Raabe | Wilhelm Raabe - Gesammelte Werke | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 9109 Seiten

Reihe: Gesammelte Werke bei Null Papier

Raabe Wilhelm Raabe - Gesammelte Werke

Romane und Geschichten
Überarbeitete Fassung
ISBN: 978-3-96281-605-6
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Romane und Geschichten

E-Book, Deutsch, 9109 Seiten

Reihe: Gesammelte Werke bei Null Papier

ISBN: 978-3-96281-605-6
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Wilhelm Karl Raabe war ein deutscher Schriftsteller. Er war ein Vertreter des poetischen Realismus, bekannt für seine gesellschaftskritischen Erzählungen, Novellen und Romane. Null Papier Verlag

Wilhelm Karl Raabe (8.9.1831-15.11.1910) war ein deutscher Schriftsteller. Er war ein Vertreter des poetischen Realismus, bekannt für seine gesellschaftskritischen Erzählungen, Novellen und Romane.

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Erstes Kapitel
An ei­nem zehn­ten Mai zu An­fan­ge des sie­ben­ten Jahr­zehnts die­ses, wie wir alle wis­sen, so hoch­be­gna­de­ten, er­leuch­te­ten, lie­bens­wür­di­gen neun­zehn­ten Jahr­hun­derts setz­te der von Alex­an­dria kom­men­de Lloyd­damp­fer ein In­di­vi­du­um auf dem Molo von Triest ab, wel­ches sich durch man­che Son­der­lich­keit im bun­ten Ge­wim­mel der üb­ri­gen Pas­sa­gie­re aus­zeich­ne­te und selbst den an man­cher­lei Er­schei­nun­gen der Men­schen und Völ­ker ge­wöhn­ten Ter­ge­s­ti­nern als et­was Neu­es sich dar­stell­te. Ein ver­wil­der­te­res und, trotz der hal­b­eu­ro­päi­schen Klei­dung, aschan­ti-, kaf­fern- oder man­ding­o­haf­te­res Sub­jekt hat­te seit lan­ger Zeit nicht vor dem Zoll­hau­se auf sei­nem Kof­fer ge­ses­sen und ver­blüfft um­her­ge­starrt. Der Mann hät­te sich in das Frem­den­buch oder viel­mehr auf den Frem­den­zet­tel des Schwar­zen Ad­lers dreist als »par­ti­co­la­ris­si­mo« ein­zeich­nen dür­fen; er tat es aber nicht, son­dern schrieb ein­fach sei­nen Na­men: Leon­hard Ha­ge­bu­cher, hin­ein und füg­te, den Po­li­zei­vor­schrif­ten ge­mäß, hin­zu: »Kriegs­ge­fan­ge­ner – kommt aus Abu Tel­fan im Land Tu­mur­kie, Kö­nig­reich Dar-Fur – geht nach Leip­zig im Kö­nig­reich Sach­sen.« Na­tür­lich ließ sich eine Vier­tel­stun­de spä­ter ein kai­ser­lich-kö­nig­li­cher Be­am­ter bei ihm mel­den, um sich ver­wun­dert ei­ni­ge wei­te­re Aus­kunft zu er­bit­ten, ver­ließ ihn je­doch wie­der eine Vier­tel­stun­de dar­auf noch et­was ver­wun­der­ter mit der alt­klas­si­schen Be­mer­kung: »Aus Afri­ka doch im­mer et­was Neu­es.« Um sei­ne Rech­nung im Schwar­zen Ad­ler be­zah­len und sei­ne wei­te­ren Rei­se­kos­ten de­cken zu kön­nen, ver­kauf­te der Fremd­ling einen Ele­fan­ten­zahn an einen Händ­ler in der Post­stra­ße und fuhr auf der Ei­sen­bahn, ohne un­ter­wegs die Adels­ber­ger Grot­ten zu be­sich­ti­gen, nach Wien, wo er wohl Ge­le­gen­heit ge­fun­den hät­te, ei­ni­gen mit­ge­brach­ten Gold­staub ge­gen ein gu­tes Agio in Pa­pier zu ver­wan­deln, es je­doch in An­be­tracht, dass der Tries­ti­ner El­fen­bein­händ­ler eben­falls be­reits in Pa­pier ge­zahlt hat­te, un­ter­ließ. Na­tür­lich er­schi­en auch in Wien, au­ßer dem be­kann­ten, für sein Klos­ter sam­meln­den Barm­her­zi­gen Bru­der, ein Po­li­zei­be­am­ter auf sei­ner Stu­be, er­such­te ihn eben­falls sehr höf­lich, ihm einen ge­nau­ern Ein­blick in sei­ne Per­so­nal­ak­ten zu ge­stat­ten, und ver­ließ ihn gleich­falls ver­wun­dert und be­frie­digt. So­bald sich die Tür hin­ter dem Be­am­ten ge­schlos­sen hat­te, leg­te sich der Rei­sen­de wie­der ins Bett, und da er in dem­sel­ben bis zu sei­ner Ab­fahrt nach Prag ver­blieb, so konn­te er selbst­ver­ständ­lich we­der den Sankt-Ste­phans-Turm be­stei­gen noch den Pra­ter be­su­chen. In Prag kam er am Abend an, und da er am an­de­ren Mor­gen in der Frü­he nach Dres­den ab­reis­te, so kam der kai­ser­lich-kö­nig­li­che Be­am­te tsche­chi­scher Na­tio­na­li­tät, wel­cher es gleich den