Rosenstrauch Wahlverwandt und ebenbürtig
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8477-5292-9
Verlag: AB - Die Andere Bibliothek
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Caroline und Wilhelm von Humboldt
E-Book, Deutsch, Band 292, 320 Seiten
Reihe: Die Andere Bibliothek
ISBN: 978-3-8477-5292-9
Verlag: AB - Die Andere Bibliothek
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Vorspiel: Ein modernes Paar
Wilhelm von Humboldt gehört zu den Monumenten der deutschen und der preußischen Geschichte. Ist er berühmt, weil er die Berliner Universität gegründet und das deutsche Bildungsideal erfunden hat, das bis vor kurzem als Exportschlager galt? Ist er bis heute präsent, weil Absolventen humanistischer Gymnasien ihr Elitebewußtsein mit ihm in Verbindung bringen? Oder weil er als Dritter im Bunde der deutschen Klassiker gilt? Kennt man ihn heute vor allem als Bruder Alexander von Humboldts? Und welche Frau(en) stand(en) hinter ihm, als er diesen Ruhm erwarb? Wilhelm war ein Mann von Welt und eine Autorität auf dem Gebiet der Antike, er wird als früher Anthropologe und Vorläufer der Linguistik gefeiert. Der Titel „geistiger Urheber der Wiederherstellung Preußens, Deutschlands und Europas“ eignet sich nicht mehr als Inschrift für ein Denkmal. Er hatte Witz, was seine Zeitgenossen bezeugen, aber in seinen Schriften hat sich das kaum niedergeschlagen. Auch seine besten Freunde fanden, daß er sich schwerfällig ausdrücke. Sein Engagement als „Geheimer Staatsrat und Direktor der Sektion für Kultus und Unterricht“ im preußischen Ministerium des Inneren dauerte nur 14 Monate, aber dieser Tätigkeit verdankt er seinen Ruf als wichtiger Reformer, der in einem Atemzug mit Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein und Staatskanzler Karl August – seit 1814 Fürst – von Hardenberg genannt wird. Er hat viel Schriftliches hinterlassen, nur wenig zu Lebzeiten veröffentlicht, er hat vieles angefangen, was er nicht zu Ende führte, und wurde doch schon zu Lebzeiten als überragender Kopf gerühmt. Vielleicht hat er seinen Platz im deutschen Gedächtnis, weil er ein Reformer in Worten und Taten war – ein Intellektueller, der praktisch gewirkt hat. Caroline, geborene von Dacheröden, war wie ihr Mann ein starker Charakter, hoch gebildet und der Idee der – individuellen – Freiheit zugetan. Sie war, schreibt er, „die lebendige Kraft“, die auf ihn eingewirkt hat. Falls die Überlieferung ein korrektes Bild zeichnet, war sie Wilhelms Anker, ein Gegenüber, an dem er Begriffe und Gedanken, Moral und Gemüt am intimsten erprobt hat, das „Du“, das in Humboldts Sprachwissenschaft eine zentrale Rolle spielt: „Im Menschen aber ist das Denken wesentlich an gesellschaftliches Daseyn gebunden, und der Mensch bedarf […] zum blossen Denken eines dem Ich entsprechenden Du […]. Der Begriff erreicht seine Bestimmtheit und Klarheit erst durch das Zurückstrahlen aus einer fremden Denkkraft.