E-Book, Deutsch, 187 Seiten
Reihe: zur Einführung
Prechtl Edmund Husserl zur Einführung
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-96060-032-9
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 187 Seiten
Reihe: zur Einführung
ISBN: 978-3-96060-032-9
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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3. Das philosophische Selbstverständnis
Vergegenwärtigt man sich die Anstrengung, die für eine solche Menge an Manuskripten, wie Husserl sie produziert hat, aufzubringen ist, kann man auch erahnen, mit welcher Intensität er seine philosophischen Fragestellungen verfolgt hat. Wie sehr sein Anspruch an sich selbst als Philosophierenden von einem radikalen Impetus getragen war, bezeugen zahlreiche Briefe an Freunde, in denen zum Ausdruck kommt, mit welcher Intensität er um die Lösung bestimmter Problemstellungen kämpfte. Husserl setzte sich den Maßstab der Philosophie als strenger Wissenschaft. In einem emphatischen Sinne spricht er von der mit einem solchen Philosophieren verbundenen Lebensentscheidung, mit der das »Subjekt sich selbst […] für das an sich Beste im universalen Wertbereich der Erkenntnis und für ein konsequentes Hinleben gegen die Idee dieses Besten entscheidet«12. Das Bestreben nach absoluter Rechtfertigung dient seinem philosophischen Forschen als Orientierungslinie. Husserl bringt dies in verschiedenen Formulierungen zum Ausdruck: »Philosophie als strenge Wissenschaft«, »erste Philosophie«, die Idee der Philosophie als universaler Wissenschaft in »absoluter Rechtfertigung«13, die Idee der Philosophie als einer »wahren und echten Universalwissenschaft aus letzter Begründung«14. Der Begriff der absoluten Rechtfertigung, den er immer wieder verwendet, mag dabei dem heutigen Leser angesichts des damit verbundenen Anspruchs Verständnisschwierigkeiten bereiten, wenn nicht gar äußerste Bedenken hervorrufen. Solche Bedenken werden nicht beseitigt, indem man darauf verweist, dass sich Husserl dabei der »Platonischen und Cartesischen Idee einer universalen Wissenschaft aus absoluter Rechtfertigung«15 verpflichtet wisse. Klarere Konturen gewinnen wir diesem programmatischen Ansatz am besten dadurch ab, dass wir die betreffenden Punkte im Einzelnen erörtern: 1. Was soll begründet werden? 2. Welche Form der Begründung kann überhaupt als befriedigend bzw. hinreichend angesehen werden? 3. Auf welche Begründungsmuster der philosophischen Tradition nimmt Husserl dabei Bezug? 4. Worin besteht die spezifisch phänomenologische Variante der Lösung? Schon im alltagssprachlichen Kontext richten wir an denjenigen, der uns mit einer bestimmten Behauptung entgegentritt, die Frage, woher er das wisse oder wie er seine Aussage begründen könne. Wir erwarten dabei, dass er uns die Möglichkeit an die Hand gibt, die Richtigkeit seiner Aussage zu überprüfen. Einen solchen Begründungsanspruch formulieren wir also für explizite Behauptungen bzw. für Aussagen, die als wahr hingestellt werden. Nur da, wo unserer Rückfrage auf befriedigende Weise entsprochen wird, können wir eine solche Behauptung akzeptieren und diese auch als gesichertes Wissen in unseren Bestand der Erfahrung aufnehmen. Es geht also zunächst darum, bloße Behauptungen oder subjektive Meinungen von objektiver Erkenntnis oder Wissen zu unterscheiden. Unser Beispiel aus dem alltäglichen Erfahrungsbereich lässt sich erweitern in Bezug auf die empirischen Wissenschaften. Diese verweisen zur Bestätigung ihrer allgemeinen Aussagen auf Erfahrungen, die man unter methodisch festgelegten Regeln wiederholt machen kann. Anders als in der Alltagserfahrung unterliegt das Experiment bestimmten Versuchsanordnungen, die es jedem anderen ermöglichen sollen, diese Erfahrungen unter denselben Anordnungen wiederholen zu können. Spezifisch für beide Wissensformen ist es aber, dass eine solche Art empirischen Wissens immer auf Erfahrung angewiesen ist, die grundsätzlich nicht abzuschließen ist. Die Möglichkeit, dass sich in der Reihe der weiteren Erfahrungen plötzlich Ergebnisse zeigen, die mit den bisherigen Erfahrungen nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen sind, ist nicht auszuschließen. Insofern handelt es sich bei diesem Wissen immer nur um eine vorläufige Wahrheit. In der modernen Erkenntnistheorie wird dem dadurch Rechnung getragen, dass man nicht mehr von der Möglichkeit der Verifikation ausgeht, sondern eine Behauptung so lange als gültig annimmt, wie diese nicht widerlegt (d.i. falsifiziert) wird.16 Die zitierten Beispiele machen allerdings nur plausibel, in welchem Sinne man Begründungsansprüche stellen kann, sie geben aber nicht wieder, worin das philosophische Problem