Rohde | Mama Tenga | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

Rohde Mama Tenga

Mein afrikanisches Leben
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-89567-028-2
Verlag: Nieswand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Mein afrikanisches Leben

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

ISBN: 978-3-89567-028-2
Verlag: Nieswand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine abenteuerliche und schicksalhafte Reise nach Westafrika veranlasste Katrin Rohde, ihren gesamten Besitz zu verkaufen, um von Deutschland nach Burkina Faso auszuwandern. Sie berichtet anschaulich, wie sie begann, sich in der Hauptstadt Ouagadougou der Straßenjungen anzunehmen, die dort ein erbärmliches Leben zwischen Hunger, Drogen und Kriminalität führen.

Katrin Rohde hat in den folgenden Jahren - immer gemäß dem Grundsatz "Hilfe zur Selbsthilfe" - zahlreiche Einrichtungen für Kinder und Jugendliche aufgebaut: Waisen- und Frauenhäuser, Krankenstationen, Werkstätten, Ausbildungsplätze und Beratungsstellen für Mädchen und Frauen und vieles mehr.

Mit viel Selbstbewusstsein, Mut und Disziplin, mit Humor und afrikanischem Gleichmut verwirklicht sie unter oft schwierigen Bedingungen ihre Ideen und Projekte. Heute kennt jeder dort Katrin Rohde als »Mama Tenga« - »Mutter Vaterland«.

Eine farbige und mitreißend erzählte Autobiografie, die Menschlichkeit beweist und einen ungewohnt direkten Einblick in die afrikanische Wirklichkeit und das Leben der Menschen in Burkina Faso zeichnet.

Mit einer umfangreichen Bildergalerie, die das Leben bei AMPO und das Land Burkina Faso zeigt.

