Rettenberger / Franqué | Handbuch kriminalprognostischer Verfahren | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 383 Seiten

Rettenberger / Franqué Handbuch kriminalprognostischer Verfahren


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8409-2393-7
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

E-Book, Deutsch, 383 Seiten

ISBN: 978-3-8409-2393-7
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Kriminalprognostische Einschätzungen haben zum Ziel, zukünftige Risiken fremdschädigender Verhaltensweisen zu beurteilen und daraus entsprechende Präventivmaßnahmen zu entwickeln. Qualifizierten Anwenderinnen und Anwendern steht für diese anspruchsvolle Aufgabe eine Reihe von standardisierten Verfahren zur Verfügung. In diesem Handbuch werden über 20 nationale und internationale kriminalprognostische Instrumente, die auch im deutschsprachigen Raum Verwendung finden, umfassend vorgestellt. Neben dem theoretischen Hintergrund wird ausführlich auf praktische Probleme und deren Lösung sowie auf die Vermeidung von Anwendungsfehlern eingegangen. Zu jedem Verfahren wird der aktuelle Forschungsstand ausführlich referiert, wobei ein Schwerpunkt jeweils auf aktuell verfügbaren deutschsprachigen Untersuchungen liegt. Eine allgemeine Einführung zu den wissenschaftstheoretischen und methodischen Grundlagen sowie drei abschließende Kapitel zur Integration der Ergebnisse verschiedener Instrumente und zur Berücksichtigung prognostisch relevanter Besonderheiten im Einzelfall runden den Band ab. Dieses Handbuch stellt fachkundigen Anwenderinnen und Anwendern einen breiten Wissenskanon aus Forschung und Praxis zur Verfügung und stellt damit eine zentrale Hilfe für all jene Berufsgruppen dar, die sich wissenschaftlich, gutachterlich oder therapeutisch mit Kriminalprognosen befassen.
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Weitere Infos & Material


1;Handbuch kriminalprognostischer Verfahren;1
2;Inhalt;7
3;Geleitwort von Peer Briken;15
4;Geleitwort von Douglas P. Boer;16
5;Vorwort der Herausgeber;17
6;I Einleitung;19
6.1;1Warum Prognoseinstrumente?;21
7;II Prognoseverfahren für Jugendliche;39
7.1;2J-SOAP-II – Juvenile Sex Offender Assessment Protocol-II;41
7.2;3 ERASOR – Estimate of Risk of Adolescent Sexual Offense Recidivism;49
7.3;4 YLS/CMI – Youth Level of Service/Case Management Inventory;57
7.4;5SAVRY – Structured Assessment of Violence Risk in Youth;68
8;III Instrumente zur Erfassung von Psychopathie;83
8.1;6 PCL-R/PCL:SV – Psychopathy Checklist-Revised/Psychopathy Checklist: Screening Version;85
8.2;7PCL:YV – Psychopathy Checklist: Youth Version;110
8.3;8CAPP-IRS – Comprehensive Assessment of Psychopathic Personality – Institutional Rating Scale;123
9;IV Aktuarische Prognoseverfahren;135
9.1;9OGRS – Offender Group Reconviction Scale;137
9.2;10VRAG – Violence Risk Appraisal Guide;143
9.3;11SORAG – Sex Offender Risk Appraisal Guide;161
9.4;12RRS – Rückfallrisiko bei Sexualstraftätern;177
9.5;13 Der Static-99 zur Erfassung des statischen Risikos bei Sexualstraftätern;191
9.6;14Der Stable-2007 zur Erfassung des stabil-dynamischen Risikos bei Sexualstraftätern;204
9.7;15Der Acute-2007 zur Erfassung des akut-dynamischen Risikos bei Sexualstraftätern;214
9.8;16 EFP-63 – Empirisch fundierte Prognosestellung im Maßregelvollzug gemäß §.63 StGB;222
9.9;17ODARA – Ontario Domestic Assault Risk Assessment;235
10;V Klinische Prognoseverfahren;243
10.1;18LSI-R – Level of Service Inventory-Revised;245
10.2;19 HCR-20 – Historical-Clinical-Risk Management-20 Violence Risk Assessment Scheme;258
10.3;20SVR-20 – Sexual Violence Risk-20;275
10.4;21SARA – Spousal Assault Risk Assessment Guide;291
10.5;22 SAPROF – Structured Assessment of PROtective Factors for violence risk;303
10.6;23ILRV – Die Integrierte Liste der Risikovariablen;313
10.7;24 Dittmann-Liste oder Basler Prognose-Instrument – Kriterienliste der Fachkommissionen des Strafvollzugskonkordats der Nordwest- und Innerschweiz;326
11;VI Integrative Modelle und praktische Anwendung;337
11.1;25 (Sach-)Verständige Auswahl und Integration von Basisrateninstrumenten und Prognose­instrumenten der ,dritten Generation‘;339
11.2;26Klinisch-idiografische Kriminalprognose;349
11.3;27Strukturierte, professionelle Risikobeurteilungen;359
12;Die Autorinnen und Autoren des Bandes;383


