Rosenberg / Keßler | Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 539 Seiten

Rosenberg / Keßler Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik

Neuausgabe herausgegeben und mit einem Vorwort von Mario Keßler
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-86393-567-2
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Neuausgabe herausgegeben und mit einem Vorwort von Mario Keßler

E-Book, Deutsch, 539 Seiten

ISBN: 978-3-86393-567-2
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Diese Ausgabe fasst Arthur Rosenbergs Bücher zusammen, die zuerst mit den Titeln Die Entstehung der deutschen Republik und Geschichte der deutschen Republik 1928 und 1935 erschienen. Beide Bücher, damals Pionierarbeiten zu ihrem Gegenstand, gehören heute zu den klassischen Texten der modernen Geschichtswissenschaft. Rosenberg zeigte, wie sich das liberale Bürgertum im deutschen Kaiserreich dem Junkertum politisch unterwarf, dessen militaristische Ideologie übernahm und an der Bekämpfung der Arbeiterbewegung mitwirkte. Dies ermöglichte im Ersten Weltkrieg die faktische Militärdiktatur durch Hindenburg und Ludendorff, die aber die demokratische Revolution am Ende des Ersten Weltkrieges nicht verhindern konnte. Doch gelang es nicht, die antidemokratischen Kräfte dauerhaft von der Macht verdrängen. Diese profitierten von den Fehlern der einander bekämpfenden Arbeiterparteien: von der Verachtung der parlamentarischen Demokratie seitens der KPD, aber auch von den Illusionen der SPD, die Hindenburg und die ihn unterstützenden Kreise als den letzten Schutzwall der Republik gegen Hitler sahen.
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I. KAPITEL
Die gesellschaftlichen Kräfte unter Bismarck
Das Reich Bismarcks, 1871 in Versailles gegründet, ist 1919 im gleichen Versailles zerstört worden. Die in Weimar geschaffene Republik, die darauf folgte, knüpft zwar in vielen bedeutsamen Einzelheiten an das alte System an. Aber sie ist doch etwas im Wesen Neues: die entscheidende Neuerung liegt nicht in der Absetzung des Hohenzollernhauses und der anderen Dynastien. Das Reich Bismarcks wäre mit einem gewählten Reichspräsidenten durchaus denkbar. Das Neue liegt auch nicht darin, daß in der Republik Sozialdemokraten Minister werden können, denn sie wurden es bereits in der letzten Periode des Kaisertums. Ebensowenig machen die Grenzen des Versailler Friedens die entscheidende Veränderung aus: Bismarck hätte sein Reich auch ohne Elsaß-Lothringen gründen und Deutschlands Beziehungen zu den Polen und zu Österreich anders gestalten können. Sondern die entscheidende Neuerung liegt in der Zertrümmerung der alten preußischen Armee durch die militärische Niederlage im Westen, durch die Revolution und durch die Versailler Friedensbedingungen. Bismarcks Reich und das preußische Heer gehören untrennbar zusammen. Bismarck hat es immer als seine wichtigste Leistung betrachtet, daß er den König von Preußen und die preußische Armee für die nationale Einheitsidee Deutschlands gewann. Er sah den Fehler von 1848 darin, daß das Bürgertum aus eigener Kraft, ohne Rücksicht auf die deutschen Dynastien und vor allem ohne Rücksicht auf das historisch gewordene Preußen, die Reichsgründung vollziehen wollte. Bismarck ging anders vor: Er hat die militärische Aristokratie Preußens mit dem deutschen Bürgertum vereinigt, an die Spitze des Ganzen das Hohenzollernhaus gesetzt und so das Reich seiner Prägung gegründet1. Die Geschichte des neudeutschen Kaisertums besteht aus der wechselseitigen Anziehung und Abstoßung dieser beiden von Bismarck zusammengefügten Kräfte. Das Ende