Rahman / Rosenberger / Brodersen | Religion in der Antike | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Reihe: Geschichte kompakt

Rahman / Rosenberger / Brodersen Religion in der Antike


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-534-73348-4
Verlag: wbg Academic in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Reihe: Geschichte kompakt

ISBN: 978-3-534-73348-4
Verlag: wbg Academic in Herder
Format: EPUB
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Kaum ein Bereich der antiken Geschichte hat in den letzten Jahren so viele neue Fragestellungen erfahren wie die Religion. Neue methodische Ansätze haben die Dynamik der religiösen Entwicklung betont und eine Vielfalt unterschiedlicher Betrachtungsweisen hervorgebracht. Angesichts der verwirrenden Fülle von Aussagen führt Veit Rosenberger zurück zu den Quellen. Rosenberger gibt in diesem Band einen kompakten Überblick sowohl über die griechische als auch über die römische Religion. Er erläutert kultische Handlungen sowie Adressaten religiöser Verehrung und zeigt, wie sehr die antike Religion eingebettet war in das öffentliche und private Leben. Gegenüber der verbreiteten Auffassung, antike Religion sei formelhaft und konzentriere sich stets auf die politische Gemeinschaft der >polis< oder >civitas<, hebt er dabei besonders die individuellen Elemente des Glaubens hervor.

Veit Rosenberger (? 2016) war Professor für Alte Geschichte an der Universität Erfurt. Bei der WBG erschien von ihm außerdem der Band »Griechische Orakel« (2001).

