E-Book, Deutsch, 134 Seiten
Renneberg / Herpertz Persönlichkeitsstörungen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8444-2508-6
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 134 Seiten
Reihe: Fortschritte der Psychotherapie
ISBN: 978-3-8444-2508-6
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die psychotherapeutische Behandlung von Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung ist häufig herausfordernd. Die diagnostische Erfassung von Persönlichkeitsstilen und -störungen zu Beginn der Therapie ist für einen gelingenden Therapieverlauf essenziell. Der Band zeigt das konkrete therapeutische Vorgehen anhand von Fallbeispielen und therapeutischen Dialogen für die ängstlich-vermeidende, narzisstische, dependente, zwanghafte, histrionische, paranoide, schizoide und schizotype Persönlichkeitsstörung auf.
Dem diagnostischen und therapeutischen Vorgehen liegt die dimensionale und merkmalsorientierte Sichtweise der Persönlichkeitsstörungen nach ICD-11 zugrunde. Die in der ICD-11 vorgesehenen Schweregrade von Funktionsbeeinträchtigungen werden inhaltlich ausgearbeitet und anhand der ICD-11-Merkmalsdomänen – Negative Affektivität, Distanziertheit, Dissozialität, Enthemmung und Anankasmus – beschrieben. Ziel ist es, den Übergang von einer kategorialen zu einer dimensionalen Klassifikation praxisnah zu erläutern. Dazu wird in den einzelnen störungsbezogenen Kapiteln die herkömmliche Persönlichkeitsstörungskategorie aus dem alternativen DSM-5-Modell in das Modell der dimensionalen, funktionsbasierten Persönlichkeitsdomänen der ICD-11 übertragen. Das hier dargestellte Verständnis von Persönlichkeitsstörungen ermöglicht es, psychotherapeutische Interventionen zu planen und durchzuführen, bei denen die Kernmotive des interaktionellen Verhaltens sowohl in der therapeutischen Beziehung als auch im Alltag der Patienten berücksichtigt werden.
Zielgruppe
Ärztliche und Psychologische Psychotherapeut_innen, Fachärzte_innen für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzte_innen für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinische Psycholog_innen, Psychologische Berater_innen, Studierende und Lehrende in der psychotherapeutischen Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Autoren/Hrsg.
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|3|1 Störungsverständnis und Grundlagen der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung von Persönlichkeitsstörungen
Immer wieder kommt es in der klinischen Praxis bei der Behandlung von Depressionen oder anderen psychischen Störungen vor, dass die Psychotherapie nicht günstig verläuft, dass es sehr schwierig ist, Behandlungsziele zu vereinbaren oder die Therapie aus irgendwelchen anderen Gründen nicht voranschreitet. Nicht selten sind besonders starre, unflexible Interaktionsmuster der Patientinnen an ungünstigen Behandlungsverläufen beteiligt. Folgende, häufig anzutreffende Probleme der Patientinnen können dazu beitragen: ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, sehr großes Misstrauen, große Zwanghaftigkeit, alles genau richtig zu machen, starke interpersonelle Abhängigkeit, Empfindlichkeit für Zurückweisung, verbunden mit Schwierigkeiten, konstruktive Kritik anzunehmen, Unfähigkeit zur kritischen Selbstreflexion, erschwerter Zugang zu eigenen Emotionen, Abwertung und Kritik gegenüber der Therapeutin, Aggressivität, fehlende Motivation oder fehlender Mut zur Änderung der Verhaltensweisen und die Unfähigkeit, in der Sitzung besprochene Dinge im Alltag umzusetzen. Psychotherapie findet immer zwischen mindestens zwei Personen statt, daher können natürlich auch Verhaltens- und Erlebensmuster aufseiten der Therapeutinnen für interaktionelle Schwierigkeiten und einen schlechten Therapieverlauf verantwortlich sein. Die Relevanz der interpersonellen Faktoren für die therapeutische Interaktion und den Therapieverlauf wurde von Zickgraf et al. (2016) gezeigt. Sie untersuchten in einer größeren Studie zur Behandlung der Panikstörung, welchen Einfluss interpersonelle Faktoren der Patientinnen auf die Manualtreue der Therapeutinnen hatten. Je mehr Merkmale von PS erfüllt waren, desto mehr Schwierigkeiten hatten die Therapeutinnen, dem KVT-Manual für die Behandlung der Panikstörung zu folgen. Je mehr Widerstand zur Veränderung des Verhaltens aufseiten der Patientinnen |4|beobachtet wurde, desto weniger adhärent zu den kognitiv-verhaltenstherapeutischen Manualen waren die Therapeutinnen. Wir fokussieren in diesem Buch auf die Probleme der Patientinnen und beschreiben mögliche Interventionen für Patientinnen mit PS. Dabei setzen wir voraus, dass Selbsterfahrung und Supervision für Therapeutinnen bei der Therapie von PS von besonderer Bedeutung ist und Hilfestellung bietet. Für gelingende Psychotherapie ist es notwendig, über die Motive und interpersonellen Verhaltens- und Erlebensmuster der Patientinnen