E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Priewasser Aufwachsen in unsicheren Zeiten
1.Auflage 2024
ISBN: 978-3-608-12263-3
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eltern und Kinder in Veränderungen und Krisen professionell begleiten
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-608-12263-3
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Professionelle Hilfestellungen für junge Familien
Neueste Forschungsergebnisse und Erfahrungen aus der Praxis
Aktualität: Unsere Welt ist geprägt durch verschiedenste Krisen
Mit einem Geleitwort von Karl Heinz Brisch
Unsere Zeit ist von globalen Krisen, gesellschaftlichen Veränderungen und Umbrüchen geprägt, die auch den Lebensbeginn beeinflussen. Junge Familien und die sie begleitenden Fachkräfte stehen vor zahlreichen Fragen, Möglichkeiten und Herausforderungen. Wie wandeln sich Elternrollen und Medienkonsum und welche neuen Situationen entstehen dadurch? Wie beeinflusst die Klimakrise die Gesundheitsversorgung rund um die Geburt? Gibt es Chancen in den sich ändernden Lebensbedingungen? Neben gesellschaftlichen Veränderungen werden außerdem individuelle Krisen thematisiert, z. B. der Umgang mit lebenslimitierenden Pränataldiagnosen oder Behinderungen. Das Buch bietet einen reichhaltigen Schatz an Hilfestellungen und konkreten Lösungsansätzen für die Begleitung von Eltern durch Krisen und Unsicherheiten.
Zielgruppe
Alle, die Schwangere, junge Eltern und Kleinkinder begleiten; ÄrztInnen, PsychologInnen, PsychotherapeutInnen aller Schulrichtungen, Hebammen, SozialarbeiterInnen, Mitarbeitende in Jugendämtern
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Allgemeines
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Entwicklungspsychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Familientherapie, Paartherapie, Gruppentherapie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Beratungspsychologie
Weitere Infos & Material
Carmen Hoppe und Tobias Hoppe Gesundheitsversorgung rund um die Geburt in der Klimakrise
Der Klimawandel gilt als die größte Gesundheitsbedrohung für die Menschheit. Folgen des Klimawandels umfassen Extremwettereignisse wie Dürre und Starkregen sowie Veränderungen in den lokalen Schadstoffkonzentrationen in der Luft. Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder zählen zu den besonders gefährdeten Gruppen in der Bevölkerung. Gesundheitsschutz setzt voraus, dass die Angehörigen der Gesundheitsberufe die vielfältigen Folgen verstehen, die der Klimawandel für diese Menschen mit sich bringt, und Strategien nutzen, um negative Auswirkungen zu verringern. Um die gesamtgesellschaftlichen Folgen des Klimawandels einzudämmen, erfordert die Bewältigung der Klimakrise gleichzeitig eine sozial-ökologische Transformation der gesamten Lebens- und Arbeitswelt. Hebammen spielen als Gesundheitsexpert:innen eine zentrale Rolle bei der Gestaltung eines sozial nachhaltigen Wandels. Der Beitrag fokussiert darauf, wie insbesondere Hebammen, aber auch andere in der Gesundheitsversorgung und -förderung tätige Personen im Kontext von Schwangerschaft, Geburt und früher Kindheit auf die Folgen des Klimawandels reagieren und klimafreundliches Verhalten unterstützen können. Gleichzeitig wird deutlich, dass in diesem Feld noch erhebliche Forschungs- und Handlungsbedarfe bestehen, um angemessen auf die Herausforderungen reagieren zu können, welche der Klimawandel für die Gesundheitsversorgung rund um die Geburt mit sich bringt. Der Klimawandel als Gesundheitskrise