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II. Götter und Menschen
1. Die Götter der Griechen
Ungefähr in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. wurde in dem Städtchen Lystra in der heutigen Türkei ein Fremder gesteinigt. Als er unter den Steinwürfen ohnmächtig geworden war, hielten ihn seine Peiniger für tot und gingen auseinander. Der Mann überlebte mit knapper Not. Es war der Apostel Paulus, der kurz zuvor noch in Lystra durch eine Predigt bewirkt hatte, dass ein Lahmer wieder gehen konnte. Aus Dankbarkeit riefen die Umstehenden: „Die Götter sind in Menschengestalt zu uns herabgestiegen!“ Sie bezeichneten Paulus als Hermes, weil er so kundig wie der Götterbote gesprochen hatte. Ein Zeuspriester ließ Stiere herbeischaffen und wollte ein Opfer ausrichten. Paulus wehrte sich derart vehement gegen das Opfer, dass die Stimmung umschlug und der Mob ihn steinigte (Apostelgeschichte 14). Aus der christlichen Perspektive unterstreicht diese Episode die Verblendung der Heiden; aus dem Blickwinkel der Altertumswissenschaften – der Text dürfte gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. entstanden sein – veranschaulicht diese Anekdote die in der paganen Welt stets durchlässigen Grenzen zwischen Göttern und Menschen: Wer Wunder vollbrachte, musste ein Gott sein. Gottesvorstellungen Die Begriffe der Griechen und Römer für Gott und Göttin, theos/thea und deus/dea, unterscheiden sich stark vom Gottesbegriff der Christen. Anders als die Götter in den großen monotheistischen Religionen waren beispielsweise die homerischen Götter nicht allmächtig, sondern dem Schicksal unterworfen. Allerdings sollten wir nicht die Vorstellungen der homerischen Epen auf die gesamte griechische Geschichte übertragen. Griechische Götter waren so komplex wie die griechische Welt. Als Faustregel mag gelten: Jedes Wesen, das kultische Verehrung erhielt, war eine Gottheit. Damit zählten nicht nur Zeus und Apollon zu den Göttern, sondern auch hellenistische Könige und römische Kaiser, die sich eines Herrscherkults erfreuten; sogar einfache Menschen, die verstorben waren, konnten Empfänger von Ritualen sein und damit Götter. Gleichwohl war die Göttlichkeit der divinisierten Menschen nur begrenzt: Denn nicht alle Götter waren unsterblich, allwissend oder ubiquitär; nicht alle konnten fliegen oder sich und andere verwandeln. Viele Götter waren nur an dem Ort wirkmächtig, an dem sie wohnten – etwa ein Baum, ein Berg, ein Fels, eine Höhle oder ein Gewässer. Mythen, Rituale, Namen, Beinamen, Heiligtümer und Kultbilder einer einzigen Gottheit konnten sich im Lauf der Zeit ändern und von Ort zu Ort variieren, bisweilen sogar innerhalb einer Polis. Götter waren selten leuchtende Beispiele für ethisches Verhalten, sondern hatten einen Sonderstatus. Bei Homer verhielten sich die Götter zu den Menschen wie die Aristokraten zu den Mitgliedern der Unterschicht. Die homerischen Götter waren so vermenschlicht, dass sie in der Nacht schliefen; nur Zeus „hat nicht den süßen Schlummer“, weil er darüber grübelte, wie die Ehre des Achilles zu retten sei (Ilias 2,1–3). Aristoteles stolperte auch über diese Passage; in der „Poetik“ verwies er darauf, dass dieses Schlafen metaphorisch zu verstehen sei (25) – ein früher Beleg für die allegorische Deutung von Mythen, die später von den Christen aufgegriffen wurde. Epiphanie In den Quellen finden sich über viele Jahrhunderte hinweg immer wieder Berichte über die Epiphanie von Gottheiten – sie zeichneten sich durch hohen Wuchs, ein vom Gesicht ausgehendes Strahlen und angenehmen Duft aus. Auch wenn nach der Ansicht vieler Philosophen die Götter sich nicht um die Menschen kümmerten, flehten die Menschen in der gesamten Antike göttliche Wesen um Hilfe an und bedankten sich, wenn sie deren Unterstützung erhalten hatten. Zahlreiche Inschriften in griechischer und lateinischer Sprache künden davon, dass Menschen etwas aufgrund einer Ermahnung durch eine Gottheit – im Traum oder in welcher Form auch immer – getan haben. Oft genug werden die Bereiche der Götter einfach erklärt: Zeus ist das Oberhaupt und Himmelsgott, Hera seine Gattin und die Gottheit der Hochzeit, Poseidon ist für das Meer und Erdbeben zuständig, Athena für die Weisheit und zahlreiche Erfindungen, Apollon für Ordnung, Musik, Literatur und Orakel, Artemis für die Jagd, Hermes ist der Götterbote, Demeter steht für Getreide und Fruchtbarkeit allgemein, Dionysos für Wein und Wahnsinn, Aphrodite für den Liebreiz, Hephaistos ist der Schmied, Ares der blutrünstige, tobende und plumpe Kriegsgott. Diese Zuschreibungen helfen zwar bei einer ersten Orientierung, erweisen sich aber bei näherer Betrachtung als eindimensional. „Jeder Gott ist der ganze; die Individualisierung schränkt ihn ein“ so charakterisierte Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, einer der einflussreichsten Klassischen Philologen, die griechischen Götter (Der Glaube der Hellenen, Bd. 2, Berlin 1932, 522): Jede Gottheit konnte potentiell in allen möglichen Situationen Hilfe leisten. E