1 Warum Prognoseinstrumente?
Lutz Gretenkord

1.1 Warum Prognosen?

Soll ich heute den Schirm mitnehmen? Werde ich morgen pünktlich zum Vorstellungsgespräch kommen, wenn ich um fünf Uhr in der Frühe losfahre? Wie hoch wird meine Rente sein? Soll ich sie heiraten? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem GAU in einem Atomkraftwerk kommt? Wird dieser Mann, wenn er aus dem Gefängnis entlassen wird, rückfällig?

In allen diesen Fällen ist eine Prognose – eine Vorausschau, ein Blick in die Zukunft – von Bedeutung . Kein Mensch ist in der Lage, mit absoluter Sicherheit zukünftige Ereignisse vorauszusagen, hier ist vielmehr von einer „prinzipielle[n] Irrtumsanfälligkeit“ auszugehen (Endres, 2000, S . 68) . Was man aber machen kann, sind Wahrscheinlichkeitsaussagen . Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Auto, das frisch aus dem TÜV kommt, in einen Unfall verwickelt wird, ist geringer, als bei einem Auto mit undichten Bremsleitungen, abgefahrenen Reifen und defekten Scheinwerfern .

Wenn in diesem Buch von Prognosen gesprochen wird, geht es in aller Regel um Legalprognosen, d . h . um die Frage, ob jemand gegen irgendein beliebiges Gesetz verstoßen wird . Als eine Art von Legalprognose kann man die Kriminalprognose ansehen, wobei die Frage ist, ob ein Mensch oder eine bestimmte Gruppe von Menschen zukünftig kriminell werden, also gegen das Strafgesetz verstoßen, unabhängig davon, ob sie bislang kriminell waren (Nedopil, 2005, S . 17) . In der Praxis sind diese Prognosen vornehmlich bei bereits straffällig gewordenen Menschen zu stellen, man kann dann von Rückfallprognose sprechen, wobei der Begriff individuelle Kriminalitätsrückfallprognose (Dahle, 2005, S . 2) sicherlich treffender, für den ständigen Gebrauch allerdings ein wenig zu sperrig ist . Deshalb wird im Folgenden hierfür – sozusagen als Kurzform – meist nur der Begriff Prognose verwendet .

Die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, solche Prognosen zu stellen, braucht hier nicht erörtert zu werden . Der Gesetzgeber hat in vielen Fällen vorgeschrieben, dies zu tun, insbesondere bei der Anordnung oder Aussetzung von Freiheitsstrafen oder Maßregeln (z .B . §§63, 64, 66, 56, 57, 57a Strafgesetzbuch, StGB; für eine Übersicht s . Boetticher, Kröber, Müller-Isberner, Böhm, Müller-Metz & Wolf, 2007, S . 91) . Dabei kann die entscheidende Instanz die Hilfe eines Sachverständigen – meist Psychiater oder Psychologe – in Anspruch nehmen . Manchmal muss sie das sogar, etwa bei der Aussetzung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe (§ 454 Abs . 2 Strafprozessordnung, StPO) .

Die Qualität der von diesen Fachleuten erstellten Gutachten wurde oft bemängelt (Leygraf, 1988; Steller, 1991; Nowara, 1995; Dahle, 1997; Volckart, 1997; Kunzl & Pfäfflin, 2011) . Um hier eine Verbesserung zu erreichen, hat eine aus Juristen, Psychiatern und Psychologen bestehende Expertengruppe Mindestanforderungen für Prognosegutachten formuliert, die den Sachverständigen die Erstellung und den übrigen Verfahrensbeteiligten die Bewertung der Gutachten erleichtern sollen (Boetticher et al ., 2007) . Hier wird klargestellt, dass das Gutachten „eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das künftige Legalverhalten“ zu treffen habe, auf deren Basis das Gericht die ihm vorgegebene Rechtsfrage zu beantworten hat; zudem solle sich der Sachverständige methodischer Mittel bedienen, „die dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gerecht werden“, das Gutachten müsse „nachvollziehbar und transparent“ sein (Boetticher et al ., 2007, S . 92) .

In diesem Kapitel wird erörtert, ob Prognoseinstrumente einen Beitrag zur Erfüllung dieser Vorgaben leisten können . Dazu wird dargestellt, welche Arten der Prognosestellung es gibt, was Prognoseinstrumente messen, welche Arten von Prognoseinstrumenten es gibt, warum ihr Einsatz oft auf Vorbehalte stößt und warum sie – trotz ihrer Begrenzungen – eingesetzt werden sollten . Zudem wird unsere Auffassung zu einigen zentralen Begriffen erläutert, die unklar oder umstritten sind (Basisrate, Ausgangswahrscheinlichkeit, Risikokommunikation) .

