Proust | Marcel Proust: Tage der Freuden | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 180 Seiten

Proust Marcel Proust: Tage der Freuden


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96969-594-4
Verlag: EClassica
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

ISBN: 978-3-96969-594-4
Verlag: EClassica
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Marcel Proust: Tage der Freuden Erzählungen und Skizzen aus den Jahren 18921896 | Neu editierte 2020er-Ausgabe in aktualisierter Rechtschreibung; voll verlinkt mit Fußnoten und eBook-Inhaltsverzeichnis | Lange Zeit deutete nichts darauf hin, dass Marcel Proust einmal einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts werden sollte. Wie auf einem schmalen Grat wandert er durchs Leben: Auf der einen Seite ein bequemes Luxusleben, auf der anderen Seite die Sehnsucht nach dem einen großen Roman, der alles erzählt geboren aus Askese und Selbstreflexion. | In seinem Erstlingswerk Tage der Freuden sind, bei aller Leichtigkeit schon die Hauptmotive des Großwerks Auf der Suche nach der verlorenen Zeit erkennbar: Die Subjektivität der Liebe, die Anatomie der menschlichen Seele, Einsamkeit, Tod, Selbstentfremdung. Prousts Einfluss auf die Literatur des 20.Jahrhunderts ist kaum zu überschätzen. Er gilt neben James Joyce, Robert Musil, Virginia Woolf und Alfred Döblin als Grundsteinleger des modernen Romans im 20. Jahrhundert.

Marcel Proust (18711922) kam im noblen Pariser Stadtviertel Auteuil in der Nähe des Bois de Boulogne zur Welt. Nach einem Studium der Rechts- und Literaturwissenschaften führte er durch die Erbschaft der innig geliebten Mutter wohlhabend zunächst ein Salonleben, das nur von gelegentlichen Reisen unterbrochen wurde. Lange deutete nichts darauf hin, dass er einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts werden sollte. Doch mit fast 40 Jahren schickte er sich an, etwas Großes, etwas Ewiges schaffen. Tage der Freuden ist die Fingerübung für seinen Jahrhundertroman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