“ [GS VI, S. 160] Carolines weibliche Wärme und männliche Klugheit wird von Friederike Brun, einer dänischen Schriftstellerin, selbst sehr klug und stolz, beschrieben. Sie nennt die Mittdreißigerin „eine jener seltenen Frauen, auf deren Art Deutschland unter allen mir bekannten Nationen vielleicht einzig das Recht hat, stolz zu sein. Kenntnisreich in einem Grade, daß sie nur, für eine Gelehrte gehalten zu sein, wollen dürfte; einen Verstand besitzend, der die Region männlichen Ernstes und männlicher Umfassungskraft so erreicht, daß nur liebenswürdige Weiblichkeit es uns verbirgt, wie bedeutend die Eroberungen auf diesem streng von den Herren der Welt bestrittenen Boden seien; mit einem Sinn für das Höchste und Schönste in Poesie und Kunst begabt, wie ihn der Himmel nur seinen Lieblingen verleiht; dazu kommt eine Persönlichkeit, welche diese seltenen Gaben des Geistes ankündigend, solche mit dem gewinnendsten Ausdruck einer Herzensgüte vereinigt, welcher noch nie über das reiche Vermögen zugemutet ward.“ [Haarbeck, Familie, S. 76] Beide Partner wuchsen in adeligen, begüterten Familien auf. Das große Geld und ansehnlicher Grundbesitz kamen im Falle Humboldts von der – tüchtigen, eher kühlen – Mutter, die einer reichen hugenottischen Familie entstammte, eine schottische Großmutter und Spiegelfabrikanten zu ihren Vorfahren zählte. Sie hatte Geld und Güter aus ihrer ersten Ehe mitgebracht. Ihrem ersten Mann gehörten neben einem Haus in Berlin, Jägerstraße 21, die Güter Ringenwalde, Falkenberg und Tegel, letzteres – das Wilhelm erbte – etwa 185 Morgen groß, mit Acker- und Gartenland, Wiesen, einem Werder im Malchsee, einem Wirtshaus, einer Mühle und einem Weinberg. Über das Vermögen konnten Wilhelm und Alexander erst nach dem Tod der Mutter verfügen. Zu den Haupteinnahmequellen des Vaters Alexander Georg von Humboldt zählten der Holzhandel, die Pacht des Zahlenlottos und die Tabakregie. Als Trabanten, Amtsschreiber, Bürgermeister, Offiziere und Kammerherrn standen Wilhelms Vorfahren seit Anfang des 17. Jahrhunderts dem brandenburgischen und preußischen Hof nahe, angesehenes, oberes Bürgertum. Der Adelstitel des Vaters, ein einfaches „von“, war noch frisch, erst 1738 verliehen. Den Freiherrntitel bekamen erst die Enkel 1875, was weder Wilhelm noch Alexander hinderte, ihn zu tragen. Carolines Stammbaum ist gewichtiger, sie entstammt einem „altthüringischen wehrhaften Geschlecht“ mit einem Wappen, auf dem ein wilder Mann mit Keule abgebildet ist. Ihr Vater besaß mehrere Güter (samt Dörfern und dazugehörigen Bauern, um die sich Caroline, heißt es, rührend gekümmert habe) und ein repräsentatives Stadthaus in Erfurt. Zu den Gemeinsamkeiten gehört, daß beide den identitätsstiftenden Elternteil früh verloren haben – Wilhelm den Vater, als er zwölf, Caroline die Mutter, als sie acht Jahre alt war. Beide haben ihre Kindheit „unglücklich“ genannt, beide haben Wärme und Verständnis vermißt. Wilhelm wurde zuviel beaufsichtigt und mußte, wird er mehrfach klagen, jede spontane Regung unterdrücken, Caroline wurde von einer ältlichen französischen Erzieherin mehr bewacht als erzogen. Sie lebte bis zur Hochzeit die meiste Zeit abgeschieden auf dem Land. Vater und Bruder sah sie angeblich nur bei den Mahlzeiten, andererseits habe sie sich, wie Wilhelm nach ihrem Tod in einer biographischen Skizze seiner Frau bemerkte, durch den Umgang mit den Freunden ihres Vaters an Selbständigkeit gewöhnt und „an männlichen Gegenständen“ gebildet. Stärker als ehrfurchtgebietende Stammbäume haben die „modernen“ Leidenschaften die beiden verbunden: Bildung, Vervollkommnung der Persönlichkeit, das Interesse an Kunst und genauer Beobachtung, Beschreibung und Entwicklung ihrer