E-Book, Deutsch, 106 Seiten
Reichert Die Sache mit dem Hasen
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7568-5003-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
eine Zeitreise durch den Oberschlunzgau der 1970er Jahre
E-Book, Deutsch, 106 Seiten
ISBN: 978-3-7568-5003-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wir schrieben die 1970er. Der Oberschlunzgau war noch nicht zubetoniert, die Polizei hieß Gendarmerie und unsere Dörfler waren speziell. Das machte die Gebirgsdynamik, das raue Klima zwischen Schatt- und Sonnseite, der Westwind und natürlich der Alkohol. Man alterte rasch, reifer wurde man selbstverständlich nicht. Und für so manchen Jungspund war ein Jahr Bitterbach wie ein Hundejahr. Die Sache mit dem Hasen schien verzwickt. Plötzlich stießen alle Akteure zusammen. Im Habichttal. Auf 1200 Meter. Der Mond versteckte sich an diesem denkwürdigen Abend gelegentlich hinter den Wolken, als ob er die Hände vor's Gesicht legen würde, um nicht alles mitansehen zu müssen.
Der Autor erblickte 1959 in der finsteren Nachkriegs-Hauptstadt unseres Schnitzellandes das Licht der Welt. Seine Flegeljahre überlebte er abwechselnd ebendort beziehunsweise im deutlich helleren Oberschlunzgau.
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DIE SACHE MIT DEM HASEN
EINE SPRITZTOUR "Auge um Auge, Zahn um Zahn, Brand um Brand, Beule um Beule!" . . . . . 2. Mose 21 Samstag, der 14. An diesem Samstagnachmittag ging also die ersehnte Spritztour los. Wir Grünhörner allesamt so um die siebzehn Jahre alt, der hochmotivierte Lenker am nächsten Tag drei Sprossen höher auf der Lebensleiter. Bewunderung und Verehrung waren ihm für diese seine Nullleistung gewiss. Wie auf Kommando sprang Frieda, die schwarze Katze, direkt vor uns auf die Straße. Aber Frieda war eine Könnerin und das mit den Autos bekanntermaßen ihr Lieblingsspiel. "Bringt a schwoaze Kotz Glück oda Unglück?", wollte der Kirchinger wissen. Die Wuschelgeschichte mit Friedas Nachwuchs saß ihm wohl immer noch gehörig in den Knochen. Karli hatte aufgrund seiner enormen Körperhöhe am Beifahrersitz Platz nehmen dürfen und natürlich Angst, dass es ihn als Ersten erwischen könnte, Knautschzone Null! Der Mirlinger blickte schelmisch zu seinem baumlangen Copiloten auf. Neben dem Karli wirkte er bonsaimäßig. "Des hängt davon ob, obsd a Maus bist oda a Mensch, a Dolm bist auf jeden Foll!" Der Fahrer grinste seicht und hieb seinem Beifahrer dermaßen auf den Oberschenkel, dass es den Armen anhob und er mit dem Kopf gegen die blecherne Wagendecke stieß. Die Halswirbel grummelten, Mirlinger kicherte. "Wos bist a so gschossen, des is da Schleidasitz Karli, vastehst?" Es ging ins Habichttal, zum Ursprung der Kümmeler Ache. Dort würde der nette Grillabend stattfinden. Die Besatzung: Herr Mirlinger himself, Kirch Karli, Focher Martin, Hochrainer Andi und meine Wenigkeit. Fünf Gentlemen, die einen Fiat 127 bis auf den letzten Zentimeter füllten. Der Kofferraum belegt mit Schlafsäcken, Bierkisten und Knackwürsten. Die an sich schon tiefer gelegte Bodenplatte war jetzt richtig unten und ächzte wenige Zentimeter über Straßenniveau. Die beunruhigenden Geräusche intensivierten sich bei jeder Kurve und es drückte uns gegen die dünnen Blechplatten. Das italienische Qualitätserzeugnis hatte hinten keine Türen, doch wir waren dankbar dafür. Nicht auszudenken, wenn da was aufgegangen wäre in einer Kurve. Aber