Reckermann | Lovecrafts Schriften des Grauens 22: Gotheims Untergang | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 2122, 166 Seiten

Reihe: Lovecrafts Schriften des Grauens

Reckermann Lovecrafts Schriften des Grauens 22: Gotheims Untergang


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95719-932-4
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, Band 2122, 166 Seiten

Reihe: Lovecrafts Schriften des Grauens

ISBN: 978-3-95719-932-4
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Das Ende steht kurz bevor. Gotheim versinkt in den schwarzen Wassern der Ur. Wer die Wahrheit erkennt, nutzt einen der wenigen noch verbliebenen Fluchtwege aus dem Moloch - und wirft doch einen letzten Blick zurück, um den Untergang zu bezeugen. Im abschließenden Band der Trilogie erweist sich, dass das Schicksal Gotheims bereits seit Jahrzehnten besiegelt war. Nach GOTHEIM AN DER UR und RÜCKKEHR NACH GOTHEIM beschließt Tobias Reckermann mit GOTHEIMS UNTERGANG sein dunkelstes Werk.
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1. Teil Zeitsturz
Drei Freunde durchschritten gemeinsam den nächtlichen Forst östlich der Stadt. So tief war die Dunkelheit unter den Zweigen, dass jemand viertes sie hätte begleiten können, ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch alle drei glaubten, Schritte zu hören, die nicht die ihren waren. Jaroslav, den die anderen beiden Yig nannten, vermeinte sie hinter sich auszumachen. Er selbst ging hinter den Frauen. Natascha, rechts, und Migo auf der linken Seite, hätten jede geschworen, von der jeweils anderen abgesehen ginge noch jemand gleich neben ihnen. Natascha wandte sich im Gehen halb zu Yig um. Er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen, dachte aber an dasselbe wie sie und zog eine Signalfackel aus der großen Innentasche seines Anoraks. Die Flamme des Bengalos blendete ihn. Er hielt sie auf Armlänge über sich und richtete den Blick in die entgegengesetzte Richtung zum Waldboden. Yigs eigener Schatten tanzte im roten Licht. Niemand sonst. Weniger gespenstisch erschien Yig die Umgebung dadurch indes nicht, nun da die Stämme der Bäume wie mit Blut begossen aussahen, dichter Rauch ins Unterholz wallte und jede Kontur flackerte. Vor ihnen stieg der Waldpfad zu einem der wenigen Hügel um die Stadt an. Migo ächzte unter dem schwer bepackten ­Armeerucksack auf ihren Schultern. Vom Fackellicht ermutigt, ging Natascha einige Schritte vorneweg und deutete nach wenigen Minuten auf ein sichtbar gewordenes Stück Nacht­himmel. Irrigerweise sah es aus, als reiche der rote Schein des Bengalos bis dort oben. Mattes Rot, das sich gerade so vor sternloser Schwärze ausmachen ließ, hob mächtige Wolken über die Schwelle zur Sichtbarkeit. Der Bengalo erlosch, Yig hörte Migos schweren Atem, sah Natascha als Scherenschnitt vor dem Stück Himmel. Er brauchte nicht viel Phantasie, um sich ein über ihr aus den Wolken schälendes Auge vorzustellen, eine geschlitzte Pupille und im Dunkeln neben ihm ein ehrfürchtig zu diesem Auge aufsehendes Wesen. Einen der Schleicher mit dem Kopf eines Tiefseefisches und großen Tatzen, die die Freunde im Rußviertel gesehen hatten. „Kann mir jemand den Scheiß abnehmen?