Rohde Mama Tenga jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


01 Panamtougouri

02 Eine besondere Ehre

03 Ich besitze zuviel

04 Vom Segen eines Schleiers

05 Honoré

06 Ouagadougou, one way

07 Boureima

08 Morgen wieder

09 Mama Tenga und der Bauminister

10 C'est pas moi!

11 Zwei Männer meines Vertrauens

12 Zu später Stunde

13 Komm her, zusammen sind wir stark!

14 Aminata

15 Was, keine Beine?

16 Unsere eigene Krankenstation

17 Azara, Alain

18 Pure Lebensfreude

19 Mädchen, lernt auf euch zu achten

20 Awa und Adama

21 Wurzelbürste um Mitternacht

22 Baobab und Ölsardinen

23 Zementmischer am Drehort

24 Roland

25 Jedem sein eigenes Afrika

26 Nach zwanzig Jahren brav geworden? Manchmal.

27 Zeittafel

28 Bildergalerie

Impressum


1
Panamtougouri
Aufgeregt und heimlich suchte Panamtougouri Hirsestroh auf dem Feld zusammen. Endlich konnte er eine tolle Überraschung für Maman basteln. Auf der Müllkippe nebenan hatte er einen alten Elektrostecker mit angeschweißtem Kabel gefunden. Nun noch schnell einen großen Stern aus Maisstroh geflochten und das alles schön verkabeln. Wie würde sie sich darüber freuen! So einen ähnlichen Stern hatte Maman zu Weihnachten aus Deutschland zur Freude aller Kinder mitgebracht, und er leuchtete hell im Waisenhaus AMPO für alle fünfzig Jungen. So einen Stern konnte er nun selbst herstellen, das hatte Panam nicht geahnt! Obwohl er, sieben Jahre alt, bereits sehr viel gesehen hatte. Schon mit fünf Jahren hatte er viele Nächte auf den Straßen verbracht, einen Vater kannte er nicht, die togolesische Mutter kümmerte sich nicht um ihn, und die Großmutter war zu alt, um ihn festzuhalten. Das war ein Leben: Nachts stand er vor den Kneipen von Ouagadougou und betrachtete sich die Zecher ganz genau. Die Frauen, die dort bedienten, kannten ihn schon. Jetzt! Alle sahen hin, wenn dieser kleine Bursche einen Salto rückwärts aus dem Stand schaffte – nun ja, nicht immer ganz, aber wenn es nicht so richtig klappte, bekam er umso schneller etwas zu essen. Sogar von ihrem Bier gaben ihm die Männer ab! Radschlagen, Spagat und Kopfstand waren seine Spezialität, und wenn er auf den Händen ging, wurde Beifall geklatscht. Jeder war verliebt in den kleinen Panam, mit seinen unwiderstehlichen Zahnlücken lachte er so strahlend! Die Nutten ließen ihn auf ihrer Terrasse schlafen, selbst die Polizisten, die ihn oft aufgriffen, gaben ihm zu essen. Aber die Leute vom Sozialamt konnte er dann doch nicht täuschen mit seinem Charme – jedes Mal wieder brachten sie ihn in verschiedenen Familien unter, aber er blieb niemals länger als eine einzige Nacht. Nein, Panam war ein Kind der Straße. Außerdem wollten diese Leute ihn immer waschen, und davon hielt er auch nicht so viel, im Gegenteil, niemals brüllte er lauter als unter dem Wasserhahn! Alle hatten Angst vor seinem ungeheuerlichen Gebrüll, darum gab es dann nur eine Katzenwäsche, und seine dicken Tränen wurden liebevoll getrocknet. Nach einem guten Frühstück aber verschwand Panam sofort – das Leben auf der Straße war ja so voller Abenteuer, und außerdem erlaubte ihm sein Stolz keinesfalls, jemandem verpflichtet zu sein. Nur er selbst bestimmte, wo er hinging, und das bereits im Alter von sechs Jahren. Da er der kleinste Straßenjunge in der Stadt war, konnte er sich einiges erlauben; die anderen Jungen betrachteten ihn als eine Art Maskottchen und gaben ihm vom erbettelten Geld ab. Nur vor den großen Straßenjungen hatte er Angst, sie nahmen zu viele Drogen und waren unberechenbar. Eines Nachts hatte er zusammen mit einigen anderen Freunden im Straßengraben geschlafen, schräg gegenüber von der Bäckerei, in der man morgens um fünf Uhr manchmal die restlichen Brote von gestern geschenkt bekam. Aber dieses Mal wachte er lange vorher in der Dunkelheit von einem seltsamen Stöhnen auf. War der Große neben ihm krank? Es war auch feucht um ihn herum, dabei war doch Trockenzeit in Ouagadougou. Wasser konnte das nicht sein. Panam stand auf und sah nach den anderen, aber es war niemand mehr da. Den Jungen neben sich hörte er nicht mal mehr atmen. Ihm war sehr unheimlich, wohin sollte er alleine in der Nacht gehen? Leise schlich er sich unter die Bank vor der Bäckerei – auch wenn dort der gefährliche Wächter schlief, das war immer noch besser als alleine zu sein. Niemand ist gerne alleine in Afrika, besonders nachts nicht. Die Stadt war totenstill. Als die Sonne schließlich doch noch aufging – Panam hatte schon gedacht, es bliebe auf ewig schwarze Nacht –, sah er die Blutflecken auf seinem Hemd. Jemand hatte seinen Freund getötet. Panam lief schnell weg und warf sein Hemd fort, damit durfte er nichts zu tun haben. Er suchte seine Großmutter, aber sie war ins Dorf gefahren. Diesen Tag verbrachte er in seinem Versteck unter dem ausgebrannten Auto ohne Essen und still für sich. Abends fand ich ihn dann – für immer. »Maman? Guck’ mal, hier ist eine Überraschung für dich!