Roesler | Traumdeutung und empirische Traumforschung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 127 Seiten

Roesler Traumdeutung und empirische Traumforschung


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-17-038434-7
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 127 Seiten

ISBN: 978-3-17-038434-7
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
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Träume und ihre Bedeutung haben Menschen schon immer beschäftigt und erscheinen oftmals seltsam bedeutungsvoll. Aber hat der Traum Bedeutung? Stellt er eine Verzerrung seiner tatsächlichen Inhalte dar oder eher eine umfassende Selbstdarstellung der Situation der Psyche? Ist der Traum als ein neurotisches Symptom zu verstehen, oder haben Träume nicht vielmehr ein kreatives und problemlösendes Potenzial? Was bedeuten diese unterschiedlichen Auffassungen für die klinische Arbeit mit Träumen? Auf Basis der empirischen Erkenntnisse beurteilt der Autor die Gültigkeit unterschiedlicher Traumtheorien und legt eine zeitgemäße, forschungsbasierte Theorie des Traumes und seiner Funktion vor. Ein Fokus liegt auf dem Vergleich zwischen Freud und Jung, die gegensätzliche Auffassungen über den Traum und seine Bedeutung für die Persönlichkeit vertreten.
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2          Traumtheorien
    2.1       Traum und Traumdeutung in der Menschheitsgeschichte
Träume und ihre Bedeutung haben die Menschheit schon immer beschäftigt (Barrett & McNamara 2007b). Zu den ältesten erhaltenen Schriften der Menschheit zählen Anleitungen zur Traumdeutung oder regelrechte Traumdeutungsbücher, z. B. der Beatty Papyrus (Ägypten um 1800 v. Chr.) oder das Traumdeutungsbuch des Artemidoros v. Daldis, ca. 500 v. Chr. Im Gilgamesch Epos (ca. 1200 v. Chr.), einer der ältesten aufgezeichneten Geschichte der Menschheit, steht ein Traum und seine Bedeutung ebenfalls an zentraler Stelle und bestimmt das weitere Schicksal des Helden. Bulkeley (2007, 2008) argumentiert sogar, dass Religionen ohne Träume und ihre Deutung an zentraler Stelle gar nicht denkbar seien. Religion nehme ihren Ausgang vom Phänomen des Traumes, der als eine Mitteilung göttlicher oder jenseitiger Mächte verstanden wird, und ihrer Deutung. In den ältesten Ansätzen war die ursprüngliche Auffassung zur Bedeutung von Träumen, dass sie Mitteilungen der Götter an Fürsten darstellen und Hinweise auf die Zukunft geben. Im antiken Griechenland und auch im hebräischen Talmud kommt erstmals die Idee auf, dass Träume unterdrückte Regungen enthalten und im Zusammenhang mit den aktuellen Lebensumständen des Träumers stehen (Kramer & Glucksman, 2015). Dies wird auch im Koran betont (Bulkeley 2008): Es gäbe keine universell passenden Trauminterpretationen, man müsse den Inhalt des Traumes in Verhältnis zur Persönlichkeit und den Lebensumständen des Träumers setzen. Schon die Sumerer sowie der antike Arzt Hippokrates nahmen an, dass Träume wichtige Informationen beinhalten, die für die Diagnostik medizinischer Probleme genutzt werden können. Im antiken Griechenland gab es die Tradition der Trauminkubation. Dabei verbrachte man bei gesundheitlichen Problemen, wenn man medizinischen Rat und Behandlung suchte, eine Nacht im Tempel des Gottes der Heilkunst, Asklepios., Dort schlief und träumte man und am nächsten Morgen erzählte man den Priestern des Tempels diesen Traum, aus dem diese dann Hinweise auf die Diagnostik der Erkrankung sowie deren Behandlung zogen (Bulkeley, 2008). Faszinierenderweise lebt diese Tradition der Trauminkubation an manchen Orten bis heute fort, so zum Beispiel auf der griechischen Insel Naxos sowie in anderen Zentren der orthodoxen Christenheit, wie in Theben oder Bulgarien, wo Patienten in Kirchen schlafen und dabei auf ihre Träume achten. Auch im Koran wird eine Praxis beschrieben, genannt Istikhara, die aus Gebeten und bestimmten Praktiken besteht, die man vor dem Schlaf absolviert, um einsichtsfördernde Träume zu fördern oder hervorzurufen (Bulkeley, 2008). Auch diese Praxis findet ihre Fortsetzung in modernen islamischen Ländern. Beispielsweise bieten im Iran populäre Zeitschriften Kolumnen an, in denen die Leser seltsame Träume einsenden können, die dann von muslimischen Psychiatern mit kurzen Interpretationen und praktischen Hinweisen versehen werden. Im Europa der Neuzeit dagegen wurde erstmals infrage gestellt, ob Träume überhaupt eine Bedeutung enthalten, und angenommen, dass sie eher eine Art Leerlauf des Gehirns darstellen. Diese Auffassung verbreitete sich im 19. Jahrhundert und die entsprechende wissenschaftliche Debatte erhielt eigentlich erst durch Freuds Veröffentlichung »Die Traumdeutung« im Jahr 1900 eine neue Wende. In zeitgenössischen Theorien des Traums ist es weitgehend akzeptiert, dass Träume Bedeutungen tragen und diese eng verknüpft sind mit dem Wachleben des Träumers und dass Traumdeutung eine hilfreiche und effektive Methode bei psychotherapeutischen Interventionen darstellt (Hill, 1996). DeCicco, Donati und Pini (2012) geben einen aktuellen Überblick über Studien, die die Wirksamkeit von therapeutischer Arbeit mit Träumen im Rahmen der Psychotherapie untersuchen. Außerdem zeigen sie unterschiedliche therapeutische Methoden der Traumdeutung auf, darunter ihre eigene Storytelling Method of Dream Interpretation als ein Beispiel für eine in jüngerer Zeit entwickelte Methode. Die Psychoanalyse beginnt gewissermaßen mit der Traumdeutung (Freud, 1900) und immer noch wird die therapeutische Arbeit mit Träumen in den psychoanalytischen Schulen als der Königsweg zum Unbewussten betrachtet (Fosshage, 1987; Fonagy, Kächele, Leuzinger-Bohleber & Taylor, 2012). 2.2       Kulturelle Auffassungen zum Verständnis und zur Deutung von Träumen
