E-Book, Deutsch, 142 Seiten
Posor Der Fall Hoeneß als Skandal in den Medien
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7445-0915-2
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Anschlusskommunikation, Authentisierung und Systemstabilisierung
E-Book, Deutsch, 142 Seiten
ISBN: 978-3-7445-0915-2
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Skandal ist ein stets wiederkehrendes Phänomen, das die Gesellschaft und die Forschung gleichermaßen bewegt und beschäftigt. Obgleich seine Existenz eine massenmediale Verbreitung vorausSetzt, wurde die Frage nach den Medienspezifika von Skandalberichterstattungen bislang fast vollständig übergangen. Die vorliegende Arbeit sucht diese Leerstelle zu füllen, indem sie die Aufbereitung von Skandalen in diversen Kanälen auf die jeweils wesensimmanenten Darstellungsstrategien untersucht und in einem zweiten Schritt die Bedeutung von Skandalen für das System der Massenmedien dargelegt. Als Hauptgegenstand der Analyse dient dabei die im April 2013 beginnende Causa Hoeneß. Ausgehend von Luhmanns systemtheoretischen Überlegungen zur Kommunikation der Massenmedien wird die entsprechende Berichterstattung in 'Spiegel Online' sowie mehreren öffentlich-rechtlichen Polit-Talks analysiert. Dabei zeigt sich, dass die medienspezifischen Darstellungs- und Narrativierungsmodi – allen Differenzen zum Trotz – sich zu übergreifenden Skandalisierungslogiken verdichten lassen, die eine stete FortSetzung der Kommunikation ermöglichen. Der Skandal wird somit zum Systemstabilisator.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Kommunikationswissenschaften Kommunikationsmanagement, Public Relations
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Mediensoziologie
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Kommunikationswissenschaften Massenmedien & Massenkommunikation
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Medienwissenschaften Journalismus & Presse
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Medienwissenschaften Medientheorie, Medienanalyse
Weitere Infos & Material
2 Untersuchungsgegenstand
Der im Zuge von Enthüllungen und Skandalen häufig bemühte Ausdruck des ‚Medienechos‘, das heißt die zumeist unmittelbaren und mannigfachen Reaktionen verschiedener Teile des massenmedialen Systems auf denselben thematischen Auslöser, widersetzt sich auch im Fall Hoeneß der ursprünglich aus dem Griechischen entstammenden Bedeutung des Begriffs echo , der einen einheitlichen und verzögerten Widerhall von Schallwellen bezeichnet. Die Operationen des diesbezüglich geschlossenen Systems bedingen eine Ausdifferenzierung, die die Reaktion von der originären Quelle ablöst. So wird nicht etwa (echoartig) der Wortlaut der Selbstanzeige wiedergegeben, sondern es werden aus unterschiedlichsten Perspektiven Handlungen bewertet und kommentiert, über deren mögliche Konsequenzen spekuliert, Personen charakterisiert und auf vergangene Berichte rekurriert. Die Darstellung dieser methodischen Vielfalt unterliegt ferner nur dem jeweiligen Möglichkeitshorizont des übertragenden Mediums, was eine allseitige Untersuchung a priori ausschließt. Eine sinnvolle Eingrenzung muss daher über die Ebene einer reinen Medienselektion hinausgehen und sich innerhalb des Programmbereichs auf einzelne Institutionen und Produktionen festlegen, die als repräsentativ betrachtet werden können. Neben feststehenden Auswahlkriterien wie der (visuellen) Beschäftigung mit der Steueraffäre um Hoeneß und ein hohes Empfangspotenzial verspricht die mit dem Bereich Nachrichten und Berichte verbundene Autorität (und Fallhöhe) des Senders maßgebend für eine aufschlussreiche Analyse der Vorgehensweise und Beglaubigungsstrategien zu sein. Zwar betreffen das Gebot der