E-Book, Deutsch, 290 Seiten
Rosenzweig / Brumlik Luther, Rosenzweig und die Schrift
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-86393-544-3
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein deutsch-jüdischer Dialog. Essays
E-Book, Deutsch, 290 Seiten
ISBN: 978-3-86393-544-3
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie viele seiner Freunde und Verwandten spielte Franz Rosenzweig - 1886 in Kassel als Sohn einer assimilierten jüdischen Familie geboren - lange mit dem Gedanken, zum protestantischen Christentum überzutreten, um sich dann 1913 doch dafür zu entscheiden, Jude zu bleiben. Mit seinem 1926, drei Jahre vor seinem Tod, verfassten Aufsatz 'Die Schrift und Luther' steht er beispielhaft für eine Kultur, die das deutsche Judentum dem Protestantismus zu schulden meinte. Es war kein geringerer als Gershom Scholem, der mit Blick auf diese Beziehung zwischen Deutschen und Juden die von Martin Buber und Franz Rosenzweig vorgelegte Bibelübersetzung ein 'Grabmal einer in unsagbarem Grauen erloschenen Beziehung' nannte. In dem vorliegenden Band, in dem der erstmals 1926 veröffentlichte Text Franz Rosenzweigs 'Die Schrift und Luther' im Mittelpunkt steht, beleuchten die Autorinnen und Autoren Micha Brumlik, Walter Homolka, Christoph Kasten, Elisa Klapheck, Irmela von der Lühe, Gesine Palmer, Klaus Wengst und Christian Wiese diese 'Beziehung' aus unterschiedlichen, sich jeweils ergänzenden Perspektiven. In ihrem Geleitwort zu dem Band weist Margot Käßmann unter anderem auf die unheilvollen Folgen von Luthers Antisemitismus hin, die bis in die jüngste Vergangenheit reichen.
Franz Rosenzweig (1886 - 1929) war ein jüdischer Religionsphilosoph und Pädagoge. Durch sein entschiedenes Bekenntnis zum Judesein, durch seine Glaubensphilosophie und seine Werke, durch seine Gründung des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt am Main ist Franz Rosenzweig in mehrfacher Hinsicht zum Vorbild und Lehrer des Judentums in der Diaspora geworden. Während des Ersten Weltkriegs, zu dem er sich freiwillig meldete, führte er von der Balkanfront mit Eugen Rosenstock einen streitbaren jüdisch-christlichen Dialog. Sein großes glaubensphilosphisches Werk Der Stern der Erlösung erschien 1921. In der Zeit seiner schweren Lähmungserkrankung konnte er noch seine Übersetzungen der Hymnen und Gedichte des Jehuda Halevi vollenden und seit 1924 gemeinsam mit seinem engsten Freund Martin Buber (1878 - 1965) die 'Verdeutschung der Schrift' (Die fünf Bücher der Weisung, 1925). Buber setzte nach Rosenzweigs Tod die Übersetzungsarbeit fort, bis 1961 die letzten Teile der hebräischen Bibel ins Deutsche übersetzt erscheinen konnten. Kurz vor seinem 43. Geburtstag ist Rosenzweig 1929 in Frankfurt am Main gestorben. Herausgeber des Buches ist Micha Brumlik, der 2016 die Buber-Rosenzweig-Medaille empfangen hat und zurzeit die Rosenzweig-Professur in Kassel innehat.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Walter Homolka
Martin Luther als Symbol geistiger Freiheit? Der Reformator und seine Rezeption im Judentum
„Wer immer aus irgendwelchen Motiven gegen die Juden schreibt, glaubt das Recht zu besitzen, triumphierend auf Luther zu verweisen“, befand vor gut einhundert Jahren der junge Rabbiner Reinhold Lewin (1888-1943).1 Als 1911 seine preisgekrönte Inaugural-Dissertation „Luthers Stellung zu den Juden. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland während des Reformationszeitalters“ erschien, war dies die überhaupt erste wissenschaftliche Monographie zu diesem Thema, die auf der Durchsicht aller Schriften des Reformators beruhte. Lewin machte in seiner Arbeit das Schwinden von Luthers Konversionshoffnung für dessen Abkehr von seiner anfänglich toleranten Haltung gegenüber den Juden verantwortlich.2 Martin Luther ist Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Legitimationsfigur des Antisemitismus geworden. Es gab aber schon zu Lebzeiten des Reformators auch jüdische Stimmen zu seinem Wirken und zu seiner Wirkung; Andreas Pangritz hat diese frühe Rezeptionsgeschichte