Ringlstetter | Paris. New York. Alteiselfing | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Reihe: dtv- premium

Ringlstetter Paris. New York. Alteiselfing

Auf Ochsentour durch die Provinz
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-423-42860-6
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Auf Ochsentour durch die Provinz

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Reihe: dtv- premium

ISBN: 978-3-423-42860-6
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Endlich bekannt!

Wer als Rock ´n´ Roller die Welt erobern will, muss sich erst mal durch die Provinz tourend einen Namen machen. Da kommt man dann in den Bayerwald und auf die Nordseeinsel Juist, nach Alteiselfing und auch nach Winsen an der Luhe. 'Ochsentour' nennt man das, und wie der Name schon sagt, ist so was kein Zuckerschlecken.

Doch längst schon hat Hannes Ringlstetter die Mühen der Ebene überwunden. Anlass für einen Blick zurück: satirisch, ironisch, liebevoll grantelnd.

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I don’t feel Rock ’n’ Roll today!
Mister 30 Prozent wollte von Anfang an hoch hinaus. Ob mein Auftritt im Café National ihn dazu bewogen hat, mutig ins internationale Veranstalterbusiness einsteigen zu wollen, weiß ich nicht, ich halte selbst das für möglich. Fakt ist: Er tat es. Er holte Suzanne Vega nach Niederbayern (circa hundertzwanzig Zahlende fanden sich in einer Halle für zweitausend zu diesem Auftritt ein), er verhalf der Anfang der Neunzigerjahre extrem gehypten Band Jeremy Days zu einem Auftritt in der tiefen Oberpfalz, den sie wohl nie mehr vergessen werden, denn dort war die Bühne dann fast größer als der Zuschauerraum, so sehr musste die Halle für die circa hundert Leute, die gekommen waren, verkleinert werden. Und er übernahm gleich ganze Tourneen von Weltstars, allen voran: Jerry Lee Lewis, der Mann mit »Great Balls of Fire«. Auch dessen Kollegen Fats Domino holte er für das einzige Konzert nach Bayern. Er stieg aber auch in das Ende der Achtzigerjahre und mit der Wende weiter expandierende Geschäft mit der volkstümlichen Musik ein und veranstaltete in grauenvollen Umgebungen grauenvolle Abende mit den grauenvollen Granden dieser Musikgattung von Moik bis Lindner, mit Marianne und dem Michael, mit Geschwister-Duos, Quetschen-Kindern, jodelnden Japanern bis hin zu Volksschauspielern auf Abwegen und Traktoren sitzend wie Wolfgang Fierek. Alles eingebettet in Shownamen wie »Musikantenstadl unterwegs«, »Lustige Musikanten« oder »Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterfest der Volksmusik«. Zur Durchführung all dieser Großveranstaltungen unterschiedlichster Couleur brauchte Mister 30 Prozent natürlich Personal. Und da man bei meinen Liedermacheranfangsjahren wahrlich nicht von »Erfolg« sprechen konnte, lag es auf der Hand: Wenn Mister 30 Prozent schon nichts an mir verdiente, dann sollte er wenigstens die noch jugendliche Arbeitskraft nutzen können; ich wiederum musste das angesichts der künstlerisch eher trüben Erfolgsaussichten notgedrungen begonnene Studium finanzieren. Eine Win-win-Situation in einer Lose-lose-Umgebung. Dankbar bin ich für diese Zeit bis heute, denn erstens hab ich die Mechanismen der Unterhaltungsbranche da wirklich kennengelernt und am eigenen Leib erfahren, des Weiteren passiert es mir bis heute nicht, dass ich Personal schlecht behandle, und außerdem hat die Branche mit diversen Geschichten derart bei mir verspielt, dass mir klar wurde, langfristig ergibt es für einen wie mich nur dann einen Sinn, wenn ich von hinter der Bühne auf die Bühne wechsle, sonst gehe ich hier ein. Und: Lieber verhungere ich oder jobbe wo auch immer, bevor ich künstlerisch was mache, was ich nicht machen will. Eine der wichtigsten Entscheidungen in einem Künstlerleben. Before you make shit, do something completely different! Notgedrungen bedeutete dies: schuften! Die Jobprofile