Anschlussfähigkeit und die durch den Skandal vorgegebenen komplexen Rahmenbedingungen das System19 als Ganzes, und somit alle infrage kommenden Medien und ihre Formen gleichermaßen,20 doch dienen Modelle, deren Kommunikationsmechanismen überdies durch einen selbst oder fremd auferlegten Sorgsamkeitsanspruch restringiert werden, insofern als fruchtbare Untersuchungsobjekte, als ihr Umgang mit diesem Thema die autopoietische Operationskraft des Systems deutlicher demonstriert als etwa der von Organisationen, die in der Selektion ihrer Methoden vergleichsweise freier agieren können. 2.1 Öffentlich-rechtliche Talkformate
Angesichts der Berufung auf ihren gesellschaftlichen Informations- und Bildungsauftrag stecken Programme der öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF das Untersuchungsfeld für das Medium Fernsehen ab. Da weiterhin die Ausführlichkeit der Auseinandersetzung mit dem Fall Hoeneß Einfluss auf die Breite der Vermittlungsoptionen des Kommunikators und somit auf die Zulässigkeit von Aussagen über potenzielle Muster in seiner Verfahrensweise hat, wird sich die Analyse dabei auf verschiedene mindestens einstündige Talkformate dieser Sender konzentrieren.21 So zeichnen sich diese Programme durch eine Synthese von thematischer Aktualität, Flexibilität und Extensität aus und unterscheiden sich darin von anderen ihres Bereichs.22 Dies ist auf einen gewissen Grad an struktureller Variabilität zurückzuführen, der Talkshows durch ein Zusammenspiel aus reglementierenden und freien Elementen ermöglicht wird. Zwar sind auch sie an die Programmstruktur des Senders und damit an die Chronologie eines in der Regel kaum beweglichen Ordnungsschemas gebunden. Sie besitzen darüber hinaus wiederkehrende, den Ablauf disponierende Bestandteile (wie etwa die Begrüßung der Gäste oder die Ankündigung nachfolgender Sendungen). Innerhalb dieses relativ starren (Binnen-)Rahmens besteht jedoch die Möglichkeit, Themenzugänge und Perspektiven je nach Diskussionsverlauf zu intensivieren oder unvermittelt zu wechseln. Da ein Skandal nicht einfach existiert, sondern in gewisser Weise erst durch die mediale Aufbereitung des zugrunde liegenden Verstoßes geschaffen wird,23 ist es notwendig, ihn über die reine Meldung eines Ereignisses hinaus kommunizierbar zu machen, eine greifbare Oberfläche entstehen zu lassen, an der seine Verbindungen zu verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen ersichtlich werden. Die Spannweite solcher medialer Kontextualisierungsversuche lassen sich an diesen verlaufsflexiblen Formaten wirkungsvoll beobachten. Zugleich überbrückt die multiperspektivische Ausrichtung die Kluft zwischen Aktualität und Extensivität. Der Vermittlung von Informationen durch das System Massenmedien gehen selektive Recherchetätigkeiten voraus. Sendungen, die an der Enthüllung eines Vorkommnisses nicht beteiligt waren, sehen sich – je aktueller die Bezugnahme ihres Inhalts sein soll – daher mit einem grundlegenden Zeitproblem konfrontiert, das sich hinsichtlich einer ausführlichen Präsentation von Meldungen negativ auswirkt. Die Recherche für die Ausgaben von Talkshows wird dadurch begünstigt, dass sie nicht im Vorfeld abgeschlossen und in einer bestimmten Form fixiert werden muss, sondern zum Teil ausgelagert werden kann, indem Experten verschiedener Bereiche eingeladen werden und sich der Gastgeber auf das Erfragen und Moderieren von Meinungen und Fakten fokussieren kann. Da es sich bei den hier untersuchten Talkshows überdies um Live-Ausstrahlungen handelt, kann die Ansammlung von Informationen bis zum Zeitpunkt des Übertragungsbeginns (und darüber hinaus) ausgedehnt werden. Dem Rezipienten wird folglich eine sich im Prozess befindliche Recherche suggeriert, deren Verlauf