Rosendorfer Der Meister
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-641-06348-1
Verlag: Verlagsgruppe Random House
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-641-06348-1
Verlag: Verlagsgruppe Random House
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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(S. 23-24)
Der Meister kam, so verzahnen sich die Lebensläufe, ganz unabhängig davon und auf ganz andere Weise mit dem Monsignore in Verbindung. Professor Goblitz wohnte einen Steinwurf weit vom Pfarrhaus entfernt in derselben Straße, war vor allem aber im gleichen Rotary-Club mit dem Monsignore. »Ein Monsignore im Rotary-Club?« fragte Carlone. »Auch das erzeugte ein Stirnrunzeln im Ordinariat, aber – warum nicht? fragten sich sowohl Rohrdörfer als auch die Rotarier. So wurde Rohrdörfer Mitglied dieser exklusiven Vereinigung, für ein Jahr sogar Präsident. ›Muß das sein?‹ fragte einmal ein Cardinal mit seiner hohen Kastratenstimme den Pfarrer. Erinnerst du dich an den Witz?
Die Mutter des Cardinals habe gesagt, sie habe zwei Töchter – eine sei in Würzburg verheiratet, die andere Cardinal in Rom.« Bei einem der wöchentlichen Treffen erzählte der Pfarrer beim Essen, er habe gehört, Brahms habe – man staune bei diesem freigeistig-evangelischen Mann – eine katholische Messe geschrieben, die nie aufgeführt worden sei, weil Brahms sie unter Verschluß gehalten habe. Zufällig saß Goblitz neben Rohrdörfer. »Wenn einer das weiß, dann ein Doktorand in meinem Institut. Sein Name ist mir im Moment nicht geläufig. Der Mann aber weiß alles …«
Pfarrer Rohrdörfer war sofort elektrisiert, bat Goblitz inständig, die Verbindung zu jenem Doktoranden herzustellen, jagte Telephonanruf um Telephonanruf in den folgenden Tagen dem Professor hinterher, bis der sich endlich dazu bequemte, insoweit seine privaten Angelegenheiten mit denen des Instituts zu vermischen, als er seinen Hauptassistenten Dr. Rosenfeld beauftragte, Name und Adresse des Meisters dem Pfarrer mitzuteilen. Rohrdörfer lud den Meister zur nächsten feierlichen Messe und zum nachfolgenden Butzenscheibenfrühstück ein – mit Champagner, wofür der Meister ja nicht ganz unempfänglich war. Auf die Frage nach der lateinischen Messe von Brahms antwortete der Meister ohne eine Sekunde des Nachdenkens, daß – erstens – Herr Professor Goblitz das hätte wissen müssen (wußte es aber nicht) und daß man bloß im Brahms-Werke-Verzeichnis von McCorkle nachzuschauen brauche.
Er erinnere sich sogar, habe der Meister damals gesagt, auf so etwas gestoßen zu sein … bei seiner Lektüre des Werkverzeichnisses … Gibt es so etwas, daß einer das Brahms-Werkverzeichnis liest? Als Lektüre? Wie einen Roman? Schmieder – BWV (Bach-Werke-Verzeichnis)? Köchelverzeichnis (Mozart)? Deutsch-Verzeichnis (Schubert)? Kinsky-Halm (Beethoven)? Ja, gibt es, zumindest einen: den Meister. Er gestand mir einmal, daß er gern vor dem Einschlafen noch im Bett ein Werkverzeichnis zur Hand nehme, sich an ein paar Seiten vergnüge – zum Beispiel Jähns Verzeichnis der Werke Carl Maria von Webers.
Selbstverständlich konnte es sich der Meister nicht leisten, die teuren Werke zu kaufen. Er lieh sie sich aus der chaotischen Institutsbibliothek aus, die selteneren aus der Staatsbibliothek. »Bei Jähn übrigens«, sagte ich zu Carlone in der Madonna, »bemängelte er naserümpfend einen unschönen deutschnationalen Ton, den der sympathische, ritterliche Weber nicht verdiene.« »Ritterlich?« Sagte der Meister von Weber »ritterlich«?