war da, als der preußische Militäradel 1918 zusammenbrach und das Bürgertum die Herrschaft antrat. War der Gedanke Bismarcks, das historische Preußen in den Dienst der deutschen Einheitsidee zu stellen, an sich falsch? War 1871 die Situation so, daß das Deutsche Reich lebensfähig nur als ein rein bürgerlicher Staat auf liberal-parlamentarischer Grundlage hätte gegründet werden können und nicht anders? Standen »Junkertum« und Bürgertum zueinander wie Feuer und Wasser, zwischen denen ein Kompromiß unmöglich war? Ist Bismarck einem romantischen und dynastischen Phantom nachgejagt und hat er ihm seine bessere Überzeugung zum Opfer gebracht? Diese Fragen bejahen wäre sehr einfach, aber auch sehr falsch. Die Revolution von 1848/49 hatte bewiesen, daß das deutsche Bürgertum nicht imstande war, aus eigenen Kräften zu siegen. Die agrarischen und militärischen, die dynastischen und bürokratischen, und selbst die kirchlichen Gewalten der alten Ordnung waren doch in Deutschland viel stärker, als es im Jubel der Märztage erschien. Und hinter dem Bürgertum tauchte als neue politische Klasse das städtische Proletariat auf. Es war bereit, zusammen mit dem Bürgertum gegen die herrschenden feudalen Gewalten zu kämpfen. Aber es hatte daneben seine eigenen Ziele, die nicht die Ziele der bürgerlichen Liberalen waren. Die Explosivkräfte, die in der Arbeiterbewegung steckten, sind damals von außenstehenden Beobachtern vielfach klarer erkannt worden als von den Arbeitern selbst. Unter diesen Umständen lag für einen sozial-konservativen Realpolitiker wie Bismarck der Gedanke nah, das Bürgertum durch ein vernünftiges Kompromiß mit den alten Gewalten zu versöhnen, durch das gemeinsame Wirken beider Kräfte die nationale Einigung zu schaffen, und so zugleich dem »roten« Umsturz ein festes Bollwerk entgegenzusetzen. Wer so 1871 in Bismarcks Position kalkulierte, schätzte die vorhandenen Kräfte Deutschlands gar nicht so falsch ein. Die deutsche Arbeiterklasse hat selbst unter den für sie beispiellos günstigen Voraussetzungen vom November 1918 die Staatsmacht nicht übernehmen können. Ebensowenig hätte sie es früher in anderen Situationen tun können. Und im deutschen Bürgertum war von einem die Kronen und Adelsprivilegien wegfegenden Jakobinergeist bis zum Vorabend der Revolution 1918 nicht viel zu merken. Bismarcks Idee brauchte also weder am Widerstand der Arbeiter noch des Bürgertums zu scheitern. Trotzdem war das Bismarcksche Reich von Anfang an todkrank. Der Glanz der militärischen Siege und der wirtschaftliche Aufschwung konnten nur notdürftig über die politische Dauerkrise hinwegtäuschen, die vom Kulturkampf bis zur Regierung Max von Baden reichte, eine Krise, die niemals gelöst wurde, die immer neue Formen und Gestalten annahm und die am Ende das ganze Werk Bismarcks vernichtete. Wo liegt die Ursache dieser Dauerkrise des deutschen Hohenzollernkaisertums? Es ist Bismarck nicht gelungen, die verschiedenen Kräfte, die im deutschen Volke vorhanden waren, organisch miteinander zu verbinden. Er hat nicht einmal einen ernsten Versuch dazu gemacht. Sondern die auseinanderstrebenden Klassen und Gewalten Deutschlands sollten durch die Übergewalt des Kaisertums zusammengehalten werden. Bis 1890 waren Bismarcks Gewalt und die Kaisergewalt identisch. Die persönliche Diktatur lebt und stirbt mit dem Diktator selbst. Als 1890 der alte Diktator abtreten mußte, als er seinen Donnerkeil in den schwächlichen und hilflosen Händen Wilhelms II. sah, da war die Katastrophe besiegelt. Ihr Eintreten war nur noch die Frage der Zeit und der Umstände. Von Friedrichsruh aus hat Bismarck