zarten Empfindungen. Beide sind von modernen, aufgeklärten Erziehern geformt worden: Caroline von Rudolf Zacharias Becker, Hofmeister bei der Familie von Dacheröden, dem sie, wie sie in einem ihrer Briefe formuliert, alles verdankte. Wilhelm stand in den ersten Jahren seiner Erziehung unter dem Einfluß von Joachim Heinrich Campe, der von 1769 bis 73 und nochmals 1775 bis 76 Hauslehrer der Brüder Humboldt war. Campe – Sprachforscher, Pädagoge, Verleger, Übersetzer und Bearbeiter des „Robinson Crusoe“ – hat den 22jährigen auf dessen erste große Reise begleitet: in das Paris der Revolution, 1789, knapp drei Wochen nach dem Sturm auf die Bastille. Sowohl Campe wie Becker wurden später Lehrer am Basedowschen Philantropin in Dessau, der modernsten pädagogischen Anstalt am Ende des 18. Jahrhunderts. Geleitet und richtungweisend organisiert wurde die Bildung der Humboldt-Brüder von Gottlob Johann Christian Kunth, der die Knaben in den Kreis der Berliner Aufklärer wie Johann Jakob Engel, Christian Wilhelm Dohm und Marcus Herz einführte und von den besten unter ihnen unterrichten ließ. Die Erziehung durch aufgeklärte Pädagogen war einflußreicher als ein Adel, den man sich für die Jahre zwischen Französischer Revolution und Napoleonischen Kriegen nicht als Gegensatz zu bürgerlicher Emanzipation denken sollte. Campe, Becker und Kunth haben die Tür zur Moderne, zu aufregenden neuen Gedanken und Verhaltensweisen aufgestoßen. Das Paar fügt sich nicht gut in die Vorstellungen von klassischer Rollenverteilung. Wilhelm von Humboldt ist nicht gerne hinausgegangen ins feindliche Leben, er hat lieber um seine moralische Vervollkommnung gekämpft und stets versucht, Geschäfts- und Gelehrtentätigkeit, privates und öffentliches Glück in Einklang zu bringen. Er hat sich am Anfang der Ehe trotz des äußeren Drucks der Familien gar nicht erst auf eine solide Beamtenlaufbahn eingelassen und sich 1819 (nach Verabschiedung der Karlsbader Beschlüsse, dem Versuch, das Rad der Geschichte zur Ständegesellschaft zurückzudrehen) erzwungenermaßen und froh darüber ins Privatleben zurückgezogen. Die „profane Machtausübung“ hat ihn gelangweilt, auch wo er seine Pflicht für Staat und Volk erfüllte, wollte er Freiheit, Schönheit und die Entfaltung der Persönlichkeit befördern. Im Unterschied zu anderen Intellektuellen seiner Zeit – wie dem Jugendfreund Friedrich von Gentz, dem Dichter Ludwig Tieck, Brendel Veit, der Tochter von Moses Mendelssohn, und deren zweitem Mann Friedrich Schlegel – ist er weder der Ruhmsucht noch der Wende zum Mystizismus erlegen. Caroline war nicht nur Gattin und Göttin Wilhelm von Humboldts. Das haben Goethe, Schiller und viele andere bezeugt. Sie konnte sehen. Ihre Kunststudien haben Goethe so beeindruckt, daß er sie um Nachrichten über Kunstwerke und Künstler bat und ihre Bildbeschreibungen – allerdings anonym – drucken ließ. Sie sprach Französisch, Italienisch, Spanisch und Englisch und hat das Griechische gelernt, um mit Wilhelm gemeinsam an den Übersetzungen (Pindar, Aischylos) zu arbeiten. Sie wurde im Zeichnen und Klavierspiel unterrichtet, hat Gedichte verfaßt, hat Übersetzungen – ebenfalls nicht unter ihrem Namen – veröffentlicht und war Mäzenin vieler Künstler, denen sie Aufträge verschafft und seelischen Beistand gegeben hat. Ihr selbständiges Urteil und ihr...