hinter den großen Bühnen von Metal bis Volksmusik sind identisch und damit schnell aufgezählt. Von oben nach unten in der Nahrungskette: Künstler, Manager, Tourmanager, Mischer »Front of House« Ton, Lichttechniker, Mischer Monitor Ton, Bühnenchef, Backliner, Busfahrer, LKW-Fahrer. Vor Ort werden über den Veranstalter Helfer angeheuert, die sogenannte Local Crew. Das sind die, die den LKW ausladen, das Zeug oft kreuzwegartig von Etappe zu Etappe Richtung Bühne rollen oder schleppen, in Windeseile organisieren müssen, was vergessen wurde (Gitarrenplektren, Schlagzeugsticks) oder ausgegangen ist (Milch, Alkohol, Drogen), und die einfach da sein müssen, damit man jemandem die Schuld geben, ihn also zusammenscheißen kann. Denn die Local Crew ist selbstverständlich den Befehlen der festen Tourcrew unterstellt, was zumeist zur Folge hat, dass, sagen wir mal, der Respekt nicht zwingend vorhanden und Sympathie nicht erforderlich ist, da ja nach der Show der professionelle Tross weiterzieht, während die lokale Crew zurückbleibt und sich im Stammlokal betrinkt. Ich war jahrelang »Hand«, wie man den Helfer auch nennt, und habe eiskalte Metallkisten, die »Cases«, für Rockbands über Kopfsteinpflaster bugsiert, aber auch Holz- und Pappdekos für Musicals wie ›Phantom der Oper‹ mit Anti-Feuer-Spray eingeduftet; für Opern wie ›Nabucco‹ (angeblich eine der hundert Originalinszenierungen aus Verona) habe ich die halbe Arena aus Pappmaché aufgebaut, und fürs ›Schwanensee‹-Ballett aus Frankreich, dessen Mitglieder aber alle aus Russland waren, habe ich vergilbte Stoffbahnen aufwendig entrollt. Ich habe alles gemacht. Ich bin vor Bodyguards von Fats Domino geflüchtet, habe mich in französisch-russische Balletttänzerinnen verliebt und habe Shaolin-Mönchen bei der Nahrungsaufnahme zugesehen und dadurch gelernt, dass das chinesische Essen, das wir beim Chinesen bekommen, mit dem chinesischen Essen, das der Chinese isst, nichts zu tun hat. Die Mahlzeiten werden zudem mit den Händen in den Mund gestopft, es wird geschlungen, und danach ist eine Sauerei im Backstage, die nicht mal Metal Bands hinterlassen. Ich habe mir von homoerotisch interessierten Volksmusikstars an den Hintern fassen lassen und Schmusesängern wie Angelo Branduardi faden Matetee aus dem Supermarkt besorgt. Ich habe von eingeschweißten Milchbrötchen gelebt und auf Festivals Steaksemmeln auf Weltrekordniveau verdrückt, ich habe Unmengen von Apfelschorle und Spezi geschluckt, habe geschwitzt, geschuftet und bin aber auch Hunderte Stunden sinnlos rumgestanden. Und ich habe den Rock ’n’ Roll kennengelernt. Den richtigen. »Great Balls of Fire« ist ja schon eine Ansage gewesen, von dem Herrn Jerry Lee Lewis, dem Rock-’n’-Roll-Piano-Gott. Von großen Eiern, die brennen, singt so jemand wie der Branduardi zum Beispiel nicht. Um den Typ Musikant zu beschreiben. Der Jerry Lee Lewis trieb es zudem mit einer Minderjährigen, die glaube ich mit ihm verwandt war und die er dann auch noch heiraten wollte. Dazu braucht man sicher great balls, und brennen müssen die, sonst kommt man ja auf so was nicht. Der Herr Lewis hatte also zu seinem einzigen richtigen Hit auch das passende Leben, das hilft immer im Rock ’n’ Roll. Ich war Teil der Tourcrew, wurde aber trotzdem im Tätigkeitsportfolio nur als Helfer geführt. Und obendrein noch als Runner und Security. Europatournee. Das Publikum bestand zu 90 Prozent aus Hillbillyrockern und zu 10 Prozent aus deren Freundinnen. Alle in identischem Outfit: also Tolle, Lederjacke, Geldtaschenkette, Riesengürtelschnalle. Das wiederum stilsicher eingebettet in den zumeist von einem breiten Kinn gezierten Riesenschädel plus Stiernacken auf Quadratschultern, kurz: Kraft ohne Ende. Wahrscheinlich auch great balls. Und bereit zum Feiern. Neben der Schufterei beim Auf- und Abbau war es die Aufgabe der Helfer, während der Show auf der Bühnenkante zu sitzen und mit den Beinen umgedrehte