschuld und des Märtyrertums; die pädophilen Aspekte seiner Sexualität, auf die Neil McKenna 2009 hingewiesen hat und die in Rupert Everetts Film »The Happy Prince« (2018) sichtbar werden, klammerte Gilbert aus. Douglas, ohne Zweifel ein traumatisierter, orientierungsloser und problematischer Heranwachsender, war eine Idealbesetzung für die Rolle des Sündenbocks. Gelangweilt, arrogant, herrschsüchtig, egoistisch, wankelmütig, voll dramatischer Aggressivität und nicht nachvollziehbaren Reaktionen der Enttäuschung, die das innere Alibi für rücksichtsloses Ausnützen schaffen, treibt er in Gilberts Film sein Opfer Wilde, dessen »Liebe zu dem egoistischen Aristokraten … an Selbstaufgabe« grenzte, in den Untergang – so zumindest der Werbetext auf der »ARTHAUS«-DVD. Die Konzentration auf den privaten Aspekt der Affäre verdeckt vieles. Dass die zentrale Bedingung rund um diese Liebe das Verbot war, verschwindet zugunsten einer Schuldumkehr weg von der viktorianischen Gesellschaft zu Alfred Douglas. Ein Zerrbild seiner Person dominiert unser kollektives Gedächtnis, welches noch dazu auf einigen gängigen Klischees aufgebaut ist, die auch Wilde mehrfach in seinen Büchern verwendet hat – etwa jenes von der Grausamkeit der schönen Menschen, angedeutet in den Märchen von der Infantin, in der »Salome« und im »Dorian Gray«. Dass Douglas mehr war als ein gescheiterter Oxford-Student, der nebenbei ein wenig in der Dichtkunst dilettierte, sondern sich nach Wildes Tod zum bedeutendsten spätviktorianischen Sonettdichter entwickelte, ist für die meisten Biografen kein Thema. Die drei Jahre mit Wilde verdecken auch, dass er sich in späteren Jahren zu einer nicht unbedingt positiv auffallenden Figur auf der kulturellen und politischen Bühne Englands entwickeln wird: als radikaler Reaktionär und Anhänger antisemitischer Verschwörungstheorien, den haltlose Beschuldigungen Winston Churchills ins Gefängnis brachten, sowie als Partner einer der wichtigsten »neuen viktorianischen Frauen«, der Dichterin Olive Custance. Ihr Verhältnis zueinander gilt heute als wichtiger gelebter Beitrag in der immer noch laufenden Debatte über Geschlechterrollen. Und schließlich hat Douglas nach Wildes Tod insgesamt vier Bücher verfasst, in denen er »seine Geschichte« zu erzählen versuchte; zudem verstrickte er sich ob seiner Rolle in Wildes Leben in unzählige ruinöse Gerichtsverfahren. Auch er war Opfer der viktorianischen Prüderie. Doch das Erkenntnisinteresse dessen, der hier schreibt, gilt nicht seiner Verteidigung. Diese Liebesgeschichte spielte in einer Zeit gewaltiger gesellschaftlicher Umbrüche. Der von Hermann Broch beobachtete »Zerfall der Werte«, in der die »Schlafwandler« eine »fröhliche Apokalypse« orchestrierten, unterschlägt die Unzahl der neuen Werte und Regeln, die damals etabliert wurden. Die »Privatisierung« der Affäre verdeckt, dass Wilde und Douglas Zentralfiguren in jenem allmählichen »Sich-sichtbar-Machen« sexueller Minderheiten seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts waren. Douglas agierte radikaler als Wilde und führte in seinem studentischen Frühwerk eine selbstschädigende Kampagne für die »Lieb, die keinen Namen nennt«. Diesen für ihn charakteristischen Radikalismus wird er auch nach einer sexuellen Neuorientierung in seiner Kampagne gegen das »Wilde’sche Laster« nach dem Tod des Geliebten und der ersten Veröffentlichung von »De Profundis« praktizieren. Die Geschehnisse, die hier beschrieben werden, waren mehr als der größte literarische Skandal der frühen Moderne. Das Paar Wilde-Douglas rebellierte im Namen des Rechtes auf sexuelle Selbstbestimmung gegen gesellschaftliche Regeln. Ihre Liebe war – auch – eine »politische« Beziehung. Nicht im Sinne des populären Slogans, dass das Private politisch sei, sondern retrospektiv im Versuch der beiden, auf ihr Unbehagen an der Geschlechterordnung zu reagieren. Die lautstarke, die Mehrheitsgesellschaft provozierende öffentliche Inszenierung ihrer Beziehung verursachte den Untergang von Oscar Wilde. Doch haben die Partner durch diese Inszenierung die gesellschaftlichen Regeln im Feld »Sittlichkeit und Kriminalität« ausgereizt,...