“, fluchte Migo in lautem Flüstern und ließ den zu schwer gewordenen Rucksack zu Boden gleiten. Sie war schmächtig und kaum einen Meter sechzig groß, und hatte trotzdem darauf bestanden, den Hauptteil des Gepäcks zu schleppen. Der um mehr als einen Kopf größere und annähernd doppelt so schwere Yig nahm den Rucksack ohne Kommentar auf eine Schulter und ging an Migo vorbei, die entrüstet schnaufte und für einen Moment mit in die Seiten gestemmten Händen stehen blieb. Neben dem großen, schweigsamen Jaroslav und der immer so ernsten, so erwachsenen Natascha kam Migo sich oft nicht nur körperlich klein vor und hielt mit ­Bravado dagegen. Ihr Blick schweifte unter die Zweige. Obwohl der Bengalo ausgebrannt war, schimmerten die Baumstämme rot. Es schien unter dem Blätterdach noch zu flackern, als hätte Yigs Fackel etwas aus dem Dunkel hervorgelockt. Migo schauderte und sie beeilte sich, Yig hinterherzukommen, der seinerseits zu Natascha aufschloss. Auf ihre Freunde wartend, betrachtete Natascha den sonderbaren Himmel. In ihren Augen schloss sich dort über ihnen etwas, das härter war als eine Wolkendecke. Vielmehr glich es einem Panzer aus Ruß und verkrustetem Blut. Natascha spürte ihre Furcht wieder zu einer wilden Angst anwachsen. Hatte sie noch vor Kurzem an eine rationale Erklärung für alles geglaubt? Noch ließ sich die Angst unterdrücken, mit einem letzten Aufgebot an Vernunft. Allerdings, glaubte Natascha, fehlte nun nicht mehr viel, und die dünne Trennwand zwischen Vernunft und allem anderen müsste zusammenbrechen, und was ihr dann noch als plausibel erschiene, wäre von Phantasterei und Wahnsinn nicht länger zu unterscheiden. Sie spürte Yigs verlässliche Stärke an ihrer Seite, als er neben sie trat und stehen blieb, um auf Migo zu warten. Natascha wurde vom Anblick des Himmels übel. Sie senkte den Blick, suchte auf dem dunklen Pfad vergeblich nach Halt. Alles Feste der Welt schien sich aufzulösen, was hingegen durchlässig gewesen war – Schatten und Nebel –, nahm die Härte von Felsgestein an. Für einen verrückten Augenblick stellte Natascha sich vor, sie wäre aus ihrem Kopf ausgesperrt. Was sie selbst war, stand draußen vor der geschlossenen Pforte ihres Verstands, einer unzugänglichen Zuflucht vor den Schrecken der kosmischen Nacht. Yig hielt sie fest. Beinahe wäre sie gestürzt, doch er hatte sie aufgefangen. Migo griff nach ihrer Hand. Natascha spürte die Wirklichkeit ihrer Freunde und die Dinge kehrten zu ihrer Beschaffenheit zurück. Sie gingen gemeinsam weiter. Wenig später traten sie unter dem Dach der Zweige hervor auf die Hügelkuppe. Ein Kranz freien Geländes umgab den Turm, der wie ein schwarzer Riese in der Nacht zu zwanzig, vielleicht auch fünfundzwanzig Metern Höhe aufragte. Der im nationalen Höhenflug der 1870er-Jahre aufgeschüttete Reichsberg und der auf ihm errichtete Wilhelms­turm bildeten gemeinsam die höchste Erhebung um Gotheim. Aufgrund der Form seiner Spitze als Pickelhaube und – speziell unter Feministinnen – als Pimmelhut bekannt, sorgte das Bauwerk seit Langem mehr für Erheiterung als für Nationalstolz und als Natascha vorgeschlagen hatte, zu ihm zu gehen, hatte Migo gleich ein paar blöde Witze gemacht. Selbst jetzt ließ sie sich nicht nehmen, eins draufzusetzen, und sagte: „Da ist ja der Schwanz!“ Nur wirkte der Turm unter den stürmischen Wolken schweigend bedrohlich, tatsächlich wie ein behelmter Krieger und selbst in seinem Jahrhundertschlaf wachsam wie ein über die Wipfel spähender Soldat. Einmal als Ausflugsort für Bürger und Adel gedacht, war der Turm im Stadtwald längst nicht mehr so gut besucht wie bis zum Ende des Kaiserreichs. In den Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts hatten ihn bereits nur noch Monarchisten und Angehörige rechter Freikorps als Versammlungsort genutzt, und dann war in Reichweite eines Gewehrschusses eine Chemiefabrik abgebrannt, deren Gift weite Flächen des Stadtwalds bis heute durchtränkte. So sehr sich die Öffentlichkeit von solchen