Reckhaus | Fliegen lassen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 184 Seiten

Reckhaus Fliegen lassen

Wie man radikal und konsequent neu wirtschaftet
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-86774-664-9
Verlag: Murmann Publishers
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie man radikal und konsequent neu wirtschaftet

E-Book, Deutsch, 184 Seiten

ISBN: 978-3-86774-664-9
Verlag: Murmann Publishers
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Welchen Wert hat eine Fliege für dich? Und solltest du sie nicht besser retten, anstatt zu töten? Diese zwei Fragen haben die Welt von Hans-Dietrich Reckhaus vor acht Jahren brutal aus den Angeln gerissen. Mit seinem Biozid-Unternehmen stellte er Ameisenpulver, Ungezieferspray, Mottenpapier und Fliegenfänger her. Doch über den Wert von Insekten, hatte er sich nie Gedanken gemacht. Was folgte ist eine Transformation, die bis heute anhält: von einem Unternehmen, das Insekten bekämpft, zu einem Unternehmen, das Insekten rettet. Eine Geschichte, die zeigt, wie ein einzelnes Unternehmen eine ganze Branche revolutionieren kann. Und uns herausfordert, den Blick auf Wirtschaft und Natur radikal neu auszurichten.

"Wollen wir weiterhin möglichst viel Geld verdienen und damit etwas Gutes tun?

Eine Stiftung gründen, spenden …

Oder wollen wir lieber gleich Sinnvolles auf die Beine stellen und damit unser Geld verdienen?"

