Rosa | When Monsters Roar and Angels Sing | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 187 Seiten

Rosa When Monsters Roar and Angels Sing

Eine kleine Soziologie des Heavy Metal
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-17-042650-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine kleine Soziologie des Heavy Metal

E-Book, Deutsch, 187 Seiten

ISBN: 978-3-17-042650-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ehemals Musik junger Abgehängter und Outlaws, ist Heavy Metal heute mehr und mehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Wohl mehr als 10 Millionen Deutsche hören Heavy Metal. Aber warum tun sie das? Was suchen und was finden sie in dieser Musik, die von Außenstehenden oft als purer Lärm empfunden wird? Warum wimmelt es im Heavy Metal nur so von Monstern und Teufeln - und wieso schweigen auch die Götter und die Engel nicht? Was erleben Metalfans, wenn sie ihre Musik hören - und welche Erfahrung treibt sie immer wieder ins Konzert? Wieso lesen sie ständig Musikzeitschriften und hören nicht auf, CDs zu kaufen? Wie ist es zu erklären, dass 40 Prozent der Metalfans behaupten, die Musik habe ihr Leben gerettet? Und warum ist Heavy Metal stärker als die Musikindustrie? Worum geht es im Heavy Metal wirklich?

Diese Fragen und mehr beantwortet Hartmut Rosa in dieser kleinen Soziologie des Heavy Metal.