Casedeckel gegen oben genannte Exemplare in der ersten Reihe zu pressen, damit sie Jerry Lee Lewis nicht zu nahe kamen, denn wären sie das, ihm zu nahe gekommen, hätte er abgebrochen, sofort und auf der Stelle, und die Hillbillys hätten in der Folge die Halle »abgebrochen«, so viel war klar. Also hab ich Hänfling von Anfang zwanzig zusammen mit anderen auch nicht gerade Krafttraining-geschulten Freunden Ein-mal-zwei-Meter-Deckel gegen tätowierte Hälse gepresst, die eine Mischung aus Ekstase für den Künstler und Hass auf uns ausstrahlten, weil sie nicht näher an IHN rankamen. Irgendwie habe ich diese fünfundvierzig Minuten Klaviergewitter plus den Krieg gegen die Fans überstanden. Bedankt hat sich weder der Fan noch der Jerry. Der Jerry Lee Lewis hatte aber auch wirklich andere Sorgen: 1. Whiskey, 2. Kokain, 3. Reisestrapazen. Denn er hatte bedingt durch das Minderjährigengeficke eine gerichtliche Auflage und musste nach jedem Auftritt wieder zurück in die USA, Pass abstempeln lassen, dann wieder in den Flieger und retour nach Europa. Spätestens nach achtundvierzig Stunden musste er erneut amerikanischen Boden betreten, von Amts wegen, da halfen ihm auch seine großen brennenden Eier nichts, im Gegenteil. In Antwerpen kam es dann zum Showdown. Und ich wusste ab diesem Tag, was ein echter Star ist. Und wie sich so einer aufführen kann. Jerry Lee Lewis traf spätnachmittags mit dem Flieger ein, begoss sich sofort mit Whiskey, schnupfte ausgiebigst Kokain, sein Manager permanent hinter ihm her, ihn zum einen weiter versorgend, zum anderen aber auch mahnend, er möge es doch nicht übertreiben, wegen des Auftritts und überhaupt. Füttern und beschwichtigen gleichzeitig. Wie bei Babys. Die Band ging auf die Bühne. Die spielte nämlich immer fünfundvierzig Minuten alleine ohne ihren Meister, bevor der Eiermann dann gnädigerweise weitere fünfundvierzig Minuten mit ihnen rockte, um schließlich in einer Longlong-Version von »Great Balls of Fire« zu enden, wo am Schluss so gut wie alles hin war. Dann ohne Zugabe und weiteren Menschenkontakt von der Bühne und ab in den Flieger, mit allerhand Rauschmaterialien. Nun, an diesem Abend war alles anders bzw. erst war alles wie immer: Band auf der Bühne, Halle voll, alle warteten auf die Eierparty, auf Ostern sozusagen. Der Manager jagte backstage Jerry Lee Lewis hinterher und versuchte ihn langsam, aber sicher von Frauen, Alkohol und Kokain weg- und stattdessen auf die Bühne zu bekommen. Er steuerte den alten, bleichen, völlig zugedröhnten, stolpernden Mann bis an die Seitentreppe zur Bühne. Plötzlich blieb Jerry Lee Lewis stehen, drehte sich um, wankte wieder Richtung Backstage an seinem Manager vorbei, und der brennende Rieseneiermann sprach: »I don’t feel Rock ’n’ Roll today!« Und ging also nicht auf die Bühne, sondern weiter feiern, dann wahrscheinlich ins Puff oder gleich zurück in die USA, um die Kindfrau verkatert und auf Turkey zu verdreschen. Irgend so was in der Art. »I don`t feel Rock...


Ringlstetter, Hannes
Hannes Ringlstetter, geboren 1970 in München, wuchs in Niederbayern auf, studierte Germanistik und Geschichte. Seit 30 Jahren tourt er mal mit Band, mal mit musikalischen Künstlerfreunden, früher durch die Provinz, heute im ganzen deutschsprachigen Raum. Er arbeitet als Autor, Kabarettist und als Schauspieler, u.a. als Yazid in der Kultserie ›Hubert ohne Staller‹. Hannes Ringlstetter lebt weit draußen auf dem Lande.

Hannes Ringlstetter, geboren 1970 in München, wuchs in Niederbayern auf, studierte Germanistik und Geschichte. Seit 30 Jahren tourt er mal mit Band, mal mit musikalischen Künstlerfreunden, früher durch die Provinz, heute im ganzen deutschsprachigen Raum. Er arbeitet als Autor, Kabarettist und als Schauspieler, u.a. als Yazid in der Kultserie ›Hubert ohne Staller‹. Hannes Ringlstetter lebt weit draußen auf dem Lande.



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