ausführlich geschildert.3 Als eine der ersten jüdischen Reaktionen gilt die des aus Spanien stammenden Jerusalemer Kabbalisten Rabbi Abraham ben Elieser Halevi (ca. 1460-1528), der in einem Brief von 1525 Luther als denjenigen beschrieb, der die Christen zum wahren Glauben zurückbringen würde, also als Wegbereiter des Messias.4 Auch wenn diese messianischen Hoffnungen enttäuscht wurden und die anfängliche Sympathie bald schwand: Luther hatte mit seiner Schrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ (1523) eine unerhört neue Position vertreten.5 Als er sich zunächst in die Lage der Juden in Europa versetzte und schrieb: „Und wenn ich ein Jude gewesen wäre und hätte gesehen, dass solche Tölpel und Knebel den christlichen Glauben regieren und lehren, so wäre ich eher eine Sau als ein Christ geworden“, da weckte das bei den Juden in den deutschsprachigen Ländern zunächst große Hoffnungen auf eine Verbesserung ihrer Lage: „Das war ein Wort, wie es die Juden seit einem Jahrtausend nicht gehört hatten“, urteilte Heinrich Graetz.6 Doch dann empfand Luther das Festhalten der Juden an ihrem Glauben als Infragestellung seines eigenen Glaubensangebots, was später mit zu seinen starken Ausfällen gegen ihre „Verstocktheit“ führte, so zu seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ von 1543.7 Noch im selben Jahr fand eine umfassende Vertreibung aus dem Kurfürstentum Sachsen statt, wo die harte Einstellung des Reformators gegenüber den Juden dominierte; bei der Vertreibung aus dem lutherischen Braunschweig berief sich der Stadtrat 1546 ebenfalls auf Luthers Judenschriften. Zuvor hatte als erster protestantischer Landesherr der hessische Landgraf Philipp „der Großmütige“ das jüdische Leben mit einer Judenordnung reglementiert. Rabbiner Abraham Geiger (1810-1874) kommentierte die Wirkung des Reformators folgendermaßen: „So darf es uns denn auch nicht befremden, wenn das befreiende Reformationswerk in seiner Heimstätte sich sehr bald zur dogmatischen Formel verengt, daß wir fast glauben müssen, es sei hier keine Befreiung vor sich gegangen, sondern nur Fessel mit Fessel vertauscht worden, das Volksleben sei nicht erfrischt worden, vielmehr habe ein kleinlicher Geist dasselbe verunreinigt und zerfleischt.“8 Anfang des 19. Jahrhunderts wurde Luther im Zuge der jüdischen Aufklärung zum Symbol und Ausgangspunkt geistiger Freiheit. Jüdische Reformer wie Saul Ascher (1767-1822) begriffen ihn als Wegbereiter für Emanzipation und Erneuerung des Judentums.9 Die jüdische Luther-Verehrung erinnert damit sehr an die Begeisterung für Friedrich Schiller.10 Dorothea Wendebourg hat auf den Umstand hingewiesen, dass die judenfeindlichen Schriften des späten Luthers bis zu ihrem Nachdruck in der 1826 begonnenen Erlanger Gesamtausgabe offensichtlich nicht bekannt waren.11 Auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fielen seine gehässigen Ausfälle kaum ins Gewicht, wenngleich der Leipziger Pastor Ludwig Fischer 1838 Luthers Schriften über Juden von 1523 und 1543 veröffentlicht hatte um die Notwendigkeit einer „freundlichen“ Judenmission gegenüber der „erstarrten“ lutherischen Orthodoxie zu begründen.12 Stattdessen wurde er als Übersetzer gewürdigt, der den Reichtum der hebräischen Sprache erkannt und die Schrift verdeutscht und volkstümlich gemacht hatte, und nicht von ungefähr wurde Moses Mendelssohn (1729-1786), der die Tora ins Deutsche übertragen hatte, im 19. Jahrhundert als Reformator und als „Luther des Judentums“ gefeiert.13 Heinrich Heine bestärkte in seiner Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland diesen Topos; „Wie Luther das Papstthum, so stürzte Mendelssohn den Talmud.