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2„He is insurrection, he is spite“: Die Geburt des Heavy Metal aus der Rockmusik
Es ist kein Zufall, dass die Urgewalt des Rock’n’Roll und der Rockmusik, wie sie sich in den frühen 60er Jahren zu entfalten begann, vom amerikanischen CIA als Geheimwaffe der Kommunisten, bald darauf genauso vom sowjetischen Geheimdienst KGB als neuester Infiltrationsversuch der Amerikaner und von beiden zugleich als große Gefahr für das je eigene Land betrachtet wurde. Sie legte weltweit nicht nur Bühnen und ganze Städte gelegentlich in Schutt und Asche, sondern versorgte auch die sozial erstarrten, konservativen Gesellschaften mit kultureller Transformationsenergie und brachte sie buchstäblich in Bewegung. Tatsächlich werden von politischen Machthabern rund um die Welt Rockmusik und vor allem Rockkonzerte gefürchtet, weil sie geballte kollektive Energien erzeugen und freisetzen können. Gelegentlich wird sogar behauptet, in den späten 80er Jahren hätten Rockkonzerte einen nicht unwesentlichen Anteil am Zusammenbruch des Ostblocks und am Fall der Mauer gehabt. Jedenfalls ist es gewiss kein Zufall, dass in der Spätphase der DDR große Rockkonzerte in Westberlin unmittelbar vor dem Reichstag und damit an der Mauer stattfanden, so dass die Soundwellen weit in den Osten strahlten.13 Wenn Ghost also in „He Is“ an zentraler Stelle die Zeile „He is insurrection, he is spite“ (Er ist Aufruhr, er ist Trotz) unterbringen, dann treffen sie damit ein Grundgefühl, das mit der Rockmusik immer verbunden war: Sie bringen eine Energie und eine Bewegung zum Ausdruck, die als innerer Widerstand gegen das jeweils Bestehende, Vorgegebene, Traditionelle wirksam und spürbar wird. Diese Energie bricht sich im Hard Rock und im Heavy Metal auf besonders brachiale Weise Bahn. Dabei ist der Ursprung des Begriffs durchaus umstritten. Manche Interpreten verweisen auf William S. Burroughs Romane Soft Machine (1961) und The Nova Express (1964), in denen nicht nur von den „Heavy Metal People of Uranus“ die Rede ist, sondern sogar von „Metal Music“. Und Burroughs, der wie etwa Jack Kerouac zur sogenannten ‚Beat-Generation‘ der amerikanischen Literatur gehört und unter anderem den Roman Naked Lunch verfasst hat, scheint mir als Referenz durchaus passend, konstatierte er doch, dass Rockmusik als „ein Versuch, aus diesem toten und seelenlosen Universum auszubrechen und der Welt ihre Magie zurückzugeben“ verstanden werden könne.14 Andere erblicken die Geburt dieser Musikrichtung in dem ikonischen Rocksong „Born to Be Wild“ der Band Steppenwolf (und damit gewissermaßen in der Traditionslinie Hermann Hesses), singt diese doch vom „Heavy metal thunder“, womit das Röhren der Maschinen schwerer Motorräder gemeint ist. Tatsächlich bildet der Text dieses Liedes nahezu die Blaupause des Lebensgefühls des frühen Metal, wie er etwa von Judas Priest verkörpert wurde. Judas Priest beziehungsweise deren Sänger Rob Halford kommen bis heute bisweilen mit Motorrädern auf die Bühne, und einer ihrer Songtitel heißt „Heading Out to the Highway“. Bei Steppenwolf liest sich das so: Get your motor runnin’
Head out on the highway
Looking for adventure
In whatever comes our way Yeah, darlin’ gonna make it happen
Take the world in a love embrace
Fire all of your guns at once
And explode into space I like smoke and lightnin’
Heavy metal thunder
Racing with the wind
And the feeling that I’m under Hier findet sich bereits die für den Metal emblematische Fusion der ‚liebenden Umarmung‘ der Welt und der gewaltförmigen Auseinandersetzung mit ihr. Das Motorrad steht dabei eben nicht nur für Rebellion und Trotz, sondern auch für das Gefühl der grenzenlosen Freiheit: für den selbstbestimmten, selbstwirksamen Flug über alle Widerstände hinweg. Aber es ist nicht nur das Röhren der Motorräder, das im Metal-Sound mit seinen verzerrten Gitarren seinen Niederschlag gefunden hat, sondern auch das Hämmern der Stahlschmieden in den Industriestädten. So dürfte es kein Zufall sein, dass aus dem englischen Zentrum der Metallverarbeitung, Birmingham, gleich zwei der ‚Gründerväter‘ des Heavy Metal – Black Sabbath und Judas Priest – hervorgegangen sind. Ebenfalls kein Zufall ist, dass das wohl wichtigste Album der letzteren British Steel heißt. In ihm schlage sich der Sound der Birminghamer Stahlwerke nieder, gab Halford selbst zu Protokoll. Und tatsächlich kann eben dieses Album als Referenzwerk des ‚True Metal‘ gelten. Passend dazu gab sich die größte, erfolgreichste und langlebigste der klassischen Metal-Bands der Welt den Namen Iron Maiden. Metall, Eisen, Stahl und Blei – wenn man Led Zeppelin zu den Gründervätern dieser Musikrichtung hinzuzählen mag – bilden die materiellen, industriellen