informiert zu sein. Daher empfiehlt es sich, neben den präsentierten Hauptproblemen der Patientinnen auch eventuell vorhandene stark ausgeprägte Persönlichkeitszüge festzustellen. Die diagnostische Erfassung von Persönlichkeitsstilen und -störungen zu Beginn der Therapie ist für einen gelingenden Therapieverlauf essenziell. Zwischenmenschliche Interaktionen werden von unterschiedlichen Motiven und Bedürfnissen der Handelnden gesteuert, wobei diese Motive jeweils von der individuellen Lebensgeschichte, der Sicht der eigenen Person und der Interpretation von Ereignissen und Handlungen anderer abhängig sind. Grundlegend für das Verständnis von Patientinnen, die die Kriterien für die Diagnose einer oder mehrerer PS erfüllen, ist daher, dass in diesen Fällen nicht die Person selbst (im engeren Sinne des Begriffs „Persönlichkeitsstörung“) gestört ist, sondern vielmehr eine komplexe Störung des zwischenmenschlichen Beziehungsverhaltens und -erlebens vorliegt (Fiedler & Herpertz, 2016). Dies bedeutet, dass jeweils individuelle, ggf. für einzelne Störungen charakteristische Erlebens- und Interpretationsmuster vorliegen, die mit – meist dysfunktionalen – spezifischen Verhaltensweisen einhergehen. Diese Erlebens- und Verhaltensweisen führen entweder bei der Person selbst oder aber in ihrem sozialen Umfeld zu bedeutsamen Leid oder zu wesentlichen Einschränkungen. Merke Persönlichkeitsstörungen zeigen sich in den Erlebens- und Verhaltensweisen von Menschen fast ausschließlich in der Interaktion mit anderen. Kernmerkmal aller PS ist also eine gestörte zwischenmenschliche Interaktion, die sich in vielerlei Situationen und über die Zeit hinweg relativ stabil zeigt. 1.1 Störungsmodell
Aus kognitiv-verhaltenstherapeutischer Sicht wurde das Motivorientierte Indikations- und Interventionsmodell (MIIM) als Störungsmodell für Persönlichkeitsstörungen entwickelt. Das MIIM erklärt insbesondere die Aufrecht|5|erhaltung und Stabilität der charakteristischen Persönlichkeitszüge. Das MIIM geht in Anlehnung an die bei Beck, Davis und Freeman (2015) sowie Grawe (1992) erarbeiteten Prinzipien der kognitiven Therapie von Personen mit PS von drei Grundannahmen aus (vgl. Caspar, 1996; Renneberg & Fydrich, 2019; Renneberg, 2018). Personen mit stark ausgeprägten Merkmalen von PS haben auf der Grundlage ihrer Lebenserfahrungen kognitive Schemata entwickelt, die die Art und Weise, wie sie sich selbst und die Welt um sie herum erleben, prägen. Diese Schemata können in dem Sinne als dysfunktional betrachtet werden, wie sie für die Personen selbst oder für ihre Interaktionen mit anderen hinderlich oder störend sind. Die kognitiven Schemata können als eine Art „Filter“ (oder Grundeinstellungen) verstanden werden, durch den Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und auf der Grundlage dieser Wahrnehmungen und deren Interpretationen sie das eigene Verhalten steuern und ausrichten. Die „Filter“ stehen in engem Zusammenhang mit den handlungsleitenden Kernmotiven, die ebenfalls das Erleben und Handeln der Personen beeinflussen. Das Erleben zwischenmenschlicher Interaktionen und die entsprechenden Motive haben somit handlungsleitende Funktion und können das interpersonelle Verhalten erklären. Handeln und Verhalten werden danach durch zwei Bereiche kognitiver Schemata sowie durch damit im Zusammenhang stehende (interaktionelle) Motive (sensu Grawe) bestimmt. Diese drei wesentlichen Aspekte sind: (a) Selbstbild (Schema), (b) das Bild über andere Menschen (Schema), (c) Kernmotive für interpersonelles Verhalten. Das hier dargestellte Verständnis von PS ermöglicht es, auf der Grundlage eines kognitiven und verhaltenstheoretisch fundierten Störungsmodells psychotherapeutische Interventionen zu planen und durchzuführen, bei denen die Kernmotive des interaktionellen Verhaltens sowohl in der therapeutischen Beziehung als auch im Alltag der Patientinnen berücksichtigt werden. Damit erscheinen PS nicht als unabänderliche, bloß schrullige oder gar böswillige Eigenarten der betroffenen Personen, sondern die damit verbundenen Erlebens- und Verhaltensweisen werden als besondere Muster der Interpretation zwischenmenschlicher Beziehungen und dazugehörender Interaktionen betrachtet. Ein für die zwischenmenschliche Interaktion besonders wichtiger Aspekt ist der der sozialen Kognition. In den letzten Jahrzehnten wurden vor allem zu diesem Bereich der interpersonellen Beziehungsgestaltung Forschungsergebnisse vorgelegt, die wir besonders relevant für das psychotherapeutische Vorgehen halten und die daher im Folgenden zusammenfassend dargestellt werden. |6|1.2 Soziale Kognition
Sozial-kognitive Fähigkeiten sind eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende Interaktion mit anderen Menschen. Unterschieden werden Theory-of-mind (ToM)-Fähigkeiten, Empathie im Sinne des Teilens der Emotion des anderen bzw. des Mitleides sowie das Sorgen um...