1.2 Welche Arten der Prognose­ stellung gibt es?

Im Jahre 1954 hat der amerikanische Psychologe Paul Everett Meehl (1920–2003) einen – wie man mittlerweile sagen kann – Klassiker veröffentlicht: „Clinical versus statistical prediction“ . Die fundamentale Unterscheidung zwischen klinischer und statistischer Prognose wurde in der Folge oft aufgegriffen, in Deutschland u . a . von Schneider (1967) . Grundlage der klinischen Prognose sind das Studium des Lebenslaufs und der Familienverhältnisse des Probanden sowie die gezielte Exploration und Anwendung psychodiagnostischer Testverfahren (Schneider, 1967, S . 400) . Als Fehlform der klinischen Prognose wurde die intuitive Prognose bezeichnet, die etwa auf einer Beurteilung des äußeren Eindrucks und auf der unsystematischen Verwertung eigener praktischer Erfahrungen beruht, weshalb man auch von einer subjektiven Prognose sprechen kann (Mey, 1967, S . 513) . Es versteht sich von selbst, dass diese vorwissenschaftliche Vorgehensweise in wissenschaftlich begründeten Gutachten keine Rolle spielen dürfte, weshalb hier nicht weiter darauf eingegangen wird .


Bei der statistischen Prognose geht es um die Verwendung von „Prognosetafeln“, wie Prognoseinstrumente damals genannt wurden, die auf der Auswertung von Untersuchungen zur Rückfälligkeit beruhen und „eine breite wissenschaftlich analysierte Erfahrungsgrundlage für den Einzelfall nutzbar zu machen suchen“; sie soll nicht „dem für die Entscheidung Verantwortlichen seine Verantwortung abnehmen“, sondern nur dessen Entscheidung erleichtern (Schneider, 1967, S . 400) . Vor einer mechanisch-schematischen, gedankenlosen Anwendung wird ausdrücklich gewarnt . Die Prognosetafeln werden als Hilfsmittel angesehen, die nur von kriminologisch geschultem Personal verwendet werden dürfen . Zur „statistischen Individualprognose“ gehöre ferner eine sorgfältige Anamnese, ergänzendes Aktenstudium und das Gespräch mit dem Probanden . Der für die Prognoseentscheidung Verantwortliche sei völlig frei, den Indikationen der statistischen Prognosetafeln aufgrund zusätzlicher entgegenstehender Informationen im Einzelfall nicht zu folgen (Schneider, 1967, S . 400) . Von statistischer Prognose (oder formaler, mechanischer, algorithmischer Prognose) wird gesprochen, so etwa Grove und Meehl (1996, S . 293), wenn die zu treffende Aussage (über die Wahrscheinlichkeit künftigen Legalverhaltens) auf einer formalen rechnerischen Vorgehensweise, z . B . einer Gleichung, beruht .

Im Prinzip lassen sich die beiden Arten der Prognosestellung auf die unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen der beteiligten Verhaltenswissenschaften zurückführen (Dahle, 2007, S . 103) . Die klinische Prognose entspricht dem idiografischen Wissenschaftsmodell der Geisteswissenschaften, etwa der Geschichtswissenschaft, deren Gegenstand einmalige, sich nicht wiederholende Geschehnisse sind (Häcker & Stapf, 2009, S . 456) . Wenn eine Theorie aufgestellt wird z .B . zu der Frage, woran der Ötzi gestorben ist, müssen die relevanten Fakten so objektiv wie möglich erfasst werden . Darauf aufbauend wird eine Theorie entwickelt, die mit diesen Fakten im Einklang stehen muss und keine logischen Widersprüche enthalten darf . Dabei gibt es nicht die eine richtige Theorie, sondern es sind viele denkbar . Je ökonomischer eine Theorie die Fakten erklären kann, desto besser ist sie . Dieselbe Methode wird vom Kriminalbeamten angewandt, der auf der Suche nach dem Täter ist .

Der Begriff klinische Prognose ist aus zwei Gründen missverständlich . Zum einen lässt er sich schlecht von der methodenfreien intuitiven Prognose trennen . Zum anderen weckt er die Assoziation, dass es bei dieser Methode um kranke Menschen in einer Klinik geht . Aber auch der Personalchef, der Bewerber nach Auswertung der Unterlagen und einem Interview einstellt, stellt eine in diesem Sinne klinische Prognose . Deshalb wird etwa von Dahle (2007, S . 103) der Begriff idiografische Prognose bevorzugt, der auch vom Verfasser für eindeutiger und treffender gehalten wird .



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