« Noch ehe ich reagieren konnte, war der Stecker schon in der Steckdose – es gab einen ohrenbetäubenden Knall und eine blaue Stichflamme. Panam hatte das gesamte Waisenhaus lahmgelegt! Ein Weihnachtsstern! War das nun nicht wieder ein herrliches Beispiel von lässiger Intelligenz, schöner Innovation und selbstständigem Denken, dem, was ich immer so gerne von allen Kindern erwarte? Gott sei Dank war ihm selbst nichts passiert. Ich war begeistert von Panam, obwohl alle anderen ihn am liebsten verhauen wollten, da AMPO für Tage ohne Strom lebte. Gute Elektriker sind rar in Burkina Faso… Panamtougouri – in der Sprache der Mossi, dem More, bedeutet das »fliegendes Ungeheuer«. Wie viele Male kam er nachts in mein Bett gekrochen, aus Angst vor der Nacht im Graben. Wie oft habe ich ihn wieder im Kommissariat abholen müssen, weil er sich mal wieder davongemacht hatte. So manches Mal war ich in der Schule, um seine Lehrer zu besänftigen. Seine große Klappe, wenn er sich bei Streit im Recht fühlte, oder sein haltloses Brüllen, wenn es ans Waschen ging, konnte ich elegant überhören. Ich bin sehr streng mit den Kindern. Noch heute, sieben Jahre später, kann Panam auf Knopfdruck weinen, dicke Krokodilstränen, mit denen er versucht, zu seinem Recht zu kommen, aber bei mir funktioniert das nicht – ich kenne ihn zu gut und weiß genau, wann er wirklich traurig ist. Er beobachtet mich dann bei so einem Drama aus den Augenwinkeln, und wenn ich anfange zu grinsen, dann kann er sich auch nicht mehr halten. Wir beide kugeln uns vor Lachen, und alle anderen schütteln den Kopf – was machen die da bloß? Wenn wir traurig sind, reden wir überhaupt nicht, wir bleiben nur die ganze Zeit so dicht beieinander wie möglich, ab und an treffen sich unsere Blicke, wir halten diese Zeit dann gemeinsam durch, bis es wieder besser wird. Abgesehen von meinen Aufenthalten in Deutschland haben wir uns in den letzten sechs Jahren nur einmal gezwungenermaßen getrennt. Seine Großmutter bestand darauf, dass er bei der neuen Familie in Togo bleiben sollte, in die seine Mutter eingeheiratet hatte. Wir alle bei AMPO wollten das nicht, denn dort gab es keine Schule und natürlich keinen Arzt. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte die Familie kein Geld für Medikamente gehabt oder es zumindest nicht für ein angeheiratetes Kind ausgegeben. Es stirbt sich schnell in Afrika. Aber die Großmutter bestand darauf, kam jeden Tag zu AMPO, gab dem armen Panam heimlich Zaubermittel und warf sich tränenreich vor mir auf die Erde, um zu verdeutlichen, dass die Tradition es so wolle. Wir fragten den Chef der Colonie togolaise in Burkina Faso um Rat, da wir nichts falsch machen wollten. Auch er versuchte der Alten beizubringen, dass es für das Kind bedeutend besser wäre, die Chance bei AMPO wahrzunehmen, aber das alles half nichts. Inzwischen hatte die Großmutter das Kind so unter Druck gesetzt, dass Panam nichts anderes übrig blieb als zuzustimmen. Nie werde ich vergessen, wie Panam und ich seine Sachen packten. Es ist nicht üblich in Burkina, seinen Schmerz zu zeigen, und wir beiden schluckten und versuchten unsere Tränen zurückzuhalten, bis er schließlich abfuhr. Dann stürzte ich hinter das Büro und weinte bitterlich, genau wie auch Panam im Auto. Issaka hat es mir später erzählt. Keiner von uns beiden wollte dem anderen Kummer bereiten. Ich schickte unseren Erzieher Issaka Kargougou mit auf die Reise von vier Tagen, damit jedenfalls einer von uns sehen konnte, wo das Kind nun hinkam. Issaka besuchte noch eine andere Familie in Togo und kam nach zwei Wochen wieder im Dorf von Panam vorbei. Er fand ihn krank vor der Hütte liegen und bestellte gleich den Familienrat. Da der Familie dieses anstrengende Kind sowieso zu viel und auch egal war, stimmten alle zu: Er durfte wieder mit zu AMPO. Als dieser Entschluss fiel, raste Panam trotz Fiebers in seine Hütte und kam sofort mit seiner Tasche zurück, nahm die Hand Issakas und war bereit zur Abfahrt. Er hatte nämlich seine Sachen in den zwei Wochen gar nicht ausgepackt! Für mich war AMPO inzwischen leer, trotz der neunundvierzig anderen Jungen. Jeden Tag sprachen wir von Panam, selbst seine eingeschworenen Gegner vermissten ihn. Vergessen seine Rechthaberei, seine Beleidigungen und sein anmaßendes Auftreten; dass er die Schule schwänzte und sich nie waschen wollte, war ja eigentlich nicht so wichtig. Wo ist Panam, er ist doch einer von uns? Vier Tage später, mitten in der Nacht, kamen die beiden dann in Ouagadougou an. Issaka klopfte, bis ich wach war, und als ich die Tür öffnete, fiel mir kraftlos ein kleines Bündel von acht Jahren in die Arme: Mein Panamtougouri war endlich nach Hause gekommen… Am nächsten Tag rauschte er bei AMPO ein wie ein König, lässig lachend und alles mit einem Wink der Hand abtuend: »Na und? Bin halt mal in Togo gewesen!« Aber bis heute, wenn mal wieder was nicht klappt, frage ich ihn nur mit den Augen, ob er lieber nach Togo zurück möchte, und jedes Mal dreht er sich um und geht sich waschen oder auch brav in die Schule… Inzwischen gibt er sich gute Mühe in der Schule. Sein Dilemma ist typisch für ehemalige Straßenjungen, denn er ist intelligent, aber absolut unfähig zur Konzentration. Als Kind schon machte er ausschließlich, was ihn interessierte, und auch nur genauso lange, wie es Spaß machte, danach suchte er sich andere Tätigkeiten. Er kannte keinerlei Disziplin oder auch nur Ordnung, sein Tag verging mit Betteln, Schlafen, Angeln, Essen und Spielen. Da eine Grundschulklasse in Burkina...


Katrin Rohde, geboren 1948 in Hamburg, absolvierte ihren Schulabschluss in England und eröffnete bereits mit vierundzwanzig Jahren ihre erste Buchhandlung. Sie bildete über die Jahre zwanzig Lehrlinge aus und führte zwei Buchhandlungen in Plön und Preetz, bevor sie ihr bisheriges Leben hinter sich ließ und für immer nach Afrika ging. Für ihr humanitäres Engagement erhielt Katrin Rohde das Bundesverdienstkreuz am Bande und weitere nationale Auszeichnungen Burkina Fasos.



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