Buch, Deutsch, 48 Seiten, Paperback, Format (B × H): 190 mm x 270 mm, Gewicht: 158 g
Reihe: Bachelorarbeit
Buch, Deutsch, 48 Seiten, Paperback, Format (B × H): 190 mm x 270 mm, Gewicht: 158 g
Reihe: Bachelorarbeit
ISBN: 978-3-95993-123-6
Verlag: Bachelor + Master Publishing
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Textprobe:
Kapitel 2. Theoretische Fundierung:
2.1. Werkpädagogik als Handlungsansatz:
Eine genaue Standortbestimmung oder Definition der Werkpädagogik gestaltet sich nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Forschung als schwieriges Unterfangen. In den verschiedenen Arbeitsfeldern der sozialen Arbeit, in Kitas, in Schulen, in Werkstätten für Menschen mit Behinderung, in Freizeiteinrichtungen und an vielen anderen Orten wird gesägt, gehämmert, getöpfert, Metall verarbeitet, Papier geschöpft, gewebt, genäht und vieles mehr, aber in der Literatur ist das Thema derart vernachlässigt, dass man nur zustimmen kann, wenn hier von Theorieabstinenz gesprochen wird (Gfüllner, 2009, S.6). Dieser Umstand erscheint insbesondere deswegen so bemerkenswert, da über die Kulturen und die Evolutionsgeschichte des Menschen hinweg die handwerkliche Betätigung stets eine bedeutsame Rolle gespielt hat.
2.1.1. Historische Einbettung:
Das älteste Werkzeug in der Menschheitsgeschichte, der Faustkeil, kann bis auf 3,3 Millionen Jahre zurückdatiert werden und wurde damals in vielfältiger Funktion genutzt (Podbregar, 2015). Der Gebrauch von Werkzeugen stellte einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung der menschlichen Gattung dar, denn dies erlaubte ihm flexibler und vom Lebensraum unabhängiger zu agieren. Seit diesem Zeitpunkt ist das Geschick des Menschen eng mit dem Handwerk verbunden. Das Wort Werken selbst stammt aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet so viel wie „schaffen“ oder „wirken“. Bezeichnet wird damit die schöpferische und zielgerichtete Tätigkeit zur Erstellung eines Produktes aus Rohmaterialien. Das Potenzial, das in diesen schöpferischen und gestaltenden Tätigkeiten liegt, ist in der Pädagogik seit langer Zeit bekannt und wurde als Mittel zu einer ganzheitlichen Erziehung eingesetzt. Schon Comenius forderte mit seinem Grundsatz „Omnes Omnia Omnio“ – Alles für alle allseitig- eine ganzheitliche Bildung, in der die Selbsttätigkeit als Schlüssel zur Erkenntnis gilt. August Hermann Francke warb für eine Erziehung zu Arbeit und Leben und unterwies die Kinder in seinem Waisenhaus in handwerklichen Tätigkeiten. Nicht nur die intellektuellen Fähigkeiten anzusprechen, sondern allseitig Herz, Kopf und Hand zu schulen, ist eine Forderung, die von Pestalozzi stammt. Auch sein Schüler Friedrich Fröbel legte in seinen Kindergärten großen Wert auf Selbsttätigkeit und die Unterweisung aller Sinne (Hulsch, 2020, S.12-14).