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2011 Februar Unsere Freundin Agathe Nisple ist Kulturvermittlerin. Über sie haben meine Frau Julianne und ich schon vor einigen Jahren Frank und Patrik Riklin kennengelernt. Die beiden Schweizer Konzeptkünstler haben bereits 2008 eine unterirdische Zivilschutzanlage in ein Null Stern Hotel verwandelt: Als Antithese zum Größen- und Luxuswahn kokettieren sie mit dem Sternesystem der Hotellerie, der Slogan: »Null Stern – the only star is you«. Hört sich spannend an. Gemeinsam mit unseren drei Kindern besuchen wir die Kunstinstallation in der Nähe von St. Gallen. Als wir ankommen, stehen die eineiigen Zwillinge vor der Bunkeranlage und warten auf uns. Herzliche Begrüßung. Tour durch die Zimmer. »Eine Gemeinde gab uns den Auftrag, ihre ungebrauchte Bunkeranlage nutzbar zu machen«, erklärt Frank. »Das Ziel war, mit einfachsten Mitteln eine attraktive Übernachtungsmöglichkeit zu schaffen. Wir erhielten ein Honorar für die Idee und ein kleines Budget für die Realisierung. Schaut euch um: Betten, Nachttische, Lampen – alle Gegenstände stammen von den Dachböden der Einwohner.« Patrik schaltet einen kleinen Monitor ein, um uns einen anderthalbminütigen Beitrag über ihre Kunstaktion zu zeigen. Verrückt. Nach nur wenigen Wochen gibt es Medienberichte in über 160 Ländern, darunter sogar ein längerer Bericht in den US-amerikanischen Fernsehnachrichten von CNN. Dazu die Nominierung für einen weltweiten Hotelpreis und Reservierungen für die nächsten drei Jahre! AUS NICHTS
NEUES SCHAFFEN Zu Hause reden wir viel über das erstaunliche Hotelerlebnis, schauen uns im Internet Filme über die Aktion an. Ein Satz der beiden bleibt hängen: »Kunst ist die Freiheit, aus nichts etwas Neues zu schaffen«. Ich muss an meine Fliegenscheibe denken. Wäre eine Kunstaktion von den beiden nicht auch für unser Produkt genau das Richtige? Mit einfachsten Mitteln und wenig Geld haben sie eine enorme Reichweite erzielt. Ich frage Julianne, als Kunsthistorikerin hat sie viel mehr Ahnung als ich. Ihre Antwort: »Auch wenn sich die Zusammenarbeit mit den Riklins für dein Produkt nicht so richtig auszahlen sollte, sie ist sicherlich für dich persönlich ein Gewinn! Die beiden werden dich auf neue Gedanken bringen!« Mai Frank und Patrik öffnen mir die einfache, weiße Holztür des Atelier für Sonderaufgaben, wie sie ihr Unternehmen nennen. Es befindet sich auf der dritten Etage eines alten Lagerhauses aus gelben und roten Backsteinen im Zentrum von St. Gallen. Der circa 100 Quadratmeter große Raum scheint mit seinen nackten weißen, über drei Meter hohen Wänden, den verstaubten Heizkörpern, den großen Holzfenstern und dem alten blau gestrichenen Holzboden in den industriellen 1930er-Jahren stehen geblieben zu sein. Überall Gegenstände aus vergangenen Kunstaktionen: Plakate, Fotos, Kleberollen, Stative. Eine alte orangefarbene Kinobestuhlung, ein schwarzes Ledersofa sowie eine mit künstlichem Kuhfell bezogene Chaiselongue bieten Sitzmöglichkeiten. Gleichzeitig finden sich in diesem abstrakten Chaos auch penibel kontrollierte Orte. Zwei mehrere Meter lange Regale aus dünnem Blech sind vollständig mit einheitlichen, akkurat beschrifteten Aktenordnern bestückt. Zwei aufgeräumte Schreibtische stehen sich mit größtmöglichem Abstand gegenüber. Zuerst plaudern wir über diverse Dinge, dann will ich den beiden endlich sagen, warum ich eigentlich hier bin. Noch haben sie nämlich keine Ahnung. »Beim Null Stern Hotel habt ihr doch den Auftrag von einer Gemeinde bekommen. Ich meine, die haben euch beauftragt, mit diesem Bunker eine Kunstaktion durchzuführen. Könnt ihr für mich nicht auch eine Kunstaktion machen?«   B Was sind Biozide? Stoffe, die Algen, Pilze, Bakterien und Tiere anlocken oder abschrecken, unschädlich machen oder gar zerstören. Wie viele Wirkstoffe sind in der Europäischen Union zugelassen? Derzeit gibt es 160 Wirkstoffe, die auf der sogenannten Unionsliste stehen und damit in Biozidprodukten vorkommen dürfen (Stand: 03/2020). Hinzu kommen zahlreiche Altstoffe, die noch auf dem Markt sind und derzeit geprüft werden. Die Wirkstoffe sind unterteilt in drei Produktgruppen und 22 Produktarten: von Desinfektionsmittel für die menschliche Hygiene über Holzschutzmittel bis hin zu Einbalsamierung und Taxidermie von Mensch- und Tierkörpern. Insektizide bilden eine eigene Pro-duktart mit derzeit 45 zugelassenen Wirkstoffen, die in der Regel das Nervensystem von Insekten zerstören oder ihr Exoskelett schädigen. Mittel, die Insekten und Tiere anlocken (Lockstoffe) beziehungsweise fernhalten (Repellentien) bilden ebenfalls eine eigene Produktart. Wer bewertet die Sicherheit von Bioziden? Zurzeit müssen die Produkte beim Bundesinstitut für Risikobewertung gemeldet werden. Die Zulassungsstelle in Deutschland ist die BAUA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin), genauer: die Bundesstelle für Chemikalien an der BAUA. Sie prüft die Gefährlichkeit und Wirksamkeit der Produkte und lehnt Zulassungsanträge ab oder bewilligt sie. In der Schweiz ist die Zulassungsstelle das Bundesamt für Gesundheit (BAG), in Österreich das Umweltbundesamt (UBA). Wie viele Biozidprodukte werden pro Jahr verkauft? Unbekannt. Hersteller müssen bislang keine Auskunft darüber geben, welche Mengen sie an Bioziden und Biozidprodukten herstellen, verkaufen beziehungsweise ins Ausland ausführen. Bekannt ist lediglich die Zahl an gemeldeten Biozidprodukten, die in Deutschland in den Verkaufsregalen stehen dürfen. Das waren im April 2020 über alle 22 Produktarten hinweg immerhin 70 000.1   »Das kommt auf den Kontext an. Wofür sollen wir eine Aktion machen?