E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Ruch Es ist 5 vor 1933
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-641-32390-5
Verlag: Ludwig bei Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was die AfD vorhat – und wie wir sie stoppen - SPIEGEL Bestseller
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-641-32390-5
Verlag: Ludwig bei Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Wie die Dinge enden werden
Die AfD hämmert seit elf Jahren unablässig auf die Bevölkerung ein. Wie deformiert das Hämmern diese Gesellschaft? Befördert die Partei Hass und Hetze? Schürt sie Ängste? Träufelt sie Gift? Will sie Faschismus? Worin besteht das Ziel der AfD? Oder besser: Wozu der ganze Aufwand? Der Schriftsteller Stefan Zweig wirft mitten in die im Holocaust versinkende Welt eine Kerndiagnose über seine Welt von Gestern: »Nie bis zu unserer Stunde hat sich die Menschheit als Gesamtheit teuflischer gebärdet und nie so Gottähnliches geleistet.« Was ist unser Schicksal? Beim Anblick der vergangenen 80 Jahre zeichnet sich die Bundesrepublik durch eine gewisse Friedfertigkeit aus. Sie blieb von Bürgerkrieg verschont. Die Begründungen dafür liegen auf der Hand. Schwieriger ist es beim Gegenteil. Mit Stefan Zweig müssen wir unsere »Welt von Heute« fragen: Was sind eigentlich die Bedingungen dafür, dass die Menschheit sich durch die Zeiten mal teuflisch, mal friedfertig gebärdet? Warum scheinen sich die Menschen unterschiedlicher Epochen teils teuflischer, mal göttlicher zu verhalten? Letztlich ist das dieselbe Frage wie die nach unserem Schicksal. Wer oder was führt zu einer Welt, die Zweig noch hinterherhetzt, »um mir mein Leben bis ins letzte Fundament zu zerschlagen«? Was führt dazu, dass sie der Schriftsteller nicht mehr erträgt und sich das Leben nimmt? Warum war es den Bundesbürgern im Westen fast acht Jahrzehnte und denen im Osten immerhin dreieinhalb Jahrzehnte lang vergönnt, sich im Schutze des höchsten Guts, des Friedens und einer gewissen Friedfertigkeit, zu erholen? Um die Frage wirklich zu verstehen, müssen wir unseren Hochmut über Bord werfen, der uns vorgaukelt, die Menschen in der Weimarer Republik seien in irgendeiner Weise dümmer oder bornierter gewesen. Wir müssen uns von dem Vorurteil befreien, sie seien vor der Machtübergabe an die NSDAP weniger an der Wirtschaft interessiert gewesen. Derartige Fata Morganen lassen sich widerlegen. Die Deutschen befanden sich auf dem Zenit ihres Könnens. Die Weimarer Republik versammelte den Gipfel der gebildetsten Geistes- und Naturwissenschaftler. Erst durch den Druck der AfD lässt sich überhaupt ermessen, was für ein stolzer Staat Weimar war! Beeindruckend geistesgegenwärtige Politiker saßen an den Schlüsselstellen der Republik, um die damalige AfD zu verhindern. Nehmen wir einen Mann wie Walther Rathenau. Oder den Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Selbst ein Kanzler wie Heinrich Brüning, der sich als eiserner Sparer inszenierte und in zwei möblierten Zimmern zur Untermiete wohnte, bevor er ins damalige Kanzleramt umzog (der »Hungerkanzler«), lässt nichts, aber auch gar nichts unversucht gegen die NSDAP. Selbst er unternimmt viel mehr als wir heute. Brünings Kabinett erneuert 1930 beispielsweise das »Gesetz zum Schutze der Republik« gegen die NSDAP (nachdem es 1929 nicht verlängert worden war, was zu neuer »Gewalt« geführt hatte). Es richtet sich gegen alle, die die Republik ablehnen, und gegen deren demokratiefeindliche Druckerzeugnisse, Versammlungen und Vereinigungen. Die SPD unterstützt ihn, denn: »Ein Staat, der seinen Schutz aufgibt, gibt sich selbst auf«, so der Innenminister Carl Severing. Die NSDAP wird in Preußen sogar nachrichtendienstlich überwacht. Weil die NS-Propaganda dezentral operiert, werden mehr als 80 NS-Tageszeitungen immer wieder verboten. Uniformverbote, Auftrittsverbote, auch für Hitler, selbst die SA wird verboten (und von einer Folgeregierung als glorreiche Erstmaßnahme wieder freigeschaltet). Fritz Schäffer, nach dem Krieg Ministerpräsident von Bayern, schreibt die Anweisung, es gelte, unter allen Umständen die »größer werdende Erregung wegen Untätigkeit unserer Behörde gegen die Nationalsozialisten« zu vermeiden. Er schreibt nicht, dass er den Anschein von Untätigkeit vermeiden will, sondern ihm geht es um die Untätigkeit selbst. Er fragt seine Beamtenschar: Was können wir tun? Was wäre geschehen, wäre nur ein einziger dieser wehrhaften Politiker aus der Weimarer Republik, beispielsweise Walther Rathenau oder Matthias Erzberger, nicht von Rechtsextremen in der Operation Consul hingerichtet worden? Wie wäre die Geschichte mit Stresemann weiterverlaufen, der sich in seiner letzten Reichstagsrede am 30. September 1929 wahrhaft prophetisch über »die Situation, in der wir stehen« äußert? Er wendet sich gegen die Propaganda der »Kriegsschuldlüge« von gewissen »rechtsstehenden und rechteststehenden Organisationen«, die den »Luxus und Wohlstand« der Demokratie kleinreden. Eine Wirtschaftsleistung, für die amerikanische Staatsgäste ihm »die größten Komplimente« machen. Stattdessen hämmern diese Organisationen unablässig mit Lügendresche auf die Bevölkerung ein. Stresemann fragt: »Nimmt das denn jemand ernst? Es ist doch wirklich eine Zumutung an ein Volk, das nicht ein Volk der Analphabeten ist, mit einer derartigen Torheit sich beschäftigen zu müssen. Und doch, man sieht, wie viele darauf hereinfallen … welche Verrohung wird dadurch ins Volk getragen.