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Die Beichte eines jungen Mädchens »Die Begierden unserer Sinne reißen uns hier und dort hin, aber, ist die Stunde vorbei, was bleibt uns in Händen? Reue des Gewissens und Vergeudung des Geistes. Man geht freudig fort, oft kommt man traurig zurück, und die Vergnügungen des Abends machen den nächsten Morgen düster. So schmeichelt anfangs die Sinnenfreude, aber zum Schluss verletzt sie und tötet sie.« (Nachfolge Christi 1. Buch K. 18) I
»Man sucht Vergessen in falscher, lauter Fröhlichkeit, aber durch alle Trunkenheit kommt, jungfräulich wie am ersten Tag, der süße Duft des Flieders geschwebt, süß und traurig zugleich.« (Henri de Régnier) BALD IST DIE ERLÖSUNG DA. Ich war ungeschickt, ich habe schlecht geschossen, fast hätte ich mich überhaupt nicht getroffen. Sicherlich wäre es besser gewesen, sofort zu sterben, aber schließlich ist man nicht imstande gewesen, die Kugel zu extrahieren, und Komplikationen von Seiten des Herzens haben begonnen. Das kann nicht mehr lange dauern, immerhin acht Tage, und während dieser ganzen Zeit werde ich nichts anderes tun können, als mit aller Kraft den furchtbaren Knoten des Schicksals noch einmal zu knüpfen. Wäre ich nicht so schwach, hätte ich genug Willenskraft, um mich zu erheben, abzureisen, dann wollte ich nach Oublis sterben gehen, in den Park, wo ich alle meine Sommer bis zu meinem fünfzehnten Jahr verlebt habe. Kein Ort auf Erden ist mehr erfüllt von meiner Mutter, so sehr haben ihre Gegenwart und noch mehr ihre Abwesenheit jeden Fußbreit Landes durchtränkt. Für den Liebenden ist die Abwesenheit die allersicherste, die allerlebendigste, die wirksamste, die unzerstörbarste aller Gegenwarten und die treueste. Meine Mutter brachte mich nach Oublis Ende April, reiste nach zwei Tagen, kam dann noch auf zwei Tage Mitte Mai zurück und holte mich in der letzten Juniwoche ab. Diese kurzen Besuche waren das Süßeste und Grausamste zugleich. Während dieser zwei Tage überschüttete sie mich mit Zärtlichkeiten, mit denen sie im Allgemeinen sehr sparsam war, denn sie wollte meine krankhafte Empfindsamkeit abhärten und beruhigen. An den beiden Abenden, die sie in Oublis verbrachte, kam sie an mein Bett, um mir gute Nacht zu sagen. Sonst hatte sie diese alte Gewohnheit längst aufgegeben, denn ich fand darin viel zuviel Freude und viel zuviel Leid; statt zu schlafen, rief ich sie unaufhörlich wieder zurück, um ihr noch einmal gute Nacht zu sagen. Zum Schluss wagte ich es gar nicht mehr, und da ich doch mehr denn je die leidenschaftlichste Sehnsucht nach ihr empfand, ersann ich stets neue Vorwände, zum Beispiel, mein heißes Kopfkissen wenden, meine eiskalten Füße in ihren Händen wärmen zu lassen, wie nur sie es konnte. Diese zärtlichen Augenblicke gewannen einen besonderen Zauber dadurch, dass ich fühlte, dass jetzt meine Mutter sich ganz echt gab und dass ihre sonstige kühle Zurückhaltung ihr schwergefallen sein musste. Der Tag der Abreise war ein Verzweiflungstag, ich klammerte mich bis zum Waggon an ihr Kleid, flehte sie an, mich doch nach Paris mitzunehmen. Ich unterschied sehr gut das Echte unter ihrer Maske und die echte Traurigkeit unter den heiteren und beleidigten Vorwürfen wegen meiner Traurigkeit: »Ach, was hast du nur, lächerlich.« Sie wollte mich lehren, Herr über das zu werden, was sie im Grunde teilte. Noch fühle ich meine Aufregung an einem dieser Abschiedstage (klar und deutlich dieses Gefühl, nicht verändert durch die schmerzvolle Rückkehr zum Heute), es war der Tag; an dem ich die süße Entdeckung ihrer Zärtlichkeit machte, die der meinen glich und doch über der meinen stand. Wie alle Entdeckungen war sie vorher gefühlt und geahnt, aber die Tatsachen schienen ihr so oft zu widersprechen. Meine süßesten Eindrücke stammen aus den Jahren, in denen sie nach Oublis zurückkehrte, wohin man sie wegen meiner Krankheit gerufen hatte. Das zählte nicht nur als ein Besuch mehr, auf den ich nicht hatte rechnen dürfen, sondern vor allem war meine Mutter nichts als Süßigkeit und Zärtlichkeit, die sich ganz aus dem Grunde des Herzens und ohne Hemmungen offenbarten. Diese Süßigkeit und Zärtlichkeit waren zu dieser Zeit noch nicht von dem Gedanken umwoben, dass sie mir eines Tages fehlen könnten, damals bedeuteten sie so viel für mich, dass das Wunder der Genesung mir immer furchtbar traurig war, denn mit ihm kam der Tag, wo ich hergestellt war und meine Mutter zurückreisen konnte, und bis dahin war ich doch nicht mehr so krank, als dass sie nicht ihren Ernst und ihre Gerechtigkeit wie vorher aufnehmen konnte, und ihre besondere Milde und Nachsicht waren schon zu Ende. Eines Tages hatten mir die Onkel, bei denen ich in Oublis wohnte, verheimlicht, dass meine Mutter ankommen sollte – denn ein kleiner Vetter sollte ein paar Stunden mit mir verbringen, und ich hätte mich in der angstvollen Freude dieser Erwartung nicht mit ihm