Grundlagen des Klimawandels Seit der Industrialisierung ist eine extreme Erderhitzung zu beobachten. Und sie geht mit einem durch menschliche Aktivitäten verursachten, massiven CO2-Anstieg einher (Wessel 2022). Die Emissionen von CO2 und anderen Treibhausgasen sind vor allem zurückzuführen auf Industrie, Verkehr, Landwirtschaft und Haushalte (Umweltbundesamt 2022b). Dabei setzt auch der Gesundheitssektor einen wesentlichen Anteil aller Treibhausgase frei (Clement 2023). In den letzten Jahrzehnten ist der Klimawandel unter anderem durch ein Zunehmen von heißen Temperaturextremen, einen stetigen Anstieg des Meeresspiegels und an manchen Orten eine Veränderung in der Häufigkeit von extremen Niederschlägen sichtbar. Diese Klimaveränderungen sind auch in Mitteleuropa deutlich spürbar. In Deutschland ist das Jahresmittel der Lufttemperatur in den Jahren von 1881 bis 2021 statistisch gesichert um 1,6 °C angestiegen (Deutscher Wetterdienst, DWD 2023). Seit 1881 liegen hier die acht wärmsten Jahre alle im 21. Jahrhundert (Umweltbundesamt 2023). Damit sind die Temperaturen in Deutschland wesentlich stärker gestiegen als im weltweiten Durchschnitt von etwa 1 °C (DWD 2023). Die Anzahl von »heißen Tagen« hat sich seit den 1950er-Jahren verdreifacht, von ungefähr drei Tagen pro Jahr auf aktuell durchschnittlich neun Tage pro Jahr – gemittelt über ganz Deutschland. »Heiße Tage« sind gekennzeichnet durch ein Tagesmaximum der Lufttemperatur von mindestens 30° C. Seit den 1950er-Jahren kommen auch markante Hitzeperioden häufiger vor und haben an Intensität zugenommen. Änderungen des Niederschlags unterscheiden sich im Gegensatz zur Temperaturentwicklung deutlich in ihrer jahreszeitlichen und räumlichen Verteilung. Während insbesondere die Winter deutlich feuchter geworden sind, blieben die mittleren Regenmengen im Sommer in der Tendenz unverändert. Allerdings hat die Anzahl von aufeinanderfolgenden Trockentagen im Sommer zugenommen, wodurch sich die Häufigkeit von Trockenphasen erhöht hat (DWD 2023). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) warnt entsprechend vor immer häufiger häufigeren und längeren Dürren (BMBF 2022a). Auch Extremwetterereignisse wie Starkregen, Überschwemmungen und Sturzfluten gibt es immer häufiger, und ihre Intensität nimmt zu (BMBF 2022b). Der Klimawandel hat auch Einfluss auf die lokale Schadstoffkonzentration (Umweltbundesamt 2022a). Beispielsweise weist das Umweltbundesamt darauf hin, dass sich mit der Zunahme heißer Tage und der damit verbundenen geringeren Luftzirkulation in den Innenstädten die Belastung mit Luftschadstoffen erhöhen könnte. Der Klimawandel als Herausforderung für die globale Gesundheit Angesichts der beschriebenen Veränderungen in den klimatischen Bedingungen ist es wenig überraschend, dass der Klimawandel von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als »die größte Gesundheitsbedrohung für die Menschheit« (WHO 2021) bezeichnet wird, zumal der Klimawandel in anderen Weltregionen bereits deutlich massiver zu spüren ist als in Mitteleuropa (Europäische Kommission 2023). Der Klimawandel beeinflusst auf vielen Wegen die menschliche Gesundheit (RKI 2023). Dazu zählt auch, dass durch Extremwetterereignisse der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen eingeschränkt sein kann. Extremwetterereignisse wie Dürren und Hitzewellen führen dazu, dass die gesundheitlichen Herausforderungen durch Hitze in Deutschland besonders im Fokus stehen. Die gesundheitlichen Auswirkungen von Hitze betreffen vor allem das Herz-Kreislauf-System. Hier kann es sowohl zu einer erhöhten Anzahl von Erkrankungen als auch zu einer erhöhten Sterblichkeit kommen. Insbesondere ältere Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen sowie Personen, die schwanger sind, gelten als besonders gefährdet durch extreme Hitze (Winklmayr und der Heiden 2022). Zudem leiden insbesondere marginalisierte Personen sowie Menschen mit geringem sozioökonomischen Status an den Hitzefolgen (Hess 2023). Erhöhte