«, fragt Patrik. »Ihr wisst, ich mache viel schlechte Chemie, aber unser neues Produkt ist insektizidfrei und wirklich gut. Ich habe euch den Prototypen mitgebracht.« Zusammen mit unserer Werbeagentur haben wir in den letzten Monaten intensiv am Namen und an der Aufmachung unserer neuen Falle gearbeitet, sodass ich nun ein fertiges Produkt präsentieren kann. Behutsam stelle ich eine farbig gestaltete, 14 mal 14 Zentimeter große Faltschachtel auf den Tisch. Im oberen Teil befindet sich der rote Markenschriftzug FLIPPI. Er trägt ein halbrundes, rotes Dach mit weißen Punkten, unter dem mit schwarzen Buchstaben steht: »Der einzigartige Fliegenschirm.« »Flippi steht für Fliegenpilz«, sage ich. »Der sympathische Pilz, der auch giftig ist. Wahrscheinlich ein zu spielerischer Name für ein Insektenbekämpfungsprodukt. Aber wir müssen auffallen. Und wir brauchen eine Geschichte. Mit dem Pilz, das hat schon was.« Ich gehe zum Fenster und zeige mit Flippi in der Hand, wie unser Produkt funktioniert. »Fliegen werden von Licht und Wärme angezogen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis die Fliegen ans Fenster kommen. Und dann bleiben sie auf der Scheibe kleben. Flippi fängt die Insekten aber schneller als alle anderen Produkte auf dem Markt. Und der Clou ist die rot-weiße Abdeckung hier, damit man die toten Fliegen nicht sieht. Alles völlig neuartig und bereits zum Patent angemeldet.« Ich mache eine Pause, um den beiden die Gelegenheit zu geben, etwas zu sagen. Keine Reaktion! WIE BEKOMME ICH MEIN
NEUES PRODUKT VERKAUFT? »Das Produkt ist super, aber die Frage ist: Wie bekomme ich es in die Regale der großen Händler? Als kleines Unternehmen habe ich kein Geld für Werbung. Und da dachte ich an die Kunst, an euch! Kurz: eine Art Null Stern Hotel für die Fliegenscheibe. Ihr werdet schon auf eine tolle Idee kommen, die die Medien aufgreifen. Damit werden wir bekannt, und die Menschen wollen die Fliegenscheibe haben!« Was ist los mit den beiden? Normalerweise sprudeln sie vor Ideen. Jetzt herrscht eisiges Schweigen. »Der beste Zeitpunkt für die Kunstaktion wäre der Mai nächsten Jahres. Dann fängt die Fliegensaison richtig an und die Produkte stehen in den Regalen. Budget habe ich auch schon: Mehr als 100 000 Schweizer Franken darf die Realisierung der Idee nicht kosten. Aber das ist ja auch schon viel Geld. Und natürlich euer Honorar für die Idee. Hier habe ich alles auf einer Seite für euch zusammengefasst«, sage ich und übergebe den Künstlern ein Briefing. Die beiden schauen sich regungslos die Packung an. Nach einigen Augenblicken sagt Frank: »Wir müssen darüber nachdenken. Lass uns ein paar Tage Zeit, wir melden uns.« Juni Ich treffe mich mit den beiden Künstlern in ihrem Atelier. Drei Wochen nach meinem letzten Besuch haben sie mir ein ausführliches Vertragsangebot unterbreitet: Projekt Flippi, Idee und Konzeption zur Erleichterung des Markteintrittes. Der Preis schien mir gerechtfertigt, und ich habe die Avantgardisten beauftragt. Nun bin ich auf ihre Gedanken gespannt. DEIN PRODUKT IST
EINFACH NUR SCHLECHT »Wir haben lange über Flippi nachgedacht«, beginnt Frank. »Aber schließlich haben wir festgestellt, dass das Produkt einfach nur schlecht ist. Flippi tötet Fliegen! Aus ethischen Gründen können wir Produkte, die töten, nicht unterstützen. Es tut uns leid. Das Honorar musst du natürlich nicht...


Hans-Dietrich Reckhaus leitet in zweiter Generation ein mittelständisches Familienunternehmen, das seit mehr als 60 Jahren Insektenbekämpfungsmittel herstellt. Die Konfrontation mit den Künstlern Frank und Patrik Riklin war für ihn Auslöser, sein Geschäftsmodell vollständig in Frage zu stellen. Es folgte die Kunstaktion "Fliegen retten in Deppendorf" mit großer medialer Resonanz und die Entwicklung von "Insect Respect". Das Gütesiegel zeichnet Produkte aus, die Verbraucher über den Wert von Insekten aufklären und den entstandenen Schaden durch den Aufbau insektenfreundlicher Lebensräume zumindest kompensieren. Anfangs ausgelacht, sind Produkte mit seinem Siegel heute bei den großen Händlern wie dm, Aldi und Rossmann zu finden.

2018 wurde Reckhaus in die Liste der TOP 100-Unternehmen aufgenommen, unter anderem ausgezeichnet mit dem European Responsible Care Award (2018) und dem Industriepreis 2017.



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