besteht. Dieses bekommen wir erst dadurch in den Blick, dass wir die Frage ganz allgemein stellen: Wie kann man für die von Subjekten vollzogenen Erkenntnisleistungen Objektivität beanspruchen? Insofern sie von einzelnen Subjekten vollzogen werden, haftet ihnen der Charakter der Subjektivität an. Können wir unter diesen Bedingungen den Anspruch auf Objektivität überhaupt aufrechterhalten? Wir haben damit bereits den Problemgehalt vor uns, der auch Husserls gesamtes Werk durchzieht: Subjektivität des Erkennens auf der einen Seite, objektiver Erkenntnisgehalt auf der anderen. Aus dieser Konstellation heraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Grundlage für den Anspruch auf objektive Erkenntnis auszuweisen. Aber welche Form der Begründung kann diesen Nachweis erbringen? Die philosophische Problemstellung kann nur dann auf eine befriedigende Lösung stoßen, wenn sie zu einer gesicherten Form der Begründung findet. Gefordert ist also eine Form der Wahrheit, die nicht wie die empirische unter dem Vorbehalt steht, nur vorläufig bzw. von den zufälligen Erfahrungen in konkreten faktischen Situationen abhängig zu sein.17 Die gesuchte philosophische Wahrheit hat allgemein und notwendig zu gelten. Ob und wie eine solche Wahrheit im Einzelnen zu erreichen ist, ist damit noch nicht gezeigt. Es geht zunächst nur darum, den für eine solche Begründung geforderten Anspruch zu bestimmen. Eine endgültige Begründung ist dann gegeben, wenn alles »vernünftige Fragen sein Ende hat«18. Zu einem Ende des Hinterfragens gelangen wir, wenn wir ein letztes Fundament aller Erkenntnis ausmachen können. Wenn wir diesen Aspekt der absoluten Begründung vorläufig festhalten, bleibt noch zu klären, um welches Fundament es sich dabei handeln kann. Zu beantworten ist also noch die Frage, was wir als Fundament der Erkenntnisbegründung ansehen können. Es bedarf einer eigenen Begründung, inwiefern es sich um ein Fundament für jede Erkenntnis handelt. Wir können diesen Problemkomplex auf zwei Fragen zuspitzen: 1. Wie kann man den Absolutheitscharakter der letzten Quelle aller Erkenntnis bestimmen? 2. Welches Verfahren bietet sich an, das die absolute Verbindlichkeit der Begründung sicherstellen kann? Diese Suche nach einer absoluten Begründung begleitet Husserls philosophische Bemühungen bis in seine letzten Manuskripte hinein. Dadurch zeichnet sich sein Konzept einer Letztbegründung aus, das schlagwortartig auch als fundamentalistische Rechtfertigungsbemühung bezeichnet wird.19 Da wir die vollständige Antwort erst in den Ausführungen zu seiner Phänomenologie erwarten dürfen, soll an dieser Stelle Husserls Lösungsweg nur angedeutet werden. Ein Fundament bzw. ein Absolutes im Sinne einer Basis aller Erkenntnis ist dann gegeben, wenn wir zu einer irrelativen Gegebenheit gelangen können. D.h., es müsste mit der Angabe des Fundaments gleichzeitig ersichtlich sein, dass wir nicht nochmals dahinter zurückfragen können. Husserls Phänomenologie wird dafür den »Bereich des Bewusstseins« namhaft machen, in dem ein absoluter Grund gefunden werden soll. Dabei haben wir das Kriterium »absolut« im Sinne von Nichtrelativität gedeutet.20 Wir haben aber noch zu berücksichtigen, auf welche Weise das gesuchte Fundament, also der Absolutheitscharakter der letzten Quelle aller Erkenntnis, erreicht werden kann. In den Vorüberlegungen in Bezug auf den Erfahrungsbegriff der empirischen Wissenschaft wurde schon angedeutet, dass ein solches Fundament nur Resultat einer bestimmten Form von Erkenntnis sein kann. Diese darf nicht wieder ein Wissen voraussetzen, das seinerseits ebenfalls begründungsbedürftig wäre. Gefordert ist somit eine bestimmte Voraussetzungslosigkeit: Wir dürfen auf keinerlei Vormeinungen oder auf Vorurteile, wie sie uns durch irgendwelche Wissenschaften oder die philosophische Tradition gegeben sind, zurückgreifen. Der Absolutheitscharakter wird auch durch die Voraussetzungslosigkeit des gesuchten Wissens gewährleistet. Auch an diesem Punkt kommt ein besonderer Zug phänomenologischen Philosophierens zum Vorschein. Denn diese Forderung einer radikalen Voraussetzungslosigkeit soll durch die phänomenologische Philosophie eingelöst werden, was in der Parole »Zu den Sachen selbst« zum Ausdruck kommt. Die Frage nach der absoluten Verbindlichkeit der Begründung steht in einem engen Zusammenhang mit der Methode des Philosophierens. Die ausführliche Antwort erhalten wir, wenn wir Husserls Methode der transzendental-phänomenologischen Reduktion eingehender erörtern. Wenn wir uns in der phänomenologischen Philosophie bewegen, werden wir sehen, wie Husserl dafür ein adäquates Wissen und Evidenz in Anschlag bringt. Zuvor müssten wir uns...