abgegeben. Dieses Versteckenspiel war vielleicht der erste von allen Umständen, die, von meinem Willen unabhängig, mitgeholfen haben bei den Vorbedingungen für das Unglück, die ich (wie alle Kinder meines Alters und übrigens nicht in höherem Grade als sie) in mir selbst umhertrug. Dieser kleine Vetter, der fünfzehn Jahre zählte – ich war vierzehn –, war bereits sehr lasterhaft und brachte mir Dinge bei, die mich sofort zittern ließen vor Reue und vor Wonne. Es machte mir Freude, ihn anzuhören, ich ließ seine Hände die meinigen liebkosen; es war eine Freude, die schon an der Quelle vergiftet war; bald hatte ich die Kraft, ihn zu verlassen, ich rettete mich in den Park mit einer wütenden Sehnsucht nach meiner Mutter, die ich, ach so weit, in Paris wusste und deren Namen ich gegen meinen Willen laut in den Alleen ausrief. Plötzlich kam ich an einem Hagebuchenhain vorbei, und da sah ich sie auf einer Bank, lächelnd, mit offenen Armen. Sie hob ihren Schleier, um mich zu umarmen, ich stürzte an ihre Wange und zerfloss in Tränen. Ich weinte lange Zeit, erzählte ihr tausend hässliche Dinge, und es brauchte die Naivität meines Alters, um sie ihr zu sagen. Sie aber wusste sie wunderbar anzuhören, ohne sie ganz zu verstehen, sie minderte ihre Wichtigkeit durch eine Güte, welche das Gewicht meiner Gewissensschuld erleichterte. Leicht und leichter wurde dieses Gewicht; meine vernichtete, zu Boden gedrückte Seele erhob sich mehr und mehr in freiem, kraftvollem Fluge; sie strömte über die Ufer, ich war ganz Seele. Eine göttliche Sanftheit ging von meiner Mutter aus und von meiner wiedergewonnenen Unschuld. Ich fühlte sofort einen wie die Unschuld reinen, ebenso frischen Duft vor meinem Gesicht, es war ein Fliederbusch, wovon ein Zweig, halb verborgen vom Sonnenschirm meiner Mutter, bereits in Blüte stand und der aus seinem unsichtbaren Versteck heraus alles mit Duft erfüllte. In den Wipfeln der Bäume sangen die Vögel mit aller Kraft, über diesen grünen Gipfeln aber erhob sich ein Himmel von so tiefem Blau, dass er fast wie der Vorraum eines Himmels erschien, in den man ohne Ende aufschweben konnte. Ich umarmte meine Mutter; nie habe ich die Süßigkeit dieses Kusses wieder empfunden. Am nächsten Tage reiste sie zurück, und diese Abreise war grausamer als alle die früheren. Zugleich mit der Freude verließen mich nun, da ich einmal gesündigt hatte, scheinbar die Kraft und der notwendige innere Halt. Alle diese Trennungen lehrten mich wider Willen, dass einmal eine Trennung ohne Rückkehr kommen würde, wenngleich ich zu dieser Zeit nie ernstlich die Möglichkeit erwogen habe, meine Mutter zu überleben. Ich war entschlossen, mich in der Minute zu töten, die ihrem Tode folgte. Später gab mir ihre Abwesenheit noch andere sehr bittere Lehren, nämlich die, dass man sich an die Abwesenheit gewöhnt und dass es die furchtbarste Vernichtung des eigenen Ichs bedeutet und zugleich das erniedrigendste Leiden, wenn man fühlt, dass man nicht einmal leiden kann. Diese Lehren sind übrigens in der Folge Lügen gestraft worden. Ich erinnere mich jetzt des kleinen Gartens, wo ich mit meiner Mutter das Frühstück nahm und wo es unzählbare Stiefmütterchen gab; diese Blumen, die mir immer etwas traurig erschienen sind, waren würdig wie Wappenschilder, aber süß und samtartig, oft malvenfarbig, manchmal violett, beinahe schwarz, mit zierlichen, geheimnisvollen gelben Bildern. Andere wieder ganz weiß und von einer zarten, gebrechlichen Unschuld. Ich pflücke sie jetzt alle in meiner Erinnerung, diese Stiefmütterchen; seitdem ich sie verstanden habe, ist ihre Traurigkeit noch gewachsen, die holde Süße ihres samtartigen Wesens ist auf immer verschwunden. II
Wie kann diese frische Quelle der Erinnerungen noch einmal meiner unreinen Seele von heute entspringen und dahinrieseln, ohne schmutzig zu werden? Welche Wunderkraft besitzt dieser Morgenduft des Flieders, dass er so viel üble Dünste überwinden kann, ohne sich mit ihnen zu mischen und ohne sich zu verlieren? Ach! Er ist zugleich in mir selbst und doch so weit fort von mir! Dies ist so weit außerhalb des Bereichs meines Ichs, dass meine Seele, die ich mit vierzehn Jahren hatte, noch einmal erwacht. Denn ich weiß wohl, es ist nicht mehr meine Seele, und es hängt nicht mehr von mir ab, dass sie es werde. Und doch, ich habe nie geglaubt, dass ich eines Tages so weit kommen würde, sie zu vermissen. Sie hatte nur ihre Reinheit für sich, es wäre meine Sache gewesen, sie stark zu machen und fähig, in Zukunft nach dem Höchsten zu streben. Oft war ich in Oublis mit meiner Mutter am Ufer des Wassers, das voll war von Spielen der Sonne und von Fischen, während der warmen Stunden des Tages – oder es war morgens oder abends, und ich ging mit ihr in den Feldern spazieren, ich träumte vertrauensvoll von einer Zukunft, die an Schönheit niemals das Maß ihrer...



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