das Verhängnis für sein Werk kommen sehen; ohne die Möglichkeit, etwas daran zu ändern. Man sagt vielfach, daß die Epigonen Bismarcks die Schöpfung des Meisters verdorben hätten. Das ist so weit richtig, als die Bismarcksche Verfassung ohne einen Bismarck nicht bestehen konnte. Aber so gesehen liegt darin auch die schärfste Kritik an Bismarck selbst. Das deutsche Kaisertum war nicht darum lebensunfähig, weil es auf dem Kompromiß zwischen dem deutschen Bürgertum und dem preußischen Militäradel beruhte, sondern weil es das Kompromiß in der Form des bonapartistischen Selbstherrschertums verwirklichte. Dabei sollte der König von Preußen berufsmäßig und erblich der Bonaparte sein, wenn er es nicht vorzog, seine Gewalt dem Reichskanzler zu übertragen. Daß Bismarck die politische Existenz des deutschen Volkes auf seine Person, ja auf sein persönliches Verhältnis zu Wilhelm I. zuschnitt, bleibt ein historischer Fehler von ungeheuerem Ausmaß. Aber es gibt Umstände genug in der so eigenartigen deutschen Situation von 1871, die Bismarcks Fehler zwar nicht aus der Welt schaffen, die ihn jedoch begreiflich machen können. Zur Zeit der Reichsgründung verfügte das liberale Bürgertum in Deutschland über fast alles, was an Intelligenz, an industrieller und kaufmännischer Leistungsfähigkeit vorhanden war. Die Massen der Handwerker und des übrigen Mittelstandes, der größte Teil der Industriearbeiter, selbst ein erheblicher Teil des Bauerntums und eine Minderheit des Adels, teilten die nationalen und liberalen Ideen des Bürgertums und folgten seinen politischen Parolen: Ohne Zweifel eine gewaltige Kraft und Autorität2. Auf der anderen Seite stand das preußische Heer, der König, sein Offizierskorps, die preußische Beamtenhierarchie, der Großgrundbesitz der Gebiete östlich der Elbe, bis auf die Gruppe der liberalen Aristokraten, und der vom Grundherrn abhängige Teil der Landbevölkerung. Wie sollte ein Kompromiß zwischen diesen beiden Kräften aussehen? In Preußen hatte der König und mit ihm die militärische Aristokratie alle Gewalt. Die militärische Disziplin hatte in dem Menschenalter vor 1871 die schwersten Belastungsproben überstanden. Weder die Revolution von 1848 noch die Konfliktszeit der sechziger Jahre hatte das Gefüge des preußischen Heeres ernstlich erschüttert. Der König ernannte die preußischen Minister nach freiem Ermessen. Der Beamten- und Polizeiapparat war fest in der Hand der Regierung. Wenn ein oppositioneller Landtag den Staatshaushalt nicht bewilligte, regierte der König ohne gesetzlich zustande gekommenen Etat weiter. Das hatte die Konfliktszeit ebenfalls bewiesen. Ein Volksaufstand gegen das intakte preußische Heer war aussichtslos. Auch der oppositionell gestimmte Rekrut fügte sich der Disziplin, und das eiserne System des preußischen Offiziers- und Unteroffizierskorps zeigte keine Lücke. Wenn auch hier und da im Lande ein liberaler Richter saß, stand doch die Staatsmaschine vom Oberpräsidenten bis herunter zum letzten Gendarmen unbedingt der Regierung zur Verfügung. Das altkonservative Preußentum hatte also sämtliche politischen Trümpfe in der Hand. Ein Kompromiß war nur so denkbar, daß die militärische Aristokratie freiwillig einen erheblichen Teil ihrer Rechte an das Bürgertum abtrat. Das konnte auf doppelte Art geschehen: Entweder erhielt das Bürgertum einen Anteil an...


Arthur Rosenberg (1889–1943), der zu seinen Lebzeiten ein Außenseiter der Geschichtswissenschaft war und im New Yorker Exil starb, gilt heute als einer der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts.



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