Umständen unbeeindruckt hatte zeigen wollen, dem Gelände haftete nun immer etwas Spukhaftes an, etwas Ungesundes, das sich durch die Luft bis unter die Haut zu stehlen schien. Das große Naherholungsgebiet geriet somit in einen jener toten Winkel öffentlicher Wahrnehmung, in denen sich unbequeme Wahrheiten am besten verschweigen ließen. Wer den Schulterblick wagte – zumeist Umweltschützer, die auf Verseuchung des Grundwassers und Mutationen der Flora und Fauna hinwiesen, und Historiker –, fand sich selbst bald in diese Art Winkel gedrängt. Weder die großen Zeitungen noch das Stadtparlament griffen jemals ernsthaft die Auswirkungen der Katastrophe als Gegenstand für politisches Handeln auf. Auch andere Unliebsamkeiten lagen im Wald begraben, ein Zwangsarbeitslager der SS sowie eine weitverzweigte Untertunnelung zu militärischen Zwecken und Waffendepots, unerforscht unter Jahrzehnte altem Gestrüpp. Man wusste davon in Form halb zu Mythen verblasster Gerüchte, wie auch von ­Geländespielen, die in den Sechzigern von ­Wehrsportgruppen im Wald abgehalten wurden, den Fechtereien schlagender Verbindungen und neuerdings wieder stattfindenden Fackelzügen an einschlägigen Jahrestagen – Sedansfeier, des Führers Geburtstag und dergleichen. Kurzum glaubte man zu wissen, dass es sich beim Stadtwald nicht um den sichersten Ort in Stadt und Umgebung handelte. Das war den Freunden auch bewusst, als sie auf die Pickelhaube zugingen. Yig nahm den Rucksack von der Schulter und griff darin nach dem Brecheisen. Die Eingangstür am Fuß des Turms war seit Jahrzehnten fest verriegelt. Wie beim Schmiere stehen schauten Natascha und Migo sich unwillkürlich um, beobachteten den Waldrand, als Yig das Eisen ansetzte. Ein metallisches Knacken zeugte von Erfolg. Nichts antwortete darauf aus dem Turm oder zwischen den Bäumen heraus. Die drei schlüpften durch den Spalt und Yig entzündete eine weitere Fackel. Diesmal blaues Licht erleuchtete das Innere, einen kleinen Vorraum und den unteren Absatz einer Wendeltreppe. Letzte Restaurationen in den Siebzigern hatten das Bauwerk um die eiserne Tür und einen Betonausguss im Fundament verstärkt. Der Turm mochte ein Innenmaß von drei Metern im Durchmesser haben. Das ließ den Mauern am Fuß eine Dicke von knapp einem Meter, die sich nach oben hinaus nur wenig verjüngte. Wären sie aus Stahlbeton erbaut worden, hätten sie damit den Schutz eines Luftschutzbunkers aus dem Zweiten Weltkrieg geboten, und tatsächlich fühlten sich die Freunde, nachdem Yig hinter ihnen die Tür anlehnte, auch wie in einem Bunker gefangen. Der Rauch der Fackel stieg vor ihnen die Treppe empor. Sie folgten und stellten fest, dass das Innere des Turms aus nichts weiter als der Treppe bestand. Es gab unterhalb der Aussichtsplattform auch keine Fenster. Oben angekommen, spürten sie kühlen Wind auf den Gesichtern. Yig ließ den Bengalo auf der Treppe liegen, sodass sein Licht von außen nicht zu sehen wäre. Sie selbst waren davon noch nachtblind und erfassten zunächst kaum, was durch die niedrigen Öffnungen unter der Kuppel zu sehen war. Natascha trat an den Rand der Plattform und schaute in Richtung Westen hinaus, wo die Stadt lag. Über die Baumwipfel hinweg ließ sie sich von hier aus sehen. Gebannt starrte sie auf das sich aus dem Dunkel schälende Bild. Migo und Yig traten neben sie und für ein langes Atemanhalten gab keiner von den dreien ein Geräusch von sich. Auch als sich ihr Blick klärte, schien es Natascha kaum möglich, den gesamten Anblick vor ihren Augen aufzunehmen. Zu vieles ergab...



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