Temperaturen können auch zu einem höheren Vorkommen von vektorübertragenen Erkrankungen wie dem Dengue-Fieber führen. Als Vektoren werden Krankheitserreger übertragende Gliedertiere bezeichnet (z. B. Zecken und Stechmücken). Deren Verbreitung hängt maßgeblich von klimatischen Faktoren wie z. B. Temperaturen oder Niederschlägen ab. Beispielsweise hat sich die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) in Deutschland, Österreich und der Schweiz an mehreren Orten bereits etablieren können (Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs 2023; Rutishauser 2023; Umweltbundesamt 2022c). Asiatische Tigermücken können Krankheitserreger wie das Chikungunya-, Dengue- oder Zika-Virus auf den Menschen übertragen (Frank et al. 2023). Der Klimawandel kann indirekt auch Einfluss auf die psychische Gesundheit nehmen. In einer Stellungnahme durch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (2019) wird darauf hingewiesen, dass die Effekte des Klimawandels auf die Psyche noch viel zu wenig Beachtung finden. Beispielsweise kann die direkte und indirekte Erfahrung von Katastrophen, welche in einem Zusammenhang mit Klimaveränderungen und Wetterextremen stehen, bei vielen Menschen Ängste und Stress verursachen und damit zu psychischen Störungen beitragen. Auch viele langfristige Auswirkungen des Klimawandels wie z. B. Luftverschmutzung, Nahrungsmittelknappheit und klimabedingte Bevölkerungsmigration bringen negative Folgen für die psychische Gesundheit mit sich. Hayes et al. (2018) weisen darauf hin, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf die mentale Gesundheit von Menschen rapide ansteigen und auch in diesem Zusammenhang marginalisierte Personen überproportional betroffen sind. Zudem gelten Menschen mit bereits bestehenden psychischen Erkrankungen als besonders vulnerabel für die Folgen des Klimawandels (DGPPN 2019). Besondere Gefährdungen in der Lebensphase rund um die Geburt Schwangere sowie ungeborene und neugeborene Kinder werden als besonders gefährdet hinsichtlich der gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels eingestuft (z. B. Niebuhr und Grewe 2021). Im Allgemeinen ist der Bereich Klimawandel und Kindesgesundheit ein relativ neues Forschungsfeld (Helldén et al. 2021). Bisher durchgeführte systematische Reviews weisen aber deutlich darauf hin, dass sich insbesondere Hitzeextreme negativ auswirken können auf die Gesundheit von ungeborenen und neugeborenen Kindern (Niebuhr und Grewe 2021). Die bisher veröffentlichten Belege für ein höheres Risiko von Schwangerschaftskomplikationen bei Hitzestress stammen aus geographischen Gebieten mit hohen Umgebungstemperaturen (Chersich et al. 2020). Studien aus Regionen mit eher gemäßigtem Klima sind selten (Yüzen et al. 2023b). Eine Forschendengruppe rund um die Professorinnen Petra Arck und Anke Diemert adressierte diese Wissenslücke indem sie Angaben zur Geburt im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) bei über 40000 Schwangerschaften zwischen 1999 und 2021 auswertete. Die Angaben wurden mit Klimadaten der wärmeren Jahreszeit (März bis September) abgeglichen, um das Risiko von hitzebedingten Frühgeburten zu berechnen. Hitzeereignisse wurden durch aufsteigende Temperaturen zusammen mit hoher Luftfeuchtigkeit über Zeiträume von bis zu fünf Tagen definiert. Um pathophysiologische Ursachen für hitzebedingte Frühgeburten zu ermitteln, wurden außerdem Ultraschalldaten verwendet, die seit 2012 gesammelt wurden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sowohl extreme Hitze als auch längere Zeiträume der Hitzeeinwirkung das Risiko von Frühgeburten erhöhen. Die Schwangerschaftswochen 34 bis 37 scheinen eine kritische Phase darzustellen, in der Hitzeeinwirkung zu einem erhöhten Risiko einer...