ebenso wenig festgelegt zu sein scheint wie ihr Ergebnis. Diese offene Gestaltung ermöglicht erst die Anpassungsfähigkeit, die für eine umfangreiche Auseinandersetzung bei gleichzeitigem Aktualitätsanspruch notwendig ist. Dabei fungiert sie gleichermaßen als selbstreferentielle Strategie zur Glaubwürdigkeitserzeugung.24 Quellen von Nachrichten und Urheber von Meinungen werden dem Zuschauer vorgeführt und die Auseinandersetzung damit (vermeintlich) transparent gestaltet. Dem Rezipienten wird die Zeugenschaft in den Ermittlungen des Senders angeboten. Die Talkshow stellt dabei ein für das Medium Fernsehen besonderes Hybrid aus Visualisierung und Verbalisierung dar: Da ihre Vermittlung nur auf Live-Bilder angewiesen ist und theoretisch auch der einstündige Blick auf ,talking heads‘ nicht als Verweigerung ausgelegt würde,25 kann sich die Diskursivierung von Themen jenseits von temporalen und räumlichen Begrenzungen bewegen. Vom Drang befreit, dem Rezipienten eine bildliche Auflösung des Inhalts bieten zu müssen, wird über die Vergangenheit berichtet und über die Zukunft spekuliert, werden Gedankenexperimente durchgespielt und unterschiedliche Meinungen artikuliert – und dies nicht selten gleichzeitig. Durch den mündlichen Erörterungsstil der Talkshow kann ein Gegenstand somit aus unzähligen Blickwinkeln betrachtet und narrativiert werden. Auf diese Weise entstehen permanent neue Ansatzpunkte, die dann ihrerseits wiederum (unmittelbar oder von anderen Teilbereichen des Systems) aufgegriffen und zu weiterer Kommunikation genutzt werden können. Gleichzeitig jedoch bedienen sich diese Formate regelmäßig kurzer Filmbeiträge, die dazu dienen, das Außerhalb der Diskussion sichtbar werden zu lassen und mit Relevanz zu versehen sowie vorab geplante Themenübergänge visuell zu markieren. So sind etwa Umfragen in Form von Vox Pops, Interviews, Bezugnahmen auf interne und externe Medienproduktionen oder auch Grafiken als kontextualisierende Elemente fester Bestandteil von Talkshows. Im Gegensatz zu den Live-Gesprächen sind solche Beiträge in ihrer Struktur festgelegt und eröffnen durch die Montage von selektiertem Bildmaterial und eigens formulierten Texten eine neue Bedeutungsebene, die ebenfalls narrativierende Qualität besitzt und mitunter dem Rezipienten eine bestimmte Lesart der Aussagen nahelegt.26 Die scheinbar transparente und unmittelbare verbale Informationsgewinnung zeigt sich also stets von vorgefertigten visuellen Erzeugnissen gerahmt, wodurch die Untersuchung von Talkshows hinsichtlich einer anschlussfähigen und systemstabilisierenden Aufbereitung von Missständen eine bedeutende Facette gewinnt. Der Skandal ist indes nicht allein die Zeit der Enthüllung und Aufklärung, er ist in erster Linie die „Zeit der Empörung“27. Die öffentliche Verurteilung grenzt die begangenen oder behaupteten Taten von vergleichbaren ab, die womöglich nur das Rechtssystem beschäftigen.28 Die Massenmedien transportieren zum Zweck einer konstant weiterlaufenden Kommunikation, neben Fakten und Hintergrundinformationen, immer auch die allgemeine Entrüstung über den verhandelten Gegenstand. Der Talkshow kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle zu: Sie bietet zum einen hochstehenden Vertretern diverser gesellschaftlicher Teilsysteme eine Plattform zur Bekanntgabe ihres persönlichen Standpunkts sowie zur Positionierung des jeweiligen Teilsystems im Gesamtkontext der Entwicklungen. Die artikulierten Haltungen werden dabei kontinuierlich miteinander abgeglichen oder kontrastiert und die so entstehenden Reibungspunkte entwickeln sich bisweilen zum zentralen Element der Diskussion.29 Zum anderen öffnet sie den Raum für ein Studiopublikum, das in einer Funktion als übergeordnete Bewertungsinstanz...