Insbesondere aber die Reformpädagogen kritisierten die „Verkopfung“ in der Bildung und Erziehung und forderten einen ganzheitlichen Zugang zum Menschen und seinen Erkenntnisprozessen und den Einbezug aller Sinne statt einer einseitigen Förderung der intellektuellen Fähigkeiten. Ganz in diesem Sinne setzte sich Georg Kerschensteiner für eine Umgestaltung des Schulsystems ein. Nicht nur die sprachlichen Fähigkeiten sollten gefördert werden und nicht die bloße Wissensvermittlung im Mittelpunkt stehen, sondern alle menschlichen Fähigkeiten und Neigungen, also auch die praktischen, technischen und künstlerischen sollten mit einbezogen werden. In seinen Arbeitsschulen fanden sich nicht nur die üblichen Schulbänke, sondern auch Werkbänke, Zeichensäle und Schulgärten, um so eine ganzheitliche Erziehung, die insbesondere die Förderung der handwerklichen Geschicklichkeit beinhaltete, zu ermöglichen. Dies betrachtete er als Förderung der Humanität und meinte damit, dass es gilt „den Mensch(en) zu humanisieren und nicht etwa bloß (zu) intellektualisieren, ästhetisieren, literalisieren“ (Biller, 1988, S.20-32). Maria Montessori vertrat ebenfalls die Ansicht, dass eine einseitige intellektuelle Förderung nicht ausreichend sei, sondern vielmehr auch der Geist und die Hände angesprochen werden müssen. Hilf mir es selbst zu tun! -das ist wohl der bekannteste Ausspruch Montessoris, der aufzeigt, dass das Kind als selbsttätiges und eigenverantwortliches Wesen seine Umwelt begreifen und erfahren muss. Dieser Selbstbildungsprozess ist für sie kein kindliches Spiel, sondern Arbeit, für den sie ein umfangreiches Repertoire an Sinnesmaterialien geschaffen und das Konzept der vorbereiteten Umgebung eingeführt hat (Pütz & Klein-Landeck, 2019, S.36-145). Celestin Freinet wiederum, der sich aufgrund eines im Krieg erlittenen Lungenschusses in der Ausübung seiner Aufgaben als Dorfschullehrer vor die Herausforderung gestellt fand, weder laut noch ohne Pause längere Zeit sprechen zu können, gestaltete kurzerhand sein Klassenzimmer radikal um. Zwar befanden sich in der Mitte des Raumes noch immer einige Tische und Stühle, die als Treffpunkt für die Klasse dienten, wenn sie zu Beratungen zusammenkam. Im Rest des Klassenraumes jedoch richtete Freinet unterschiedliche Ateliers, in unserem Sprachgebrauch Werkstätten, ein. Es gab Holz, Schmiede- und Druckwerkstätten, es konnte im Bereich der Konstruktion und Technik geforscht und experimentiert werden aber auch Ateliers für Hauswirtschaft, Spinnen und Feldarbeit waren hier vorhanden. Für Freinet bestand keine Trennung zwischen Leben und Lernen oder Arbeit und Spiel. Weniger die Belehrung durch Erwachsene, sondern die Selbsttätigkeit des Kindes in einem entwicklungsförderlichen Milieu, waren für ihn der Schlüssel zu einem erfolgreichen Bildungsprozess. Das bedeutete für ihn, dass Kinder zuerst Dinge bearbeiten und so ihre Erfahrungen machen müssen, bevor diese dann zu intellektuellem Wissen werden können. Die räumlichen Bedingungen dafür schaffte er, anders als Montessori, deren vorbereitete Umgebung er als „künstlich und zu eng bemessen“ kritisierte, indem er eine Vielfalt an Material und echtem Werkzeug („Ernstzeug“ statt Spielzeug) für die Kinder frei und jederzeit zugänglich zur Verfügung stellte. Er gilt somit als Begründer des Konzepts der Lernwerkstätten, in denen Kinder eigenverantwortlich und gemäß ihrer Interessen forschen, experimentieren, werken und gestalten können (Henneberg et al., 2008, S.9-75). In der Reggio-Pädagogik wiederum finden sich Ateliers, in denen Atelieristas (Atelierleiter*innen) mit handwerklicher, künstlerischer oder kunstpädagogischer Ausbildung tätig sind. Während im Gruppenalltag das Bild vom Kind als neugierigem Forscher, Entdecker und Konstrukteur der eigenen Entwicklung im Vordergrund steht, ist das Atelier ein Ort für andere Formen des Lernens, die stärker vom Lernen am Modell und der Imitation geprägt sind. Hier werden Material- und Werkzeugkunde vermittelt und die Kinder befinden sich in dieser Art der Unterweisung eher in einem vertikal geprägten Beziehungsgefüge. Durch Korrigieren, Helfen und Vormachen begleiten die Atelierleiter*innen den handwerklichen und künstlerischen Prozess der Kinder mit ihrer fachlichen Expertise (Knauf, 2003).