“14 Mendelssohns Tora-Übersetzung von 1783 kam erst 1815 auch in deutschen Lettern heraus. Mangels einer anerkannten umfassenden jüdischen Bibelübersetzung in deutscher Sprache griffen Juden im Allgemeinen auf die Luther-Bibel zurück, bis 1837 die von Leopold Zunz verantwortete Übersetzung und 1839 die Philippson-Bibel erschienen. Bemerkenswerterweise kritisierte Ludwig Philippson noch 1859 Luthers Übersetzung als „einseitig, monoton und prosaisch, wo das Original viel- und tiefsinnig und voll Schwunges, voll Zartheit und Erhabenheit, voll Abwechslung und Biegsamkeit ist“.15 Seit Luther wird die Christenheit in Mitteleuropa nicht mehr als monolithisch begriffen. Diese Konfessionalisierung hat im 19. Jahrhundert auch die Auffächerung des Judentums in unterschiedliche Denominationen erst denkbar und möglich gemacht. Leopold Zunz (1794-1886), der Begründer der Wissenschaft des Judentums, sah Luther 1855 als den Überwinder des Mittelalters, der seiner Zeit weit voraus war und dessen Wahrheiten, insbesondere die Gedanken- und Gewissensfreiheit, in der Gegenwart überhaupt erst eingeholt werden müssten.16 Das Urteil des Zunz-Schülers Abraham Geiger fiel weit nüchterner aus: „Martin Luther hat der Menschheit keinen neuen Gedankeninhalt gebracht“, schrieb der Vordenker des liberalen Judentums 1871, doch er gestand Luther sehr wohl zu, den Geist von der priesterlichen Macht befreit und die Religion mit dem Volksleben verknüpft zu haben, so wie einst die Pharisäer den priesterlichen Sadduzäismus überwunden hätten.17 Auch für Geiger war es Luthers Bibelübersetzung, die ihn heraushob, die ihre Wurzeln aber schließlich im Judentum hatte: „Mit seiner Bibelübersetzung legte Luther das Zeugnis ab, dass er seine Erfrischung der Kirche mit den Mitteln des Judentums vollbracht“.18 Zudem trug der Reformator mittelbar zur Ausprägung der modernen Bibelwissenschaft bei: „Allein die freie Forschung der heiligen Schrift, die er zwar selbst nicht unternahm, weil er von bestimmten Glaubensvoraussetzungen ausging, wurde nun vorbereitet.“19 Für viele deutsche Juden war Luther zum deutschen Nationalhelden geworden, und als Rabbiner Abraham Geiger 1855 Paris besuchte, verglich er den Panthéon mit der Walhalla und beklagte, dass König Ludwig von Bayern dort ein schlechtes Totengericht gehalten hätte: „Martin Luther wurde aus der Reihe der großen deutschen Männer ausgeschieden“.20 Dem Mann, „der mit dem Hammer seines Geistes die alte Form zertrümmert, die geistliche Bevormundung beseitigt hat“, werde „seinen Platz in der Ehrenhalle des deutschen Volkes und der Menschheit auch dann noch einnehmen, wenn auch sein religiöser Standpunkt längst überschritten ist.“21 Die jüdischen Sympathien für Luther beschränkten sich Mitte des 19. Jahrhunderts auf bestimmte Aspekte seines Wirkens und galten dem Reformator, der die Konfessionalisierung von Religion ermöglicht hatte, dem Bibelübersetzer, dem Luther der Aufklärung, dem „deutschen“ Luther. Diese Zustimmung bezog sich aber immer nur auf die gesellschaftlichen Veränderungen, die Luther anstieß, nie aber auf seine Theologie. Zu denen, die Luther priesen, gehörten insbesondere Schriftsteller und politische Denker, die aus dem jüdischen Milieu ihrer Familien ausgebrochen und wie Ludwig Börne und Heinrich Heine zum Christentum konvertiert oder wie Karl Marx bereits als Kind getauft worden waren.22 Für Heine war Luther Wegbereiter einer bevorstehenden deutschen Revolution: „Ja, kommen wird auch der dritte Mann, der da vollbringt was Luther begonnen, was Lessing fortgesetzt, und dessen das deutsche Vaterland so sehr bedarf, – der dritte Befreier!“23 Wie ambivalent seine Haltung gegenüber Luthers Wirkung denn aber ist, wird in der Reihung von Paradoxa deutlich, mit der er den Reformator zu fassen versucht: „Er war ein kompletter Mensch, ich möchte sagen ein absoluter Mensch, in welchem Geist und Materie nicht getrennt sind. Ihn einen Spiritualisten nennen, wäre daher eben so irrig, als nennte man ihn einen Sensualisten. Wie soll ich sagen, er hatte etwas Ursprüngliches, Unbegreifliches, Mirakulöses, wie wir es bei allen providentiellen Männern finden, etwas schauerlich Naives, etwas tölpelhaft Kluges, etwas erhaben Borniertes, etwas unbezwingbar Dämonisches.“24 Heines „Ruhm dem Luther!“ unterscheidet ihn von Ludwig Börne, der Luther der Lähmung des deutschen Patriotismus zieh; für ihn war die Reformation „die Schwindsucht, an der die deutsche...