Kol­le­gen zu Triest und Wien für sei­ne Pf­licht hielt, sich spe­zi­el­ler nach ihm zu er­kun­di­gen, zu spät und gab nur dem Wirt zu den Drei Kar­pfen den Rat, künf­tig in sol­chen ab­son­der­li­chen und ver­däch­ti­gen Fäl­len den Gast den ers­ten Zug ver­säu­men zu ma­chen. Die Pra­ger Glo­cken ver­nahm der Kriegs­ge­fan­ge­ne aus dem Lan­de Tu­mur­kie noch vom Eil­zu­ge aus, um dann so­gleich wie­der sänf­tig­lich zu ent­schlum­mern. Er schlief, bis ihn die kö­nig­lich-säch­si­schen Maut­be­am­ten zu Bo­den­bach weck­ten, und durch den Kampf um sei­ne Hab­se­lig­kei­ten er­mun­tert, blieb er wach bis Dres­den, wo er im Schat­ten der Drei Palm­zwei­ge auf dem Palais­platz in der Neu­stadt von neu­em ein­sch­lief. Es ist nicht zu ver­lan­gen, dass die Po­li­zei sich über­all per­sön­lich be­mü­he; in Dres­den kam sie nicht zu dem Rei­sen­den aufs Zim­mer, son­dern zi­tier­te, we­ni­ger ver­bind­lich als in den kai­ser­lich-kö­nig­li­chen Staa­ten, ihn zu sich aufs Büro, was dem Le­ser der Ab­wechs­lung we­gen nicht un­lieb sein kann, da­ge­gen aber dem ge­heim­nis­vol­len Fremd­ling ganz und gar nicht ge­le­gen war. Da er muss­te, so ging er, wie je­der gute Deut­sche es tut, kam schlaf­trun­ken zu­rück und fuhr, ohne sich nach der Six­ti­ni­schen Ma­don­na und der Brühl­schen Ter­ras­se um­zu­se­hen, nach Leip­zig ab und ruh­te sanft auf dem sü­ßen Be­wusst­sein, auch die Dres­de­ner Si­cher­heits­be­hör­de über sei­ne Per­sön­lich­keit nicht in Un­ru­he und Zwei­fel ge­las­sen zu ha­ben. Zwi­schen Dres­den und Leip­zig liegt Rie­sa an der Bahn. Da trinkt man ein sehr gu­tes Eier­bier. In der Nähe von Leip­zig soll der Fürst Schwar­zen­berg den Kai­ser Na­po­le­on ge­schla­gen ha­ben, was je­den­falls eine große Merk­wür­dig­keit wäre, wenn es sich be­wei­sen lie­ße. Wir wol­len aber die Sa­che in der Dun­kel­heit be­ru­hen las­sen, in wel­cher sie uns von un­sern Vä­tern über­lie­fert wur­de – die al­ten Her­ren wuss­ten nicht ge­nau­er als wir, wer ei­gent­lich bei Leip­zig den Kai­ser Na­po­le­on ge­schla­gen habe. Der Kriegs­ge­fan­ge­ne ver­schlief Pauns­dorf, wo die Sach­sen zur gu­ten Sa­che über­tra­ten, und be­fand sich in Leip­zig, wo die Po­li­zei, auf­ge­klärt durch die Ver­lags­ar­ti­kel ei­ni­ger hun­dert Buch­händ­ler­fir­men und to­le­rant ge­macht durch das drei­mal im Jah­re wie­der­keh­ren­de Mess-Völ­ker­ge­wim­mel, ihn zum ers­ten Mal seit sei­ner An­kunft auf dem Ter­ri­to­ri­um des Deut­schen Bun­des un­ge­scho­ren ließ und über die Un­zu­kömm­lich­keit sei­ner An­ga­ben im Frem­den­buch hin­weg­sah. Wir sind ihr sehr dank­bar da­für, denn sie hat uns da­durch einen Ru­he­punkt ver­schafft, von wel­chem aus wir die fer­nern Er­leb­nis­se und Aben­teu­er un­se­res in­ter­essan­ten Fremd­lings durch ei­ni­ge we­ni­ge er­klä­ren­de Wor­te ein­lei­ten kön­nen. Auf un­se­rer, wenn auch nicht lan­gen, so doch un­zwei­fel­haft un­ge­mein ver­dienst­vol­len li­te­ra­ri­schen Lauf­bahn ha­ben wir uns arg und viel ge­plagt, ver­kann­te Cha­rak­tere, al­ler­lei Spie­gel der Tu­gend und der gu­ten Sit­te, ab­schre­cken­de Bei­spie­le des Trot­zes, des Ei­gen­sinns und der Un­art, lehr­rei­che, lieb­li­che Exem­pel aus der Ge­schich­te und aus der Na­tur­ge­schich­te, sei es in al­ten oder neu­en Do­ku­men­ten, sei es in den Gas­sen oder den Ge­mä­chern, auf dem Haus­bo­den oder im Kel­ler, in der Kir­che oder in der Knei­pe, im Wal­de oder im Fel­de auf­zu­stö­bern und sie nach bes­tem Ver­mö­gen ab­ge­stäubt, ge­wa­schen und ge­kämmt in das rech­te Licht zu stel­len. Da ist uns seit dem Jah­re acht­zehn­hun­dert­vierund­fünf­zig man­cher Schweiß­trop­fen ent­fal­len und man­che Dumm­heit ent­fah­ren. Hier wa­ren wir zu breit, dort zu flach, hier zu flüch­tig, dort zu re­fle­xiv, hier zu hoch, dort zu tief. Hier wa­ren wir af­fek­tiert, dort ma­ni­riert, hier zu sen­ti­men­tal, dort zu...



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