auch wenn wir ein wenig jammerten, wir freuten uns doch wie junge Hunde. Und so schlimm waren die Geräusche auch wieder nicht, denn sie wurden durch den "Schwippschwager von Dracula" überschrien, der aus den Bassboxen röhrte. So krachten wir den Oberschlunzgau entlang, ohne Rücksicht auf Verluste. Genauso taten es die Weißen damals, als sie über Natur und Einwohner eines ganzen Kontinents herfielen. Ich musste an die Worte meines Großvaters denken. Die Schnapsflasche wurde gereicht, dazu filterose Beuschelreißer aus der grasgrünen Box. Mirlinger war leidenschaftlicher "Stil Ohne"-Raucher. Tief sog er den blauen Dunst in seine Lungen und gab kleine Ringe frei. Das sah lässig aus und wir bewunderten ihn für diese bemerkenswerte Art der Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst. "Stil" gab es seit einer Ewigkeit. Sogar schon im Krieg. Noch früher im WK 1 hatten die Orientzigaretten Hanf mit reingepackt gehabt. Da zog der k&k-Soldat mit Begeisterung ins Schlachtfeld, und rauchte sich am Isonzo schon mal die Granaten schön. Natürlich wollten wir Jugendliche keine Weicheier sein und qualmten den Wagen voll, dass es nur so aus den Fensterschlitzen puffte. Dreimal "Schwippschwager", dann riss der Mirlinger seinen Boliden nach links, denn die Einfahrt Habichttal war erreicht. Die junge Schar kraxelte kreidebleich aus dem Fiat, die nicht vorhandenen Hintertüren machten diese Übung zum Martyrium. Frisch zog die Luft in unsere Lungen. Man vernahm bereits den Habichtbach, der dort über mehrere Katarakte durch das von der Eiszeit geformte Plateau aus dem Berg drängt. Und weil er seit Jahrtausenden nichts anderes zu tun hat, vereinigt er sich mit den Quellen und Wasseradern aus der Gegend und schwillt zur Kümmeler Ache an. So oder so ähnlich stand es im Geographiebuch der vierten Volksschule. Und damit wieder genug Geographie. Und die Geschichte? Dort, wo die Zukunft in die Vergangenheit schneidet, dort stehen wir. Gut. Doch was, wenn wir uns bewegen? Und mit 100 000 km/s – pardon – 100 km/h in ein liebliches Tal donnern? Da ist doch dieses merkwürdige Dingsbums, diese "Dilatation", die für Verwirrung sorgt. Auszuschließen ist ja prinzipiell nie etwas, nur die Wahrscheinlichkeit variiert. Egal ob Fügung oder Unglück, irgendwann passiert nämlich alles in der unendlichen Betrachtung, dann brennt sogar Wasser! Der Mirlinger blickte zum grollenden Habichtbach empor und kniff die Augen zusammen. Dann riss es ihn. Zu diesem Zeitpunkt ein rätselhafter Moment. Ein paar Stunden später war das Rätsel gelöst. "Do samma!", meinte er und zeigte auf das "Einfahrt verboten"-Schild mit Zusatztafel "Privatstraße". "Schod, do diaf ma ned eini!", freute sich der farbfreie Kirchinger, in der Hoffnung, dass er die Spritztour jetzt vielleicht doch noch überleben könnte. "Mia sand eh privat do, du Dolm du!", erstickte der Mirlinger jäh den Keim der Zuversicht. Wir schlichteten uns wieder in den Fiat. Ab hier waren wir privat unterwegs. Rein Privat Es ging im Höllentempo weiter taleinwärts, in unabwägbare Fährnis. Eine alte Lakota-Weisheit sagt: Zweifle nie an dem, der dir sagt, er habe Angst. Aber habe Angst vor dem, der dir sagt, er kenne keine Zweifel. Obwohl wir alle im Vorfeld auf unsere Mitfahrtauglichkeit gebrieft wurden, schwang das Gespenst der Todesahnung doch unerbittlich seine Sense. Denn unser aller Mirli gab richtig Stoff. Die Kurven wurden enger, die möglichen Absturzstellen gefährlicher. Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen, sagt Jesus, unser Mann aus Nazareth. Wir Betende waren sogar zu viert. Und so schickte uns der Herr das Ende der betonierten Strecke. "Schawusch" fegte der Fiat über die letzte Asphaltplatte, verweilte für ein paar Zehntelsekunden in der Luft und donnerte auf den unbefestigten, dahinter angeschlossenen Kies. Elchtest Marke Oberschlunz. Es krachte und prasselte, die taubeneiergroßen Steine stoben nur so auseinander und Herr Mirlinger tat das, was am wenigsten zu erwarten war, er bremste! Ohrenbetäubender Lärm, es trommelte gegen die Bodenplatte. Der Schotter ritzte ein neues Profil in die Schlappen, Staub stieg auf und füllte die Luft. Dann war es still. Husten und Prusten, die Zitterpartie drängte nach draußen. Das ging aber nicht so einfach bei unserem Zweitürer. Nur der Kirch Karli am Schleudersitz wäre in der Lage gewesen, das Fahrzeug schnellstmöglich zu verlassen, tat dies aber auch nicht. Als er nämlich seine gut gewachsenen Beine rausdrehte und festen Boden für sie suchte, erkannte er schemenhaft, dass der Fiat nur Zentimeter neben dem Abgrund parkiert war, hart an der Kante. Hinter den Schwaden vernahm der Karli den Habichtbach. "Um Himmeswülln, do deaf koana außi, do gehts obi!", schrie er denn auch und zog seine Sprudler schnell wieder zurück. Wir verließen das italienische Erzeugnis über die Fahrertür. Nach ein paar Minuten hatte sich der Staub gelegt. Wir standen am Abgrund eines zirka 30 Meter abfallenden Bruchs, an dessen unterem Ende es heftig gurgelte. "Do hätts uns oba gscheid obidraht, mei liaba Freind!", gab der Kirch Karli denn auch vorwurfsvoll von sich und ließ kleine Steine dorthin fallen, wo wir jetzt liegen könnten. Die Kiesel fielen lange. "Zearscht hätts uns dabazt und nochant wa ma dasoffn!", stellte sich der Focher dazu und kickte einen größeren Brocken in die Tiefe. Der schlug ein paar Meter weiter unten an den Hang, explodierte förmlich und stob in seine Einzelteile zerlegt, prasselnd zu Tale. Mit schönem Echo. "A echte Moßoabeit hoit", meinte der Mirlinger, "i hob ench ollen des Leben grettet, darauf trink ma oan!" Er reichte die Feuerwasserflasche und ein jeglicher nahm einen festen Schluck. "Wie wäre es, wenn du ein bisserl langsamer fahren würdest?", brachte ich mich mit einer Vernunftsidee in die Betrachtungen ein. Und ein bisschen demütiger wärst gegenüber Natur und Schotterpiste, den Indianern und uns. Aber Letzteres dachte ich mir nur und getraute mich nicht zu sagen, ich wäre wohl nicht richtig interpretiert worden. "Und mei Auto is ench wuascht?" Verdrossene Schwere lag in Mirlingers Worten. Er schwang sich in den Fiat, startete, hielt ein paar Meter weiter vorn, weg vom Abgrund und legte sich neben sein Liebstes. War da nicht was zu hören gewesen? So ein undefinierbares Knacken? Die prasselnden Steine, die Lehmklumpen, okay, aber das Knacken? Weil die Bodenplatte nun mal tiefergelegt war, konnte man nichts erkennen. Der Fahrzeugbesitzer begann zu zweifeln. Wenn man ganz ehrlich war, hatte er nämlich die Katze im Sack gekauft. Weil er so schnell wie möglich losdüsen wollte in seinem PS–Taumel. Der Taigner Berndi, dieser vermaledeite Strolch, hatte auch noch gemeint, dass es nichts Vergleichbares am Markt gäbe. Dieses grässliche Gesülze! "Des überleb i ned, wenn mei Christl hin is!" - "Christl? So hoaßt doch unsa...