Referenzen, die sich im charakteristischen Klangbild des Metal niederschlagen. Wo auch immer die Genrebezeichnung genau herrühren mag, unzweideutig ist, dass sich die Musikrichtung aus den härteren Varianten der Rockmusik der 60er und 70er Jahre entwickelte, die bald unter dem recht unspezifischen Begriff des Hard Rock zusammengefasst wurden. Dabei ist schon der Begriff ‚hart‘ durchaus erklärungsbedürftig. Wie können Schallwellen hart oder weich sein? Die Härte bezieht sich insbesondere auf die Dominanz elektronisch verzerrter Gitarren gegenüber rein ‚akustischen‘ Klängen, wie sie von der unverstärkten Gitarre, der Geige oder dem Klavier erzeugt werden, sowie auf die Prägnanz und bisweilen auch Sturheit der Rhythmen, die von Bass und Schlagzeug geradezu ‚eingehämmert‘ werden. Zudem ist das charakteristische Klangbild des Hard Rock wie das des Metal recht basslastig. Prägendes Stilmerkmal des sich daraus entwickelnden Heavy Metal ist zunächst vor allem das Metal-Riff. Denn diese Musikart basiert grundlegend auf Gitarrenriffs, auf welchen wiederum die Songstrukturen aufbauen. Was aber ist ein Riff? Ein Riff ist eine kurze, meist nur zwei- bis viertaktige rhythmische und melodische Figur; ein Motiv, das immer wiederkehrt. Es verleiht einem Lied seinen jeweiligen Charakter, sein Grundmuster und sein musikalisches Gesicht. Das vielleicht berühmteste Riff dieser Art stammt von Ritchie Blackmore bzw. Deep Purple: Es wird aus den ersten zwölf Tönen von „Smoke on the Water“ gebildet. Ungemein interessant ist dabei die Frage, welchen Grund und welche ästhetische Funktion eigentlich die Verzerrung der Gitarrenklänge durch die Verstärker und Effektgeräte hat. Warum werden die Töne nicht in ihrem reinen, ursprünglichen Klang verstärkt? Tatsächlich waren Verzerrungen in der Geschichte der elektrisch verstärkten Musik zunächst unerwünscht, sie entstanden ungewollt durch Beschädigung oder Übersteuerung. Erst in einem zweiten Schritt wurden sie dann von US-amerikanischen Jazz- und Blues-Musikern als ästhetisches Mittel entdeckt, das im Heavy Metal nicht zuletzt durch die berühmten Marshall-Röhrenverstärker zur radikalen Vollendung gebracht wird. Durch die Verzerrung werden jede Menge harmonischer und unharmonischer Obertöne dem Klangbild beigemischt, der Sound erhält Spannung und Biss; durch sie kommt die Ahnung einer unauslotbaren Tiefe hinzu. Durch die Verzerrung werden zugleich die tiefen wie die hohen tonalen Frequenzen hervorgehoben, was im Verbund den Eindruck der ‚Härte‘ oder ‚Heaviness‘ erzeugt. Die niedrigen Frequenzen erzeugen dabei das Gefühl von Tiefe und Gewicht, die hohen dagegen die Wahrnehmung von Schärfe und auch Aggressivität.15 Verzerrte Töne sind also, so ließe sich das vielleicht zusammenfassend deuten, verfremdete, beschädigte ‚natürliche‘ Klänge, welche die Erfahrung von Entfremdung in der Industriegesellschaft widerspiegeln und ästhetisch verarbeiten. Nach meinem Verständnis offenbart sich damit im Sound selbst schon die unauflösbare Amalgamierung der singenden Engel und der röhrenden Monster. Die im Metal verwendeten Harmoniefolgen sind oftmals archaisch und von schlichter Reinheit. Sie unterscheiden sich kaum von den klassischen Sätzen der Kirchenmusik und von deren Harmonien und Akkordfolgen. Als jemand, der sowohl die Keyboards in Rock-Bands bedient als auch die Kirchenorgel spielt und manchmal beides kombiniert, indem er Metal-Songs heimlich in Kirchenlieder einbaut, kann ich das auch als musikwissenschaftlicher Laie beurteilen. Reine Wohlklänge wirken jedoch rasch langweilig, als sanft säuselnder Hintergrund. Durch die Verzerrung kommen Biss und Härte, kommt gleichsam ‚Entfremdendes‘ in den Sound, sodass die Musik auch als Widerstand spürbar wird. Durch sie wird der Klang als ein nicht harmloses, sondern lebendiges, eigensinniges, widerständiges Gegenüber erfahrbar. Aus der leichten Berührung, wie wir sie etwa in der sanften Meditationsmusik des New Age oder in belangloser Fahrstuhlmusik erfahren, wird die heftige Umarmung des Metal. Zu einer eigenständigen musikalischen Szene wurde der so ‚gestrickte‘ Heavy Metal erst zu Beginn der 80er Jahre in Großbritannien, als eine ganze Reihe von Bands begannen, gegenüber den Urvätern des Hard Rock wie The Who, Deep Purple, Black Sabbath, Uriah Heep und Led Zeppelin noch härter und vor allem auch deutlich schneller zu spielen. Zu diesen bald unter dem Begriff ‚New Wave of British Heavy Metal‘16 zusammengefassten Bands zählen bis heute aktive Ikonen des Metal wie Iron...


Prof. Dr. Hartmut Rosa lehrt Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Universität in Jena. Er ist leitender Direktor des Max-Weber-Kollegs in Erfurt.



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