Auf der lykischen Halbinsel im Südwesten der heutigen Türkei präsidierte in der Zeit des 1. bis 3. Jahrhunderts n. Chr. jährlich ein Bundespriester des Kaiserkultes, der Archiereus, dem lykischen Bund, einem festen Zusammenschluss lykischer Städte. Er war auch der wichtigste Ansprechpartner der römischen Statthalter und kaiserlichen Procuratoren in der Provinz. Nach seiner Amtszeit blieb das hohe Ansehen des Bundespriesters bestehen. Die ehemaligen Archiereis, ihre Familien, Heimatstädte und andere lykische Gemeinden machten das gewonnene Prestige für repräsentative Zwecke nutzbar. Diesem Umstand ist es auch zu verdanken, dass die meisten verfügbaren Informationen zu den Bundespriestern inschriftlich überliefert sind. Bisherige Untersuchungen haben diese Wandlungsprozesse von der hellenistischen Zeit bis in das 3. Jahhrundert n. Chr. nicht berücksichtigt. Sie beschränken sich fast ausschließlich auf eine Analyse von Einzelfragen, etwa nach dem Verhältnis der kaiserzeitlichen Titel Archiereus und Lykiarch zueinander oder nach den Beziehungen einzelner Bundespriesterfamilien. Die vorliegende Studie geht daher diachron der inschriflichen Repräsentation des obersten Bundesamtes nach. Sie untersucht jedoch nicht nur seine historische Entwicklung, sondern setzt auch die Überlieferung in Beziehung zu den relevanten Akteuren der Kaiserzeit, d.h. Familie, Stadt, Statthalter und Kaiser. Der systematische Teil wird ergänzt durch einen Abschnitt zu den unterschiedlichen Kompetenzen des amtierenden Bundespriesters, aber auch seines weiblichen Pendants, der Archiereia. Darüber hinaus werden weitere Funktionen der Archiereis und ihre Bedeutung im Repräsentationsverhalten untersucht. Erstmals liegt damit ein systematischer Katalog der lykischen Bundespriester vor. Die Ergebnisse der Arbeit liefern ein umfangreiches Bild der hellenistisch-kaiserzeitlichen Elite Lykiens, der gesellschaftlichen und politischen Eigenarten gegenüber anderen Regionen des römischen Reiches, aber auch der Integrationsfähigkeit der lykischen in die kaiserzeitliche Gesellschaft. Die Studie trägt damit zu einem besseren Verständnis der griechisch-römischen Sozialgeschichte bei.
Reitzenstein
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