Hamburger (2013) berichtet über eine vergleichende Studie der Ethnopsychologie, in der weltweit 221 Ethnien auf fünf Kontinenten hinsichtlich ihrer Auffassung zum Traum und zum Umgang mit den Träumen untersucht wurden. Weltweit geht die Mehrzahl indigener Kulturen davon aus, dass das Traumleben eine Wirklichkeit abbildet, die mit anderen Menschen geteilt wird und auch eine Verbindung zu den Vorfahren darstellt. Lohmann (2007) bietet auf der Basis ethnografischer Forschung eine Liste von Typen kultureller Traumtheorien: 1.  Nonsenstheorie: Interessanterweise gibt es auch bei traditionellen Völkern die Vorstellung, dass Träume nichts bedeuten, sondern sozusagen sinnloser Leerlauf des Gehirns sind. 2.  Träume als die wahre Wirklichkeit: Manche Völker, wie der südamerikanische Indianerstamm der Jivaro, gehen davon aus, dass Träume eine stärkere Wirklichkeit darstellen als die Welt des Wachbewusstseins; letzteres wird eher als eine Illusion betrachtet. 3.  Nachrichtentheorie: Diese sehr weit verbreitete Theorie nimmt an, dass Träume Mitteilungen vom Träumer selbst an andere oder von anderen an den Träumer darstellen, insbesondere von verstorbenen Ahnen, Geistern oder Gottheiten. 4.  Generative Theorien: Dieser Typ von Theorien nimmt an, dass Träume nicht nur einfach die Zukunft voraussagen, sondern sogar die Manifestation zukünftiger Ereignisse bedingen oder zumindest dazu beitragen. 5.  Visitations-Theorien: Hier wird angenommen, dass der Träumer während des Traums von spirituellen Wesenheiten besucht wird. Diese Theorien können sich auch mit anderen, bereits genannten Theorietypen überlappen. Eine große Zahl von Ethnien folgt in ihrem Verständnis der Träume der unten dargestellten Auffassung Jungs. Hollan (2003) beschreibt, was er selfscape dreams nennt, d. h. Träume, die eine Karte der inneren Landschaft, eine Beschreibung des aktuellen Selbst darstellen: »To summarize briefly, selfscape dreams involve complex, developmentally sensitive imaginal, emotional, and cognitive processes that reflect back to the dreamer how his or her current organization of self relates various parts of itself to itself, its body, and to other people and objects in the world« (Hollan, 2003, S. 65). In einem Vergleich von Träumen von Personen aus den USA und Indonesien fand er nicht nur, dass sich der Inhalt der Träume ähnelte (sie handelten von Konflikten des Selbst mit anderen und ihrer persönlichen Lebenssituation), Individuen aus beiden Kulturen interpretierten ihre Träume auch als eben dies: eine Darstellung ihrer aktuellen Lebenssituation. In vergleichbarer Weise fand Mageo (2003) eine hohe Übereinstimmung zwischen verschiedenen Kulturen hinsichtlich ihres Verständnisses von Träumen, dass diese nämlich das bewusste Ich mit ungelösten Themen oder konflikthaften Anteilen konfrontieren, die noch nicht ins Ganze der Persönlichkeit integriert sind: »Westerners are not alone in alienating an affective and embodied self. Cultures tend to highlight either subjectivity or sociality, and to associate the other with body and emotion« (Mageo, 2003, S. 37). 2.3       Der Traum bei Freud
Man muss sich klarmachen, dass Freud seine »Traumdeutung« (1900) zu einem Zeitpunkt veröffentlichte, als man sich in der europäischen Geistesgeschichte im Zuge der Aufklärung weitgehend einig war, dass Träume nicht, wie es in der Antike und im Mittelalter immer angenommen wurde, bedeutungsvoll sind, also z. B. Mitteilungen Gottes/der Götter an den Träumer darstellen, sondern zufällig zustande kommen, so etwas wie Leerlauf des Gehirns darstellen und insofern bedeutungslos sind. Vor diesem Hintergrund gebührt Freud der Verdienst, nicht nur den Traum als bedeutungstragend rehabilitiert zu haben, sondern darüber hinaus eine kohärente wissenschaftliche Theorie erstellt zu haben, wie Träume zustande kommen, welche Funktion sie für den Träumer übernehmen und eine systematische klinische Methodik entwickelt zu haben, wie im Kontext der Psychotherapie Träume gedeutet werden können. Für Freud (1933) erfüllt der Traum im Grunde eine doppelte Funktion: »Er ist einerseits Ich-gerecht, indem er durch die Erledigung...


Prof. Dr. Christian Roesler, Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, lehrt Klinische Psychologie an der Katholischen Hochschule Freiburg i. Br. sowie Analytische Psychologie an der Universität Basel. Er ist darüber hinaus Dozent an den C.G. Jung-Instituten Zürich und Stuttgart sowie Lehranalytiker am Aus- und Weiterbildungsinstitut für Psychoanalytische und Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg (DGPT).



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