Monotheismus vs. Polytheismus?
Die drei abrahamitischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam, vertreten jeweils einen Monotheismus. Allerdings sind sie Ausnahmen. Eine Übersicht über die zahllosen Religionen der Welt ergibt, dass Polytheismus der Regelfall ist: Religionen sind zumeist offene Systeme. Insgesamt ist die Einteilung in christlichen Monotheismus und paganen Polytheismus zu hinterfragen. Immer wieder finden sich Ansätze von Monotheismus in der paganen Antike, umgekehrt deuten die zahlreichen Konflikte um die Dreifaltigkeit darauf hin, dass das Christentum vielleicht doch nicht immer streng monotheistisch war. Problematik der Quellenlage Heraklit, der bereits in der Antike für seine dunklen Aussprüche berühmt-berüchtigt war, artikulierte um 500 v. Chr. ein Gottesbild, das monotheistischen Vorstellungen nahe kam: „Der Gott ist Tag und Nacht, Winter und Sommer, Krieg und Frieden, Sattheit und Hunger“ (Fragment B 67). Dieser nahezu pantheistische Gott nimmt verschiedene Formen an. Wie auch immer im Detail dieses Fragment des Heraklit zu interpretieren ist, es zeigt zumindest die Bandbreite des Gottesverständisses und der Gottesbilder auf. Unser Verständnis hängt immer auch von der Quellenlage ab. Ohne Homer würden wir kaum von den vermenschlichten Göttern sprechen, ohne die Philosophen würden wir nichts über abstrakte Gottesbilder wissen. Diese Varianten spiegeln nicht unterschiedliche Entwicklungsstufen, sondern standen in der Antike nebeneinander. Von einigen Göttern kennen wir durch eine Inschrift nur den Namen. Die Gegenwart der Götter ging so weit, dass Kriegsschiffe den Namen einer Gottheit trugen, etwa Athena, Demeter oder Aphrodite. E
Darstellungen der Götter
In einer antiken Stadt traf man zahlreiche Götterbilder unterschiedlicher Beschaffenheit an. Die Größe reichte von winzigen Statuetten bis zum Helios von Rhodos, dem so genannten Koloss, einem der sieben Weltwunder; die Bandbreite der Materialien erstreckte sich vom überall verfügbaren Lehm bis hin zu Gold und Elfenbein. Über die Eigenschaften dieser Götterbilder gab es weder bei den Griechen noch bei den Römern eine einheitliche Auffassung: Waren sie nur ein lebloses Abbild, waren sie göttlich beseelt oder gar die Gottheit selbst? Man konnte Statuen im Ritual bewirten, waschen oder in einer Prozession durch die Stadt führen; wenn eine Statue nickte, weinte oder sich drehte, kommunizierte die Gottheit mit den Menschen. Wer an einer Götterstatue vorbeiging, warf ihr eine Kusshand zu; Christen hingegen pflegten zu zischen. Anzahl der Götter ist unbegrenzt Es ist charakteristisch für den Polytheismus, dass niemand die Namen aller Götter nennen kann; stets ist noch eine weitere Gottheit möglich, weil neue Götter eingeführt werden, weil andere Völker, die man noch kaum kennt, Gottheiten haben, die potentiell ebenfalls Verehrung fordern könnten; schließlich kann es vorkommen, dass eine bisher unbekannte Gottheit auftritt und Opfer einfordert. Weder bei den Griechen noch bei den Römern gab es Theologen, die das Wesen der Götter mit einem Anspruch auf Gültigkeit beschrieben. Dichter und Philosophen nahmen diese Stelle ein; sie kamen zu sehr unterschiedlichen Aussagen, für die nie „Wahrheit“ beansprucht wurde. Jedes Gemeinwesen, jede Kultgemeinschaft und jedes Individuum verfügte über große Spielräume im Ritual und in dem, was über die Götter erzählt wurde. Die Gottheiten in Athen waren nicht wie die Götter bei Homer. Wir erfahren nichts von den Emotionen dieser Götter; sie halten einfach zu ihrer Polis. Auch die Vasenmalerei kann in eine Falle führen. Denn hier gibt es zum einen immer wieder Varianten, die nicht aus der Literatur bekannt sind, zum anderen wurde ein Großteil der bemalten griechischen Vasen in Athen produziert und reflektiert damit nur die athenischen Sicht. Ohnehin wissen wir über Athen mehr als über jede andere Polis: In der Quellenlage spiegelt sich die Bedeutung Athens als kultureller Mittelpunkt der griechischen Welt. a)...


Brodersen, Kai
Kai Brodersen ist Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt und Senior Fellow am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald. Er ist Autor zahlreicher Bücher zur Antike bei der wbg und u. a. Herausgeber der Reihe »Geschichte kompakt – Antike«.

Rahman, Nora Abdel
Veit Rosenberger († 2016) war Professor für Alte Geschichte an der Universität Erfurt. Bei der WBG erschien von ihm außerdem der Band »Griechische Orakel« (2001).

Veit Rosenberger, geb. 1963, ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Erfurt. Bei der WBG erschien von ihm der Band »Griechische Orakel« (2001). Kai Brodersen ist seit 2008 Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt und von 2008 bis 2014 deren Präsident.



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