« Es sei ein solcher »Verhetzungston« im Umlauf, dass das nur zu »Mordhetze« führen könne. An dem Attentat sei dann nicht »der arme junge Mann« schuld, der die Waffe betätigt, sondern die volksverhetzenden Kreise mit ihrer skrupellosen »Demagogie«. »Früher hat man von der Masse gesprochen«, so Stresemann, »der man die Autorität gegenübersetzen müsse. Heute appelliert man an den Mob auf der Straße.« Dadurch werde »Verhetzung in alle diese Kreise hineingetragen« und jede Koalition des Bürgertums unmöglich. Der Geist der Zeit gehe dahin, »dass das Volk überhaupt keine Einheit mehr ist, dass es sich gegenseitig nur noch verachtet oder sich gegenseitig anspuckt, anstatt gegenseitig miteinander zu leben … Ich habe das Empfinden, dass wir, vermögende Leute und andere, geradezu hineinleben in den Tag, ohne uns irgendwie klarzumachen, wie diese ganzen Dinge einmal enden sollen.« Falls Sie das Gefühl beschleicht, Stresemann kämpfe mit denselben Problemen wie wir heute, dann liegt das daran, dass er mit denselben Problemen kämpfte wie wir heute. Stresemann fragt die Abgeordneten im Reichstag, »ob sie wirklich mit sehenden Augen das Volk in den Abgrund führen wollen«. Wenn sich alle verfassungsfeindlichen Kräfte zusammenrotten »für den nächsten Bürgerkrieg«, so ruft Stresemann den Abgeordneten zu: »Stellen Sie sich doch vor, dass diese Gesellschaft Deutschland regierte!« Genau das konnte sich wirklich niemand vorstellen. Stresemann schon! Sie würden das Land »kaputtwirtschaften«, prophezeite er. Ungünstig, denn »sie wirtschaften ja nicht nur sich kaputt, sie wirtschaften unser Vaterland kaputt«. Es folgt ein Ratschlag, den Stresemann tatsächlich 1929 so aussprach: »Ich sehe nur, dass wir mit der Linken gehen müssen, weil Teile von rechts in Deutschland verrückt geworden sind.« Allzu gern hätte man diese Koalitionswilligkeit verwirklicht gesehen. Aber Stresemann ereilt der Schlag. Und die Republik ihr Schicksal. Stresemann stirbt unmittelbar nach dieser Rede. Mich überrascht immer aufs Neue, welche Anstrengungen führende Politiker der Weimarer Republik gegen die Propaganda und den Terror, gegen das »Gift« und die »Mordhetze« der NSDAP unternommen haben. Wie klar sie nicht nur das Problem der verschwörerischen Verfassungs- und Demokratiefeinde sehen, sondern wie unerbittlich sie es anpacken! Der bayerische Innenminister Karl Stützel allein tut gegen die NSDAP mehr als alle Politiker der Bundesrepublik gegen die AfD zusammen. Er setzt ein Versammlungsverbot durch. Ihm stößt »die aggressive Art« auf, mit der die Parteianhänger ihre »Sache von Anfang an verfolgten«. Die NSDAP wende Mittel an, »die man früher auch im schärfsten politischen Kampf nicht gekannt« habe. Wie heute. Als kämen die Sätze aus dem Mund führender Koalitionspolitiker. Allerdings nur bis hierhin. Denn Stützel stellt das »passive Verhalten diensthabender Beamter« bloß. Die »rednerischen Exzesse übelster Art«, die nur dem Ziel dienen, »die politischen Leidenschaften aufzupeitschen und die Unruhe in der Bevölkerung zu erhöhen«, müssen verboten werden, fordert er. In der »unflätigsten Weise« habe sich die NSDAP »nicht nur gegen Reichs- und Staatsregierung, sondern auch gegen Vertreter anderer politischer Parteien« geäußert. Sie habe »Gewalttätigkeiten« angedroht und angekündigt. Nach Stützels Überzeugung ist »die NSDAP staatsfeindlich«. Sie will »nicht nur die Regierungen, sondern den gegenwärtigen Staat beseitigen«. Der »terrorisierte ruhige Teil der Bevölkerung« lebe dagegen schon als »Bürger 2. Klasse« im eigenen Land. Hatte er übertrieben? Stützel verspricht: Die Polizeidirektion München wird NSDAP-Demonstrationen »mit allen polizeilichen Mitteln, die notwendig sind, rücksichtslos verhindern und unterdrücken«. Darunter versteht er nicht nur deren Auflösung, sondern Festnahmen und sogar die »Verhängung der Schutzhaft«! Wer die Schutzhaft für ein antiquiertes repressives Mittel hält, sollte bedenken, dass der bayerische Landtag es vor Kurzem eingeführt hat und die Polizeidirektion München es auch maßlos anwendet. Aber nicht...